Anna

Geile Erlebnisse und Kurzgeschichten.
Jan66
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Re: Anna

Beitrag von Jan66 »

Hallo Leute,

was für eine tolle Geschichte zum richtig "Reinlesen". ;) 8-)

Das scheint eine Frau mal wieder Frau sein zu dürfen. :)

Gruß Jan66
Es lebe das Jagdfieber und der Spieltrieb!
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Was bisher geschah hat geschrieben:
Um den Wiedereinstieg zu erleichtern, eine kurze Zusammenfassung des bisher geschehenen: Angefangen hatte alles vor über zwei Jahren, als Anna eine alte, schwarze Kunstlederjeans von ihrer besten Freundin Marie geschenkt bekommen hatte, die Anna gute zwei Winter lang oft und gerne getragen hatte. Solange, bis sie völlig verkratzt und verschlissen zusammen mit ihre lila Kapuzennicki in den Mülltonne landete, weil Anna sich beides – obwohl schon viel zu klein – immer wieder zum Anziehen vorkramte. Die daraufhin als Trostpflaster von Marie gedachte Latzjeans war inzwischen auch zu klein und daraufhin ebenfalls entsorgt worden.

Für Anna hatte ich inzwischen bei UsedTex neue Latzhosen bekommen – gar nicht so einfach in ihrer Größe: Eine schwarze in Cord, eine ziemlich verwaschene als Jeans – und mit einem passenden Anorak eine dunkelbraune in Kunstleder. Von Marie gab’s fast zeitlich eine alte, völlig abgewetzte dunkelgrüne kurze Glattlederhose mit passenden Hosenträgerchen, in die sich Anna natürlich sofort verliebt hatte. Obwohl die ihr eigentlich schon zu eng war, erlaubte ich ihr, sie anziehen zu dürfen. Ich hatte an Lederhosen keine guten Kindheitserinnerungen und deswegen Leder eine Zeitlang überhaupt nicht gemocht. Und nun entdeckte ich auch Lederhosen wieder für mich selbst.

Ein wenig dazu beigetragen hatte Katrin, die Azubine bei uns im Büro – die unter ihrem Fruit of the Loom Hoodie versteckt eines Tages nach bestandener Führerscheinprüfung mit einer ziemlich abgewetzten antik-braunen Lederlatzjeans bei uns im Büro auftauchte. Inzwischen kommt sie zwar auch des öfternen mit einer knallroten, superengen Lederjeans – aber ich habe die Hoffnung auch noch nicht aufgeben, sie nochmal in der Latzjeans zu sehen. Latzhosen selbst finde ich total geil, hab‘ noch eine, die auch schon viele Jahre auf dem Buckel hat und noch aus Schul- bzw. Studiumszeiten stammt. Aus der gleichen Zeit ist noch mein alter rot/beige/blauer C&A Ski-Anorak und ein paar alte Adidas Sachen aus der Zeit haben auch noch überlebt.

Bei Ikea lernten wir letztens Frankie und seinen Sohn Peter kennen – Peter, etwas jünger als Anna, war ihr aufgrund seiner viel zu kleinen Kniebundlederhose aufgefallen, die er immer anzieht, wenn er das Wochenende bei Papa verbringt. Frankie selbst steht ebenfalls total auf Leder, wir kamen uns letzten auf dem High 5 – einem alten Stahlwerk – wo wir uns getroffen hatten näher, sehr viel näher und ich glaube, wir beide sind so richtig verliebt ineinander …

Anna selbst wurde von Tag zu Tag komplizierter, launischer, zickiger. War sie anfangs froh und glücklich über ihre neuen, gebrauchten Latzhosen und trug sie diese stets gerne zur Schule, gab‘ es immer und mehr Tage, wo sie die nicht mal mehr eines Blickes würdigte. Sprach ich sie drauf an, gab‘ oftmals nur ausweichende Antworten wie „beruhige Dich, Mama, die zieh‘ ich schon bei Gelegenheit nochmal wieder an!“ So, so, bei Gelegenheit also – was immer das auch heißen mag. Mehr und mehr mutierte Anna klamottenmäßig zum Durchschnittsmädchen in ihrer Klasse – Jeans, Sweatshirts, alles das, was gerade in war, musste es nun auch bei Anna sein.

Mit zunehmendem Alter wuchsen halt auch Annas Ansprüche. Gebrauchtes war plötzlich „bäh“, auch wenn sie notgedrungen noch das ein oder andere von den alten Klamotten die sie hatte, anzog. Aber man merkte durchaus, dass es widerwillig war – der Protest kam manchmal durch einen verschämten Blick oder durch ein leises Murren, manchmal aber auch durch ein lautes Schreien: „Den Müll zieh ich nie, nie, nie wieder an – kannste wegschmeißen, Mama!“, was ich zum Glück nie tat, denn spätestens am nächsten Tag fragte sie wieder danach, als wenn nichts gewesen sei. Völlig unkalkulierbar und auch kein Muster erkennbar.

Und so gab es halt dieses emotionalen Nachmittage, wo ich mir den Mund fusselig reden konnte von wegen zieh doch Deine alte Latzjeans zur Gruppenstunde an, da ist doch Deine neue 501er Levis viel zu schade für. Anna hatte mich in den letzten Wochen förmlich weichgekocht, ihr eine von diesen sündhaft teuren Jeans neu zu kaufen, weil die gerade in der Klasse sowas von in waren und jede und jeder diese haben musste – gefühlt jedenfalls, denn ich war mir sicher, dass höchsten zwei oder drei weitere in ihrer Klasse das Glück hatten. Die 501 musste auf jeden Fall auch zur Gruppenstunde angezogen werden, natürlich zusammen mit den neuen Chucks, die sie letztens von Oma geschenkt bekommen hatte. Mir war das natürlich nicht recht, wenn sie halt meint …

Zumindest überlebte die neue Jeans die erste Gruppenstunde, und als Anna nach Hause kam, ging sie in ihr Zimmer, zog die neue Jeans aus, ihre alte Latzjeans an und kam zum Kuscheln ins Wohnzimmer auf die Couch. Anna kuschelte sich ganz fest an mich und ich merkte, dass ihr die Tränen langsam die Wange herunterkullerten. Ich drückte Anna und war froh, dass sie mit ihren Sorgen und Nöten noch zu mir kam. Ist ja in dem Alter auch nicht mehr ganz selbstverständlich. Ich sagte erst mal nichts zu der Situation und wartete darauf, dass Anna etwas sagen würde.

„Du, Mami – sorry für heute Nachmittag, aber ich mag meine Latzhosen nicht mehr zur Schule oder Gruppenstunde anziehen …“ „Wieso das denn?“ wollte ich von ihr wissen. Anna druckste herum und wollte nicht so wirklich mit der Wahrheit rauskommen. „Was ‘n los Schatz? Magst Du nicht erzählen? Ich bin Dir auch nicht böse?“ „Echt nicht?“ fragte Anna neugierig. „Du bist in letzter Zeit grundlos so streng mit mir! Ich hab‘ das Gefühl, ich darf fast gar nichts. Dabei möchte ich doch manchmal nur was anderes anziehen, als immer nur Latzhosen! Du weißt, ich mag die Dinger, aber auf Dauer wird’s dann auch langweilig. Außerdem …“

„Außerdem was?“ wollte ich jetzt natürlich wissen. „Außerdem mag Kevin keine Latzhosen – der findet die kindisch. So hab‘ ich bei ihm nie eine Chance …“. Aha, so läuft der Hase also, dachte ich mir. Meine Anna hat sich in einen der Jungs aus ihrer Klasse verguckt und möchte sich für ihn fein machen. Kommt mir durchaus bekannt vor. „Ach weißt Du, Anna, so sind Jungs halt – die schauen nur auf das Äußere in dem Alter – lassen sich von ‘ner neuen Jeans und neuen Turnschuhen beeindrucken. Und Du willst ihm natürlich auch gefallen, kann ich verstehen!“ „Aber wie würdest Du reagieren, Mama?“

„In Deinem Alter war ich genauso, heute denke ich anders darüber. Heute trage ich das, was mir gefällt und wenn ein Kerl das nicht mag, hat er halt Pech gehabt. Ich hab‘ mit Frankie großes Glück, dass er mich so mag, wie ich bin. Für ihn muss ich mich nicht verstellen oder verkleiden. Wir haben Spaß zusammen, egal ob ich dabei meine kurze Lederhose, meine Latzjeans oder auch mal was ganz was anderes an habe. Aber es hat lange gedauert, bis dass ich das erkannt habe. Von daher kann ich Dich verstehen und ich kann nachvollziehen, wenn Du Deine Latzis ‘ne Zeit lang nicht anziehen möchtest. Sag einfach Bescheid, wenn ich sie mit wegschmeißen soll …“

Anna wurde hellhörig. „Nee Mami, so war das auch nicht gemeint – ich zieh‘ die schon noch an, vor allem Dir zu Liebe. Ich weiß doch, wie sehr Du mich darin magst.“ Und Anna wurde zunehmend kuscheliger, die Tränen waren zum Glück wie weggewischt.

Frankie und Peter kamen in letzter Zeit auch regelmäßig zu Besuch. Zu Frankie hatte sich eine echte Beziehung ergeben, und ich freute mich jedes Mal, wenn er kam. Wir hatten sehr viel Spaß miteinander und auch der Sex klappte so, wie ich ihn mir immer gewünscht hatte. Er hatte die besondere Gabe, auf mich einzugehen, mich dort zu streicheln, wo ich es am liebsten hatte um dann kurz und heftig zur Sache zu kommen und das alles, ohne mir dabei weh zu tun. Die Kinder spielten eh am liebsten draußen in der Zeit, so dass Frankie und ich in Ruhe für uns sein konnten.

Peter tat mir dabei ein wenig Leid, er hatte jedes Mal die inzwischen durchaus zu klein gewordene dunkelgrüne Kniebund-Lederhose an, die ihre besten Zeiten auch optisch bereits lange hinter sich hatte. Sprach ich in einer ruhigen Minute Frankie auf das Thema hin an, meinte der nur „Wieso? Bisschen eng, aber passt doch noch!“ Naja, was man so passen nennt – und ich spürte, dass sie Peter in der zu engen Lederhose nicht mehr wohl fühlte. Auf der anderen Seite hatte ich auch nichts im Fundus, was ihm besser hätte passen können. Ich überlegte, was ich tun könnte, hatte aber – was echt selten ist – noch keine Lösung parat.

Katrin hatte ich auf der Arbeit lange nicht mehr gesehen, erst hatte sie drei Wochen Urlaub, dann ich. Anna und ich hatten uns ein paar Tage Nordseeurlaub erlaubt und waren mit dem Zug dorthin gefahren. Die Hinfahrt war echt strange, wir hatten beide unsere Latzhosen an, sie ihre braune Kunstleder, aber wir hatten beide ständig den Eindruck, dass wir deswegen beobachtet würden. Wir hörten Getuschel und komische Bemerkungen, die aber sofort verflogen waren, als wir im Ferienort eintrafen. Die Vermieterin der Ferienwohnung trug nämlich auch – welch ein Zufall – eine alte verwaschene Latzjeans, die durchaus auch schon ein paar Jahre hinter sich hatte.

Als ich dann Katrin nach dem Urlaub zum ersten Mal wieder im Büro sah, blieb mir fast das Herz stehen …
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Katrin und ich trafen uns in der Kaffeeküche, für uns beide der Weg morgens, wenn wir im Büro ankommen. Sie trug eine nagelneue schwarze Goretex-Motorradhose, die passende Jacke dazu hatte ich schon an der Garderobe hängen gesehen. „Hat Papa mir gekauft – der könnte die ollen Lederhosen nicht mehr sehen. Ich übrigens auch nicht – selbst in der Garage zum Basteln trage ich lieber Jeans! Bin froh, dass die jetzt endlich mit weg können – wenn sie nicht schon weg sind!“ Ich wurde ganz still, als Katrin plötzlich sagte: „Scheiße, Du wolltest die beiden doch für Anna haben, oder?“ Ich bejahte, und Katrin meinte so gut wären die beiden eh nicht mehr gewesen. Sie wolle aber auf jeden Fall nochmal zu Hause schauen. Ihr Papa hätte zwar am Wochenende einiges für den Sperrmüll rausgestellt und der würde heute oder morgen kommen, aber sie sei sich nicht sicher, ob die Lederhosen dabei waren oder nicht.

Ich hatte also wohl mal wieder Pech, bestimmt war der Sperrmüllwagen längst Du die Straße gefahren und hatte den Sperrmüll bereits eingesammelt. Wahrscheinlich waren die Lederhosen in irgendwelchen Kartons und sind von den Müllmännern ohne große Beachtung in die Schüttung der Pressmüllwagens geworfen und von der Hydraulik zusammen mit dem restlichen Sperrmüll bis zur Unkenntlichkeit zerquetscht worden. Oder die Kartons auf dem Sperrmüllhaufen waren zuvor regelrecht zerfleddert worden um zu schauen, was dort drin ist und ob vielleicht noch was Brauchbares dabei sein könnte. Wahrscheinlich haben die dann noch stundenlang im Dreck gelegen, neben den anderen Klamotten, die Katrins Papa bei der Gelegenheit mit entsorgt hatte. Große Hoffnung, die beiden Lederhosen nochmal wiederzusehen, machte ich mir also nicht mehr. Irgendwie war ich auch ein kleines wenig enttäuscht, was sich darin äußerte, dass ich mit Katrin wenig als sonst sprach. Immerhin spürte sie es, ließ sich aber nichts anmerken.

