Anna
Verfasst: Sa 14. Jul 2012, 21:08
Anna
Vor knapp zwei Jahren brachte Anna von ihrer besten Freundin eine alte, schwarze Kunstlederjeans mit nach Hause, die ihrer Freundin nun inzwischen zu klein geworden war. Ich weiß noch genau, wie stolz Anna mir dieses olle Teil präsentierte: „Guck mal Mama, hat Marie mir geschenkt. Passt Ihr nicht mehr! Aber mir! Darf ich die behalten?“ fragte sie vorsichtig während sie ihren Rucksack in Flur in die Ecke warf. „Wo hast Du denn Deine Jeans hin getan?“ „Die ist im Rucksack! Mama, darf ich?“ bettelte sie.
Nun, es war Herbst, die letzten Tage waren regnerisch und feucht, Annas Jeans waren eigentlich immer dreckig, wenn sie aus der Schule zurückkam, und obwohl ich Leder – und erst recht Kunstleder – überhaupt nicht leiden kann machte ich Anna einen Vorschlag: „Wenn Du Deinen roten Kapuzennicki dazu anziehst, kannst Du die Lederjeans von mir aus behalten!“ sagte ich mit einem süffisanten Lächeln, weil ich genau wußte, dass der Nicki Annas Hasspulli war und sie ihn nur dann anzog, wenn ich mit drakonischen Strafen wie Zimmer aufräumen oder ähnlichem drohte.
„Mama, Du weißt doch, dass Nickis nicht mag!“ sagte sie wutschnaubend. „Gut, brauchst ja auch nicht anziehen. Nur wird dann auch nichts aus der Lederhose. Die kannst Du dann direkt wieder ausziehen!“ Anna verschwand wütend in ihr Zimmer und knallte die Tür zu. Den ganzen Nachmittag war Funkstille zwischen uns. Wahrscheinlich schmollte Anna auf ihrem Zimmer vor sich hin und überlegte, wie sie sich entscheiden sollte: Die geliebte Lederhose , von der sie mir schon immer vorgeschwärmt hatte, als Marie sie zur Schule anzog, oder den roten Kapuzennicki, der mir an Anna total gut gefiel, weil er so schön kuschelig ist, den sie aber nie leiden möchte, weil sowas ist ja für Babys und Kiga-Kids.
Als ich Anna dann zum Abendessen rief, gab’s die große Überraschung, mit der ich eigentlich nicht gerechnet hätte: Sie erschien in Lederhose und Kapuzennicki in der Küche. „Hast gewonnen, Mama!“ sagte sie grummelig. „Siehste, geht doch. So schlimm ist der Nicki doch nun wirklich nicht!“ versuchte ich sie zu beruhigen. „Darf ich denn morgen so zur Schule?“ Eigentlich wollte ich ja „nein“ sagen, aber in Anbetracht der vielen dreckigen Jeans von Anna, die ich noch waschen musste, vielleicht garnicht so eine schlechte Idee. Bei dem Lederteil reicht ja ein feuchter Schwamm, und der Dreck ist wieder runter. Die braucht wenigstens nicht einmal die Woche in die Waschmaschine, so wie die anderen Hosen alle.
Und so trug Anna die Kunstlederjeans zwei Winter lang zur Schule. Den ersten Winter zusammen mit dem roten Kapuzennicki, der zunehmend enger und schließlich zu klein war. Langsam hatte ich sogar den Eindruck, dass sie zunehmend Spaß hatte, ihn anzuziehen. Im Winter darauf wurde er dann von einem lilafarbenen Kapuzennicki abgelöst, den ich von einer Freundin geschenkt bekommen hatte. Anna war nicht wirklich begeistert, liess sich aber auf den Tausch ein, da sie befürchtet hatte, ihre geliebte Lederjeans sonst nicht mehr anziehen zu dürfen.
Zum letzen Frühjahr hin wurde die Anna die Lederjeans auch zunehmend enger. So lange sie den Nicki freiwillig dazu anzog, war es mir eigentlich fast egal, wie sie rumlief. Im Sommer zog sie das Teil nie an und ich hatte berechtigte Hoffnung, dass sie zum jetzigen Herbst hin eh nicht mehr passen würde. Das Kunstleder war eh an vielen Stellen schon verkratzt und teilweise sogar richtig abgewetzt. Anna hatte das Teil halt eben im Frühjahr fast ständig an und dabei nie so besonders viel Rücksicht walten lassen.
