Ein neues Leben

Geile Erlebnisse und Kurzgeschichten.
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WaReZ
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Registriert: Sa 21. Apr 2012, 01:24

Ein neues Leben

Beitrag von WaReZ »

Die folgende Geschichte ist eigentlich eine rein fiktive Erzählung, die jedoch reale Wurzeln hat; reale Persönlichkeiten festhält, verarbeitet und daraus eine zusammenhängende Geschichte spinnt.

Erzählt wird der Alltag von ein paar Schülerinnen und Schülern einer 9. Klasse in einer Kleinstadt irgendwo im Norden Deutschlands, aus deren Perspektive, so gut es meiner Vorstellungskraft und Fantasie möglich ist - ihr dürft euch bei lfcasual dafür bedanken, dass ich mich dazu entschloss, diese Geschichte niederzuschreiben; seine Geschichte “Zwei Freundinnen” motivierte mich dazu, in der Hoffnung, dass es hier ein potentielles Publikum gibt.

Triggerwarnung
Diese Geschichte dreht sich um vielerlei Angelpunkte und greift viele Schicksale und Interessen auf. Dies kann den einen oder anderen an eigene unangenehme Momente erinnern oder anwidern. Wahrscheinlich wird sie, aufgrund entsprechender Vorlieben meinerseits, sehr Schuh-Lastig, auch wenn die Charaktere zum Teil andere Tendenzen haben. Ich hoffe trotzdem, dass im Laufe der Geschichte für jeden etwas dabei ist.

Bevor es losgeht, noch ein paar kurze Anmerkungen:
  • Bitte setzt die Geschichte nicht (in diesem Thread) eigenmächtig fort
  • Bitte nutzt den Thread nicht für (Eigen-) “Werbung” oder sonstiges Off-Topic-Gedöhns.
  • Feedback ist gerne gesehen, ich bin jedoch keine “Feedback-Hure” - es wird auch weitergehen, wenn keines erfolgt, je nachdem, wie mein Zeitpensum so ist; mir geht es um die Geschichte, die ich mit euch teile.
  • Wünsche, in welche Richtung sich die Geschichte entwickeln sollte, können nicht berücksichtigt werden, da das Szenario bereits seit Monaten feststeht und wie gesagt Wurzeln im realen Leben hat. Wenn sich Fragen ergeben oder ich auf bestimmte Aspekte besser und detaillierter eingehen soll, will ich aber versuchen, darauf einzugehen. Dennoch ist es so, dass ich die Geschichte üblicherweise “ein paar 'Kapitel' vorrausschreibe” und nicht etwa sofort veröffentliche. Ich denke, dass dies der Qualität und Lesbarkeit sehr zuträglich ist, auch wenn sie sich wahrscheinlich sehr “geschliffen” lesen wird.

Ich muss allerdings auch fairerweise dazusagen, dass die Geschichte wohl eher für die Bücherwürmer unter euch gedacht ist.
Wer sich daran nicht stört, dem wünsche ich nun eine gute Unterhaltung :lol:
WaReZ
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Kapitel 1

Beitrag von WaReZ »

Kapitel 1
Da ist er also - der erste Schultag im neuen Schuljahr. Eigentlich wollte sie garnicht aufstehen - und so lag sie da, in ihre Bettdecke eingemurmelt und blickte mit ihren grünen Augen verträumt zum Fenster hinaus. Schon komisch - noch vor 2 Wochen war alles so schön, alles in Ordnung und hätte nicht besser sein können. Klar, es waren Sommerferien - was wünscht man sich als Teenie mehr? Lange aufbleiben, den ganzen Tag irgendwas mit Freunden unternehmen und keine mit Kreide kontaminierte Luft einatmen müssen, während man sich den Arsch auf irgendwelchen Holzstühlen plattdrückt.