Als ich gegen Mittag Feierabend machte, sagte sie nichts – keinen weiteren Kommentar zu den Lederhosen. Vermutlich war es ihr sogar egal, dass sie jetzt plattgepresst im Müllwagen durch die Stadt zur Verbrennungsanlage gefahren wurden. Sie hatte die ja eh nie leiden mögen und auch nicht verstanden, was ich mit den ollen Dingern für Anna wollte. Sie hätte es bestimmt eh nicht gemocht, dass Anna die dreckigen, abgetragenen Hosen anziehen würde. Dabei war die antik-braune Lederlatzhose doch von Zustand her noch gar nicht so schlimm. Und auch die knallrote Five-Pocket-Lederjeans war noch mehr als nur brauchbar. Ein wenig dreckig von der Werkstattarbeit, aber mit ein wenig Waschschaum und Lederpflege wären sie beide nochmal wieder ansehnlich und tragbar geworden. Traurig und enttäuscht wartete ich auf den Bus.

Ausgerechnet in Kevin hat sich Anna also verguckt. Er geht mit ihr in eine Klasse und gehört zu der Sorte „verwöhntes Einzelkind“. Beide Eltern gehen arbeiten, verdienen gutes Geld – sie Beamtin im Halbtagsjob, er am Flughafen. Das meiste der Kohle wird in Kevin investiert, in Klamotten, Schuhe, Spielzeug. Er hat alles, was man sich als Kind wünscht, aber auch eine sehr strenge Mama, die mit ihrem hyperaktiven Sohnemann meistens nicht klarkommt. In der Schule ist er oft auffällig, macht den Klassenclown und bringt von Mal zu Mal schlechtere Noten mit nach Hause. Zum Glück war das bei Anna noch nicht der Fall. Sie gehörte zwar noch nie zu den Klassenbesten, tummelte sich aber bislang immer im oberen Drittel – womit ich mehr als zufrieden war. Im Vergleich dazu war Kevin regelrecht abgestützt, von Einsen und Zweien in Mathe, Englisch und Deutsch runter in den Vier Minus Bereich.

Die Fünf in Mathe muss jedenfalls für ihn letztens sehr schmerzhaft gewesen sein, jedenfalls sah es so aus, als wenn er von Mama oder Papa (oder beiden) recht ordentlich verprügelt worden sei. Wobei ich manchmal den Eindruck hatte, dass für ihn Schläge und Prügel nichts Ungewöhnliches waren. Ich kannte Kevin und seine Eltern auch schon eine Weile, ohne dass wir größeren Kontakt zueinander hatten. Am Elternsprechtag trafen wir uns regelmäßig, auch von Annas Gruppenstunden kannte ich sie – Mama oder Papa holten ihn dort abends regelmäßig ab und wehe, es wurde mal ein paar Minuten später. Vor meinen Augen geschlagen haben sie ihn nie, aber ich hatte stets ein schlechtes Gewissen ob der Dinge, die sich später zu Hause in den eigenen vier Wänden abspielen würden. Auch gegenüber Anna schwieg er, auch wenn sie spürte, dass mit ihm etwas nicht stimmt.

Wenn Anna aus der Schule nach Hause kam, zog sie sich zunächst erstmal um. Ihre Latzhosen und erst recht die dunkelbraune Kunstleder-Latzhose hatte sie schon lange nicht mehr zur Schule angezogen – Kevin zu Liebe, weil der kleine, freche Kerl ums Verrecken keine Latzhosen mag. „Latzhosen sind für Babys“ war immer seine Devise. Zugegebenermaßen hatte ich ihn auch noch nie in Latzhosen gesehen, obwohl ich ihn mir durchaus darin hätte vorstellen können. Klamottenmäßig war er auch immer ziemlich weit vorne, trug er zu Anfang noch praktische und preiswerte kindgerechte Kleidung, waren es zunehmend neue, teure Markenjeans und entsprechend coole, auch nicht gerade billige T-Shirts und Pullis mit den jeweiligen Emblemen.

Ab und zu gab‘ jedenfalls auch mal Tage, da zog er noch seinen roten Kapuzennicki zur Schule an – einen, wie Anna ihn seinerzeit zur ersten, schwarzen Kunstlederjeans getragen hatte. Nur ein, zwei Nummern größer. Anna möchte ihn so am liebsten, traute sich aber meist nichts zu sagen, weil sie Angst hatte, er findet den möglicherweise blöd und muss ihn nur gezwungenermaßen anziehen. Jedenfalls schwärmte mit Anna jedes Mal was davon vor, wenn er wieder so zur Schule kam. Ich sagte „Sprech‘ Kevin doch ruhig mal auf den Nicki an, wenn er Dir so sehr gefällt!“ – „Ach, Mami, ich weiß nicht – aber vielleicht hast Du ja recht …“

„Und – hast Du inzwischen Kevin mal drauf angesprochen?“ Anna wurde verlegen, druckste herum, so als genierte sie sich ein wenig. „Mhüm“ nickte Anna kurz ab. „Wie jetzt?“ – „Ja, hab‘ ich – er hatte ihn gestern und heute seit langem Mal wieder zur Schule an. Er sieht doch so süß darin aus, Mama, das kannst Du Dir gar nicht vorstellen!“ Ja, konnte ich irgendwie schon, zumal ich ihn vor einiger Zeit mal selbst darin gesehen hatte. „Als ich ihn drauf ansprach, wurde er ganz verlegen – der sei ja schon was älter, hätte er mal von seiner Oma geschenkt bekommen, aus dem Urlaub mitgebracht und sei eigentlich immer noch sein Lieblingspulli – auch wenn er ihn kaum noch anziehen dürfe. Was willst Du denn noch mit dem ollen Pulli, meinte seine Mami immer – wenn er ihn mal wieder anziehen wollte. Meist hätte sie ihn dann zu was anderes überredet, oftmals auch mit harten Worten wie „wenn Du noch mal danach fragst, schmeiß ich den mit weg“, aber manchmal gab es auch die Tage, wo Mama ihm den einfach wortlos hingelegt hätte. Zwar immer mit kritischem Blick, ob er denn auch noch passen würde, aber dann durfte er ihn auch wieder für zwei, drei Tage zur Schule und zu den Gruppenstunden anziehen.“

„Nah siehste, geht doch“ sagte ich stolz zu Anna. „Hoffentlich hat er noch ein wenig Spaß mit dem Teil!“ – „Ich fürchte eher nicht“ erwiderte Anna „Der ist echt schon reichlich knapp – wenn nicht sogar zu knapp!“ – „Och, das wäre aber schade!“ „Ja, finde ich auch – mir würde er bestimmt auch nicht mehr passen, aber für Peter wäre der cool!“ „Gute Idee, aber sprech ihm mal noch nicht darauf an …“ „Ist ok, Mama, mach ich! Übrigens, Kevin kommt heute Nachmittag zu uns, wir wollen ein wenig für die nächste Mathearbeit üben, damit die nicht wieder in die Hose geht …“

„Dann lass aber ruhig mal Deine alte Latzjeans für heute an – will mal sehen, was Kevin wirklich dazu sagt. Vielleicht ist das mit den Latzhosen ja doch nicht so schlimm, wie Du immer befürchtet hast …“ „Mmmh, Mami, meinst Du wirklich?“ „Warum nicht – zu Hause ist Freizeit, und nicht Schule. Ich kann ja verstehen, wenn Du sie zur Schule nicht mehr anziehen möchtest, aber immer nur auf Kevin Rücksicht nehmen geht ja auch nicht. Und die guten Klamotten in der Freizeit aufschlurren, kann sich Kevin vielleicht erlauben, die Eltern verdienen ja beide mehr als gut. Ich kann Dir nicht jeden Monat ‘ne neue Markenjeans kaufen, weil Du wieder welche kaputt gemacht hast. Und ich wette mit Dir, Kevin würde dafür auch Ärger bekommen …“

Es war ein ungewöhnlich warmer Nachmittag und gegen halb drei klingelte es an der Tür. Wie zu erwarten war es Kevin. Anna stürmte förmlich zur Tür und staunte nicht schlecht, als sie Kevin sah: „Wie geil siehst Du denn aus?“ Kevin wurde rot wie sein Kapuzennicki, den er gestern und heute zur Schule an hatte und in dem er nun vor der Tür stand. „Seit wann hast Du denn auch noch ‘ne kurze Glattlederhose?“ Kevin war überrascht, offenbar hatte er von Anna eine andere Reaktion erwartet. „Die, die, die hab‘ ich schon seit dem Kindergarten ...“ So sah die auch aus – hauteng, die Hosenträgerchen angeknabbert, im letzten Loch und straff gespannt. Vom Zustand her genauso zerschlissen und abgewetzt wie meine bzw. die von Anna. Zum Glück fiel Anna nicht gleich mit der Tür ins Haus, von wegen „so eine haben Mama und ich auch noch!“ Sie hielt zum Glück diesbezüglich die Klappe.

„Und Du trägst echt noch freiwillig Latzhosen?“ fragte Kevin neugierig. „Na klar! Sind doch voll bequem und total kuschelig!“ Kevin stutzte „Nee, sind nicht für mich – wobei, Dir stehen die total gut – bei Lena sahen die immer total schlabberig aus und nicht so knackig eng, wie bei Dir! Eng mag ich total gerne – das juckt immer so schön, aber Mama hasst das. Alles, was auch nur im Ansatz zu eng sein könnte, ist schneller aussortiert und weggeschmissen, als ich gucken kann!“

„Dann hast Du ja bei der Lederhose echt Glück, dass Du die noch anziehen darfst!“ „Ja, wenn’s nach Mama ginge, wäre die auch schon längst mit weg, die hab‘ ich heute Papa zu verdanken, der meinte die wäre die gerechte Strafe für mich, weil ich letztens beim Fußballspielen draußen meine nagelneuen Adidas Sprintershorts gefetzt hatte. Von Mama gab‘ dafür den Arsch voll, und Papa meinte nur ganz trocken: Dann muss er halt eben wieder seine alte Lederhose anziehen, die geht wenigstens nicht so schnell kaputt – und schon war Mama überstimmt! Kommst Du nachher mit zum Kicken?“

Ich zwinkerte Anna zu und sie verstand mich zum Glück, ohne dass ich ein Wort sagen musste. „Aber erstmal machen wir Mathe zusammen!“ „Ok, wenn’s denn sein muss“, grummelte Kevin leise vor sich hin …
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

„Du Mami, was ist onanieren?“ fragte Anna ein paar Tage später, als wir gemütlich auf der Couch kuschelten.

Da Kevin seinen nagelneuen Adidas Glanzshorts beim ersten Fußballspielen draußen direkt völlig zerfetzt hatte, musste er zur Strafe eine ganze Woche lang seine alte, eigentlich schon viel zu enge und knappe kurze Glattlederhose für zu Hause und in der Freizeit anziehen. Also nach der Schule die gute, neue Markenjeans ausziehen, rein in die Lederbuxe und erst mal ‘ne Runde auf Bett, sich von den Strapazen der Schule erholen. So ging es schon seit ein paar Tagen. Obwohl eigentlich als Strafe gedacht, konnte Kevin es kaum erwarten nach Hause zu kommen und die enge Lederhose anzuziehen. Am liebsten hätte er sie sogar zur Schule angezogen, doch das durfte er nicht. Und da war dieses Kribbeln, was er schon seit ein paar Jahren zwischendurch immer wieder mal fühlte, als er die Lederhose tragen durfte – oder musste, weil bislang war es für ihn immer mehr ein müssen.

In den letzten Tagen war dieses Kribbeln besonders intensiv und es ging einher damit, dass sich sein Glied – was er bis dahin immer nur zum Pipi machen benutzte, wohl irgendwie mit dem Kribbeln zusammen hing. Er lag still und ruhig auf dem Bauch, und er hatte eigentlich nur einen Gedanken: Werde ich auch morgen nach der Schule wieder meine Lederhose anziehen und dieses coole, nein geile Gefühl haben dürfen? Er kannte ja seine Mami nur allzu gut – es wäre ja nicht das erste Mal, dass er nach der Schule nach Hause gekommen wäre, und seinen Kleiderschrank leergeplündert vorgefunden hätte. Regelmäßig verschwanden bei solchen Aktionen Sachen, die zwar fast immer knapp – aber durchaus noch tragbar waren. Oft genug aber auch solche, die zum Ende der Sommers bzw. Winters noch richtig gut passten und die er gerne im darauffolgenden Jahr noch wieder angezogen hätte.