Sie wußte genau, dass ihre Lederjeans meine Hassjeans war, genauso wie der Nicki immer noch ihr Hasspulli war, obwohl sie mit dem altern Teil irgendwie vorsichtiger umging, wie mit der Lederhose. Eines Sommertags legte ich Annas Lederjeans und den Nicki zusammen mit einigen anderen Anziehsachen von ihr unten in ihrem Schrank auf ein Päckchen, wo ich seit Jahren immer die Sachen sammel, die vielleicht zum Herbst hin noch passen könnten, dann aber in der Regel doch zu klein sind und mit abgegeben werden können.
Normalerweise liegen die Sachen dort friedlich im Schrank und Anna kümmert sich kaum darum, was da liegt und was aus den Sachen wird. Irgendwann wandert der Packen vom Schrank in den Keller und von da aus weiter. So blieb auch von Anna wochenlang unbemerkt, dass ich Lederhose und Nicki schon vorsortiert hatte, als es zum Ende der Sommerferien doch wieder ziemlich kühl und regnerisch wurde. Ich ahnte nichts böses, als Anna an dem Tag wo sie mit der Feriengruppe einen Ausflug machen wollten, plötzlich in Lederhose und Kapuzennicki vor mir stand und mich vorwurfsvoll ansah: „Wieso liegt denn die Lederhose und der Nicki schon bei den aussortierten Sachen im Schrank? Passt doch beides noch!“
Naja, was man so passen nennt. Die Lederjeans hatte deutlich sichtbar Hochwasser und zu entschieden zu eng. Der Nicki war an den Ärmeln viel zu kurz und von der Länge her kam der nackte Rücken zum Vorschein, wenn Anna sich bückte. Ich hatte gehofft, das sie das Teil längst vergessen hätte, war aber auch zu faul gewesen, den Packen mit in den Keller zu nehmen. Hätte die Sache jetzt vielleicht etwas vereinfacht.
„Du willst doch nicht etwa so gehen?“ fragte ich. „Doch warum nicht. Dass die Hose zu kurz ist, sieht man doch garnicht, wenn ich meine gelben Gummisiefel dazu anziehe!“ Ja, nee, ist klar dachte ich und ärgerte mich zunehmend, dass die Sachen noch in ihrer Reichweite waren. Grummel, dachte ich und da es für Anna eh schon zeitlich knapp war liess ich sie gewähren. Insgeheim hoffe ich, dass die Lederhose den Ausflug nicht überlebt und sie sich mit kaputter Hose total blamiert – aber dieser Wunsch ging leider nicht in Erfüllung.
So zog Anna bis zum Ferienende noch ein paar Mal die Kunstlederjeans und den Nicki an und ich hoffte insgeheim auf besseres Wetter zum Schulbeginn, damit der Packen endlich eine Station weiter in den Keller konnte. So kam es dann auch: Pünktlich zum Schulbeginn wurde das Wetter besser. Eines Vormittags während Anna in der Schule war raffte ich mich auf und nahm die alten Klamotten von ihr endlich mal mit in den Keller. In der Beziehung bin ich doch irgendwie total faul und träge, was normalerweise dazu führt, dass der Packen in Annas Schrank manchmal über Jahre hinweg anwächst. Aussortieren und weggeben ist einfach nicht mein Ding – aber es gibt zum Glück Tage, wo Anna mich förmlich dazu zwingt.
Dummerweise wurde es an dem Tag nachmittags kühler und es fing auch noch an zu regnen. Anna kam freudestrahlend aus der Schule – so kenne ich sie an Regentagen eigentlich überhaupt nicht – und ich ahnte noch überhaupt garnichts als sie in ihr Zimmer ging und sie mich dann nach dem Kellerschlüssel fragte, den ich ihr dann ohne groß zu überlegen auch gab. Sie verschwand kurz und ich traute meinen Augen nicht, als sie wieder oben war: Hatte dieses Luder mir doch tatsächlich den Kellerschlüssel abgeschwatzt, um dort nach ihrer gammeligen Lederhose und dem Kapuzennicki zu kramen.
