Anna

Geile Erlebnisse und Kurzgeschichten.
wellieleak
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Re: Anna

Beitrag von wellieleak »

Eine nette Geschichte! Was ist eigentlichaus Annas gelben Gummistiefeln geworden, sind die auch im Sperrmüll verschwunden oder hat sie die noch?
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

@Alle: erst mal ganz herzlichen Dank für Euer Feedback und Eure Kommentare. Die sind äußerst wichtig für mich, viel wichtiger, als die Zugriffszahlen. Ich bemerke zwar, wie die bei jedem neuen Abschnitt in die Höhe schnellen - aber die sind mir nicht so bedeutend (sind auch letztlich nicht aussagekräftig).

Was den Ski-Anorak angeht, so wird man von ihm noch viel lesen, genau so wie von den Gummistiefeln.

@Wellileak: Warum kommen in Deinen Geschichten eigentlich keine Latz- oder Lederhosen vor?
wellieleak
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Re: Anna

Beitrag von wellieleak »

Weiss nicht ich hab zu solchen Hosen eigentlich keinen Bezug und wenn ich ehrlich bin ich muss schon im Job Latzhosen tragen das reicht. Als ich klein war habe ich wie viele meines Jahrgangs Latzhosen getragen und ich hab sie im Gegensatz zu meinen Gummistiefeln eher gehasst oder es war mir bestenfalls egal.
Deshalb schreibe ich auch nicht darüber, ich denke jeder schreibt seine Geschichten über das was ihn bewegt. Trotzdem gefiel mir deine Geschichte weil einach der der Hintergrund stimmt.
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

wellieleak hat geschrieben:... Deshalb schreibe ich auch nicht darüber, ich denke jeder schreibt seine Geschichten über das was ihn bewegt. Trotzdem gefiel mir deine Geschichte weil einach der der Hintergrund stimmt.
Erst mal danke, dass auch gefällt, was ich schreibe. Gummistiefel sind primär aus nicht mein Ding, vor allem nicht, sie so zu vernichten, solange sie noch ok sind. Es gibt Anlässe, da werden sie bei uns getragen und gut ist.

Aber ich weiß auch, dass es hier Leute gibt, die Gummistiefel mögen. Also warum nicht den Ball aufnehmen und Anna auch mal solche anziehen?

Genauso könnte ich mir vorstellen, dass auch von Deinen Mädels mal eine 'ne Latzhose oder 'ne Lederjeans trägt, auch wenn die nicht Dein Ding sind. Muss ja nicht gleich 'ne Hauptrolle sein, ne Nebenrolle oder 'ne kurze Szene wäre ja auch ok.

Dann schauen wir alle gemeinsam etwas über den Tellerrand und die Welt wird wieder ein Stückchen bunter... :mrgreen:
wellieleak
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Re: Anna

Beitrag von wellieleak »

Wenn jemand recht hat dann hat er Recht! Dazu gibt es nichts weiteres zu sagen mal sehen ob ich nicht auch mal über den Tellerrand schaue!
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

wellieleak hat geschrieben:Wenn jemand recht hat dann hat er Recht! Dazu gibt es nichts weiteres zu sagen mal sehen ob ich nicht auch mal über den Tellerrand schaue!
Vielen Dank,
es freuen sich Anna und AnnasMama
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boehsetante
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Re: Anna

Beitrag von boehsetante »

Hallo Annas Mama,
jedes mal zu sagen, wie toll die Geschichten sind, wird mit der Zeit langweilig.
Du gibts Dir immer äußerste Mühe, es anschaulich und in Gedanken nachvollziehbar zu schildern. Irgenwie kann man sich im Kopf immer vorstellen, wie die Handlung von sich geht.
Einfach spannend, was passiert, was wird geschehen, wie geht es weiter.
Einfach toll und vielen Dank für Dein Engagement hier.
Einen schönen Gruß von der boehsentante
Schönen Gruss von der boehsentante
(Ich bin nicht böhse, auch nicht bächtig möse :-)
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Hallo boehsetante,
vielen Dank für Dein Kompliment. Von Dir weiß ich doch, dass es gefällt - keine Frage. Aber da sind doch so viele andere, die schweigen und nichts sagen...

Liebe Grüße,
AnnasMama
Marina
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Re: Anna

Beitrag von Marina »

Ich antworte doch auch einmal. Finde deine Beiträge echt super klasse.
Gibt es auch Erlebnisse mit Lederstiefeln (Marke Buffalo) wäre mein Favourit.

Wäre echt klasse. Weiter so.

Lg
Marina
Umweltrettung
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Re: Anna

Beitrag von Umweltrettung »

Wie geht es denn hier jetzt weiter mit Anna? :-)
Stivmeister
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Re: Anna

Beitrag von Stivmeister »

So nun muss ich auch mal was zu sagen.

also echt Super geile Beiträge, total spannend diese zu lesen, danke das wir daran teilhaben können.

Sag mal hat deine Tochter auch Satin/seide Klamotten noch??
Lg
Satin, Seide, Shiny, Silk, Lycra, Spandex und Glanz
ich nehme es gerne egal in welcher Verfassung der Stoff sich befindet.Mülltonnen oder auf der Straße was seht,bitte mit nehmen für mich, da egal in welcher Verfassung der Stoff ist..Gruß euer Stivmeister
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

„Die ist ja noch wie neu“, rief Anna erfreut, als sie die Cord-Latzhose angezogen hatte. „Wenn überhaupt, dann ist die höchstens ein, zweimal gewaschen worden. Und passen tut sie genauso prima wie die Lederlatzhose. Ich glaub, die hier werd‘ ich jetzt öfters anziehen – vielleicht auch zur Schule!“ „Warum auch nicht?“ erwiderte ich. „Steht Dir gut – passt zu Dir. Ziehst’e ‘nen coolen Pulli drunter an, dann passt’s wunderbar. Von mir aus kannst’e alle drei Latzhosen zur Schule anziehen – Hauptsache, Du lässt den Latz nicht runterbaumeln. Erwisch‘ ich Dich so, gibt’s kein Pardon: Dann kommt die Latzjeans weg, aber sofort!“

„Ist doch klar, Mama“ sagte Anna beruhigend. „Als wenn ich die tollen Latzhosen auf’s Spiel setzen würde. Nee, außerdem Latz baumeln lassen find‘ ich total uncool, auch wenn viele so rumlaufen. Mag ich überhaupt nicht.“ „Willst Du die Latzjeans noch eben anprobieren?“ „Klar, mach ich!“ sagte Anna, zog die Cord-Latzhose aus und schlüpfte voll Freude in die Latzjeans. „Ui, ui, ui, die ist aber ziemlich am Ende“ meinte ich. „Stimmt – reichlich verwaschen, vor allem an den Oberschenkeln. Aber so ist sie doch erst recht cool, Mama! Ne neue aus’m Laden kann doch jeder anziehen, aber so ein Teil im finalen Endstadium ist wirklich selten. Ich mag die so am liebsten, weißt Du doch!“

„Danke, Mama! Du bist echt die beste!“ schaute Anna mich freudestrahlend an als ich plötzlich etwas auf Annas Schreibtischstuhl entdeckte, was dort heute Morgen noch nicht lag. Die Stimmung kippte plötzlich und ich schaute Anna mit ernster Miene an und fragte: „Wo kommt die denn her?“ „Was meinst Du, Mama?“ „Na, die kurze Lederhose da auf Deinem Schreibtischstuhl? Wo hast Du die denn her?“ „Ach die, die ist von, von, von …“

Anna fing an zu zittern – ich kannte die Lederhose, die da auf dem Stuhl lag ganz genau. Es war eine dunkelgrüne, kurze Lederhose der Marke „Frankenwald“. Glattes, weiches Leder, vorne die typischen Doppelzipp-Reißverschlüsse, angeknabberte Hosenträger mit dem Plastikhirschen auf dem Brustlatz und am Po reichlich verschlissen. Jahrelang hatte Marie’s großer Bruder die getragen und ist dabei nie besonders pfleglich mit umgegangen. Seit letztem Sommer trug Marie sie und sie sah darin fürchterlich aus. Viel zu spack, viel zu eng, viel zu aufreißend! Wegen dem Teil gab’s auf ‘nem Ausflug letztes Jahr richtig Stress zwischen mir und Maries Mama, weil sie ihre Tochter so vor die Tür ließ.