Das Glück, Anziehsachen auch mal eine zweite, oder gar dritte Saison anziehen zu dürfen gab’s fast immer nur bei denen, die er von Oma geschenkt bekommen hatte. Oma hätte das als groben Undank angesehen, wenn Mami noch passende Sachen davon abgegeben hätte. Das war wohl auch der Grund dafür, dass der Kapuzennicki bislang noch nicht die Reise in Jenseits angetreten hatte. Oder hatte er es mittlerweile doch – Kevin wusste es nicht so genau, denn im Zimmer und Kleiderschrank lag er jedenfalls nicht. Bestimmt ist der in der Wäsche! Mami zu fragen, hatte übrigens auch keinen Zweck – entweder fing er sich sofort eine, weil er sich wieder mal wagte, nach alten Klamotten zu fragen oder es kam die kurze und knappe Antwort: „Iss wech!“. Womit sich weiteres Nachfragen dann auch erledigt hatte, denn das wurde stets mit einem Klatsch auf die linke Backe beantwortet.

Somit streiften Kevins Gedanken nicht nur die Lederhose, sondern auch den roten Kapuzennicki, den er noch aus der Grundschule mit rübergerettet hatte. Damals viel zu groß, letztes Jahr gut passend und heuer ein wenig knapp, aber aus seiner und Omas Sicht durchaus noch ok. Und bislang gab’s von Mami auch noch keine Androhungen oder Ankündigungen, wobei es die in der Vergangenheit nur recht selten gab. Der Zettel für die nächste Altkleidersammlung, der immer eine Woche vorher „drohend“ an der Küchenpinnwand hing, war der einzige Indikator dafür, dass wieder übles drohte. Aber einen solchen Zettel hatte er zum Glück noch nicht wieder gesehen.

Wie Altkleidersammlungen funktionieren, kannte er aus dem Fernsehen. Schon früh – Kevin war wohl noch im Kindergarten – lief ein Bericht darüber in der „Sendung mit der Maus“! Er war damals schon wütend und traurig darüber, wie grob dort mit den Sachen umgegangen wurde. Es wurde zwar aussortiert, aber das meiste wurde zunächst zu Würfeln gepresst um dann woanders im Reißwolf geschreddert zu werden. Diese paar Sekunden Film wurden damals zur Ewigkeit, sie brannten sich tief ein und führten dazu, dass dieses Kribbeln, was er beim Tragen der Lederhose verspürte, beim Gedanken an den Film und den Reißwolf sich entsprechend verstärkten. Und es kam ihm ein zweiter Film wieder in den Sinn, auch aus der Maus, die Müllwerker – die in Köln durch die Straßen zogen, dabei ihr Liedchen sangen und allerlei Krimskrams im Müllwagen verschwand – darunter auch eine alte, kurze Lederhose.

„Guck mal Mami, da wirft jemand ‘ne Lederhose auf den Müll! Die ist doch noch gut!“ rief er damals und Mami antwortete ohne zu zögern: „Da gehört Deine auch bald hin!“ Keine Woche später war seine Kindergartenlederhose, die er von klein auf jeden Sommer von Ostern bis Herbst täglich getragen hatte durch die ersetzt worden, die er nun auf dem Bauch liegend auf dem Bett an hatte. Die einzelnen Mosaiksteine der letzten Tage ergaben so langsam ein Bild in seinem Kopf und er begriff, was damals passiert war: Natürlich hatte Mami ihm nie verraten, was aus der alten Lederhose geworden war, er hatte sich zwar noch gewagt zu fragen, aber die Antwort nichtssagend, dafür schmerzhaft.

Eigentlich hatte er diesen Tag fast verdrängt, aber mit dem Kribbeln und den Gedanken an Altkleider und Müllabfuhr war auf einmal wieder alles präsent: Seine Lederhose war eben nicht – wie manch andere Dinge, die er später bei der Tochter von Mamis bester Freundin wiedersah, sie war auch nicht im Altkleidersack gelandet, wo vielleicht noch ein Funke Hoffnung bestanden hätte, dass sie jemand aussortierte, nein sie kann eigentlich nur im Müll gelandet sein.

Kevin fühlte sich mies und schuldig an seiner ersten Lederhose. Hätte ich doch bloß damals nichts gesagt, Mami nicht den „entscheidenden“ Tipp gegeben, dann wäre, ja was denn? Sein Glied wurde steifer, die Erregung nahm zu und er spürte Genugtuung, weil er hatte ja seine Glattlederhose – und auf die würde er natürlich besser aufpassen, die würde er nicht mehr hergeben für Müll oder Altkleider, wenn Mami ihn bitten würde, dann höchstens zum Verschenken, aber nein, am liebsten würde er sie behalten wollen – bloß nicht rauswachsen, obwohl er das schon fast war.

Er träumte seine Gedanken zu ende, ihm gingen tausend Bilder – und längst keine Mosaiksteine mehr durch den Kopf: Seine Lederhose oben auf in der Mülltonne, dann durchschimmernd im Altkleidersack, in den Fingern der Sortiererin und auf dem Förderband zum Reißwolf. Stopp! Wo ist der Nicki? Die Lederhose hatte er noch an, aber plötzlich die gleichen Bilder im Kopf, nur diesmal mit dem Nicki. Müll, Altkleider, verschenkt – sein Kopfkino führ Achterbahn. Nein, tröstete er sich – das würde Mami nie machen, der bekommt bestimmt noch eine zweite Chance bei Saskia? Oder doch nicht, scheiße, er bekam Angst.

Kevin rutschte inzwischen kräftig auf seiner Matratze hin und her, sein Bett quietschte dabei unbemerkt. Ein paar Mal noch hin und her, dann war der Zauber vorüber, er spürte, dass seine Unterhose feucht geworden war, es war kein Urin, es war etwas anderes, was er bislang noch nicht kannte. Was es war, war ihm zu diesem Zeitpunkt noch völlig unklar.

Er war noch nicht lange weggenickt, da erschien auch schon schreiend Mama im Kinderzimmer: „Hab‘ ich’s mir doch gedacht – hab‘ ich Dich kleines Miststück endlich beim Onanieren erwischt! Hätte ich mir ja auch denken können, dass Du die Lederhose dafür missbrauchst! Warst ja ganz jeck auf das Teil in den letzten Tagen!“ Und schon klatschten Mamis Hände auf dem Lederhosenpopo – und Mamis Hände konnten verdammt feste draufhauen. Das hatte er ja schließlich schon mehr als einmal erlebt. „Und die Lederhose ziehst Du sofort aus! Gib‘ sie her, sonst geht’s im Gesicht gleich weiter. Eins sag ich Dir, von Papa wirst Du heute Abend auch noch was zu hören bekommen!“

So hatte Kevin sich sein erstes Mal sicher nicht vorgestellt, ihm war auch überhaupt nicht bewusst, was er verbockt hatte und wofür er sich gerade den heftigsten Arschvoll seines Lebens eingehandelt hatte. Er blieb hart, traute sich nicht zu weinen, denn das hätte unweigerlich die Fortsetzung von Mamis Schlägen zu Folge gehabt. „Männer weinen nicht“, „Solange Du die Fuße unter unseren Tisch stellst“ und „der wächst mir eines Tages zwar mal über den Kopf, aber nicht über die Hand“ waren Sprüche, die er mehr als einmal im Leben gehört hatte.

„Du bleibst im Zimmer, bis ich Dich rufe oder bis Papa kommt!“ ermahnte in Mami, griff sich die Lederhose, die Kevin zwangsläufig ausgezogen hatte und dackelte damit ab. Das Warten auf Papa wurde heute für Kevin zur halben Ewigkeit – verbunden mit der durchaus berechtigten Angst von ihm nochmal eine ebensolche Packung verpasst zu bekommen. Er erwartete förmlich ein Tribunal, nur was verbrochen hatte, konnte er immer noch nicht verstehen. Er verstand ja noch nicht einmal, dass er gerade dabei war, sich und seinen Körper selbst zu entdecken. Er verstand die Welt nicht mehr.

Endlich klingelte es an der Türe, es war Papa. Mami rief Kevin in die Küche, es sollte also gleich losgehen, der Tragödie zweiter Teil. Als Papa Kevin sah wurde er knurrig: „Wieso läufst Du in Glanzshorts rum und nicht in Lederhose? Die Woche Strafe ist doch lange noch nicht rum! Wo ist die überhaupt?“ „Auf’m Müll – da wo sie auch hin gehört!“ schrie Mami und zeigte auf den großen Tretmülleimer, wo sie zusammengeknubbelt auf dem Deckel lag. „Stell Dir vor, ich hab‘ Kevin heute darin beim Wichsen erwischt, der hat doch glatt das olle Ding zum Onanieren missbraucht! Wenn wir nicht aufpassen, wird der uns noch voll zum Fetischisten! Wer weiß, was dann als nächstes kommt! Von mir hat er den Arsch schon dafür voll bekommen, nu bist Du dran!“

„Ja und“ meinte Papa ganz trocken, „er ist halt in dem Alter – ist doch völlig normal und nichts Ungewöhnliches. Er entdeckt sich halt gerade selber, ist das so schlimm? Und waren wir früher anders – nein nicht wirklich. Ich bin ja oft Mamis Meinung, aber diesmal find ich das nicht ok!“ Ups, Papa war Mama also in den Rücken gefallen, auch zum ersten Mal im Leben. „Los, zieh Deine Lederhose wieder an, sonst gibt’s von mir Dresche, weil Du unerlaubt in Turnhosen rumläufst! Und beim nächsten Mal wichs etwas leiser, dann erwischt Mami Dich auch nicht!“


Anna brachte mich etwas in Verlegenheit mit ihrer Frage. Grundsätzlich wusste sie schon alles über Sex, wir hatten recht früh damit angefangen, auch über dieses Thema zu sprechen. Tabus gab’s bei uns keine, Anna und ich konnten immer über alles reden. Aber diese Frage hatte mich doch etwas überrascht. „Schlagen dafür geht überhaupt nicht!“ tröstete ich Anna, wohlwissend, dass mir früher hin und wieder auch mal bei ihr die Hand ausgerutscht war. Aber so richtig verprügelt hatte ich sie nie – und würde ich auch nie tun, dafür ist Anna mir viel zu wertvoll. Ich erklärte ihr alles weitere und sie verstand dass Kevin nichts Schlimmes gemacht hatte. „In dem Alter entdeckt man halt seinen Körper, wird Dir auch nicht anders ergehen.“ Anna nickte mehr als nur zustimmend, und mir wurde langsam klar, warum aus dem Badezimmer immer mehr Tampons verschwanden.
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Die nächsten Tage zog Kevin nach der Schule regelmäßig seine viel zu enge Lederhose an, wo er sich schon den ganzen Morgen drauf gefreut hatte. Er legte sich auf’s Bett und fing wieder an zu träumen, immer noch mit einem schlechten Gewissen und trotz Papas aufmunternder Worte nicht wirklich wissend, was in ihm vorging. Er spürte die Erregung beim Tragen seiner Lederhose, aber irgendwie spürte er diese auch, wenn er Anna beim Fußball spielen in ihrer alten, abgewetzten Lederhose sah. Anna liebte Kevins Lederhose genauso, aber sie zeigte es nicht. Für sie war das Tragen einer Lederhose was ganz normales, sie trug sie gerne, sie liebte sich genauso, aber offenbar ohne jegliche sexuelle Erregung darin zu spüren. Offenbar ein kleiner feiner Unterschied zwischen Mädels und Jungs in dem Alter.

Kevins roter Kapuzennicki war immer noch nicht wieder aufgetaucht. Irgendwann nach dem Fußball spielen, als seine Eltern noch einkaufen waren, hatte er sich zusammen mit Anna zu Hause auf die Suche danach gemacht. Doch Fehlanzeige – weder im Waschkeller bei der schmutzigen Wäsche noch sonst irgendwo war er aufzufinden. Selbst in Mamas Schrank – wo er verbotenerweise reinschaute und er aussortierte Sachen von sich für Saskia vermutete, war nichts außer einem leeren Regalfach. Der Altkleidersack im Keller war leer (jedenfalls lag nichts von ihm darin), auf Papas Putzlappenpacken, den er zum Auto sauber machen und basteln hatte, lag auch nichts. Die Mülltonnen waren gestern geleert worden, Saskias Mama war von ein paar Tagen zwar zu Besuch, er hatte aber nicht beobachten können, ob sie mit einer Tüte Zeug für Saskia nach Hause gegangen war. Das Teil war also wie vom Erdboden verschluckt. Oma und Opa waren vor ein paar Tagen in den Urlaub nach Polen gefahren, da konnte er beobachten, dass Opa einen großen blauen Müllsack in den Kofferraum packte, aber Mami meinte „Brauchst gar nicht so zu gucken, ist eh‘ nicht von Dir dabei …“.