Blöderweise hatte sie beides auch direkt gefunden und sich hineingezwängt. „Anna, nein!“ sagte ich böse zu ihr. „Die ziehst Du sofort wieder aus!“ „Nö!“ sagte sie frech. „Du hast doch gesagt, zusammen mit dem Nicki darf ich sie anziehen! Außerdem wenn Du so blöd bist, Mama...“ Jetzt reichte es endgültig. Erst wollte ich Ihr eine scheuern, doch ich liess sie gewähren, wohlwissend dass morgen Donnerstag ist und sagte zu ihr „Ok, aber morgen früh keine Diskussionen, dass Du sie zur Schule anziehen willst!“ „Ist in Ordnung, Mama“ sagte sie und verschwand nach draußen.
Nochmal passiert mir das nicht, dachte ich und war froh, dass Anna am nächsten Morgen ohne zu murren in kurzer Jeans und T-Shirt zur Schule ging. In der Küche hatte sich noch ein wenig Müll angesammelt, der eigentlich noch mit weg könnte. Aber dafür extra noch mal nach unten? Ich war faul und müde, ging in Annas Zimmer um zu schauen, was sich in ihrem Papierkorb so angesammelt hatte. Eigentlich sollte sie ihren Müll ja gestern selber runterbringen, dachte ich als ich den Inhalt des Papierkorbs mit in meine Mülltüte verschwinden liess. Neben ihrem Bett lag noch zusammengeknüllt ihre schwarze Kunstlederhose und der lila Kapuzennicki.
Ich hob beides auf und schaute zuerst auf die Lederjeans, dann auf den Nicki. Bei genauer Betrachtung sah ich erst, wie vermackt die inzwischen war. Das Knopfloch war auch schon fast ausgerissen – lange hält das bestimmt nicht mehr. Und der Nicki war inzwischen auch total ausgeleirt und hatte mehr als einen Flecken abbekommen. Ich legte beides über meinen Arm und ging zumsammen mit der Mülltüte in der Hand zur Wohnungstür heraus.
Im Treppenhaus stellte ich fest, dass ich den Kellerschlüssel vergessen hatte. Eigentlich wollte ich Annas Sachen wieder zurück in den Keller bringen in der Hoffnung, dass sie nach der Schule dort nicht wieder ihre Sachen suchen wird. Aber auf der anderen Seite war ich die Diskussionen mit ihr auch leid. Wehtun wollte ich ihr aber auch nicht. Doch jetzt, wo ich den Schlüssel oben liegen gelassen hatte, hatte ich auch keine Lust mehr zurück in die Wohnung zu gehen, um den Schlüssel zu holen. Und als ich dann an den Mülltonnen stand, war’s mir irgendwie auch egal: Ich machte die Tonne auf, warf die Tüte hinein, dann den Nicki und zu Guter letzt Annas geliebte, aber völlig fertige Kunstlederhose.
Ich zückte meine Handykamera, machte noch ein kurzes Foto von dem Enssemble und schickte es Anna per SMS: „Brauchst heute nicht wieder in den Keller zu rennen, ich liebe Dich, Deine Mama!“ Ich hatte gerade den Deckel heruntergeklappt, da kam auch schon die Mülllabfuhr. Der Müllmann schob die Tonne zum Müllwagen, machte den Deckel auf und rief mir hinterher: „Waren Sie das?“ Ich drehte mich um und sah, wie sie die Tonne im Müllwagen einhakte und sich die Tonne in Richtung Schüttung bewegte und fragte „Was denn?“
„So was gehört normalerweise nicht in die Tonne!“ maulte er und riß mit einem Ruck Annas Lederhose, die sich zwischen Deckel und Tonne verklemmt hatte, heraus und warf sie im hohen Bogen in den Müllwagen hinterher. Einige Sekunden später war sie verschwunden und ich dachte über seinen Spruch nach. Wenn der wüßte, warum, murmelte ich vor mich hin und ging wieder ins Haus.
Anna kam erst gegen Spätnachmittags von der Schule zurück. Sie war noch bei Marie. Als sie klingelte und ich ihr öffnete trug sie eine alte, verschlissene Latzjeans mit heruntergeklapptem Latz. Dazu einen verwaschenen, roten Adidas Kapuzenpulli. Diesmal fragte sie erst garnicht sondern ging leise und traurig in ihr Zimmer...