„Die ist doch nur was für Jungs und nichts für Mädchen“ meinte ich damals und musste mich von Maries Mama belehren lassen, dass sie doch bitte entscheiden dürfe, wie ihre Tochter rumlaufen würde und nicht ich. Ich solle mich gefälligst nicht einmischen! Seit dem war monatelang Funkstille zwischen ihr und mir und ich warnte Anna davon, das Teil eines Tages anzuschleppen. Und da lag das olle Ding nun bei Anna auf dem Stuhl. Ich würde zunehmend sauer und ärgerte mich insgeheim schon darüber, den halben Tag auf der Suche nach alten Latzhosen für Anna verbracht zu haben. Ich hoffte nur auf eine gute Erklärung meine Tochter, sonst würde es hier gleich zu später Stunde noch ein Donnerwetter geben.

„Also, wo hast Du die Lederhose her?“ fragte ich böse, genau wissend, wo Anna sie her hatte. „Von Marie, von wem denn sonst!“ sagte Anna patzig. Fast hätte ich ihr eine gescheuert, aber ich konnte meine rechte Hand gerade noch davon abhalten auf Annas linker Wange einzuschlagen. Ich hatte mich also zum Glück noch in der Gewalt, was leider früher nicht immer so war. Noch zur Grundschulzeit war das leider anders, da hat sie sich ab und zu auch mal eine gefangen, wenn’s nötig war. Aber die Zeiten haben sich ja inzwischen geändert. „Maries Mama meinte, die wäre doch zu schade zum Wegschmeißen und ob ich da nicht Spaß dran hätte sie im nächsten Sommer anzuziehen. Dann habe ich sie bei Marie anprobiert und da sie passte, sollte ich sie halt mitnehmen. Maries Mama fand mich total süß darin und obwohl ich zuerst zögerte hab‘ ich sie mitgenommen. Maries Mama sagte, das wäre ok und sie hätte Dir auch mal gesagt, dass ich die bekommen würde. Ich wollte halt Maire und ihre Mama auch nicht verärgern, sonst bekomme ich nachher gar nichts mehr von Marie geschenkt. Und sie hat doch immer so coole Sachen!“

„War mir ja fast schon klar, dass Maries Mama Dir die jetzt auf’s Auge gedrückt hat, wo sie Marie zu eng ist. Klar hatte sie mir letztens noch gesagt, dass Du sie bekommen würdest, aber ich hab‘ ihr auch klipp und klar gesagt, dass ich das nicht möchte. Und Dir, Anna, hatte ich das auch gesagt – sag mal, hörst Du jetzt überhaupt nicht mehr auf mich?“ „Mama, bitte, sei doch jetzt nicht böse. Ist doch nicht schlimm, oder?“ „Du weißt, dass ich die an Marie nicht leiden möchte. So was ist doch nichts für Mädels, Anna!“ „Maries Mama findet die prima und freut sich, dass sie mir noch so gut passt!“

„Wie? So gut passt? Probier‘ mal an – vielleicht passt sie ja jetzt noch und im nächsten Sommer ist sie dann eh zu eng. Dann hat sich der Fall sowieso erledigt und das Teil kann direkt mit in die Tonne.“ Anna zog traurig, fast weinend die Latzjeans aus und warf sie mit auf’s Bett, wo die anderen beiden Latzhosen lagen. Anna schnappte sich die kurze Lederhose und schlüpfte hinein. Langsam und vorsichtig zog sie die Hose hoch bis zum Po, machte erst den Knopf und dann die beiden Reißverschlüsse zu. Zu guter Letzt kamen die Hosenträgerchen an die Reihe, die schon von der Länge her im letzten Loch waren.

Ich musterte Anna, die ganz ängstlich bewegungslos im Zimmer stand. Die Lederhose war eng, sehr eng – aber trotzdem noch ein wenig Platz zwischen Oberschenkel und Hosenabschluss. Auch im Bund saß sie knapp, sie hätte auch ohne Gürtel gepasst. Die Trägerchen saßen stramm, aber auch nicht zu stramm. Anna wirkte sehr knabenhaft in ihrer neuen Lederhose und wider erwartend gefiel sie mir auf einmal darin. Anna in alter, kurzer Lederhose – bei den Jungs fand ich die immer schon total faszinierend. Sie gefielen mir schon als ich im Kindergarten war und später auch noch, als sie ausrangiert im Altkleider-Waschkorb bei uns im Treppenhaus lagen.

Damals schnappte ich mir eine von denen – genau so eine wie Anna jetzt angeschleppt hatte – und lief nachmittags draußen darin rum. Natürlich war die viel zu klein und viel zu eng, aber noch hatte ich meinen Spaß. Das wiederum fand der Hausmeister wohl total süß und guckte mich die ganze Zeit an, als wolle er mir an die Wäsche. Ich bekam Panik und Angst, als er dann auf einmal vor mir stand und mich ansprach. Ich rannte durchs Treppenhaus rauf in die Wohnung – hatte gar nicht geschnallt, dass er irgendwas völlig belangloses zu mir gesagt hatte – nur dummerweise war Papa schon zu Hause. Er sah mich in der alten, viel zu engen Lederhose ich konnte noch „Der Hausmeister …“ stammeln als ich von Papas Hand auf meiner Wange spürte und durch die Diele flog. „Selbst schuld, wenn Du so rumläufst“ schrie er, riss mir die Lederhose vom Leib und drosch mit dem Gürtel auf meinem Hintern rum so wie noch nie. Das waren die schlimmsten Prügel meines Lebens, die ich von ihm bekommen hatte.

Was ich vom dem Tag an mitgenommen hatte, war meine Abneigung gegen Hausmeister und kurze Lederhosen, die ich vorher so geliebt hatte. Irgendwie hatte ich seitdem Angst, jemand würde Anna wegen ihrer Lederhosen zu nahe kommen. Dass der Hausmeister in dem Moment gar nichts von mir wollte und mich einfach nur niedlich fand in der alten Lederhose von seinem Sohnemann hatte ich erst viel später begriffen. Aber das war’s, aus und vorbei. Die Angst und die Assoziation sind geblieben, bis heute. Papas Reaktion war für die damalige Zeit auch völlig normal – ich war bei weitem nicht das einzige Mädchen, was Prügel bekam. Und auch die anderen Mädchen durften nicht in Jungs-Lederhosen rumlaufen, selbst wenn diese im Körbchen lagen. Die trauten sich aber meist auch gar nicht erst.

Ich nahm Anna in den Arm, drückte sie ganz fest, fing an zu weinen und sagte nur zu ihr „Pass gut auf Dich auf, Anna!“
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

„Mama, was’n los? Warum weinst Du denn jetzt?“ Anna war völlig verstört. „Ach weißt Du, Anna, das ist eine lange Geschichte – aber ich mach’s kurz (auch um Anna nicht zu sehr zu verunsichern): Ich möchte halt nicht, dass Dir was passiert, wenn Du so rumläufst. Ich hab‘ halt Angst, dass Dir jemand zu nahe kommt, wenn Du mir Deinen Lederhosen draußen rum läufst. Aber ich will Dir halt auch die Freude daran nicht nehmen! Also, die kurze kannst’e haben, zieh sie ruhig an, aber sei halt eben vorsichtig und lass Dich von keinem dumm anmachen!“

„Ach so, da brauchst Du keine Sorge haben, Mama – da weiß ich aus der Schule, wie ich mich verhalten soll – egal, was ich anziehe. Da pass ich schon auf mich auf, aber stimmt – komische Blicke habe ich mit meiner alten Lederjeans durchaus ein paar Mal kassiert. Ist aber nie was gewesen, Mama. Wirklich nicht!“ „Na, dann bin ich ja beruhigt!“ Annas ist halt ein total liebes Mädchen, weiß aber offensichtlich durchaus, wo’s lang geht und wie sie sich verhalten muss. So oder so, egal, was sie anzieht. Das gefällt mir und da muss ich einfach auch mal über meinen Schatten springen und Dinge zulassen, die ich vielleicht sonst völlig unnötigerweise verboten hätte. Die Lederhose passt vielleicht noch einen Sommer lang, dann ist die eh zu klein – so dass Anna sie wahrscheinlich von sich aus nicht mehr tragen wird.