Somit ging Kevin beim Onanieren auch der Nicki nicht aus dem Kopf. Insgeheim rechnete er mit dem Schlimmsten: Tonne auf, Nicki rein, Tonne zu, Nicki im Müll. Vielleicht hatte Oma ja sogar ihr ok dazu gegeben, weil sie beim letzten Mal wo sie sich gesehen hatten, so eine Bemerkung gemacht hatte von wegen: „Kannst ihm ruhig demnächst den Adidas Hoodie anziehen, der Nicki ist ja doch schon was knapp …“. Oma also, sie mochte den Nicki, hatte aber letztens Kevin schon einen roten Adidas Hoodie als Ersatz mitgebracht – den fand sie auch altersgerechter. Oder er war doch irgendwie in die Altkleidersammlung geraten – gab‘ ja nicht nur die regelmäßigen Straßensammlungen der Kirchengemeinde alle drei Monate, sondern auch die entsprechenden Container, wo man auch zwischendurch mal die ein oder andere, kleine Tüte drin verschwinden lassen konnte.

Bei der Altkleidersammlung machte Kevin sich durchaus Hoffnungen für seinen Kapuzennicki – hatte er ihn doch stets pfleglich behandelt und aufgepasst, dass er ihn nicht mit Kuli oder Füller vollschmiert, oder ihn beim Fußball spielen ein kleines Loch reinreißt. Und verwaschen war er auch nicht wirklich, obwohl er ihn letzten Winter doch fast immer ein oder zweimal pro Woche angezogen hatte. Auf der anderen Seite war ihm auch klar, dass wenn die Sortiererin einen schlechten Tag hatte, der Nicki ganz schnell zur Reißwolfware werden könnte. Es brauchte ja nur bei der Altkleidersammlung die Tüte losgehen und irgendein Depp tritt drauf – man weiß ja, dass die dort nicht gerade pfleglich mit den Sachen umgehen. Und irgendwann hatte er auch mal gehört, dass alles, was lose ankommt, er nur noch geschreddert wird – der Gedanke daran brachte ihn zur Ektase.

Er nickte ein, wachte kurze Zeit später wieder auf ohne weiter an den Nicki zu denken. Er machte Hausaufgaben, ging danach wie fast jeden Tag raus zum Fußball spielen, schellte bei Anna und freute sich, wenn auch sie ihre kurze Lederhose an hatte, was meistens der Fall war. Wohlwissend, dass beide Lederhosen demnächst das zeitliche segnen würden, gingen sie entsprechend grob damit um: Die rote Asche des Fußballplatzes hinterließ noch einmal deutliche Spuren am Gesäß der Hosen, zumal wenn sich beide gegenseitig über den Platz zogen. Anna und Kevin waren übrigens die einzigen beiden, die noch ‘ne Lederhose trugen. Alle anderen hatten entweder Jeans-Shorts oder kurze Adidas Hosen an, wobei die klassischen Sprintershorts dominierten.

Jedoch waren die Lederhosen erstaunlicherweise gut akzeptiert, es gab jedenfalls kein Mobbing oder blöde Sprüche deswegen. Manchmal konnte man den Eindruck haben, dass sich das ein oder Kind selber hätte gut vorstellen können, zum Fußball spielen in Lederhose zu erscheinen. Aber Anna oder Kevin drauf anzusprechen, trauten sich hingegen niemand.

Zum Büro trug ich wieder regelmäßig meine alte Latzhose und den schwarzen Kapuzennicki, der in der Altkleidertüte von meiner Freundin dabei war. Katrin erschien nur noch in ihren neuen Goretex-Klamotten, die sie nur immer zum Moped fahren trug. Da ich mir keine Hoffnung mehr machte, ihre Lederhosen noch mal wiederzusehen, geschweige denn irgendwann mal für Anna abgreifen zu können, vermied ich auch, sie darauf hin anzusprechen. In der Kaffeeküche sagte sie eines Morgens dann zu mir: „Du, ich hab‘ Dich nicht vergessen – ich hab‘ Papa mal gefragt, der meinte er wüsste nicht, wo die Lederhosen wären und ob er die beim Sperrmüll mit entsorgt hätte. Ich solle doch mal Mama fragen, die hätte schließlich die beiden Müllsäcke mit Anziehsachen dazugestellt. Er hätte zwar alles rausgetragen, aber ihm wäre nichts aufgefallen. Und wenn, wäre das ja auch nicht schlimm, die Lederhosen hätte ja eh niemand anderes mehr anziehen können, meinte er. Ich muss die Tage mal Mama drauf ansprechen, was da alles im Müllsack war, aber die fühlt sich immer so genervt, wenn ich nach alten Klamotten frage. Dann kommt immer schnell die Antwort, Du hast doch noch genug zum Anziehen und letztens erst wieder was Neues bekommen …“

So, so, Katrins Mami war also auch so ähnlich drauf wie die von Kevin. Aussortieren, wegschmeißen, aber bloß nicht sagen, was weg ist und wo es hingegangen ist. Nee, da bin ich doch anders – ich hab‘ zwar auch schon vieles von Annas Sachen zwischendurch weggeschmissen, aber ich habe ihr – zumindest auf Nachfragen, oftmals aber auch einfach nur so gesagt, was wo hingegangen ist. Wobei es Anna eine ganze Zeit lang völlig egal war, ob ich ihren Schrank geplündert und mal wieder aussortiert hatte, solang wieder was Neues zum Anziehen drin lag oder es sogar das ein oder andere Wunschteil neu gab, was das Alte schnell vergessen. So richtig angefangen an Klamotten zu hängen kam erst damit auf, wenn sie Sachen von Marie mitgebracht hatte. Mit denen identifizierte sie sich immer mehr als mit den Sachen, die sie von mir bekommen hatte.

Schön, dass Katrin doch noch mal an die Lederhosen gedacht hatte und mir den Stand der Dinge erzählte. Auch wenn das Ergebnis durchaus noch nicht befriedigend war, so hatte ich dennoch wieder kurz Hoffnung, dass die Lederhosen vielleicht doch noch nicht im Sperrmüll verschwunden waren. Und vielleicht kommt ja von Katrins Mami doch noch mal ‘ne Antwort, auch wenn es möglicherweise keine gute ist. Katrin jedenfalls meinte: „Selbst wenn die noch da sind, muss ich erst mal Mama fragen, ob ich die überhaupt abgeben darf. Sind ja schließlich ihre gewesen, die ich nur anziehen durfte. Wer was, was sie damit vorhat! Ich zieh die jedenfalls nicht mehr an …“

Also abwarten und Kaffee trinken und den Gedanken verdrängen, dass sie lieblos im Sperrmüll zusammengepresst und anschließend in der MVA verbrannt worden sind. Vielleicht habe ich ja eines Tages noch Glück und sie bringt die irgendwann mal wieder mit ins Büro. Für Peter hatte ich jedenfalls mehr Glück, als ich letztens noch mal bei UsedTex war und mir den Korb Lederhosen vornahm, der zum Schreddern anstand. Die Sortiererin dort sah mich an, und meinte „Anweisung vom Chef – ich kann‘ es auch nicht verstehen, aber der sagte letztens alles an Lederhosen, Zustand egal, ab in den Reißwolf. Musst Du mal schauen, ich weiß ja nicht was Du suchst, aber da ich mir schon dachte, dass Du die Woche über noch mal kommst, habe ich das immer wieder vor mir hergeschoben. Aber heute Nachmittag sind die dran – dann kommen die alle in den Reißwolf, egal wie die aussehen! Ich mag‘s auch nicht, ich muss mich echt überwinden, da waren so schöne Sachen bei, aber die will offenbar niemand mehr. Also schade drum …“

Somit machte ich mich auf die Suche – und fand doch tatsächlich eine nagelneue, glatte Kniebundlederhose mit passenden Hosenträgern zwischen den Ledersachen. Für Anna oder Kevin wäre die sicherlich schon zu klein, aber von der Größe her schätzte ich sie für Peter genau richtig – vermutlich eher zu groß als zu klein. Beim Blick in die Hosentaschen fiel mir ein kleines Zettelchen auf, da war sogar noch der Kassenbon vorhanden auf dem Kaufdatum und Preis deutlich zu sehen waren. Vor Jahren gekauft, der Preis ungewöhnlich niedrig, muss wohl ein Schlussverkaufsschnäppchen gewesen sein.

„Und die hättest Du echt geschreddert?“ sagte ich zu der Sortiererin. „Ja, die war mir auch gleich aufgefallen, so neu wie die war, aber was soll ich denn sonst machen? Anweisung vom Chef ist Anweisung vom Chef – und der versteht da keinen Spaß! Die Sache ist doch die, sowas kauft niemand mehr – früher hatten wir die Dinger wochenlang vorne mit dabei, meinst Du, die hätte jemand auch nur mal anprobiert. Und egal ob neu oder gebraucht, keinerlei Interesse. Bin ja lang genug dabei, wobei verstehen kann ich das auch nicht – ich hab‘ meinen Kinder die immer oft und gerne angezogen, auch wenn die meistens lieber was anderes getragen hätten. Meine Enkelkinder würden mich auslachen, wenn ich denen mit ‘ner Lederbuxe komme – die tragen doch alle nur noch so’n neumodisches Zeugs, was Du nach zweimal waschen himmeln kannst. Diese Billigklamotten gehen meist schon bei uns in den Schredder, wenn es sie noch im Laden zu kaufen gibt. Ist echt schnelllebig geworden, unsere Zeit …“

Ich wühlte mich noch weiter durch den Haufen mit den Ledersachen, vielleicht sind ja Katrins beide Lederhosen auch inzwischen mal hier gelandet. „Sag‘ mal, hattest Du in letzter Zeit mal ‘ne knallrote Five-Pocket-Lederjeans dabei? Oder so ‘ne antik-braune Lederlatzhose? So in den letzten ein, zwei Wochen?“ fragte ich neugierig. „Nee, kann ich mich nicht dran erinnern, und wenn wären die auch unmittelbar im Schredder gelandet. Selbst für Erwachsene ist die Nachfrage nach Lederhosen gleich Null! Ich war aber auch nicht jeden Tag hier – kann sein, dass eine der Kolleginnen in letzter Zeit mal Leder geschreddert hat, obwohl das Überlassen die meist mir …“

Also Fehlanzeige, was Katrins Lederhosen anging, auch Fehlanzeige für was Passendes für mich, Anna oder Kevin (ihm hätte ich gerne auch eine passendere geschenkt) – aber immerhin ‘ne nagelneue für Peter – und die auch noch für ‘ne Kaffeekassenspende. Ich war begeistert, bummelte noch ein wenig durch den Laden, fand aber weiter nichts. Glücklich über die Lederhose für Peter fuhr ich wieder nach Hause. Mal gespannt, was er dazu sagen wird.
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Am nächsten Wochenende waren wir bei Frankie und Peter eingeladen. Frankie hatte ein wenig Geld zusammengespart und für Peter bei Ikea ein neues Kinderzimmer ausgesucht. Nichts dolles, ein Bett, einen Kleiderschrank und einen Schreibtisch in hellem Kiefernholz zusammen als Sonderangebot. Dazu einen passenden Bürostuhl. Frankie wollte zusammen mit den Kindern die Möbel ab- und aufbauen und ich, so meinte er, ich könnte doch bei der Gelegenheit mal Peters Kleiderschrank und Spielzeugkiste aussortieren. Ich solle doch direkt mal ein paar Müllsäcke mitbringen, da könnte bestimmt einiges von weg. Und er hätte immer Schwierigkeiten, was von Peters Sachen zu entsorgen, der Kleine würde da nie ordentlich bei mit machen und am Ende des Tages kämen sie nicht wirklich weiter. Bei der Gelegenheit hätte er auch schon den Sperrmülltermin vereinbart, die kommen am Montag und dann geht der ganze Müll mit in die Presse.

Gesagt, getan – ich hatte zu der nagelneuen Kniebundlederhose noch einen frechen orangenen Kapuzenpulli besorgt mit tollem Motivaufdruck besorgt, der passte wunderbar zu der Lederhose und somit wirkte das auch nicht mehr so altmodisch. Peter konnte ja seine alte Lederhose nicht mehr leiden und hoffte wohl insgeheim darauf, dass er diese bei der Sperrmüllaktion mit unterjubeln könnte. Frankie hatte ihm wohl ein Zeichen gegeben, so nach dem Motto: Wenn Du ordentlich mit machst, darfst Du die am Montag mit wegschmeißen. Anna hatte Kevin mitgebracht, er wollte unbedingt mithelfen. Und da für Anna Peter doch eher der kleine Bruder als der erste Freund war, war er auch überhaupt nicht eifersüchtig.