[Edit] hat einige Typos beseitigt...
Vor knapp zwei Jahren brachte Anna von ihrer besten Freundin eine alte, schwarze Kunstlederjeans mit nach Hause, die ihrer Freundin nun inzwischen zu klein geworden war. Ich weiß noch genau, wie stolz Anna mir dieses olle Teil präsentierte: „Guck mal Mama, hat Marie mir geschenkt. Passt Ihr nicht mehr! Aber mir! Darf ich die behalten?“ fragte sie vorsichtig während sie ihren Rucksack in Flur in die Ecke warf. „Wo hast Du denn Deine Jeans hin getan?“ „Die ist im Rucksack! Mama, darf ich?“ bettelte sie.
Nun, es war Herbst, die letzten Tage waren regnerisch und feucht, Annas Jeans waren eigentlich immer dreckig, wenn sie aus der Schule zurückkam, und obwohl ich Leder – und erst recht Kunstleder – überhaupt nicht leiden kann machte ich Anna einen Vorschlag: „Wenn Du Deinen roten Kapuzennicki dazu anziehst, kannst Du die Lederjeans von mir aus behalten!“ sagte ich mit einem süffisanten Lächeln, weil ich genau wußte, dass der Nicki Annas Hasspulli war und sie ihn nur dann anzog, wenn ich mit drakonischen Strafen wie Zimmer aufräumen oder ähnlichem drohte.
„Mama, Du weißt doch, dass Nickis nicht mag!“ sagte sie wutschnaubend. „Gut, brauchst ja auch nicht anziehen. Nur wird dann auch nichts aus der Lederhose. Die kannst Du dann direkt wieder ausziehen!“ Anna verschwand wütend in ihr Zimmer und knallte die Tür zu. Den ganzen Nachmittag war Funkstille zwischen uns. Wahrscheinlich schmollte Anna auf ihrem Zimmer vor sich hin und überlegte, wie sie sich entscheiden sollte: Die geliebte Lederhose , von der sie mir schon immer vorgeschwärmt hatte, als Marie sie zur Schule anzog, oder den roten Kapuzennicki, der mir an Anna total gut gefiel, weil er so schön kuschelig ist, den sie aber nie leiden möchte, weil sowas ist ja für Babys und Kiga-Kids.
Als ich Anna dann zum Abendessen rief, gab’s die große Überraschung, mit der ich eigentlich nicht gerechnet hätte: Sie erschien in Lederhose und Kapuzennicki in der Küche. „Hast gewonnen, Mama!“ sagte sie grummelig. „Siehste, geht doch. So schlimm ist der Nicki doch nun wirklich nicht!“ versuchte ich sie zu beruhigen. „Darf ich denn morgen so zur Schule?“ Eigentlich wollte ich ja „nein“ sagen, aber in Anbetracht der vielen dreckigen Jeans von Anna, die ich noch waschen musste, vielleicht garnicht so eine schlechte Idee. Bei dem Lederteil reicht ja ein feuchter Schwamm, und der Dreck ist wieder runter. Die braucht wenigstens nicht einmal die Woche in die Waschmaschine, so wie die anderen Hosen alle.
Und so trug Anna die Kunstlederjeans zwei Winter lang zur Schule. Den ersten Winter zusammen mit dem roten Kapuzennicki, der zunehmend enger und schließlich zu klein war. Langsam hatte ich sogar den Eindruck, dass sie zunehmend Spaß hatte, ihn anzuziehen. Im Winter darauf wurde er dann von einem lilafarbenen Kapuzennicki abgelöst, den ich von einer Freundin geschenkt bekommen hatte. Anna war nicht wirklich begeistert, liess sich aber auf den Tausch ein, da sie befürchtet hatte, ihre geliebte Lederjeans sonst nicht mehr anziehen zu dürfen.
Zum letzen Frühjahr hin wurde die Anna die Lederjeans auch zunehmend enger. So lange sie den Nicki freiwillig dazu anzog, war es mir eigentlich fast egal, wie sie rumlief. Im Sommer zog sie das Teil nie an und ich hatte berechtigte Hoffnung, dass sie zum jetzigen Herbst hin eh nicht mehr passen würde. Das Kunstleder war eh an vielen Stellen schon verkratzt und teilweise sogar richtig abgewetzt. Anna hatte das Teil halt eben im Frühjahr fast ständig an und dabei nie so besonders viel Rücksicht walten lassen.