Vielleicht machte ich mir auch einfach viel zu viel Sorgen. Wenn’s passiert, dann passiert’s eben. Und wenn sie ausgerechnet an einem solchen Tag ‘ne Lederhose an hat, da ist es halt so. Aber deswegen ihr den Spaß daran nehmen? Übervorsichtig sein, sie nicht mehr Kind, nicht mehr Anna sein zu lassen mit all ihren Wünschen und Vorstellungen? Mit den Klamotten, die sie halt am liebsten trägt? Klar hatte ich fast immer ein mulmiges Gefühl, wenn Anna in ihrer Kunstlederhose draußen war. Und natürlich habe ich sie auch auf dem Spielplatz beobachtet. Und ebenso natürlich hatte ich manchmal das Gefühl, sie wird eben gerade wegen ihrer Lederhose angeschaut. Aber wenn ich ehrlich bin, wie oft ist das wirklich vorgekommen?

Einmal war ich mit Anna im Zug unterwegs als sie in der Schlussphase ihre Lederjeans an hatte. Klar, da war die eigentlich auch schon zu eng – und schon alleine von daher etwas auffällig. Und an dem Tag rannte Anna auch noch pausenlos durch den Großraumwagen und ließ sich immer wieder aus vollem Lauf auf die Knie fallen und rutsche mit der glatten Lederhose über den Teppichboden im Gang. Dass sie mit der Aktion die Blicke auf sich zog, war im Nachhinein völlig normal. Aber sie hatte Spaß und auf der langen Fahrt damit ein wenig Abwechslung.

Ne normale Jeans hätte sie bei der Aktion wahrscheinlich in kürzester Zeit an den Knien durchgerutscht, aber bei dem Lederteil war das ja total egal – die hielt ja zum Glück deutlich mehr aus. Und zu Hause haben wir halt keinen Teppich, sondern nur Laminat – und wenn sie sich da mit den Knien drauf fallen lässt, tut’s auch mehr weh als auf dem Teppich.

Als sie sich nach einer Weile wieder gesetzt hatte, schaute der Typ, der uns gegenüber saß auffallend zu Anna herüber, sagte aber nichts. Ich hatte das Gefühl, er scannt sie von oben bis unten. Vermutlich hätte er auch so geschaut, wenn Anna ‘ne Jeans angehabt hätte. Vielleicht aber auch nicht – ich weiß es nicht. Ich hätte ihn drauf ansprechen müssen, was ich aber vermied. Um ein Gespräch mit ihm zu beginnen fand ich ihn zu unsympathisch. Anna hatte von der ganzen Sachen nichts mitbekommen und fragte nur die ganze Zeit: „Wann sind wir endlich da, Mama?“

Vielleicht war es auch genau dieses stets mulmige Gefühl, wenn Anna zusammen mit mir unterwegs war, was mich selber immer davon abgehalten hatte, mir mal eine klassische Lederjeans zuzulegen. Ich hatte einfach keinen Nerv dazu, ständig als Objekt der Begierde von den Herren der Schöpfung angestarrt zu werden. Komischerweise gelang es mir, bei Anna immer praktische Gründe vorzuschieben, warum ich sie in Lederhose raus ließ und sie nicht immer in eine Jeans steckte. War Anna mit mir in Jeans unterwegs, passierte ihr nämlich meist irgendein Malheur, was in der Regel entweder zu deutlich sichtbaren Flecken (Ketchup, Mayonnaise, oder ähnliches) führte oder im schlimmsten Fall auch mal mit zerrissenen Knien endete.

Bei der Kunstlederjeans genügte für ersteres meist ein feuchter Lappen oder ein Erfrischungstuch. Aber wie so oft passierte meist nichts, wenn sie das olle Ding an hatte. Und wahrscheinlich liebte Anna die auch nur so abgöttisch, weil sie ebenso praktisch war und nicht, weil sie darin „sexy“ wirkte. Ich glaub, das war genau meine und eben nicht ihre Sorge. Selbst in meiner alten Latzjeans ernte ich heute noch manchmal komische Blicke. Allerdings stört es mich da wiederum kaum.

Ich hatte es mir inzwischen auf der Couch gemütlich gemacht und da Anna morgen die ersten beiden Stunden frei hatte, war sie noch auf. Was gibt’s ehrlich gesagt schöneres, als sich an einem solchen Abend in meiner Lieblings-Latzjeans auf der Couch lümmeln Fernsehen. Anna kam leise ins Wohnzimmer geschlichen. Sie hatte die alte, gammelige Lederhose von Marie noch nicht ausgezogen und fragte vorsichtig: „Mama, darf ich mich zu Dir setzen?“ „Mit der Dreckshose?“ grinste ich. Und da unsere Couch auch schon die besten Zeiten hinter sich hatte, willigte ich ein. Anna suchte heute Abend offenbar besonders intensiv meine Nähe und kuschelte sich bei mir ein.

So lagen Anna und ich nach einem doch noch anstrengenden Abends in ungewohnter Eintracht auf der Couch, kuschelten ein wenig und waren beide glücklich und zufrieden. Anna freute sich sichtlich über die Mitbringsel und die Lederhose von Marie, ich fuhr ihr indes mit der Hand unter den Hosenträgerchen entlang über den Rücken und streichelte sie. „Danke Mama!“, sagte Anna leise und müde. „Wofür?“ „Für die Latzhosen und dafür, dass ich die kurze Lederhose hier erst mal behalten und anziehen darf!“ „Ach, ist schon ok. Ich freu mich doch auch immer, wenn Du glücklich und zufrieden bist. Und so schlimm wie ich dachte siehst Du in der Kurzen hier gar nicht aus. Das uni-weiße T-Shirt passt übrigens perfekt dazu – sieht gut aus. Das uni-rote geht alternativ auch. Und Deine alten, weißen Adidas Sneaker passen da bestimmt auch gut zu. Vielleicht wird es ja jetzt im Herbst noch mal für ein paar Tage etwas wärmer als heute, dann hast Du wenigstens noch was davon! Und hoffentlich passt sie Dir nächsten Sommer noch, die wär‘ doch eigentlich auf ganz prima zum Wandern in den Alpen! Notfalls machen wir die Trägerchen halt ab, wenn’s gar nicht anders geht.“

„Och nö, gerade die find‘ ich doch total cool – die müssen sein, die müssen einfach dran bleiben, Mama! Dann darf ich halt nicht mehr so viel wachsen“ grinste sie und schlief langsam in meinen Armen ein.
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Anna schlief tief und fest in ihrer neuen, alten, engen, kurzen Lederhose auf der Couch in meinen Armen. Ich ließ sie, döste selber auch wenig und wachte kurz vor wieder Mitternacht auf. Anna war wohl in der Zwischenzeit auch wach geworden und hatte es ohne mich wach zu machen geschafft, in ihr Zimmer zu kommen, sich auszuziehen, sich zu waschen, die Zähne zu putzen und ins Bett zu gehen. Wie üblich hatte sie ihr Zeug nur auf den Boden neben ihrem Bett fallen gelassen, was durchaus normal ist, wenn sie todmüde ins Bett fällt. Somit lag auch ihre Lederhose mitten in der Dreckwäsche für die Waschmaschine. Ich war leise, wollte sie natürlich nicht mehr aufwecken, fischte jedoch die Lederhose noch kurz aus dem Dreckhaufen heraus und nahm die andere Schmutzwäsche schon mal mit in den Flur, damit ich die Sachen später waschen kann und Anna nicht wieder in dreckigen und durchgeschwitzten Sachen zu Schule rennt.