Frankie gab‘ mir den klaren Wunsch mit auf den Weg, macht Euch erst mal über den Kleiderschrank her. „Und alles, was nicht mehr passt – einfach in den Müllsack und weg damit. Da hat sich so vieles über die Jahre hinweg angesammelt, was schon lange nicht mehr passt – und Peter hat die dumme Angewohnheit erst mal die Sachen zu greifen, die schon zu klein sind. Bis wir was gefunden haben, was noch geht, haben wir in letzter Zeit bestimmt zwei, drei Sachen durchprobiert. Und ehrlich gesagt, was richtig Schönes ist echt nicht mehr dabei. Ich glaub, ich muss mal mit ihm ein paar neue Anziehsachen kaufen, die dann hier bleiben und nicht mit zu seiner Mami gehen. Denn die schmeißt die Sachen dann auch nur mit weg und schickt ihn beim nächsten Mal wieder in den ältesten Sachen zu mir.“

Ich schnappte mir also Peter und verschwand mit ihm ins Kinderzimmer, während Anna, Kevin und Frankie die bei Ikea reservierten Kinderzimmermöbel abholten. Frankie hatte sich extra dafür einen kleinen LKW geliehen, da sie nicht in sein Auto passten. Während sie also bei Ikea waren, versuchte ich mit Peter zusammen den Kleiderschrank zu entmisten, aber zum einen traf mich der Schlag, als ich die Schranktüren öffnete und zum anderen machte Peter trotz Aussicht auf neue Möbel einen unmotivierten Eindruck. „Aussortieren mag ich nicht – genauso wenig wie aufräumen!“ Das sah ich, denn wir mussten uns durch Berge alten und kaputten Spielzeugs den Weg zum Schrank suchen.

„Spielst Du eigentlich noch mit den Sachen?“ fragte ich neugierig. Fast nur noch mit Lego und Playmobil, sagte er traurig. Und mit den Spielzeugautos, aber alles andere … Auf dem Boden lag jegliche Art Spielzeugs für Klein- und Kindergartenkinder, nicht jedoch für welche, die schon im fortgeschrittenen Grundschulalter waren. Ich holte den ersten, großen Müllsack und wir fingen an, das Spielzeug auszumisten. „Wenn Du ordentlich mit machst, habe ich später auch ‘ne tolle Überraschung für Dich, Peter!“ „Oh, was denn?“ „Das wird noch nicht verraten …“

Und so füllte sich der Müllsack mit altem Spielzeug aus Kindergartenzeiten, alles völlig verbraucht, dreckig, eingesifft und ungepflegt. Das Angelspiel – im Zimmer verteilt und inzwischen auch nur noch in Fragmenten vorhanden fand genauso schnell den Weg in den Müllsack, wie der Bauernhof mit all den Plastiktieren und Gebäudeteilen, die mehr für grobmotorische Zweijährige zum Erlernen der eigene Fähigkeiten gedacht waren als für einen fortgeschrittenen Grundschüler. Der Plastiknagelbalken mit dem kaputten Hammer war ebenso schnell im Sack verschwunden wie die zahlreichen, aber auch allesamt verdreckten oder mit der Schere bearbeiteten Stofftiere. Nur seinen Kuschelbären von Steiff wollte Peter unbedingt behalten – na gut, auch nicht mehr wirklich schön, aber er soll dann einen Platz im Regal finden.

Die alte Plastikasse und der Holzkaufladen wurden ebenfalls Opfer unserer Aufräumaktion, letzterer aber nur deswegen, weil Peter beim Aufräumen drauf getreten war und dieser nun unrettbar kaputt gegangen ist. Dazu noch massenhaft Kleinkrams und sonstiger Müll, der sich über die Jahre hinweg angesammelt zu haben schien: diversestes Malzeugs, Filzstifte, Bücher, Hefte und andere Utensilien, die er nicht im Leben mehr brauchen würde – und die er nun mit Vorliebe eins nach dem anderen in den Müllsack warf. Peter war wie ausgewechselt, ihm schien diese Aufräumaktion sichtlich Spaß zu machen und am Schluss hatten wir ganze drei Müllsäcke voll Spielzeug und anderem Abfall im Kinderzimmer zusammengesammelt, den Inhalt des Kleiderschranks noch nicht mit eingerechnet. Alles andere, insbesondere die Sachen, die er noch für die Schule braucht, hatten wir sorgsam auf einen Stapel in die Küche gebracht. Die Lego und Playmobilsachen hatten wir jeweils in eine große Holzkiste getan.

Aber es half nichts, als nächstes war halt der Kleiderschrank dran. Der Schrank war bis oben hin voll mit alten, gebrauchten – nein eigentlich verbrauchten – Anziehsachen. Ordnung war etwas anderes, alles wild zusammengewürfelt auf die Fächer verteilt, vollgestopft bis oben hin. Kleiderbügel zum Aufhängen von Hosen oder Jacken Fehlanzeige. „Irgendwas, wo ich drauf achten muss – was Du gerne noch anziehen möchtest? Irgendwas, von dem Du weißt, dass es hier zwischen ist und nicht mit weg soll?“ Peter guckte mich völlig entsetzt an – er schämte sich, verkrümelte sich in die Ecke des Zimmers und fing an zu weinen. „Du weißt doch, die Lederhose und der rote Pulli sind das doch das einzige, was noch so einigermäßen passt. Ich glaube nicht, dass da im Schrank noch was ist, was besser passen würde. Dabei hat Papa mir doch früher immer so tolle Sachen gekauft und mit zu Mami gegeben. Wenn ich die Sachen dann beim nächsten Mal wieder anziehen wollte, waren die nicht mehr da. Keine Ahnung, was Mama da immer mit gemacht hat, ich hab‘ mich vor lauten Angst nicht zu fragen getraut.“

„Komm mal her“ sagte ich zu ihm und schnappte mir den großen Kerl und nahm ihn auf den Arm. Ganz schön schwer für sein Alter – und eigentlich auch kein Kind mehr zum auf den Arm nehmen. Aber er schien es zu genießen, brauchte wohl mal wieder jemanden, mit dem er kuscheln oder auch einfach nur mal Körperkontakt haben konnte. Auch bei Peter hatte ich ein schlechtes Gefühl, ich hatte immer den Eindruck, dass er Körperkontakt auch noch in Form von Schlägen bekommen würde. Wobei sicherlich das Verschwinden seiner neuen Anziehsachen auch Spuren auf seiner kleinen Seele hinterlassen haben.

Die Anziehsachen, die offensichtlich nicht mehr passten, verschwanden direkt unter Peters Nicken, was ich als Zustimmung deutete, im Müllsack. Alles altes, verwaschenes, dreckiges, abgetragenes Zeug, nichts mehr was ich irgendeinem Kind noch mal hätte zumuten mögen. Außerdem auch nichts mehr, was auch so noch tragbar gewesen wäre. Allesamt irgendwelche No-Name-Kleidung billigster Sorte, das meiste wäre noch nicht mal mehr für Kindergarten, Spielplatz oder Freizeit geeignet. Vieles auch kaputt gerissen, Löcher in den Knien, zerschlissene Hosen, Pullis und T-Shirts, an denen nicht nur die Nähte losgegangen waren.

Was Besonderes oder Außergewöhnliches konnte ich bei den Sachen, die bisher im Müllsack gelandet waren, nicht entdecken. Nichts, was mir gefallen hätte. Keine Nickis, keine Latzhosen (von zwei, drei alten, viel zu kleinen und kaputten Ski-Anzügen mal abgesehen) und auch keine weiteren Ledersachen – zumindest bis jetzt. Dafür haufenweise alte graue Jogginganzüge, alle zu klein jedenfalls fast alle. Zwei alte Victory-Jogger, der eine in grau mit gelben Ärmeln und der andere mit entsprechend grünen kamen zum Vorschein. „Ach, da sind die!“ rief Peter erfreut. „Ich dachte, die wären auch schon weg – die müssten eigentlich noch gut sein!“

Was man halt so gut nennt – jedenfalls das erste Teil, was größenmäßig noch passen könnte, was frisch gewaschen roch und wo an der Hose die Knie noch nicht durchgescheuert waren. Ich warf beide Jogger mit den Worten „Kannst’e nachher ja mal anprobieren …“ aufs Bett, während der erste Müllsack bis oben hin voll mit Altkleidern war – der Schrank aber immer noch so aussah, als hätten wir erst gerade angefangen.

Der große Haufen Jacken und Anoraks war auch komplett für den Sack. Viel buntes, altes Zeug, aber fast immer kaputt, in der Regel der Reißverschluss, was daran lag, dass Peter sich immer wieder in viel zu kleine Sachen reinquetschen musste. Kein Wunder, dass dann Jacken, Hosen und Pullis kaputtreißen. Aber was machen, wenn Du ums Verrecken nichts passendes mehr im Schrank hast und das Geld zum Shoppen auch nicht gerade da ist? Dann nimmst Du halt das, was noch so einigermaßen geht, und wenn auch nur noch für einen Tag.

Schnell füllten sich auch Sack zwei und drei, zu klein gewordene Unterwäsche und altes Sportzeug sowie Kinderschuhe jeglicher Größen fanden nur noch den Weg in den Sack. Bei den Schuhen und Stiefeln war auch alles denkbare Vertreten: No-Name Turnschuhe, kaputt mit durchgelatschten Sohlen, viele Schuhe mit Klettverschluss (weil sich offenbar niemand die Mühe machen wollte, ihm bei Zeiten das Schnüren der Schuhe beizubringen), Stiefel und Gummistiefel – alles nichts weltbewegendes, jedoch im fürchterlich abgetragenen Zustand.

Nach gut zwei Stunden war das Zimmer besenrein, der Inhalt des Kleiderschranks zum größten Teil in die Müllsäcke verfrachtet und auf dem Bett waren nur eine Hand voll Anziehsachen übrig geblieben, die noch tragbar waren. Seit langem hatte Peter endlich mal wieder ein sauberes, aufgeräumtes Zimmer – was eigentlich nur noch neue Möbel brauchte. Alles, was später wieder ins Zimmer sollte, deponierten wir solange im Wohnzimmer, so dass Frankie und die Kinder gleich mit dem Ab- und Aufbau loslegen konnten.
Zuletzt geändert von AnnasMama am Di 1. Sep 2015, 20:03, insgesamt 1-mal geändert.
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

In der Zwischenzeit waren Frankie und die Kinder bei Ikea, die neuen Möbel für Peters Kinderzimmer abholen. Beide sahen extrem süß aus in ihren doch etwas arg engen, kurzen Lederhosen – aber beide waren glücklich und das war für mich das Wichtigste an dem Tag. Kevin empfand das Tragen seiner Lederhose schon längst nicht mehr als Strafe (obwohl er zu Hause gerne mal so tat) und genoss sichtlich die letzten Tage, wo sie ihm noch passen würde. Er war sich ziemlich sicher, viel Zeit würde er wohl nicht mehr haben und eines Tages wird sie genauso verschwunden sein, wie der rote Kapuzennicki.

Ob er sich trauen würde nachzufragen, war er sich nicht sicher. Eine Antwort würde er wahrscheinlich wieder nicht bekommen, die Angst vor einem saftigen Klatsch auf die Backe machte ihn inzwischen nicht mehr viel aus. „Dann soll sie mir doch einfach eine scheuern, mir doch egal“ sinnierte er vor sich hin während sie zu dritt bei Ikea auftauchten. Gewohnheitsmäßig blickte Anna einmal kurz ins Smaland, aber wie zu erwarten auch diesmal keine anderen Kids in Lederhosen. Die Verkäuferin in der Kindermöbelabteilung grinste ein wenig, als sie die beiden in ihrem Outfit sah, ließ sich aber nichts anmerken.

Schnell hatte sich Frankie die Regalnummern wo Schrank, Bett und Schreibtisch zu finden waren notiert und schon hatten sie die Kartons auf den Einkaufswagen gepackt und waren auf dem Weg zur Kasse. „Wir müssen noch rüber in den Baumarkt, Farbe holen!“ meinte Frankie zu den Kids. „Oh klasse, auch noch anstreichen – das wird lustig!“ meinte Anna. „Dann sauen wir uns doch total ein!“ warf Kevin dazwischen. „Dann hol ich Euch halt noch ‘nen Papieroverall – falls Ihr Eure ollen Lederbuxen nicht vollsauen wollt!“ „Nee, die wollen wir beide noch ein wenig anziehen – und voll Farbe sehen die doof aus!“ riefen die Kids wie aus einem Munde.

Also schnell durch die Kasse, bezahlt und dann rüber zum Baumarkt. Vorher noch schnell alles in den LKW verfrachtet und Abmarsch. Dort schnell noch einen Eimer weiße Farbe gekauft, etwas hellblaue Abtönfarbe und für alle die besagten „Ganzkörperkondonme“, die vermutlich für die Kids zwar viel zu groß waren, aber bestimmt passend gemacht werden könnten. Dazu noch Pinsel und etwas Kleinzeugs und schon ging’s wieder ab nach Hause. Die Kids waren guter Dinge – die Lederhosen schließlich gerettet und von daher dürfte ja eigentlich nichts passieren.

Zu Hause angekommen ging esl an den Abbruch der alten Möbel in Peters Kinderzimmer. Sperrmüll war ja schon bestellt, von daher konnte alles grob auseinandergenommen und nach unten vors Haus getragen werden. Auf nichts brauchte mehr besondere Rücksicht genommen zu werden, also ging’s mit Karamba und Karacho zur Sache. Eine Arbeit von ein paar Minuten und schon waren das alte Bett und der Kleiderschrank in Trümmern. Kevin und Anna hatten also mal wieder ihren Spaß, während Peter ungeduldig darauf wartete, dass mit dem Anstreichen begonnen werden konnte. „Ich brauch‘ so’n Kondom nicht! Meine Lederhose geht eh mit auf den Müll!“ meinte er trocken und bestand darauf, sie anbehalten zu dürfen. Und ruckzuck waren die Holzteile für den Sperrmüll vorbereitet und nach unten getragen.