Aber als ihr der Gedanke so durch den Kopf ging, dachte sie dabei an etwas anders; daran, dass ihre Familie vor 2 Wochen noch heil war; dass alles gut war und sie daran keinen Gedanken verschwunden musste. Und dann kam dieser eine Anruf, der alles veränderte. Dieser eine Anruf, bei dem ihre Mutter kreidebleich im Flur lauschte, was die Stimme aus dem Telefonhörer ihr erzählte, bis sie den Hörer fallen ließ, mit einem Gesichtsausdruck, den Lisa nicht deuten konnte; als würde ihrer Mutter nicht wissen, ob sie jetzt lachen oder weinen sollte und ihr dennoch die Tränen ins Gesicht schossen, während sie ins Wohnzimmer sprintete, ohne abzuwarten, was die Stimme aus dem Hörer noch zu erzählen hatte. Und im Wohnzimmer, da war Vati, der garnicht wusste, wie ihm eigentlich geschah, als Mum ihn anbrüllte, was er für ein verlogener Schuft, für ein Schwein sei und wie er ihr das antun könne.

Zwei Wochen ist das jetzt her und nun hat sich alles geändert, das ging so unfassbar schnell. Über einen Bekannten fand sie eine Wohnung, die gerade leer stand, ein paar dutzend Kilometer weit weg, in der kleinen Stadt, in die Mum immer zum Arbeiten pendelte; der Vermieter ließ mit sich reden und war sehr betrübt über den Vorfall - so konnte der Umzug schnell von der Bühne gehen. Lisa war natürlich sehr betrübt, denn nun wusste sie auch nicht mehr, wo sie eigentlich steht… aber eines ist sicher, nachdem “Dad” ihre Mum so schamlos betrogen hat, mit einer anderen, so würde Lisa ihm auch nicht mehr vertrauen können. Wer weiß, wie oft sie schon von “Dad” angelogen wurde und er sich vielleicht in Wahrheit über sie lustig mache, wenn sie ihre kindlichen, pubertären Probleme hatte und ihr Weh klagte; früher war er für sie der verständnisvollste und beste Dad der ganzen Welt. Und was wäre, wenn dieser Lustmolch auch noch… nein, daran mag sie garnicht denken. Also war klar, bei “ihm” konnte sie auch nicht mehr wohnen - aber erst jetzt wurde ihr so langsam klar, was diese Entscheidung für Konsequenzen hatte. Immerhin würde sie nun ihre Freunde nicht mehr jeden Tag sehen, nicht mehr mit ihnen lachen und - zumindest, wie es die Erwachsenene sehen - Unfug treiben können.
Und ausserdem, wer weiß, was sie in der neuen Schule alles erwarten würde; eigentlich würde sie das am liebsten garnicht wissen wollen. Viel lieber würde sie im Bett liegen bleiben wollen - es ist eh gerade so schön kuschelig warm und schön. “Warum findet man eigentlich immer die beste Schlafposition dann, wenn man aufstehen muss!” grummelte sie in Gedanken vor sich her… muss sie wirklich? Was würde eigentlich passieren, wenn sie jetzt einfach liegen bliebe. Aber bei dem Licht, das durchs Fenster in das noch spärlich eingerichtete Teenie-Zimmer hindurchschien, das würde sich schwierig gestalten, wieder einzuschlafen. Und ausserdem - wie “Assi” wäre das denn, den ganzen Vormittag zu pennen - ihre alten Freunde - Christopher, Katja, Nadja - die würden sie ziemlich auslachen dafür.
Wenn die wüssten, wie sehr die ihr gerade fehlten… diese Idioten, die hätten ruhig mit umziehen können. Ob Frau Weigel wohl noch immer diesen albernen, kunterbunten Wollpullover trägt, jeden verdammten Tag? So wie auch schon in der 7. und 8. Klasse zuvor; wer weiß, wieviele Generationen diesen Pullover wohl schon bestaunen dürften. Ja, ja, bestimmt würde sie ihn auch in diesem Jahr wieder tragen. Und darüber bestimmt auch den olivgrünen, gammeligen Trenchcoat, sobald sie das Klassenzimmer betritt oder verlässt. So wie immer.
“Ach Mann, das ist doch scheiße!” - Lisa war schon viel zu wach, um wieder einschlafen zu können und einfach blau zu machen. Ihr gingen schon hunderte Szenarien durch den Kopf, was man als Ausrede benutzen könnte… “Sie hat die Schule nicht gefunden”, “Der Bus kam nicht”... ach halt, sie muss ja nicht mehr mit dem Bus fahren, die Schule ist ja garnicht so weit weg, Mum hat sie ihr ja gestern erst gezeigt.