Ihre drei Latzhosen, die Anna ebenfalls recht lustlos von Bett in die Zimmerecke an der Tür geworfen hatte, hob ich noch kurz auf und legte sie zusammengefaltet auf den Stuhl. Je nachdem, wie das Wetter sein wird, wird Anna wohl eine von denen zur Schule anziehen wollen, dachte ich mir. Die alte, in die Ecke geworfene Lederhose wollte ich erst liegen lassen, die ist ja so dreckig und speckig, die kann man ja mit der Zange nicht anfassen, dachte ich. Aber dann dachte ich auf einmal an die Glattlederhose zurück, die damals im Wäschekorb lag und für die ich im Nachhinein fürchterlichen Ärger bekommen hatte. Ich wurde neugierig und irgendwie faszinierte mich das olle Teil doch so sehr, dass ich sie aufhob. Erinnerungen an damals schossen mir durch den Kopf. Ich wollte es nach all den Jahren doch noch mal spüren, das Gefühl von altem, aber dennoch weichem Leder in meinen Händen.

Und schon war der alte Zauber wieder da. Ich spürte dieses Kribbeln im Bauch, genau wie damals – nur mit einem Unterschied: Annas Lederhose wird mir hundertprozentig nicht passen, das brauchte ich gar nicht erst zu versuchen. Anna war zwar in letzter Zeit gewachsen und hatte etwas an Gewicht zulegt, aber eingeholt hatte sie mich noch nicht. Da waren mit Sicherheit immer noch zwei, drei Kindergrößen zwischen uns, und obwohl mir große Kindergrößen durchaus, aber meist dann ziemlich knapp passen, stand fest: Da passe ich beim besten Willen nicht mehr rein, das brauche ich auch nicht zu probieren. Stattdessen streichelte ich mit der Hand über das deutlich abgenutzte Leder und machte mir Gedanken darüber, was wohl alles dazu geführt hat, dass sie so dermaßen abgenutzt und verschlissen war.

Am Hosenumschlag und am Po war die ein oder andere Naht inzwischen leicht los gegangen, die Reißverschlüsse gingen noch erstaunlich leicht, wobei auch hier die Doppelnaht an einigen Stellen bereits aufgegangen war. Aber die härtesten Kampfspuren waren am Gesäß zu sehen: hier war das Leder total verkratzt und vermackt. Bei Kunstleder wäre es an der Stelle mit Sicherheit schon durch gewesen, aber das echte Leder war hier deutlich stabiler. Ich fragte mich, was wohl dazu geführt haben möge, dass sie am Po so dermaßen fertig aussah? Zunächst kam ich nicht drauf und grübelte da einige Zeit drüber nach.

Dann kam ich langsam auf eine Lösungsmöglichkeit, und dann war ich mir sicher: Jungs spielen halt mit Vorliebe Fußball – und da wir hier ganz in der Nähe einen Aschenplatz haben, könnten diese Kratzspuren eigentlich nur daher kommen. Maries großer Bruder muss sie wohl mehr als einmal auf dem Bolzplatz angezogen haben. Auch die Hosenträgerchen waren ziemlich fertig – natürlich schon im letzten Loch, man konnte aber auch ganz deutlich erkennen, dass sie auch in den anderen Löchern getragen worden ist. Fast wie Jahresringe beim Baum konnte man an den Abdrücken sehen, wie viele Jahre sie wohl schon im Einsatz gewesen sein muss. Fünf Löcher konnte ich erkennen, sollte Maries großer Bruder sie etwas tatsächlich fünf Jahre lang getragen haben?

Mag schon sein, dachte ich und erinnerte mich daran zurück, wie lange ich Maries Familie schon kannte. Maries Bruder war ein paar Jahre älter als sie, aber ich kannte ihn und Marie eigentlich von klein auf. Marie und Anna waren schon im Kindergarten zusammen, da war ihr großer Bruder schon in der Schule. Und ich meine mich erinnern zu können, dass ich ihn seitdem im Sommer fast immer nur in dieser einen, kurzen Lederhose gesehen habe.

Die Druckstelle im letzten Loch an den Hosenträgern war übrigens etwas tiefer, als bei den anderen. Wahrscheinlich hätte ich die Trägerchen schon längst abgemacht und in die Tonne geworfen, aber irgendwie ist es ja zumindest für die Jungs praktischer: Mit Hosenträgern brauchen sie sich beim Pinkeln wenigstens keine Sorgen zu machen, dass die Hose runterrutscht und im Matsch landet. So gesehen also eine sinnvolle Sache – also bleiben die Trägerchen einfach erst mal dran, auch wenn sie für Anna nicht so nutzbringend sind.

Aber immerhin war es eine echte „Frankenwald“ Lederhose. Die kannte ich noch von früher, als man sie noch in den Schaufenstern der Geschäfte sehen könnte. Auch wenn kurze Lederhosen fast alle irgendwie gleich aussehen, wenn man mal vom Unterschied zwischen Rau- und Glattleder bzw. Knopflatz und Doppel-Zipp absieht. Doch die Frankenwald Lederhosen erkannte ich auf Anhieb wieder. Sie hatten ein paar Details, die so nur bei denen zu sehen waren. Die kleine Messertasche zum Beispiel, die war innen aus echtem Leder, während die normalen Hosentaschen aus Stoff waren. Oder das einzigartige Muster auf dem Stoffstreifen der Innenseite des Gürtels, den hatten so nur die von Frankenwald. Das graue, volle Eichenlaub mit der roten Paspelierung und der graue Streifen am umgenähten Hosenumschlag waren auch typisch.

All diese feinen Details machten eine Frankenwald Lederhose zu etwas besonderem. Neben denen von Healson waren es somit auch die teuersten, die es im Laden zu kaufen gab. Frankenwald und Healson waren damals schon so was wie Adidas und Nike heute. Man trug entweder das eine, oder das andere, aber nie beides gemischt. Markenbewusstsein gab’s also auch damals schon. Und wer Pech hatte, musste mit einer der zahlreichen No-Name Lederhosen rumlaufen, die oftmals noch aus der Deutschen Demokratischen Republik kamen. Das waren zum Teil richtige Billigdinger, vor allem die Raulederhosen kosteten nur ein Bruchteil einer Frankenwald oder Healson. Dafür war die Qualität dann auch schlechter, was sich allerdings nur im Tragekomfort widerspiegelte und keinen Einfluss auf Langlebigkeit hatte.

Und würde man Maries Bruder fragen, wüsste er bestimmt tausende Erlebnisse zu berichten, die er mit seiner Lederhose verbindet. Ich wüsste gerne, ob er sie geliebt oder gehasst hat, ob er sie gerne zum Fußball getragen hat, oder ob er stattdessen viel lieber auch die Adidas Glanzshorts getragen hätte, so wie die anderen Kinder sie an hatten. Ob er froh war, als er endlich aus ihr herausgewachsen war und er sie nicht mehr anzuziehen brauchte? Vielleicht war er es, vielleicht auch nicht – keine Ahnung, Ich weiß es nicht. Ich würde es aber gerne wissen. Maries Bruder gehörte jedenfalls noch zu den Kindern, die wenig Auswahl an Kleidung hatten. Da hatte es Marie jedenfalls später besser gehabt.