Kevin entschied sich für einen Papieroverall. Er fürchtete, dass wenn er seine alte Lederhose mit Farbe einsauen würde, gäb’s garantiert Ärger und zu allem Überfluss wäre das hundertprozentig das vorzeitige Ende seiner eigentlich auch schon viel zu engen Lederhose, deren Ende sich eh von Tag zu Tag unaufhaltsam näherte. Im Gegensatz zu Annas Lederhose, die ich ihr auf jeden Fall noch für den nächsten Sommer verwahren werde (egal, ob sie ihr dann noch passt oder nicht) ging Kevin davon aus, dass seine Mama die bei nächster Gelegenheit mit entsorgen würde und dass nur Papa bislang schlimmeres verhindert hatte. Und da auch Anna sich nicht einsauen wollte (und sie auch keine andere Hose mitgenommen hatte, bei der es nicht so schlimm gewesen wäre) entschied sie sich ebenfalls für den Papierschutz.

Frankie zog sich eine alte, zerschlissene Jeans und ein ebenso altes T-Shirt an und meinte zu mir „Pass ein wenig auf Peter auf, der braucht sich auch nicht einzusauen, und dass die Lederhose mit weg kommt, ist auch noch nicht durch!“ Naja, dass ich inzwischen eine neue für Peter besorgt hatte, wusste er ja auch noch nicht. Soll ja auch eine Überraschung werden, wenn wir fertig sind. Und ich würde Frankie das schon schonend beibringen, dass die alte Lederhose nur noch für die Tonne ist. Viel zu klein und zu eng, und dann auch noch total abgenutzt und zerkratzt – die Trägerchen an den Enden angeknabbert – so was kannst Du irgendwann keinem anderen Kind mehr zumuten. Die müsste wenn dann mal in die Lederreinigung – und das lohnt den Aufwand nicht mehr. Da ist eine gute, neue „Gebrauchte“ im Endeffekt günstiger.

Ein wenig von der hellblauen Abtönfarbe in den Eimer mit dem Weiß und schon legte Frankie mit den Kids los. Sie hatten sichtlich ihren Spaß und wie es halt kommen musste, Peter wollte auch. Und logischerweise ging auch der ein- oder andere Farbklecks auf die Hose. Frankie schaute etwas mürrisch, ließ sich aber nichts anmerken. Gute zwei Stunden später war Peters Zimmer frisch gestrichen und die Farbe an den Wänden brauchte nur noch zu trocknen. Währenddessen machten sich Anna und Kevin zusammen mit Frankie daran, in der Diele und im Wohnzimmer die neuen Möbel für’s Kinderzimmer zusammen zu bauen – natürlich nicht ohne zuvor die gut eingesauten Papieranzüge wieder ausgezogen zu haben. Die waren auch reif für den Müll und verschwanden in einem der zahlreichen blauen Säcke, die noch offen in der Wohnung herumstanden.

Der Tag neigte sich dem Ende und Frankie lud uns – während die Farbe im Kinderzimmer noch trocknete und die neuen Möbel zusammengebaut darauf warteten, in richtige Position geschoben zu werden – zum Italiener um die Ecke ein. Peters alte Lederhose hatte ein paar nicht zu übersehene Farbkleckse abbekommen, die sich aber aufgrund der wasserlöslichen Farbe mit einem feuchten Lappen wieder entfernen ließen. Somit entschied Frankie, dass er das olle Ding nochmal ruhig anlassen könnte. Und so fein wäre es ja in der Pizzeria auch nicht. Peter nörgelte zwar etwas, hatte aber auch nichts wirklich passendes mehr, was er sonst noch hätte anziehen können. Und seine neue Lederhose hatte ich samt Kapuzenpulli zu Hause vergessen. Egal, dann bekommt er beides halt morgen, dann werden wir uns sicher nochmal treffen, um die Restarbeiten fertig zu machen.

Auf dem Weg zur Pizzeria machten Anna und Kevin einen sehr verträumten Eindruck. Beide waren sichtlich geschafft von dem, was sie den ganzen Tag gemacht hatten und waren die ganze Zeit nur am quasseln. „Also ich find ja Deine Lederhose auch total geil!“ schwärmte Anna. „Da kannst Du ja echt froh sein, dass Dein Papa nochmal dafür gesorgt hat, dass die nicht so schnell im Müll gelandet ist!“ – „Bin ich auch“ meinte Kevin „und ehrlich gesagt, wenn Du Deine nicht vor Wochen schon mal mit zur Schule angezogen hättest, hätte ich die glaub ich auch nicht mehr anziehen wollen. Weil eigentlich war ich ganz happy, dass Mama die schon vorsortiert hatte und ich die lange schon nicht mehr anziehen brauchte. Aber jetzt, wo ich sie letzte Woche zur Strafe wegen den kaputten Sprintershorts anziehen musste, find‘ ich die echt sowas von geil, dass ich sie am liebsten gar nicht mehr hergeben möchte. Mami ist auch so seltsam ruhig diesbezüglich, sonst nervt sie bei alten Lieblingsklamotten fast täglich und will, dass ich was anderes anziehe. Die ist echt komisch im Moment, ich trau ihr nicht so wirklich!“

„Da hab‘ ich’s ja richtig gut!“ meinte Anna. „Hab‘ mit Mama ‘nen Deal gemacht, dass ich die solange tragen darf, wie ich finde, dass sie mir passt. Gut, meine ist auch schon verdammt eng und zwickt hier und da, aber Mama würde die nie im Leben einfach so himmeln oder verschwinden lassen. Das hat sie damals mit meiner ersten, schwarzen Kunstlederjeans so gemacht, aber seit dem auch nicht wieder!“ „Jau, da kann ich mich auch noch dran erinnern“ schwärmte Kevin. „Die fand ich auch mal richtig geil – so eine hätte ich auch gerne gehabt, aber Mami meinte, das ist nur was für Mädchen und außerdem Du hast ja noch die kurze … Zu der Zeit hatte ich auf die kurze jedoch überhaupt keinen Bock und warum Mami die solange noch verwahrt hat, weiß ich eigentlich auch nicht so recht. Gut, die war von Omi, die war bestimmt richtig teuer, aber da nimmt Mami normalerweise keine große Rücksicht drauf. Inzwischen bin ich durchaus froh drum, aber wenn Du mich ehrlich fragst, ich glaube die nächste Altkleidersammlung wird sie nicht mehr überleben – da wird Mami hundert Pro wieder einen Großteil meiner Sommersachen aussortieren und wegschmeißen. Ich kenn sie doch …“
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Der Abend beim Italiener verlief wunderschön. Paolo schaute zwar komisch drein, als er mich und die Kinder so in alter, abgewetzter Lederhose sah, aber Frankie fand mein Outfit mal wieder echt geil. Ich wusste, dass er es mag, das hatte er mir ja kürzlich auf dem High 5 in aller Deutlichkeit gezeigt. Hatte also doch mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen, jedenfalls spürte ich, dass das nicht das letzte Mal mit ihm gewesen sein würde. Noch hatten wir den Kindern nichts verraten, noch wollten wir auch nichts überstürzen oder voreilig verkünden. Wir genossen gegenseitig unser verliebt sein, und was sich noch draus entwickeln würde, bliebe abzuwarten. Wir waren jedoch beide sehr vertraut mit einander und erforschten so langsam aber sicher Gemeinsamkeiten und die Dinge, die uns voneinander unterschieden.

Die Kinder waren ungewöhnlich friedlich, Kevin kann manchmal durchaus ein Nerv tötender Unruheherd sein, der seinen ständigen Bewegungsdrang nur schwer unterdrücken kann. In solchen Situationen schickt man ihn am besten mit dem Fußball nach draußen und nach zwei, drei Stunden ist auch er dann wieder auf Normalpuls runtergeregelt. Wenn man das weiß, kann man sich drauf einstellen, seiner Mami gelingt das oftmals nicht und anstelle der „Sportstunde“ gibt’s dann bei passender Gelegenheit lieber eine gescheuert um das nervende Kind ruhig zu stellen. Sicherlich auch eine Art, aber definitiv nicht meine und am Abend beim Italiener auch überhaupt nicht erforderlich.

Kevin war einfach nur platt, mümmelte genüsslich an seiner Pizza und war sichtlich reif für die Poofe. Anna war ebenso geschafft, schaute aber Kevin die ganze Zeit total verliebt an. Ich hatte noch keine Ahnung, was es war, das sie an ihm faszinierte, aber ich spürte durchaus, dass auch sie seine Lederhose total süß fand. Genauso süß, wie Kevin ihre fand – wohl wissend, dass seine demnächst das Zeitliche segnen würde. Was mir übrigens auch völlig klar war, denn wo Annas kurze Lederhose schon durchaus eng saß, hatte ich bei seiner den Eindruck, sie säße noch ein Stückchen enger. Nicht dass ich mir jetzt aufgrund seiner engen Hose Sorge um seine zukünftige Familienplanung machen würde, aber selbst bei mir wäre sie sicherlich früher oder später auch mit ausrangiert worden.

Zumal sie auch vom Leder her nicht mehr wirklich schön aussah. Ich meine, Gebrauchsspuren bei den Dingern sind ja durchaus normal. und ein vom Aschenplatz zerkratzter Po durchaus auch, aber wenn die ersten Nähte losgehen, das Leder durchgescheuert ist oder die Flecken und der Dreck überhand nehmen, ist es durchaus Zeit für die Entsorgung. Mit ‘ner kaputten Lederhose würde ich nicht rumlaufen, und Anna sicherlich auch nicht. Getragen und verkratzt, ok, aber kaputt – nee, muss nicht sein. Man kann es auch übertreiben. Somit hatte Peter auch meine vollste Rückendeckung und alles Verständnis dafür, dass er seine Lederhose mit wegwerfen darf, auch wenn ich Frankie dazu noch etwas überzeugen musste. Aber ich hoffe, die neue Lederhose wird Frankie etwas darüber hinweg helfen. Er war nämlich durchaus der Meinung, mit Peters bisheriger Lederhose wäre ja noch alles in Ordnung.

Wir verabredeten uns für den nächsten Tag, um die neuen Möbel an die richtige Stelle zu bringen und die verbliebenen Anziehsachen von Peter wieder ordentlich in den neuen Schrank einzusortieren. „Wann kommt eigentlich der Sperrmüll?“ fragte ich Frankie. „Montagnachmittag, Peter will unbedingt dabei sein!“ „Wir auch!“ riefen Anna und Kevin aus einem Munde. Dann erst mal bis morgen …“ verabschiedeten wir uns von Frankie und Peter und gingen nach Hause. Kevins Mutter wusste zum Glück, wo ihr Sohnemann war, dass es später werden würde und dass wir ihn dennoch zu Hause abliefern würden. Komischerweise geriet sie sehr schnell in Panik, wenn Kevin nicht zur ausgemachten Zeit wieder zu Hause war. Das hatte ihm schon mehrfach ordentlichen Ärger eingebracht, der dann nicht zu übersehen war. „Bis Montag dann!“ grinste Kevin – „Ok, bis dann!“ riefen Anna und ich. „Was ist denn Montag?“ wollte Kevins Mami neugierig wissen. „Sperrmüll!“ – „Ja, nee, iss klar – und da musst Du natürlich wieder unbedingt zugucken? Naja, meinetwegen – solange Du nicht wieder was mit anschleppst …“

Den Sonntag kühl und regnerisch, als Anna und ich zum Möbel schieben und Klamotten einsortieren zu Frankie und Peter fuhren. Ich hatte mal wieder meine Latzjeans an und dazu den alten C&A Winteranorak, von dem ich mich auch dieses Jahr mal wieder nicht trennen wollte (oder konnte). Anna hatte ihre Kunstlederlatzhose und den passenden braunen Anorak dazu angezogen. Beides passte noch, aber durchaus etwas knapper, als beim letzten Mal. Der Sommer neigte sich unaufhaltsam dem Ende zu und man merkte, dass der Herbst mal wieder vor der Tür stand. Aber auch der Herbst wird schöne, warme Tage haben und es wird sicherlich für Kevin und Anna die Gelegenheit geben, die kurzen Lederhosen nochmal anzuziehen.