Also richtete sie sich langsam auf, die Decke noch immer fest zwischen die Beine geklemmt und stützte sich erst mit beiden, angewinkelten Ellenbogen an der Matratze; es war so bequem, aber trotzdem war sie irgendwie schrecklich verspannt, die letzten Nächte waren definitiv nicht die besten. Viel zu oft ist sie mitten in der Nacht schweißgebadet aufgewacht, nach einem Albtraum. Genervt ließ sie ihren Kopf nach hinten fallen, sodass ihr rotes, gewelltes Haar erst über ihre Haut strich und dann auf das Kopfkissen fiel, während sie die Schultern nach hinten, den Oberkörper nach vorn drückte; sie fand dieses Gefühl, wenn sich die Schulterblätter in ihrem Körper in genau dieser Position so deutlich spürbar bewegen und sie die Entlastung auf ihrer Wirbelsäule spürt, so unheimlich entspannend. Langsam winkelte sie die Beine an und genoss dabei das Gefühl, das sie in ihren Fußsohlen verspürte, während sie über die frische Bettwäsche glitt und die Bettdecke zwischen ihren Beinen entlang rutschte, die sich noch immer dort befand; schließlich klemmte sie das Ende der Bettdecke fest zwischen ihre Füße, ganz fest und hob langsam ihr Becken an, wodurch sie die Decke mit hochzog. Diese rieb nun ganz langsam über ihre ansonsten vollkommen unbedeckte Haut, über ihre Brust, ihren Bauch und natürlich auch über ihren Schambereich; wieder genoss sie das Gefühl, das am liebsten nie enden sollte; jeder Knochen in ihrem Körper kam allmählich in Bewegung - aber irgendwann hat auch die größte Frau den Punkt erreicht, an dem das Becken einfach nicht weiter hoch will. Und irgendwann rutscht - IMMER! - diese verdammte Decke einfach runter, auf den Boden, egal wie viel Mühe sie sich gibt, sich nur gaaaanz vorsichtig zu bewegen. Naja, was solls - sie streckte ihren Rücken schließlich ganz durch, verharrte einen Augen Blick in dieser Position, um sich dann plump mit ihrem nackten Po wieder aufs Bett fallen zu lassen.

Es ist schon immer wieder ein Kampf, aufzustehen und mit dieser Morgengymnastik, die ihr tägliches Mindestmaß an Routine befriedigt, wird es geraaaade so erträglich. Und eigentlich… wie spät ist es überhaupt?
Blindlings griff sie mit der linken Hand in Richtung ihres Nachttisches, wo sie ihr Handy versuchte zu ertasten; nach einigen berherzten Versuchen des patschens - sie hatte es gefunden! Und während der Daumen geübt den Standby-Schalter betätigte und sie den Arm langsam wieder zurückzog, in genau diesem Moment erschrak sie, so sehr, dass ihr ganzes Bett regelrechte bebte. “Scheiße!” stieß sie heraus, doch das änderte nichts daran, dass es schon 10 Minuten vor 8 war.

Eigentlich wollte sie um 7 aufstehen, sich gemächlich waschen, frühstücken und dann langsam in die Schule schlendern, doch das ging nun alles nicht mehr! Sie sprang auf, hechtete zum Kleiderschrank und ihr war gerade sowas von egal, dass jeder, der durch das große Fenster in ihrem Zimmer im 1. Stock hindurchsehen konnte, sie splitterfasernackt sah; sie griff nach einem einfachen, weißen BH, den sie sofort an ihren Körper presste und mit einem geübten Handgriff hinterrücks sicher verschloss; noch kurz die Schulterblätter schaukeln, dass auch ja alles sitzt; dann griff sie sich einen ihrer Tangas, stieg hindurch und zog ihn rasch die Beine hoch und vergewisserte sich noch kurz, dass er auch wirklich sitzt. Schließlich noch eine Hose - eine hellblaue Jeans - und ein weißes T-Shirt übergestreift, das muss reichen. “Fuck, its Monday” prankte auf ihrer Brust in dicken, schwarzen Lettern. Besser hätte man es wohl nicht in Worte fassen können.