Jedenfalls habe ich ihn lange und sehr oft in gerade dieser Lederhose gesehen. Und ich hatte den Eindruck, je älter er und die Lederhose wurden, desto gröber ging er mit ihr um. Wobei ich wiederum auch nicht den Eindruck hatte, dass er sie mutwillig kaputt machen wollte. Ich erinnere mich noch an einen Sommertag vor ein paar Jahren, da waren Marie und Anna noch in der Grundschule, da waren wir zusammen auf einem Ausflug und er hatte die kurze Lederhose an. Ich weiß gar nicht was, was er dazu an hatte, ich meine aber, es wäre ein ziemlich altes, verwaschenes Adidas T-Shirt gewesen, was er dazu an hatte. Wir waren zusammen unterwegs, ich glaube in einem Freizeitpark und ein paar Kumpels von ihm waren auch mit. Er war meine ich der einzige, der in dem Alter noch eine Lederhose an hatte. Die anderen hatten zwar auch Shorts an, aber entweder aus Jeans oder Cord. Einer der Kumpels war in einen Adidas Glanzshorts unterwegs.

Er turnte durch den Matsch und Dreck und ich hatte wirklich den Eindruck, dass er nicht gerade pfleglich mit der Lederhose umgeht. Seine Mama ermahnte ihn jedoch auch nicht großartig. „Das ist doch ‘ne olle Lederhose, die kann das ab. Und übrigens, die kommt doch eh bald in den Müll, die ist doch eigentlich jetzt schon zu klein!“ sagte seine Mama grinsend. „Wie, die soll jetzt doch in den Müll? Ich dachte, Marie muss die demnächst noch anziehen?“ – „Mir eigentlich egal, ob sie in den Müll geht, oder ob Marie sie noch bekommt! Aber wenn Du möchtest, dass Deine Schwester sie noch bekommt, geh‘ wenigstens nicht ganz so grob mit ihr um! Also, rumtoben kannst Du damit ruhig, aber übertreibt es nicht“ Schon zischte er wieder ab in seiner knallengen Buchse, als wenn ihn das, was Mama sagte, überhaupt nicht interessiert hätte. Als hätte er den Eindruck, dass Marie sie sowieso nicht mehr zum Anziehen bekäme und er sie doch irgendwann in die Mülltonne werfen dürfte.

Wenn ich mir die Hose jedenfalls so anschaue, muss es zumindest eine Art Hassliebe gewesen sein, sonst wäre sie am Ende nicht so verbraucht gewesen. Vielleicht mochte er sie auch nicht mehr an sich sehen, und freute sich insgeheim, dass seine Schwester sie dann anziehen muss – oder darf, je nachdem, wie man es wieder nimmt. Irgendwie war ich jetzt total fasziniert und neugierig zu gleich. Zum einen würde ich allzu gerne noch all die vielen anderen Geschichten wissen, auch die, die Marie im letzten Sommer in der Lederhose erlebt hat. Ich weiß nicht, ob sie die in den Jahren zuvor schon getragen hatte, aber letzten Sommer habe ich sie glaub ich ein- oder zweimal darin gesehen. Im Urlaub muss sie die wohl öfters angehabt haben, ich hatte da mal sowas mitbekommen.

Auf der anderen Seite wuchs aber in mir auch das Verlangen, selber mal wieder eine Frankenwald Lederhose anziehen zu wollen. Wobei: Geht das überhaupt noch in meinem Alter? Gut, ich trag hin und wieder mal gerne meine alte Latzjeans, und im Winter trage ich noch meinen Jahre alten C&A Skianorak, der inzwischen fast auseinander fällt, sich aber wacker Winter für Winter noch schlägt. Und ja, ich liebe alte Kapuzenpullis, ich mag nach wie vor Nickis total gerne, alles Sachen, die eigentlich schon seit Jahren ausgestorben sind. Aber ich in kurzer Lederhose? Nicht wirklich, oder doch?

Und vor allem: Wo sollte ich eine her bekommen? Die sind doch so gut wie ausgestorben. Die meisten im Müll oder in der Altkleidersammlung gelandet. Neu habe ich seit Jahren keine mehr in den Geschäften gesehen, der kleine Lederhosenladen bei uns in der Stadt ist auch schon lange geschlossen. Wann hab‘ ich die letzte Gebrauchte gesehen? Auch schon Jahre her, dass ich auf dem Flormarkt eine gesehen habe, ich glaub, da war Anna noch gar nicht geboren. Die lag da auch bis zum Schluss und als Mami und Sohnemann sich auf den Nachhauseweg machten, zofften sich beide um die Lederhose. Sohnemann wollte sie wohl gerne wieder mit nach Hause nehmen, aber er musste sie in eine der zahlreichen Mülltonne werfen. „Was sollen wir die noch wieder mitschleppen? Dann kommt sie eben hier in den Müll, wenn sie niemand mehr anziehen mag! Los, ich zähl jetzt bis drei, dann ist die in der Tonne! Oder Du kriegst eine gescheuert, haben wir uns verstanden?“ Dabei sah die im Vergleich zu der, die Anna jetzt hat, noch richtig gut aus, hätte dem Jungen aber keinesfalls mehr gepasst.

Mir vermutlich auch nicht, versuchte ich mich zu beruhigen. Gerettet hatte ich sie damals nicht, warum auch? Wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Und für wen? Ging aber auch alles viel zu schnell. Aber einen Moment stehen geblieben und geschaut, hatte ich damals schon. Die Mülltonne war schon voll mit anderem Flohmarktabfall aller Art und den typischen Essensresten, bestehend aus Currysauce und Mayonnaise. Unmittelbar darauf warf jemand den nächsten verschmierten Pappteller auf die Lederhose und ruckzuck war sie vollständig mit Müll bedeckt in der Tonne verschwunden. Ich blieb mit meinen Gedanken allein und machte mich auch fertig für’s Bett. Mal gespannt, was Anna morgen zur Schule anziehen möchte, dachte ich und schlief langsam ein.
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Morgens früh um 6:30 Uhr klingelte für Anna und mich schon wieder der Wecker. Ich hatte unruhig geschlafen, war mehrmals wach geworden und hatte zwischendurch das Gefühl, längere Zeit wach gewesen zu sein. Obwohl ich eigentlich hätte aufstehen müssen, drehte ich mich nochmal um und ratze weg. „Anna, was machst Du denn da? Was gibt das denn jetzt?“ Sie war im Nachthemd, hatte ihre drei neuen Latzhosen und die alte Lederbuxe von Marie in der linken und eine riesengroße Schere in der rechten Hand. „Anna, was gibt das? Was hast Du vor?“ Sie nahm die Schere, ließ alles außer der Kunstleder-Latzhose fallen und grinste breit wie ein Honigkuchenpferd. Sie spreizte die Finger, die Schere öffnete sich lang und mit einem Schnipp ging’s den beiden Trägern an den Kragen. Sie zerschippelte die schöne Kunstleder-Latzjeans in tausend kleine Fetzen. Ich war sprachlos! Sie griff die Latzjeans und tat ebenso damit.

„Anna!“ schrie ich sie an. „Was machst Du? Was soll das? Hör‘ auf!“ Doch Anna stand nur stumm grinsend im Nachthemd von mir und machte weiter mit der Cordlatzhose. Auch die war mit der Riesenschere in Sekunden in Einzelteile zerschnitten. „Anna! Warum? Anna! Bitte, bitte lass das!“ Sie machte einfach weiter ohne jegliche Reaktion zu zeigen. Dann war die Lederhose an der Reihe. Sie schnippelte und schnippelte, bis auch diese total zerfetzt am Boden lag. Ich war entsetzt, aber Anna grinste nur. „Anna!“ schrie ich so laut ich konnte, als ich plötzlich durch eine laute Stimme hörte, die Zimmertüre aufging und Anna fragte: „Mama, was ist los? Alles in Ordnung mit Dir?“ Völlig verstört sah ich Anna an, sie war schon fertig angezogen und fragte: „Was schreist Du denn? Schlecht geträumt, oder was?“ „Vermutlich“ sagte ich, denn ich war plötzlich wach und konnte mich an nichts mehr erinnern, nur an die riesengroße Schere in Annas Händen.