Das frisch hellblau gestrichene Kinderzimmer machte direkt einen angenehmen Eindruck und schnell hatten wir Schrank, Schreibtisch und Bett an die dafür vorgesehenen Stellen. Frankie hatte noch einen riesengroßen Waschkorb an Kinderkleidung für Peter geschenkt bekommen, den ich zusammen mit den Sachen die unsere Aussortieraktion überlebt hatten gemeinsam mit Peter einräumte. Frankie hatte Peter noch einmal die alte, völlig fertige Lederhose angezogen und entsprechend schlecht war Peters Laune. „Darf die denn morgen endlich mit in den Müll?“ fragte er völlig genervt. „Von mir aus schon – ich hab‘ Dir was mitgebracht!“ „Was denn?“ fragte Peter neugierig. „Na dann schau‘ mal in das Körbchen in der Küche – ist beides für Dich!“

„Och nöö, nicht schon wieder ‘ne Lederhose!“ rief Peter verärgert. „Ich will keine Lederhosen mehr – und schon gar nicht so welche. Die zieh‘ ich nicht an!“ Jetzt wurde Frankie böse, so böse wie ich ihn bislang noch nicht erlebt hatte. „Sei froh, dass Du überhaupt was Neues geschenkt bekommst – und dann auch noch so’n tollen Kapuzenpulli dazu! Du kannst auch gerne weiterhin Deine alte, zerschlissene Lederhose anziehen, das ist mir dann auch egal – die Jeans bleiben jedenfalls für gut und nicht zum Rumtoben. Dafür ist so ‘ne Lederhose einfach viel besser! Also, Du ziehst die alte jetzt aus und die neuen Sachen an! Verstanden?“

Peter fing an zu weinen. „Warum zum Teufel muss ich wieder in Lederhosen rumlaufen, während die anderen in der Klasse alle Stoffhosen tragen?“ dachte er sich. Immerhin, der orangefarbene Kapuzenpulli schien ihm zu gefallen, den zog er auch ohne zu murren und zu knurren an. Bei der Lederhose tat er sich schwer, aber nach etwas Überzeugungskraft unsererseits war das Eis gebrochen und er schlüpfte traurig hinein. „Warum keine Jeans, warum nicht?“ – „Weil Du die wieder ruckzuck an den Knien durch hast! Ich kenn‘ Dich doch – und mit kaputten Sachen will ich Dich nicht rumlaufen lassen. Für so’n Rabauken wie Dich ist ‘ne Lederhose tausendmal besser und haltbarer!“

So richtig überzeugt war er nun nicht – aber immerhin passte der Pulli, den er komischerweise sofort in sein Herz eingeschlossen hatte, perfekt und die Kniebundlederhose war in der Tat wie erwartet noch etwas zu groß. Das machte aber nichts, die Hosenträgerchen ins erste Loch gemacht, der Gürten im letzten Loch und die Hosenbeine gingen durchweg noch bis zum Knöchel als wie bis zum Knie bei der alten Lederhose. Langsam aber sicher hatte er sich doch wieder beruhigt und Frankie und ich waren glücklich darüber, dass er in der neuen Lederhose deutlich besser aussah, wie in der alten.

„Darf ich die alte Lederhose denn morgen selber in den Müllwagen werfen?“ fragte Peter. Frankie schaute mir tief in die Augen, bemerkte mein Zwinkern und sagte „Ok, was sollen wir denn auch sonst damit machen?“ Ich bestätigte dies mit einem kurzen Nicken und war froh, dass letztlich sich alles zum Guten gewendet hatte. Peter sah super gut aus in der neuen Lederhose und natürlich hatte ich nicht verraten, wo ich beides ergattert hatte.

Zum Sperrmülltermin am nächsten Tag hatten sich noch mal alle nach der Schule verabredet. Es war trocken, recht kühl aber Anna wollte unbedingt wieder ihre kurze Lederhose anziehen. „Ich find die geil und solange sie noch passt. Wer weiß, was nächsten Sommer wird. Und vielleicht zieht Kevin ja heute seine auch an! Mama, was ist mit Dir? Zieh doch auch Deine kurze an!“ Warum eigentlich auch nicht, jedenfalls zogen wir beide wieder im Partnerlook los. Anna freute sich ein Loch in den Bauch, dass ich meine auch angezogen hatte und wir trafen bei Frankie und Peter auf Kevin, der dort schon draußen wartete.

„Du heute nicht in kurzer Hose?“ wollte Anna natürlich von Kevin wissen. „Nee, zur Schule darf ich die Lederhose nicht anziehen, Mami meinte, das wäre zu kalt dafür. Aber als ich heute Morgen los zog, lag sie noch im Kinderzimmer, von daher alles gut!“ „Na dann“ zwinkerte Anna „vielleicht wird’s ja mal wieder was wärmer und Du darfst sie wieder anziehen! Siehst nämlich echt süß darin aus!“ Schon umarmte Anna ihren Kevin und knuddelte ihn einmal von oben bis unten durch! „Ich mag Dich auch …“ flüsterte er und gab ihr verschmitzt einen Kuss auf die Wange.

Und schon kam auch der Sperrmüllwagen um die Ecke. „Oh, ein alter Mercedes Variopress“ rief Kevin ganz erstaunt. „Die sind inzwischen recht selten geworden!“ Die drei Müllmänner sprangen von Wagen und griffen sich mit gewöhnten Griffen alles was an zerlegten Holzteilen auf dem Bürgersteig lag. Frankie hatte auch noch die Müllsäcke mit Peters aussortierten Altkleidern und den sonstigen Abfällen vom Wochenende mit dabei gestellt. Peter hatte seine alte Kniebundlederhose in der Hand, hatte aber riesen Respekt vor den Müllmännern und dem Pressmüllwagen, so dass er sich kaum nah heran traute.

Die ersten Holzteile flogen mit Radau in dem Müllwagen, bevor das Pressschild sich langsam senkte und dann die Sachen unter tosendem Lärm in den Müllwagen hineinschob. Das war also nur das Ende seines alten Kinderzimmers. Und schon flogen die vollgestopften Müllsäcke mit seinen Altkleidern und dem Kinderspielzeug hinterher. Dabei platzte natürlich der ein oder andere Sack auf und der Inhalt verteilte sich zum Glück nur innerhalb des Müllwagens. Aber es wurde vieles noch einmal sichtbar, vor allem die schweren Beutel mit dem Spielzeuge hielten dem Gewicht nicht stand.

Einer der Müllmänner sah, das Peter noch etwas in seinen zitternden Händen hatte und fragte freundlich lächelnd: „Soll die auch noch mit?“ Der Müllmann hatte direkt gecheckt, dass Peter wohl am Wochenende eine neue Lederhose bekommen hatte und die alte nur mit weg sollte. „Komm‘ ruhig näher – der tut nichts. Kannst Deine alte Lederhose gerne selber reinwerfen!“ Langsam und vorsichtig kam er näher, warf die verbrauchte Lederbuxe, die in den letzten Jahren zur zweiten, aber durchaus gehassten Haut geworden ist, zu den Müllsäcken hinzu. Zusammen mit den letzten Holzteilen senke sich das Pressschild erneut und schon nun mehr Säcke und Lederhose gnadenlos nach hinten in den Müllwagen hinein. Am liebsten hätte er seine neue Kniebundlederhose direkt hinterhergeworfen, aber das traute er sich nicht. Und eigentlich hatte Papa ja auch Recht, wenn er auch der einzige auf seiner Schule war, der noch Lederhosen dorthin anziehen musste. Wenn doch wenigstens einer der Kumpels auch mal eine anziehen würde …
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Keine zwei Minuten hatte die Sperrmüllaktion in Summe gedauert. Kevin war total aus dem Häuschen, das Knistern und Knacken des zerberstenden Holzes und der grobe, rücksichtlose Umgang mit Peters alten Anziehsachen faszinierten ihn am meisten. Er spürte wieder das Kribbeln im Genitalbereich, was stärker wurde, als der Müll zusammengeschoben wurde und als die Lederhose hinterherflog musste er unweigerlich an seinen roten Kapuzennicki denken, den er seit ein paar Wochen vermisste. Das „was wäre wenn“ in seinem Kopfkino wurde um eine Facette reicher. Er hoffte ja insgeheim, dass – wenn er nicht doch zu Hause nochmal irgendwo auftauchen würde – er bei Saskia eine zweite Chance bekäme.

Doch was, wenn Saskia keine Nickis mehr mag? Oder keine Kapuzenpullis? Oder nichts Rotes? Bislang hatte er immer mal wieder eines seiner alten Pullis, T-Shirts oder Hosen an Saskia wiedergesehen, aber halt längst auch nicht alles. Ok, ihm war es auch lange Zeit egal gewesen, was aus seinen alten Anziehsachen geworden ist, ein echtes Bewusstsein dafür hatte er noch nicht lange entwickelt. Bis auf die paar echten Lieblingssachen, die er von Oma geschenkt bekommen hatte und die er dementsprechend auch viel öfter als die anderen zahlreichen Klamotten angezogen hatte, doch die sah er bei Saskia kaum. Doch warum nur? Er hätte es gerne gesehen, wenn seine Lieblingssachen auch Saskias Lieblingssachen geworden wären, aber Fehlanzeige.

Seit dem Verschwinden seines Kapuzennickis hatte sich Kevins Verhalten etwas verändert. Er ging morgens mit dem Gedanken im Kopf in die Schule, vielleicht hat sie ihn ja heute an. Richtig gut passen würde er ihr ja, sie war ein gutes Stück kleiner als er, was bei dem Altersunterschied auch verständlich war. Saskia und er gingen inzwischen auf die gleiche Schule, wenn auch nicht in die gleiche Klasse, aber Kevin versuchte halt jeden Morgen nach Saskia Ausschau zu halten. Morgens vor dem Unterricht gestaltete sich die Sache schwierig – entweder war es so warm, dass alle in kurzen Hosen und T-Shirts in die Schule kamen, oder es war etwas frischer, dass die meisten schon mit dünner Jacke über T-Shirt oder Pulli zur Schule kamen.

Kevin wollte halt den Tag nicht verpassen, an dem Saskia seinen alten Kapuzennicki an hatte. Seine Hoffnungen waren nicht unberechtigt, denn er hatte im Hinterkopf, dass er Saskia, wenn sie bei ihm und seinen Eltern zu Besuch war, durchaus schon mal einen Nicki angezogen hatte. Aber das war auch schon eine Zeit her, da ging sie noch in den Kindergarten und er hatte selber noch keinen Nicki. Er muss sich allerdings damals irgendwie dazu geäußert haben, denn Oma brachte ihm kurze Zeit später den Kapuzennicki mit, der anfangs halt noch viel zu groß war und dadurch die erste Zeit fast nur im Schrank verbracht hatte.

Wenn Saskia morgens mit Jacke zur Schule kam, musste er halt in einer der kleinen Pausen mal unauffällig an ihrem Klassenzimmer, das auf der anderen Etage war, vorbeilaufen. Saskia offen anzusprechen traute er sich nicht, weil Saskia würde dann garantiert eine unkontrollierbare Kettenreaktion auslösen. Sie würde ihre Mami fragen, die wiederum würde vermutlich Kevins Mami drauf ansprechen, warum Kevin Saskia nach seinem alten Kapuzennicki fragt und schon würde er sich wieder ein paar fangen. Auch wenn er Klätsche gewohnt war, so saß die Angst doch tief.

Peter war glücklich und fasziniert von dem, was er erlebt hatte. Ihm gefielen sein neues Zimmer, die Möbel und der aufgeräumte Kleiderschrank mit vielen neuen Anziehsachen. Er mochte den orangenen Kapuzenpulli, den er zusammen mit der Kniebund-Lederhose von mir geschenkt bekommen hatte, aber mit der Lederhose selbst stand er noch ein wenig auf Kriegsfuß. „Die ist noch so neu, die ist noch so ungewohnt weit“ sagte er. Zugleich merkte er jedoch, dass Anna und ich, die auch unsere Lederhosen an hatten, ihn genauso mochten, wie er nun vor uns stand. Papa Frankie war auch ganz stolz auf seinen Sohnemann und meinte „warte mal zwei, drei Wochen ab, dann sind die ersten Kratzer und Macken in der neuen Lederhose, dann gewöhnst Du Dich schon daran! Außerdem: Schau Dir Anna und Kevin an, die tragen doch auch welche! Und Anna sogar auch zur Schule! Nur weil die beiden nicht in Deiner Klasse sind?“

„Hast ja auch wieder Recht, Papa! Nur was wird Mama sagen?“ „Keine Ahnung, was Mama dazu sagen würde, ich fürchte jedoch nichts Gutes. Am besten lässt Du die hier und ziehst die auch nur dann an, wenn wir was zusammen machen. Zur Schule musst Du die ja auch nicht unbedingt anziehen, da geht auch ‘ne Jeans oder ‘nen Jogginganzug!“ Beim Wort „Jogginganzug“ drehte sich bei mir der Magen um. Gut, für’n Winter im Sportunterricht zieht Anna auch einen an, aber meist dann doch eher was Kurzes. Und wenn von den Joggern der Pulli übrig bleibt, trägt Anna ihn auch zur Jeans mit auf, völlig klar – aber ich würde doch niemals mein Kind in einem Jogginganzug zur Schule lassen. Nein, das wäre ein klares modisches No-Go! Genauso wenig würde ich so oder in kurzer Lederhose zur Arbeit erscheinen. Es gibt halt Anziehsachen, die gehen nur situationsbezogen, die kann man einfach nicht überall hin anziehen, als Kind nicht (wobei da noch eher) und schon gar nicht als Erwachsener.