Schließlich griff sie nach ihrer Schultasche - es befindet sich sicher noch alles, was man irgendwie gebrauchen könnte, von letztem Jahr darin, sie wollte sich dessen zwar vor ein paar Tagen vergewissern, aber dann kam der Umzug... - und sie hechtete aus dem Zimmer. In schnellen, kurzen Schritten trippelten ihre Füße über den Teppichboden, nghhh, verdammt, sie sollte vielleicht doch noch einmal vorher aufs Klo gehen! Wenigstens kam ihr diese Idee wenigstens heute, BEVOR sie das Haus verließ.

Also warf sie ihren Rucksack an Ort und Stelle hin und kehrte um, denn, wie von einem ausgesprochen zynischen Gott so gewollt, das Bad befand sich natürlich am ANDEREN Ende der Wohnung, genau gegenüber von der Wohnungstür. Aber ihre Mutter musste natürlich die erstbeste Wohnung nehmen und konnte ja auch kein bisschen Gnade zeigen!
Noch bevor sie sich aber schöne Flüche für ihre Mutter überlegen konnte, realisierte sie, dass das Bad ja gefliest war. Und die Fliesen waren KALT. Also, wenn sie jetzt nicht wach ist, dann, ja, also, dann wüsste sie auch nicht. Sie schloss nicht einmal hinter sich die Tür - sie war ja eh allein in der Wohnung, Mum ging ja immer um 6 schon aus dem Haus - öffnete den Klodeckel und hielt kurz inne. Warum das Klo in dieser Wohnung wohl ausgerechnet ein Tiefspüler sein musste und kein Flachspüler, wie in der Wohnung von Vati, das wird sich ihr vielleicht irgendwann erschließen, aber es ist ja auch egal jetzt; sie zerrte sich die Hose, deren Knopf und Reissverschluss sie gerade vor wenigen Sekunden erst schloss - das muss irgendwie so gehen! - und zog sich den Tanga hinunter, setzte sich auf die Schüssel und sank mit einem tiefen Seufzer zusammen, während sie ihre Blase entleerte. Soviel Zeit muss sein, dachte sie sich, ohne wirklich wissen zu wollen, wie spät es wohl inzwischen schon war. Schnell abgeputzt, rasch die Spülung gezogen und noch kurz mit einem prüfenden Blick vergewissert, dass das Klo auch wirklich spülte - man weiß ja nie! - stand sie auch schon wieder im Raum, riss sich die Hose hoch und wusch sich die Hände. Jetzt aber schnell, schnell in den Flur und raus aus dem Bad mit seinen höllisch kalten Fliesen.
Und ehe sie sich versah, liebkosten ihre Zehen schon wieder den warmen Teppich im beheizten Flur und sie hätte am liebsten jede Faser eben diesen Teppichs einzeln genau dafür geküsst - aber dafür hatte sie keine Zeit.

Sie griff sich von der Garderobe ihre rote Strickjacke, griff aus dem Schuhregal ihre roten Converse All-Stars Hi-Cut, die obenauf standen und warf ebendiese mit dem Feingefühl eines Bulldozers auf den Boden - wenn die ihr jetzt auch noch Probleme machen würden, weil sie nicht reinkäme, würde sie die am liebsten in der Luft zerreißen und die Fetzen gnadenlos verbrennen; die alten Stinketreter waren eigentlich mit eines ihrer liebsten Paar Schuhe, aber auch schon wieder 4 Jahre alt. Dass sie die fast täglich trug, weil die nun zu ihrer Stickjacke so schön passten; Es war der genau der gleiche Farbton, dafür musste sie lange Suchen, dass es auch nicht nur ein kleines Quentchen Abweichung gab - hat sicherlich seinen Teil dazu beigetragen, dass es ihre Lieblingsschuhe waren. Die Innensohlen waren voller Sand und Dreck und natürlich hatten ihre Zehen sich auch schon durch den dünnen Leinenstoff gebohrt. Viel schlimmer war, dass sich auch die Sohle hinten an der Ferse schon langsam löste, was heißen würde, dass sie diese Schuhe vielleicht langsam mal ersetzen und erlösen sollte - wetterfest waren sie schon lange nicht mehr. Nichtsdestotrotz, für heute werden die gerade noch gut genug sein! Und so zog sie die Zunge vom linken Schuh, schlüpfte mit dem nackten linken Fuß hinein und anschließend zupfte sie den Hals des Schuhs zurecht, da sie das Talent hatte, diesen bei diesem Hineinschlupfmanöver immerzu umzuklappen. “Das passiert bestimmt auch nur mir! Genauso wie am ersten Tag direkt zu spät in die neue Klasse zu kommen, ich weiß ja noch garnicht wo das alles ist!” dachte sie sich, während sie den rechten Fuß in den dazugehörigen Schuh steckte, die Lasche hochzog und schließlich auch die umgeklappten Seiten hochzerrte, doch - RATSCH - plötzlich riss der Stoff aus der Innenseite des rechten Schuhs, dort wo der Stoff in die Sohle über geht, nicht viel, aber doch konnte sie den Finger durch das Loch stecken und darin ihren nackten Fuß spüren. Verdammte Scheiße noch mal! Aber das hält mich jetzt nicht auf, dachte sie sich, auch wenn ihr Zorn aufs neue in ihr aufflammte.
Schließlich griff sie ihren Rucksack, schulterte ihn mit einem lässigen Schwung auf, griff ans Schlüsselbrett, um ihren Haustürschlüssel zu greifen, riss die Tür auf und ließ sie hinter sich ins Schloss fallen und hastete die Treppe herunter. Das abgetretene Profil ihrer Chucks erwieß sich dabei nicht als Hilfreich, denn fast wäre sie auch noch von einer der Stufen der alten Steintreppe abgeruscht, an der die Sohle keinen Halt fand. Fakt ist: Sie wird diese Schuhe wohl wirklich bald ablösen müssen!