„Mama“ Du hast verpennt, lachte Anna. „Ist aber nicht schlimm, ich hab‘ schon Kaffee gekocht und Frühstück gemacht. Ich brauch‘ ja heute erst zur zweiten Stunde in der Schule sein. Und Du?“ „Ich wollte eigentlich auch um 9:00 Uhr im Büro sein!“ sagte ich, wohlwissend dass ich mir mein Kommen und Gehen frei einteilen kann. Kernarbeitszeit bei uns im Büro ist von 7:00 – 18:00 Uhr, ich arbeite eh im Moment halbtags, wobei ich mir aussuchen kann, wie ich die 20 Wochenstunden verteile. Wenn ich will, kann ich auch mal einen Tag lang sechs oder acht Stunden arbeiten, oder nach Absprache auch mal einen Tag in der Woche nicht kommen. Alles sehr flexibel, alles sehr arbeitnehmerfreundlich, dafür allerdings auch nicht die Topbezahlung. Ich muss halt sehen, wie wir über die Runden kommen. Daher bin ich im Grunde auch ganz froh, dass Anna in Sachen Klamotten sehr anspruchslos ist und in ihrem Alter noch viel in gebrauchten Klamotten herumrennt. Sie versteht unsere Lage, weiß, dass wir nicht viel haben und merkt auch an mir, dass ich mit dem Geld sparsam umgehe.

Den einzigen Luxus, den ich Anna und mir gönne, sind ab und zu mal neue Schuhe. Gebrauchte Schuhe kommen bei uns nicht ins Haus, weder bei Anna, noch bei mir. Wo andere Füße schon drin steckten ist nichts für uns. Haben wir schon immer so gehalten. Und bei Schuhen darf’s auch gerne mal etwas teurer und besser sein. Wobei wir beide den gleichen Geschmack, aber trotzdem noch unterschiedliche Schuhgrößen haben. Annas Füße sind immer noch etwas kleiner, als meine. Am liebsten tragen wir Adidas Sneakers oder Chucks – Chucks sehen insbesondere zur Latzhose einfach nur geil aus. Bei uns zählt das Motto: „Weniger ist mehr!“ – wo andere Frauen und Mädchen den gesamten Schuhschrank voll haben, kommen wir in der Regel jeweils mit drei, vier Paaren aus. Das hat natürlich zur Folge, dass wir sie auch tragen, bis sie Anna entweder nicht mehr passen, oder komplett auseinanderfallen und reif für die Tonne sind. Somit landen getragene Schuhe von uns grundsätzlich und inzwischen fast ausnahmslos nur noch in der Mülltonne. Meine ältesten Adidas Schuhe sind noch aus meiner Schuhzeit. Ich hatte damals das Glück, von meiner Patentante ein nagelneues Paar „Indoor Spezial“ geschenkt zu bekommen, was sie sich mal zum Sport gekauft, aber jahrelang nie angezogen hatte. Und da ich sie in der Oberstufe fast ausschließlich in der Halle an hatte, sahen sie auch lange Zeit noch wie neu aus. Erst im Laufe des Studiums habe ich sie dann auch für draußen angezogen. Mittlerweile sind sie völlig verdreckt, ausgelatscht und fertig, aber immer noch meine Lieblings-Sneakers, auch wenn ich sie in letzter Zeit kaum noch angezogen hatte.

Anna zerschlurft im Moment am liebsten ihre hohen, lilafarbenen Chucks. Sind sogar echte von Converse, aber auch schon glaub ich ein, zwei Jahre alt. Eigentlich auch schon abgetragen und völlig für die Tonne, aber solange sie die noch anzieht, ist doch gut. Solange sie nicht meckert und noch keine neuen möchte, kann sie die anziehen, bis sie ihr vom Fuß fallen. Muss sie wissen, kann sie entscheiden, aber im Regelfall sind die alten erst lange reif für die Tonne, bevor sie neue haben will. Sieht zwar nicht immer schön aus, spart aber Geld und ist daher mehr als in Ordnung. Daneben hat sie ein paar Adidas Turnschuhe für draußen und eines für zum Sport in der Halle. Muss reichen!

Schuhe oder Stiefel mit Absätzen sind no go, so schön sie auch bei anderen aussehen mögen. Flache Sohle, Sneakers, sonst nichts. Winterstiefel haben wir jeweils ein Paar halbhohe mit Reißverschluss. Meine sind schon wer weiß wie alt und schreien danach, mal endlich ersetzt zu werden, aber solange die Sohle noch nicht durch ist, warum? Annas könnten zum Winter hin fällig sein, immerhin hat sie ihre schon zwei Winter lang täglich durchgetragen. Vielleicht wäre auf Dauer für Anna auch ein zweites paar Winterstiefel sinnvoll, aber sie hat und trägt ja dann auch ihre Gummistiefel.

Apropos Gummistiefel: Die haben wir natürlich auch noch, wenn auch als und gammelig. Auch hier sind wir wenn im Partnerlook unterwegs, was zur Latzjeans durchaus lustig aussieht. Regen macht uns seit jeher nichts aus, es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. Also blaue Latzjeans an, knallrote Adidas-Regenjacke drüber und rein in die quietschgelben Gummistiefel und ab auf den Spielplatz oder wenn wir im Urlaub an der Nordsee sind, raus auf den Stand. Wir beide sind bei schlechtem Wetter keine Budenhocker. Da mutieren wir zu echten Schlamm-Catchern – das macht total viel Spaß im nassen, matschigen Sand herumzutoben. Oft haben wir zwar bei solchem Wetter Spielplatz oder Strand für uns alleine, aber wir haben Spaß. Die Jeans ist dann anschließend reif für die Waschmaschine, aber dank Trockner (den wir auch in der Ferienwohnung haben) am nächsten Tag wieder sauber, trocken und einsatzbereit. Für solch ein Wetter war natürlich Annas Kunstlederjeans geradezu genial. Daher freue ich mich jetzt schon, wenn wir im Herbst wieder an der Küste sind, und Anna dann für Mistwetter die Kunstleder-Latzhose anziehen kann. Mal sehen, vielleicht finde ich ja auch noch einen zur Hose passenden Kunstleder-Anorak, am besten mit ‘nem schönen Teddyfutter und Kapuze. Muss ich demnächst mal wieder schauen, weder bei Kids&Teens noch bei UsedTex hatte ich einen solchen gesehen.

Anna und ich frühstückten noch gemütlich zusammen, dann zog sie los zur Schule und ich machte mich fertig für ins Büro.
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Es war ein kühler, fast regnerischer Morgen und ich stand mal wieder vor meinem Kleiderschrank und überlegte, was ich für ins Büro anziehen sollte. Die Entscheidung fiel recht schnell auf meine alte, abgewetzte Latzjeans, die seit einiger Zeit wieder Standardprogramm geschafft hatte. Und eigentlich wäre es ja auch mal an der Zeit, sich nach einem weiteren Exemplar umzuschauen. Also, warum nicht gleich nach der Arbeit mal wieder auf Shopping-Tour gehen, aber diesmal nicht für Anna, sondern für mich. Ich hatte das Gefühl, das ich mir das durchaus verdient hätte.

