Na dann wollen wir doch die Müllfreunde/innen einmal richtig schockieren!
Schwammkopf würde sagen, heute ist "Gegenteiltag"!
Als Erstes nehme ich die Stiefel wieder von der Tonne und bringe sie ins Haus, möglichst weit weg aus der Reichweite in Orange gekleideter Arbeitsmänner und den Leuten, die von den unter dem Tonnendeckel eingeklemmten Stiefeln Fotos machen wollen!
Es folgt eine gründliche Überprüfung des Gesamteindruckes der Stiefel, ob sich eine Erhaltung lohnt oder ob sie mir noch heute dazu dienen, mein abendliches Badewasser zu erwärmen. Auch auf die Gefahr hin, daß jetzt von euch Vorschläge kommen, weil die ordnungsgemäße Einäscherung der sicherlich wunderschön brennenden Stiefelchen viel zu schnell geht, diese doch lieber auf dem Komposthaufen den schmierigen Nacktschnecken als Behausung zur Verfügung zu stellen und ihnen dann regelmäßig beim langsamen Verfaulen zuzusehen, entscheide ich mich doch dafür, eine Erhaltung der Stiefel in meiner Sammlung zu befürworten.
Sogleich ziehe ich die von der Vorbesitzerin zusätzlich eingebrachten Innensohlen heraus. Ich weiß, so Etwas gehört sich nicht, die eventuell käsigen Dinger müßten eigentlich drinnen bleiben, um Fliegen anzulocken, sie zum Eierlegen zu animieren und später als Grundnahrung für die niedlichen kleinen Maden zu dienen.
Nach dem kräftigen Ausbürsten der Profilrillen werden die Sohlen und Absätze mit einem feuchten Lappen abgewischt. Ja, eine Schande, hatte die Vorbesitzerin sich doch so viel Mühe gegeben, diese mit Straßendreck richtig schön "einzusauen".
Mit einem trockenen Tuch wird das Oberleder vom Staub befreit - was für ein Skandal! Stiefel gehören verdreckt, notfalls wird draußen bei Regenwetter nachgeholfen!
Nun kommt aber die Stelle, wo sicher der letzte Müllfan einen Herzanfall kriegen wird: Der Innenraum der Stiefel wird auf eventuelle Schäden am Futter kontrolliert und mit Desinfektionsspray behandelt! Das ist das sichere Ende für alle an der von euch erhofften Zersetzung beteiligten Bakterien. Was bin ich für eine grausame Mörderin!
Nachdem ihr vorschriftsmäßig wiederbelebt worden seid, könnt ihr nun sehen, wie ich das Oberleder auf Beschädigungen, z.B. Kratzer und Scheuerstellen untersuche und diese mit Lederfarbe und einem kleinen feinen Pinsel verschwinden lasse. Used-Look-Fans werden jetzt wütend aufschreien!
Es folgt die Kontrolle der Absatzbeläge. Da die Stiefel ziemlich neuwertig sind, gehen sie noch eine Weile, bis ich sie durch Neue ersetzen muß. Ja, ja - ich weiß: Da müßte man doch eigentlich ein wenig nachhelfen, so etwa mit einer Fünf-Kilometer-Wanderung auf Bahnschotter. Dafür habe ich jetzt aber keine Zeit, denn ich habe noch einige kleine Schimmelflecken an den Schäften entdeckt. Da kommen jetzt auf die Stiefel also noch mindestens drei kräftige Lagen starkfärbender und konservierender schwarzer Bienenwachscreme, die das Leder gleichzeitig wasserabweisend macht, was natürlich die Aufnahme eventuell verspritzter stinkender Müllbrühe deutlich erschwert! Nachdem nun auch der Lederschimmel die weiße Fahne rausgehängt und sich auf Nimmerwiedersehen zurückgezogen hat, gibt es noch einmal eine vorläufig letzte Schuhcremebehandlung mit anschließendem Blankbürsten, bis das Leder so weich geworden ist, daß ich bei der jetzt folgenden obligatorischen Anprobe meine Zehenabdrücke außen auf den Spitzenteilen sehen kann und die Schäfte sich wie Zellstoff über der Feinstrumpfhose in optisch erregende Falten nach Unten werfen!
Und, nachdem dieser letzte, entscheidende Akt der Bequemlichkeitsprüfung als Hausschuhe (auch mit ausgiebiger Liegeprüfung auf dem Sofa) vollzogen ist, folgt das schreckliche Finale: Ich betrete mit den Stiefeln in der Hand eine meiner Bodenkammern, in der auf endlos erscheinenden Regalreihen hunderte Paare feinstgepflgter Stiefel und Pumps auf ihren nächsten Einsatz warten, um sie liebevoll und sorgfältig in meine Sammlung zu integrieren.
So, jetzt erwarte ich von euch das Kopfkino, wie diese Regale längere Zeit bei Wind und Regenwetter, angefüllt mit meinen ehemals geliebten und nun schimmeligen Schuhen, am Straßenrand stehen; schlammverspritzt von durch die Pfützen rasenden Autos auf das erlösende Müllauto warten (einige ehemals weiße Sneakers hatte der Wind bereits in die Pfützen befördert und wurden täglich hunderte Male von Autoreifen überrollt) und eines Tages endlich schwungvoll in der Müllpresse landen, dabei mit den brechenden Kanten der Regale das Leder der Stiefel zerfetzen, die Sohlen von den Pumps abreißen und das Geräusch der unter dem Druck der Presse zersplitternden Absätze zu vernehmen ist. Wie der Abdruck meiner Füße auf den weichen Stiefelspitzen ein letztes Mal zu sehen ist, bevor die unerbittliche Presse diese zu einem wertlosen Klumpen Restmüll zusammenquetscht.
Da sage ich nur, vergeßt es schnell wieder.
Das nächste Paar edler Schuhe/Stiefel wartet schon irgendwo auf mich, um es entweder wieder zu einem begehrlichen Accessoire zu machen oder zumindest eine würdevolle Feuerbestattung zu erhalten!
Liebe Grüße!