Schließlich hatte sie es geschafft, mit großen Schritten verließ sie das Haus und rannte auf die Schule zu; sie hatte zwar noch keine Klingel gehört, die die Unterrichtsstunde lautstark ankündigen würde, aber lange kann das gewiss nicht mehr dauern! Den Zeitdruck im Hinterkopf, rannte sie und rannte; man hätte sie sicher, wenn man sie so sähe, für Lola gehalten, die aus dem Film “Lola rennt”. Zwar hatte sie nicht das gleiche Outfit, aber wie die roten Haare hinter ihr her flatterten, das ließ gewiss keinen Zweifel an diesem Vergleich. Es waren auch nur noch 500m, sie konnte die Schule schon sehen, aber sie musste kurz verschnaufen, es ging einfach nicht, sie hat sich regelrecht die Seele aus dem Leib gerannt. Während sie tief durchatmete, bemerkte sie, dass an diesem Tag aber auch garnichts funktionieren will - unter ihren Axeln fühlte sie mit dem Oberarm etwas schmieriges, zwischen ihren Pobacken bemerkte sie auch etwas feuchtes - und in ihren Schuhen herrschte Gefühlt auch subtropisches, feuchtes Klima, das sie bemerkte, wenn sie mit den Zehen über den Leinenstoff im Schuh glitt. Sie war klatschnass durchgeschwitzt und würde sicher zum Gelächter werden, auf dem weißen T-Shirt sieht man die Schweißflecken bestimmt ganz wunderbar! Na toll, dachte sie sich und griff in ihren Rucksack, wo sich noch ein Deo vom letzten Schuljahr befand; zum Glück war es noch nicht leer, weshalb sie hoffte, so wenigstens ETWAS gegen den Schweiß, der sich inzwischen auch auf ihrer Stirn sammelte, ausrichten zu können. Zu allem Überfluss hörte sie nun auch die Schulglocken, ein schnelles Klingeln, ein regelrechtes Trommeln auf einen Klangkörper aus Metall, ganz wie in ihrer alten Schule. Nun hat das Rennen auch keinen Zweck mehr, sie würde ja doch nicht mehr pünktlich eintreffen. Dennoch schritt sie nun wieder zügigen Schrittes vorran - und kam schließlich, mit knapp 5 Minuten Verspätung, am Schulgebäude an.