Doch irgendwie wusste ich nicht, welches Oberteil ich zur Latzjeans tragen sollte. Am liebsten einen Kapuzenpulli, doch meine alten Fruit of the Looms haben alle eine Känguru-Tasche, so dass sie unter der Latzhose getragen blöd ausschauen und nicht bequem sind. Da fiel mir ein, dass ich doch letztens von einer guten Freundin eine große Tüte mit Pullis und Sweatshirts geschenkt bekommen hatte. Die Freundin meinte noch als wir uns verabschiedeten: „Ich hab‘ hier noch ‘ne Tüte Pullis für Dich oder für Anna, je nachdem, wem was davon passt. Sind zwar alles noch große Kindergrößen, aber Dir könnte das ein oder andere Teil auch bestimmt passen. Der schwarze Kapuzennicki ist da auch mit bei, hat leider ein ganz kleines Loch im Ärmel – fällt kaum auf! Der war mir dann doch zu schade zum Wegschmeißen! Du magst doch immer noch Nickis so doll, oder?“

„Ja“ stimmte ich zu, freute mich über die Sachen, nahm die Tüte mit nach Hause und seit dem lag sie inzwischen seit Wochen im Schrank, ohne dass ich hineingeschaut hätte. „Was nichts ist, wirf‘ ruhig in die Tonne“ meinte die Freundin nach beim Rausgehen, was bei ihr bislang immer so viel bedeutet hat wie, „Da ist eh nichts gescheites mehr bei, bloß hab‘ ich ein schlechtes Gewissen, wenn das in die Altkleidersammlung oder die Mülltonne geht …“. Meine Freundin ist halt eine, die nichts gerne wegschmeißt und anderen versucht, auch mit solchen Sachen noch eine Freude zu machen. In der Vergangenheit war meist nicht viel brauchbares mehr in ihren Tüten dabei, aber das ein oder andere Einzelteil war dann doch wiederum cool genug, dass ich immer wieder gerne eine Tüte von ihr annahm.

Mir kam der schwarze Nicki wieder in den Sinn und auch nur den zog ich zielsicher aus der Tüte mit den Sweatshirts heraus. Ein schlichter, schöner, wenn auch oft und gerne getragener Kapuzennicki ohne Schnick-Schnack, klassisch geschnitten ohne Bündchen an den Ärmeln und am Bund. Kapuze noch mit Kordel dran und in der Tat, am linken Ärmel ein Stecknadelkopf kleines Loch, was aber so gut wie gar nicht auffiel. Das Größenetikett war diesmal noch vorhanden (sonst sind die bei ihr auch gerne mal herausgetrennt oder so verwaschen, dass sie kaum noch lesbar sind), und in der Tat, es war eine große Kindergröße. Wenn ich mich recht entsinne, hatte ihre Tochter den Kapuzennicki ‘ne Zeitlang angezogen, ich hatte ihn aber schon lange nicht mehr an ihr gesehen. Eines der wirklich wenigen Teile, die mir von meiner Freundin bzw. ihrer Tochter gefielen, bei denen ich tatsächlich die Hoffnung hatte, dass sie irgendwann mal mit in der Tüte sind.

Trotz Kindergröße war der Nicki gerade richtig für mich – er saß gut, nicht zu schlabberig und auch nicht zu knapp. Also genau das passende Teil für unter die Latzhose, zumal bei dem Teil glücklicherweise auf die Bauchtasche verzichtet worden war. Ich war geradezu wieder verliebt in das Teil, hätte allerdings auch schon fast nicht mehr damit gerechnet, dass ich selbst nochmal wieder an einen Nicki kommen würde. Aber der hier ging noch, die Nähte waren alle ok, das Teil war frisch gewaschen und sauber, ich fühlte mich saumäßig wohl darin. Was Anna wohl sagen würde, wenn sie heute Nachmittag aus der Schule kommt, dachte ich. Schließlich mochte sie ihre Nickis nie so richtig leiden und hat ihre mehr gezwungenermaßen angezogen. Sie war froh, als ihre weg waren und hat sie bis heute nicht vermisst, eher sogar das Gegenteil.

Nickis hatte ich zuletzt, als ich so alt war wie Anna jetzt. Waren zwei Rollis, die mir eigentlich fast heute noch hätten passen müssen. Der eine war dunkelrot, der andere blau wie Tintenfarbe, beide habe ich zwei, drei Winter lang abwechselnd fast jeden Tag zur Schule getragen. Ich mochte sie, weil sie so herrlich kuschelig weich auf der Haut waren und nicht so kratzten, wie die anderen Wollpullis damals. Irgendwann zwischen Frühling und Herbst – wo es natürlich viel zu warm war für Nickirollis – muss Mama wohl auf die Idee gekommen sein, meinen Kleiderschrank mal wieder zu plündern und Wintersachen auszusortieren. Auf jeden Fall war das Fach mit den Winterpullis extrem ausgedünnt als ich reingeschaut hatte und bis auf ein oder zwei Pullis, die mir im letzten Winter noch etwas groß waren, waren alle anderen nicht mehr da. Auch die Nickis nicht – und das in einer Zeit, wo wir durchaus schon gemeinsam alte Sachen von mir aussortiert hatten.

„Mama, wo sind meine Nickis?“ fragte ich damals an dem Tag, wo ich in den leeren Schrank geschaut hatte. „Wenn sie nicht mehr im Schrank liegen, dann sind die wohl weg! Waren doch eh nichts mehr …“ Ich wusste, dass weiteres Nachfragen nur wieder darin endet, das ich von ihr ein paar gescheuert bekommen hätte und daher traute ich mich nicht, weiter nachzufragen. Und da Mama früher schon mit meinen Sachen stets kurzen Prozess gemacht hat und die nie im Waschkorb im Treppenhaus aufgetaucht sind, war mir eigentlich auch sofort klar, dass sie nur in der Mülltonne gelandet sein konnten. Schließlich war natürlich „zufälligerweise“ der Tag des Verschwindens mal wieder identisch mit dem der Mülltonnenleerung – also brauchte ich auch gar nicht in den Hof runter rennen um an den Mülltonnen nachzuschauen. Solche Kindheitsereignisse waren für mich prägend und komischerweise habe ich genau dieses Verhalten später von meiner Mama genauso übernommen. Da hat Anna ja schließlich schon des Öfteren drunter leider müssen.

Zur Latzjeans und Kapuzennicki zog ich seit langem mal wieder meine „Indoor Spezial“ an. Die waren auch inzwischen in einem Zustand, wo man sie normalerweise eigentlich nicht mehr anziehen kann und sie vielleicht als Blumentopf noch ganz nett aussehen würden, aber nicht an den Füßen einer Frau. Aber egal, was die anderen denken mögen, heute waren sie mal wieder dran und ich fühlte mich sofort wieder wohl darin. Und weil es draußen noch sehr kühl war, entschied ich mich, meinen C&A Skianorak dazu anzuziehen. Ich sah aus, als hätte man mich vor jahrelang irgendwo eingesperrt und mich jetzt erst wieder herausgelassen. Ich beruhigte mich damit, dass das was man früher als „out“ oder „unmodern“ bezeichnete, heute locker unter den Begriff „Vintage“ oder „Oldschool“ fällt und damit als entsprechend cool gilt. Mal sehen, was die Kollegen und Kolleginnen mir heute wieder an den Kopf werfen werden. Aber die sind ja meine schrägen Outfits schon gewöhnt, die kennen mich ja schon seit ein paar Jahren so.

Ich ging raus zur Bushaltestelle, verpasste diesen aber knapp und somit musste ich fast eine 20 Minuten lang auf den nächsten warten. Da ich fast immer zu unterschiedlichen Zeiten morgens und abends fahre, sieht man eigentlich fast immer andere Leute an der Haltestelle warten. Die meisten sind in sich gekehrt, rauchen noch schnell eine Zigarette oder zwei, aber im Regelfall kommt man so schnell nicht miteinander ins Gespräch. Ab und zu treffe ich mal ‘ne Freundin von mir, dann gibt’s einen kurzen Smalltalk, mehr aber auch meist nicht. Und die Typen, die ich hier morgens schon mal sehe, passen auch alle irgendwie nicht in mein Beuteschema. Die meisten sind entweder viel älter, oder sind Kinder und Jugendliche, die noch zur Schule gehen. Der einzige, der mich wirklich interessiert hätte, war ein Typ, etwas älter als ich, den ich hier ein- oder zweimal in einer dezenten, schwarzen Nubuk-Lederjeans gesehen hatte. Er war durchaus attraktiv und schaute mehrfach sehr verlegen an, aber mehr als ein Augenzwinkern hatte sich bislang nicht ergeben.