Sie wußte genau, dass ihre Lederjeans meine Hassjeans war, genauso wie der Nicki immer noch ihr Hasspulli war, obwohl sie mit dem altern Teil irgendwie vorsichtiger umging, wie mit der Lederhose. Eines Sommertags legte ich Annas Lederjeans und den Nicki zusammen mit einigen anderen Anziehsachen von ihr unten in ihrem Schrank auf ein Päckchen, wo ich seit Jahren immer die Sachen sammel, die vielleicht zum Herbst hin noch passen könnten, dann aber in der Regel doch zu klein sind und mit abgegeben werden können.
Normalerweise liegen die Sachen dort friedlich im Schrank und Anna kümmert sich kaum darum, was da liegt und was aus den Sachen wird. Irgendwann wandert der Packen vom Schrank in den Keller und von da aus weiter. So blieb auch von Anna wochenlang unbemerkt, dass ich Lederhose und Nicki schon vorsortiert hatte, als es zum Ende der Sommerferien doch wieder ziemlich kühl und regnerisch wurde. Ich ahnte nichts böses, als Anna an dem Tag wo sie mit der Feriengruppe einen Ausflug machen wollten, plötzlich in Lederhose und Kapuzennicki vor mir stand und mich vorwurfsvoll ansah: „Wieso liegt denn die Lederhose und der Nicki schon bei den aussortierten Sachen im Schrank? Passt doch beides noch!“
Naja, was man so passen nennt. Die Lederjeans hatte deutlich sichtbar Hochwasser und zu entschieden zu eng. Der Nicki war an den Ärmeln viel zu kurz und von der Länge her kam der nackte Rücken zum Vorschein, wenn Anna sich bückte. Ich hatte gehofft, das sie das Teil längst vergessen hätte, war aber auch zu faul gewesen, den Packen mit in den Keller zu nehmen. Hätte die Sache jetzt vielleicht etwas vereinfacht.
„Du willst doch nicht etwa so gehen?“ fragte ich. „Doch warum nicht. Dass die Hose zu kurz ist, sieht man doch garnicht, wenn ich meine gelben Gummisiefel dazu anziehe!“ Ja, nee, ist klar dachte ich und ärgerte mich zunehmend, dass die Sachen noch in ihrer Reichweite waren. Grummel, dachte ich und da es für Anna eh schon zeitlich knapp war liess ich sie gewähren. Insgeheim hoffe ich, dass die Lederhose den Ausflug nicht überlebt und sie sich mit kaputter Hose total blamiert – aber dieser Wunsch ging leider nicht in Erfüllung.
So zog Anna bis zum Ferienende noch ein paar Mal die Kunstlederjeans und den Nicki an und ich hoffte insgeheim auf besseres Wetter zum Schulbeginn, damit der Packen endlich eine Station weiter in den Keller konnte. So kam es dann auch: Pünktlich zum Schulbeginn wurde das Wetter besser. Eines Vormittags während Anna in der Schule war raffte ich mich auf und nahm die alten Klamotten von ihr endlich mal mit in den Keller. In der Beziehung bin ich doch irgendwie total faul und träge, was normalerweise dazu führt, dass der Packen in Annas Schrank manchmal über Jahre hinweg anwächst. Aussortieren und weggeben ist einfach nicht mein Ding – aber es gibt zum Glück Tage, wo Anna mich förmlich dazu zwingt.
Dummerweise wurde es an dem Tag nachmittags kühler und es fing auch noch an zu regnen. Anna kam freudestrahlend aus der Schule – so kenne ich sie an Regentagen eigentlich überhaupt nicht – und ich ahnte noch überhaupt garnichts als sie in ihr Zimmer ging und sie mich dann nach dem Kellerschlüssel fragte, den ich ihr dann ohne groß zu überlegen auch gab. Sie verschwand kurz und ich traute meinen Augen nicht, als sie wieder oben war: Hatte dieses Luder mir doch tatsächlich den Kellerschlüssel abgeschwatzt, um dort nach ihrer gammeligen Lederhose und dem Kapuzennicki zu kramen.