Da sie überhaupt keine Ahnung hatte, wo sie denn jetzt eigentlich hinmüsste, hielt sie es für das klügste, einfach im Sekretariat nachzufragen. Und nachdem sie zögerlich an der Tür, neben der “Sekretariat” in weißen Buchstaben auf einem grauen Kunststoffschild geschrieben stand, klopfte, wurde sie auch schon von einer knarrenden Stimme hereingebeten, wie von einer Hexe aus einem Märchen. Und tatsächlich, die Sekretärin sah aber auch aus wie eine Hexe, mit grauem, krausen Haar, das sich zu einem Kugel formte, auf die Bob Ross höchstpersönlich neidisch wäre und sich bestenfalls mit seinem liebevollen “fluffy bush” umschreiben ließ; die offenbar starke Brille mit silbernem, dicken Rahmengestell und mit einer Kette um ihren Hals befestigt, verstärkte den Eindruck, dass es sich um eine alte Dame handele, nur noch mehr, ganz genauso wie diese hellblaue Stoffbluse, die von einer dunkelblauen Stoffweste umschlungen war und aus der fleckige und dürre Arme herausqollen - alles in allem ein “Happy accident”, wie Bob Ross es beschreiben würde, ganz bestimmt. Gerne hatte sie den damals geschaut und sich mit ihrer besten Freundin über seine Ausdrucksweise kaputt gelacht...
“Wie kann ich Ihnen denn weiterhelfen, junges Fräulein?” Fräulein! Fräulein nennt die alte Trulla mich! Ich mag die schon jetzt nicht! “Sollten sie nicht in Ihrem Klassenzimmer sein? Der Unterricht begann gerade eben.” schob die alte mit einem vorwurfsvollen Unterton nach. Und so gerne sie jetzt schlagfertig etwas geantwortet hätte, vielleicht sogar etwas verletzendes, gemeines, auch wenn ihr nichts einfiel, besann sie sich. Immerhin würde sie, wenn ihre Noten es zuließen, hier sogar ihr Abitur machen müssen.
“Ich… äh...” kam es zögerlich aus ihr heraus “ich bin mit meiner Mum vor 2 Wochen hier hergezogen und” stammelte sie, doch die Sekretärin raunte ihr direkt dazwischen “Ach, du bist das.“ mit dem noch immer genau gleichen, abfälligen Tonfall. Bestimmt würde die alte sie genausowenig leiden können. Vielleicht mag die generell keine Kinder und ist zu jedem so. Vielleicht frisst sie sogar Kinder? “ und da oben musst du den Gang runter, in Raum 612.”
Was? Verdammt! “Entschuldigen sie bitte, könnten Sie das bitte noch einmal wiederholen, ich habe wohl gerade nicht aufgepasst” kam es Pups-Freundlich aus Lisa heraus, doch die Freundlichkeit wurde mit einem aggressiven “Bin ich ein Papagei oder was?! Raus, in den Unterricht, aber hurtig!” krähte sie. Dieser Bitte wollte sie nur schleunigst nachkommen, die alte Schreckschraube machte sie unheimlich aggressiv; ohnehin hatte sich in ihr heute schon eine immense Wut angestaut, an irgendjemanden wird sie diese heute sicher noch auslassen. “Raum 612 also… das klingt weit weg. Den Gang runter? Hmm…” dachte sie, während sie den erstbesten Gang hinunterlief… “001, 003, 005, 007… ich glaube, der wird nicht hier sein” ging ihr durch den Kopf - völlig zu Recht, weshalb sie prompt die nächstbeste Treppe hinaufschritt, immer 2 Stufen mit einem Mal, ohne zu vergessen, sicheren Halt auf der Stufe zu suchen; ihre Chucks würden ihr, dank der nahezu profil-losen Sohle, sicher keinen solchen geben. Apropos, das hatte sie ganz vergessen, der inzwischen erkaltete Schweiß machte sich inzwischen an ihrem ganzen Körper bemerkbar und ihr fröstelte leicht, als ihr diese Erinnerung kam, der Schweiß triefte regelrecht; die Treppen zügig hinaufzuhuschen machte das keineswegs besser, ganz gewiss nicht. Inzwischen hat sie die Treppe allerdings erklommen und ihre Vermutung bestätigt… “101, 103, 105, 107”... uff, das hieße ja, sie müsste in den 6. Stock! Aber es hilft ja nichts, also machte sie sich hurtig auf die Socken.