Männer in Lederjeans waren mir irgendwie suspekt, das Klischee von „die sind doch alle schwul“ ging mir durch den Kopf – obwohl ich ganz genau wusste, dass die nur ein altes, blödes Vorurteil war. Trotzdem ging mir dieser Kerl nicht mehr aus dem Sinn. Manchmal wünschte ich, dass wir uns morgens an der Haltestelle treffen und es zu einem Gespräch kommt. Lange her, dass ich zu Männern Kontakt hatte. Aber ich hatte in all der Zeit die Hoffnung nie aufgegeben, wollte aber auch nichts riskieren, was sich negativ auf meine oder Annas Lebenssituation auswirken könnte. Viel zu bieten hätte ich ja auch nicht, und ich wollte auch nie Mitleid erwecken, was aufgrund meiner Klamottenauswahl hätte durchaus missverstanden werden können.

Insgeheim hatte gehofft, der Typ in Lederjeans wäre gekommen und hätte mir die Zeit des Wartens etwas versüßt. So stand ich aber die ganze Zeit allein da und wartete auf meinen Bus, der heute ausgerechnet wieder mal Verspätung hatte. Gegen kurz von Zehn kam ich endlich im Büro an. Paul, unser Lagerarbeiter, begrüßte mich breit grinsend mit einem freundlichen „Hallo!“ Ich grüßte ebenso freundlich zurück, als er trocken meinte „Du kannst Dich auch von nichts trennen, oder?“ „Wie meinst Du das denn?“ fragte ich verlegen zurück, wohl wissend, dass er entweder meinen Anorak oder meine Turnschuhe meinte. „Ist das nicht irgendwann mal langweilig, ewig in den gleichen Klamotten rumzurennen? Du solltest Dir einfach mal öfter was Neues gönnen!“ „Hab‘ ich doch!“ sagte ich voller Stolz, machte den Reißverschluss am Anorak los und zeigte ihm meinen neuen Kapuzennicki. „Wow, der ist ja mal richtig geil“ rief er. „Jetzt sag bloß, das ist ein Nicki? Und dann noch mit Kapuze! Wo hast Du den denn her?“

„Von ‘ner Freundin von mir, der wäre fast mit weggeschmissen worden!“ erzählte ich ihm. „Da hast Du aber Glück gehabt! Der steht Dir echt gut und der passt prima zur Latzjeans. Wundert mich, dass Du die immer noch ab und zu ins Büro anziehst, von mir aus könntest Du die …“ „Was? Langsam mal wegschmeißen? Kommt nicht in Frage!“ unterbrach ich ihn. „Nein, bloß nicht wegschmeißen! Ruhig öfters mal anziehen! Da siehst Du richtig gut drin aus – passt zu Dir!“ Wow, Komplimente am Morgen mein Outfit betreffend, ich hätte jetzt eher wieder damit gerechnet, dass die Damen und Herren Kollegen wieder hinter meinem Rücken tuscheln. Hier war zwar durchaus lockere Freizeitkleidung im Büro üblich, und Anoraks trugen bei schlechtem Wetter hier fast alle, nur halt keine alten No-Names sondern eher aktuelle Markenware. Die meisten erschienen zur jeweiligen Saison in neuen Sachen, das wenigste wurde hier gefühlt mehr als ein, zwei Jahre getragen. Latzhosen zum Büro trugen die anderen Frauen alle gar nicht, obwohl Jeans durchaus zum gewohnten Anblick gehörten. Außer der neuen Azubine könnte ich mir allerdings auch niemanden hier in Latzjeans vorstellen.
Wolldeckenmuseum
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Re: Anna

Beitrag von Wolldeckenmuseum »

Hi,
ich habe gerade mal ein bisschen Zeit gehabt und habe Deine ganze Geschichte gelesen. Respekt und toll geschrieben!
Ich bin gerade erst ins Forum eingestiegen und muß mich so langsam mal durch alle Beiträge durcharbeiten.
Selbst sind wir auf einem ganz anderen Gebiet tätig (Wolldecken), aber das hier eine Geschichte, wie ich sie von meinen 2 Kleinen
auch kennen könnte.... :-)
Viele Grüsse,
Peter
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Danke, Peter für das tolle Kompliment. Dein Thema ist sicherlich nicht weniger interessant. Schreib' doch mal ein wenig mehr über Deine Textilverwerter, die Du so kennst. Wie geht es da zu :?: Schreddern die selber, oder pressen die alles nur zu Ballen zusammen zum Weiterverkauf :?: Wenn Du beim nächsten mal da bist, frag' ihn doch bitte auch mal nach Kinderlederhosen, wie viele er so im Schnitt pro Monat bekommt und was er damit macht. Sind die für ihn auch nur Müll und Schredderware, oder verkauft er die an Second-Hand-Shops weiter :?:
Wolldeckenmuseum
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Re: Anna

Beitrag von Wolldeckenmuseum »

Ich glaube, das Wolldecken Thema ist doch recht speziell. Es gucken sich zwar ne Menge Leute meinen Thread an, schreibt aber keiner was dazu. Sind wir da die einzigen? Da wären wir ja auch nie drauf gekommen, wenn nicht mein Kumpel damals mit den 20 Decken vom Wertstoffhof bei uns vorbeigekommen wäre (das ist der kleine Stapel bei mir im Thread).
Mittlerweile haben wir da jede Menge von, bestimmt so um die 500 Stück. Die meisten sind von Textilverwertern, die die
Decken leider als Müll aussortieren. Die gehen dann ballenweise zu einer Firma in Giengen, die aus Altkleidern (nicht nur Decken)
Fasern für Dämmstoffe für die Autoindustrie herstellen. Dazu kommt alles, was die da stehen haben in den Reisswolf. Und das
ist jede Menge. Ich hatte damals da nur nach den Decken gefragt. Das sind Riesenballen mit 500kg Gewicht, In jedem
diser Ballen sind so etwa 300-400 Stück drin. Leider haben wir von denen aber nix bekommen, da die keine Möglichkeit (oder Lust)
hatten, für die Ballen aufzumachen und einzelne Exemplare rauszunehmen. Das kommt alles, wie es ist in den Shredder.
Nach Kinderlederhosen kann ich auch mal fragen. Der wird sich bestimmt wundern.... :-)
Viele Grüsse und ein schönes Wochenende!
Peter
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Naja, so hat glaub ich jeder seine Vorlieben. Der eine mag dieses, der andere jenes und der nächste wiederum solches. Ihr mögt halt Wolldecken, ich liebe Latzhosen und Nickis (die vermutlich auch meist im Schredder landen), Anna mag ihre Kunstlederhosen und Adidas-Sachen unsere Anoraks sind bekanntlich auch nicht mehr die neuesten.

Und wundere Dich nicht, falls Du zu Deinen Postings nicht gleich Feedback bekommst :!: Lesen ist so viel einfacher, als schreiben. Geht mir genau so. Manchmal schreibe und schreibe ich und das einzige was hoch geht, ist die Zahl der Seitenzugriffe.

Stehst Du denn in Kontakt zu der Firma in Giengen oder hast Du Deine Decken von örtlichen Textilrecyclern bekommen, die diese als Schredderware nach Giengen verkaufen :?:

Mich würde echt mal interessieren, wie die Qualitäten der Sachen noch sind, die geschreddert werden sollen. Da ist doch bestimmt auch noch vieles dabei, was durchaus noch tragbar wäre :?:

Aber frag ruhig mal an, was die mit Kinderlederhosen (auch Kunstleder :!:) machen. Bei der Gelegenheit kannst Du ja auch nach Jeans-Latzhosen und Nicki-Pullis fragen :!: Bin gespannt, ob die auch in Giengen im Reißwolf landen oder ob das direkt als Müll aussortiert wird ... :mrgreen:

Halt mich mal auf dem Laufenden :!:

Liebe Grüße und schönes Wochenende von
AnnasMama
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