Blöderweise hatte sie beides auch direkt gefunden und sich hineingezwängt. „Anna, nein!“ sagte ich böse zu ihr. „Die ziehst Du sofort wieder aus!“ „Nö!“ sagte sie frech. „Du hast doch gesagt, zusammen mit dem Nicki darf ich sie anziehen! Außerdem wenn Du so blöd bist, Mama...“ Jetzt reichte es endgültig. Erst wollte ich Ihr eine scheuern, doch ich liess sie gewähren, wohlwissend dass morgen Donnerstag ist und sagte zu ihr „Ok, aber morgen früh keine Diskussionen, dass Du sie zur Schule anziehen willst!“ „Ist in Ordnung, Mama“ sagte sie und verschwand nach draußen.
Nochmal passiert mir das nicht, dachte ich und war froh, dass Anna am nächsten Morgen ohne zu murren in kurzer Jeans und T-Shirt zur Schule ging. In der Küche hatte sich noch ein wenig Müll angesammelt, der eigentlich noch mit weg könnte. Aber dafür extra noch mal nach unten? Ich war faul und müde, ging in Annas Zimmer um zu schauen, was sich in ihrem Papierkorb so angesammelt hatte. Eigentlich sollte sie ihren Müll ja gestern selber runterbringen, dachte ich als ich den Inhalt des Papierkorbs mit in meine Mülltüte verschwinden liess. Neben ihrem Bett lag noch zusammengeknüllt ihre schwarze Kunstlederhose und der lila Kapuzennicki.
Ich hob beides auf und schaute zuerst auf die Lederjeans, dann auf den Nicki. Bei genauer Betrachtung sah ich erst, wie vermackt die inzwischen war. Das Knopfloch war auch schon fast ausgerissen – lange hält das bestimmt nicht mehr. Und der Nicki war inzwischen auch total ausgeleirt und hatte mehr als einen Flecken abbekommen. Ich legte beides über meinen Arm und ging zumsammen mit der Mülltüte in der Hand zur Wohnungstür heraus.
Im Treppenhaus stellte ich fest, dass ich den Kellerschlüssel vergessen hatte. Eigentlich wollte ich Annas Sachen wieder zurück in den Keller bringen in der Hoffnung, dass sie nach der Schule dort nicht wieder ihre Sachen suchen wird. Aber auf der anderen Seite war ich die Diskussionen mit ihr auch leid. Wehtun wollte ich ihr aber auch nicht. Doch jetzt, wo ich den Schlüssel oben liegen gelassen hatte, hatte ich auch keine Lust mehr zurück in die Wohnung zu gehen, um den Schlüssel zu holen. Und als ich dann an den Mülltonnen stand, war’s mir irgendwie auch egal: Ich machte die Tonne auf, warf die Tüte hinein, dann den Nicki und zu Guter letzt Annas geliebte, aber völlig fertige Kunstlederhose.
Ich zückte meine Handykamera, machte noch ein kurzes Foto von dem Enssemble und schickte es Anna per SMS: „Brauchst heute nicht wieder in den Keller zu rennen, ich liebe Dich, Deine Mama!“ Ich hatte gerade den Deckel heruntergeklappt, da kam auch schon die Mülllabfuhr. Der Müllmann schob die Tonne zum Müllwagen, machte den Deckel auf und rief mir hinterher: „Waren Sie das?“ Ich drehte mich um und sah, wie sie die Tonne im Müllwagen einhakte und sich die Tonne in Richtung Schüttung bewegte und fragte „Was denn?“
„So was gehört normalerweise nicht in die Tonne!“ maulte er und riß mit einem Ruck Annas Lederhose, die sich zwischen Deckel und Tonne verklemmt hatte, heraus und warf sie im hohen Bogen in den Müllwagen hinterher. Einige Sekunden später war sie verschwunden und ich dachte über seinen Spruch nach. Wenn der wüßte, warum, murmelte ich vor mich hin und ging wieder ins Haus.
Anna kam erst gegen Spätnachmittags von der Schule zurück. Sie war noch bei Marie. Als sie klingelte und ich ihr öffnete trug sie eine alte, verschlissene Latzjeans mit heruntergeklapptem Latz. Dazu einen verwaschenen, roten Adidas Kapuzenpulli. Diesmal fragte sie erst garnicht sondern ging leise und traurig in ihr Zimmer...
[Edit] hat einige Typos beseitigt...