Lustig, diese geflügelten Wörter, dabei trägt sie ja garkeine, schon seit Jahren nicht mehr. Weil sie immer so schnell ins Schwitzen kommt, denn die Socken haben immer alles noch schlimmer gemacht. Wenn sie sich mit dem Schweiß vollsogen und es dann bei jedem Schritt platschte und quitschte, als würde sie in eine Wasserbombe treten; ganz zu schweigen von dem unangenehmen Gefühl und ihren stetigen Erkältungen deswegen. Eine Zeit lang hat sie sogar nur Sandalen und offene Schuhe getragen, um dem entgegen zu wirken, aber im Winter funktioniert das nicht mehr. Ausserdem findet sie Turnschuhe und Sneaker viel adäquater für ein junges Teenie-Girl - viel stylischer, viel hipper. Aber vor ein paar Jahren kam sie einmal auf die Idee, ihre bis dahin völlig ausgelatschten und gammeligen Nike-Treter, entgegen den vorherrschenden Ansichten, dass das ja ekelig sei und Bakterielle Kulturen fördere, einfach einmal barfuss anzuziehen - aus der Not, weil sie keine Socken fand und die Schuhe eh demnächst wegwerfen wollte - und für sie begann eine neue Ära. Klar, sie schwitzte weiterhin, aber nicht mehr so stark, wie zuvor; manche Tage konnte sie sogar schweißfrei verbringen, wenn es draußen nicht zu warm war. Das war für sie eine Offenbarung - und es ergab sich sogar, dass ihre Schuhe anschließend nicht mehr so unglaublich penetrant nach Käse rochen. Das war sowieso mit das schlimmste, weshalb sie häufig kein Paar länger als ein paar Wochen tragen konnte, da es sonst unerträglich wurde; sobald sie ihre Schuhe auszog, verbreitete sich früher der Mief in der ganzen Wohnung - was ihr sehr peinlich war, insbesondere wenn sie irgendwo zu Besuch war. Natürlich - ihr neuer Umgang mit dem Thema sorgt auch noch für entsetzte und angeekelte Gesichter. Aber insgesamt ist die Situation doch deutlich besser geworden seitdem. Seit der Zeit, etwa seit 3 Jahren, trägt sie nun auch schon die roten Converse, wannimmer es sich anbietet - und ihre Socken hat sie allesamt entsorgt. Eigentlich, sie hat einen dezenten Hang zur Theatralik, wollte sie diese in einem großen Lagerfeuer verbrennen, als Symbol dafür, durch welche Höllen sie mit diesem, von der Gesellschaft auferzwungenen Quatsch gegangen ist, der für sie einfach nicht funktioniert. Aber ihre Eltern hatten dann doch etwas dagegen, immerhin waren sie noch gut tragbar und so sind sie dann im Altkleidercontainer gelandet; so ganz hatten ihre Eltern Lisa’s Vorgehen auch nicht verstanden, aber da sie die Auswirkungen durchaus bemerkten und zu schätzen wussten, gaben sie schließlich nach. Wahrscheinlich hat sich irgendwann ein Sockenlobbyist eine reiche Nase mit diesen seltsamen Thesen - also von wegen Bakterien im Schweiß und wie ekelhaft das sei - verdient, früher ging es ja schließlich auch ohne, als Socken und Strümpfe noch ein Luxusgut waren; gut, Fußlappen hauen sie jetzt auch nicht von den Socken, aber nichtsdestotrotz, sie hat ihren Marsch geschafft, sie ist endlich im 6. Stock angekommen - und ehe sie sich versah, hat sie auch schon den Raum 612 ausgemacht, in dem bereits ein leises Murmeln zu vernehmen war.
Sie zögerte, eigentlich wollte sie lauschen, doch da durch den Gang das schnelle Klackern von Absätzen schallte und vermutlich jeden Moment eine Lehrerin hier vorbeikommen würde, nahm sie sich zusammen und klopfte, erst zaghaft, dann etwas lauter. Im Klassenraum wurde es ruhig und eine sanfte Stimme rief, gut hörbar, “Herein!”.
lfcasual
Beiträge: 147
Registriert: Fr 21. Dez 2012, 10:39

Re: Ein neues Leben

Beitrag von lfcasual »

Wow. Super Anfang einer hoffentlich geilen Story.
Du hast Talent zum schreiben. Ich weiß wie schwer es ist immer den richtigen Stoff für den Inhalt zu bekommen.

Ich freue mich sehr auf mehr...

Grüße
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