Und so vergingen wieder ein paar Tage. Kevin wartete vergeblich darauf, Saskia im Kapuzennicki zu sehen, Anna hatte sich doch wieder dazu durchgerungen, in Latzjeans zur Schule zu gehen (Kevin hatte sie ja beim Mathepauken so gesehen und daher war es dann plötzlich doch nicht mehr so schlimm für Anna) und Peter war die Woche über bei seiner Mutter und schwieg dort eisern über Kapuzenpulli und Lederhose. Donnerstags musste ich sehr früh zur Arbeit, es war einer dieser für Anorak zu warm und für ohne zu kalt Morgende die mich zweifeln ließen das richtige angezogen zu haben. Ich entschied mich mal wieder für eine „normale“ Jeans und ein „normales“ Sweatshirt, immer nur Latzhose oder Lederjeans geht ja nun mal auf Dauer auch nicht. Und da es ganz ohne Jacke nicht ging, zog ich meine dünne Adidas Regenjacke drüber und machte mich mit dem Bus auf ins Büro.

Dort angekommen stand Katrins Moped schon vor der Tür. Als ich ins Büro kam staunte ich nicht schlecht, hing doch Katrins alte Lederjacke, die sie immer zur antikbraunen Lederlatzhose getragen hatte an der Garderobe. Von Katrin selbst keine Spur – die Azubine war trotz der frühen Uhrzeit wie vom Erdboden verschluckt. Die Sonne war auch mittlerweile rausgekommen und es wurde deutlich wärmer als erwartet. Die Jacke hätte ich also gepflegt zu Hause lassen können. „Katrin ist mit dem Chef unterwegs, Baumaterial und Ersatzteile holen, Cheffe will da wohl am Anbau was machen. Die werden wohl erst heute Nachmittag wieder kommen!“

Schade, da hatte ich Katrin wohl knapp verpasst. Die Lederjacke an der Garderobe machte mir ein wenig Hoffnung, wobei ich fürchtete, enttäuscht zu werden. Eigentlich hätte ich um 13:00 Uhr Feierabend (hab‘ halt nur ‘nen Halbtagsjob) und ich wollte wieder zu Hause sein, wenn Anna aus der Schule zurück ist (so hatten wir uns jedenfalls heute Morgen verabschiedet). Und nur um zu schauen, was Katrin heute angezogen hat bis Nachmittags warten, ich weiß nicht – das wäre für die anderen schon ungewöhnlich und Katrin bestimmt auch nicht Recht. Andererseits war ich aber auch extrem neugierig und überlegte, vielleicht gegen Abend mal unverhoffter Dinge bei ihr vorbeizuschauen, wobei – dann wird sie sich so wie ich sie kenne längst schon umgezogen haben. Und die Kollegen anquatschen, von wegen „Du sag mal, was hatte Katrin denn heute Morgen für ‘ne Hose an?“ fand ich jetzt auch blöd. Ich suchte nach Indizien, fand aber keine.

Zum Nachmittag hin wurde das Wetter wieder richtig gut warm. Anna hatte die letzten beiden Stunden mal wieder Unterrichtsausfall (zwei Lehrer waren mal wieder gleichzeitig krank und Vertretungsstunden gibt’s nur dann, wenn danach noch regulärer Unterricht folgt. Sie hatte sich für Nachmittags mit Kevin und anderen Jungs und Mädchen aus der Klasse zum Fußballspielen verabredet. Anna nutzte die Gelegenheit und warf ob des warmen Wetters (und auch des Fußballspielens) ihre Latzhose in die Ecke und tauschte Hose und Pulli gegen ein knallrotes, ärmelloses Top und die kurze Lederhose, die so gerade eben noch zuging. „Gut dass Mama mich jetzt nicht so sieht, sonst müsste ich bestimmt was anderes anziehen!“ dachte sie sich, freute sich aber zeitgleich über das Wetter und dass die Hose – wenn auch knapp – mit den Trägerchen immer noch passte.
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Kevin hatte es was sein Zimmer angeht richtig gut. Seine Eltern wohnten alleine in einem Zweifamilienhaus, der kleine Dachboden war früher mal von seinen Großeltern genutzt worden. Somit hatte er oben quasi sein eigenes reich, auch wenn er die kleine Küche derzeit noch nicht brauchte. Sein Zimmer zur Straße raus war durch eine Tür in zwei Bereiche getrennt – er hatte wenn man ins Zimmer reinkam, einen kleinen Wohn- und Spielbereich mit Schreibtisch zum Hausaufgaben machen, mit Drehstuhl und einer kleinen Couch zum drauf rumlümmeln. Durch die Tür ging’s dann weiter in den Schlafbereich, wo Bett, Nachttischchen und der Kleiderschrank standen. Da er sich abends gerne im Wohnbereich auszog, war es also nicht verwunderlich, wenn die ein oder anderen Anziehsachen im Wohnbereich anzutreffen waren.

Solange sie einigermaßen ordentlich auf der Couch lagen war das auch kein Problem für seine Mami. Lag etwas dahingeknubbelt auf dem Fußboden, so interpretierte sie das gerne auch mal als ein „Das kann wech …“, was zur Folge hatte, dass solche Sachen dann in der Regel aussortiert und weggegeben wurden. Saskia war zwar immer noch die Hauptabnehmerin für solche Klamotten, jedoch wurde auch sie mit zunehmendem Alter immer wählerischer. Längst nicht mehr alles, was anfiel, mochte sie auch haben. Manches nahm sie dann zwar noch aus „Good Will“ mit, zog es aber nie mehr wirklich an. In letzter Zeit lehnte sie auch vieles mehr und mehr ab, was Kevins Mutter aber auch ziemlich egal war. Sie durfte sich aussuchen, was Kevins Mami ihr hinlegte und sie bekam auch längst nicht alles zu sehen – traute sich aber genauso wenig nach bestimmten Sachen, die sie bei Kevin gesehen hatte zu fragen. Allerdings fanden solche Aktionen in der Regel immer dann statt, wenn Kevin nicht zu Hause war, wenn er bei den Pfadfindern spielte oder er nachmittags Sport oder sonstige, feste Aktivitäten hatte.

Kevins kurze Lederhose hatte die ganze Woche über noch zusammen mit seinem roten Lieblings-T-Shirt auf der Couch in seinem Wohnbereich gelegen. Nach der Schule hatte er beides immer wieder heimlich angezogen und entweder auf der Couch oder auf dem Bett im Schlafbereich darin onaniert. Er wusste, dass er sie nicht mehr lange haben würde, und er stellte sich vor, was aus ihr wird und all die möglichen Szenarien ließen seinen Penis bis zur Erektion anschwellen. Er ließ sich Zeit, meist war er länger als eine Viertelstunde mit sich selbst beschäftigt und nickerte dann auch noch kurz ein. Doch heute war Donnerstag, ausgerechnet Donnerstag, wo doch immer vormittags während er in der Schule ist die Mülltonnen in der Straße und der gesamten Umgebung geleert werden.

Und ausgerechnet heute war der Wohnbereich mal wieder ungewöhnlich aufgeräumt. Die Klamotten, die auf dem Boden lagen (meist jedoch nur Socken und Unterwäsche) waren weggeräumt. Den Pulli, den er gestern zur Schule angezogen hatte, hatte er gestern noch in den Wäschekorb des Schlafbereichs gelegt, von daher war er sich sicher, dass der noch da sein müsste. Aber von Lederhose und Adidas Shirt keine Spur mehr. „Jetzt nur ruhig bleiben, jetzt nicht wieder aufregen, wie beim letzten Mal, sondern schauen, was Sache ist.“ dachte er. Mama war schon zu Hause, in ein paar Minuten würde sie ihn zum Mittagessen rufen, danach wollte er es sich auf der Couch gemütlich machen und dann raus, mit Anna Fußball spielen.

Der Waschkorb im Schlafbereich war leer geräumt, also ein Blick in den Kleiderschrank und es traf Kevin der Schlag: Die Fächer für Sommersachen waren leer geräumt, außer zwei neuen Sprintershorts und passenden T-Shirts waren alle Sommersachen nicht mehr in den entsprechenden Fächern. Keine T-Shirts, keine kurzen Hosen, keine kurzärmeligen Hemden (die er sowieso nicht ausstehen konnte), keine Badesachen, kein nichts. Dafür auf dem Boden des Kleiderschranks ein großer, vorsortierter Haufen Klamotten, die sonst verteilt in den einzelnen Regalfächern gelegen haben. Dafür war dort jetzt wieder massenhaft Plätz für die neuen Wintersachen, die in den nächsten Tagen seinen Kleiderschrank fluten würden. Zweimal im Jahr das gleiche Spiel, das kannte er ja schon, nur war es bislang selten vorgekommen, dass er den Packen mit den ausrangierten Klamotten nochmal zu sehen bekam.

Sonst war es immer der Blick in den fast leeren Kleiderschrank, im Frühjahr, wenn die Wintersachen entsorgt und im Herbst, wenn die Sommerklamotten dran waren. Einige wenige Wintersachen wurden zwar für die nächste Saison zurückgelegt, waren dann aber doch meist bei der nächsten Entsorgungsaktion schon wieder mit weg. Und das, obwohl die meisten Klamotten durchaus noch gepasst oder tragbar gewesen wären. Nein, Mama und Papa verdienten genug, hatten nur Kevin und von daher gab’s jedes Jahr mehr Anziehsachen, wie er braucht und hätte anziehen können. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass nagelneue Sachen ungetragen in die Entsorgung gingen. Wobei Entsorgung ja durchaus relativ ist, Saskia durfte sich ja immer die Sachen aussuchen, die sie haben wollte. Nur der Rest, und das war auch immer noch mehr als genug, wurde entsorgt. Doch wohin wusste Kevin auch nicht, er hatte eine Ahnung – mehr aber auch nicht.

Kevin war sichtlich erschreckt vom Anblick in seinem Schrank als er von Mama zum Mittagessen gerufen wurde. Jetzt bloß nichts sagen, sich bloß nichts anmerken lassen, NICHT nach Lederhose und Kapuzennicki fragen, die er so spontan nicht mehr zwischen dem Altkleiderpacken ausfindig machen konnte. In der Küche hing der Zettel an der Pinnwand: „Altkleidersammlung – ihre Sachen werden sortiert und kommen nicht in den Reißwolf“. Jedes Mal der gleiche Spruch, und jedes Mal die gleiche Verarsche, die er aus dem Fernsehen kannte. Natürlich werden die Sahnestücke rausgefischt, wusste Kevin nur allzu gut – aber mehr als die Hälfte wird gar nicht mehr groß beachtet und wird zu Würfeln gepresst für den Reißwolf vorbereitet. Samstag in 8 Tagen also war der Termin, deswegen hatte Mami auch schon alles auf einen Haufen im Kleiderschrank geworfen.

„Saskia kommt morgen Nachmittag vorbei und sucht sich wieder die Sachen aus, die sie noch haben möchte – der Rest geht dann nächsten Samstag mit in die Altkleidersammlung. Wenn Du was Bestimmtes verwahren möchtest schau mal durch den Packen – aber mach‘ nichts durcheinander …“ sagte Mami beim Mittagessen. Kevin verschluckte sich fast und war erstaunt über die Offenheit seiner Mama. Sollte er nun, oder sollte er besser nicht? Könnte ja auch eine Fangfrage sein, eine solche wo sie es nur drauf anlegt, dass er sich wieder eine fängt. „Komm, rück schon raus damit? Oder willst’e nichts verwahren, Kevin?“ Kevin zögerte, beide hatten inzwischen aufgegessen und sich seine Mama eine Zigarette angesteckt.

Kevin packte sich ein Herz und fragte „Mami, wo ist eigentlich mein Nicki?“ „Welcher Nicki? Da ist keiner mehr bei …“ erwiderte Mami sichtlich genervt. Ausgerechnet auf den Nicki musste Kevin sie ansprechen. Aber egal, diesmal bliebt sie wenigstens ruhig. „Der rote Kapuzennicki, den ich damals von Oma geschenkt bekommen habe!“ Seine Mami hatte bei den vielen Klamotten langsam aber sicher den Überblick verloren, konnte sich aber noch vage an das Teil erinnern. „Ach der, wenn der da oben nicht mehr bei ist, ist der beim letzten Mal bestimmt schon mit weg. Kann sein, dass Saskia den letztens mitgenommen hat, kann sein, dass Oma und Opa den im Müllsack mit nach Polen genommen haben, kann auch sein, dass der mit den alten und kaputten Shirts letztens in der Tonne gelandet ist. Du hast doch so viele schöne Pullis, dass Du ausgerechnet immer nach dem ollen Ding fragst?“ „Der war halt gei …, ähm klasse – nicht dass wir uns missverstehen, Mami!“ „Schon verstanden!“ grinste seine Mami. „Aber ich weiß echt nicht mehr, auf welchem Päckchen der lag und wo der hingegangen ist. Man, mach‘ nicht so’n Bohei um datt Ding – der war auch nicht mehr schön, der iss wech, also basta!“

„Nach Deinen Lederhosen brauchst‘e auch nicht weiter zu fragen, die Kurze liegt auch auf dem Stapel, die kannst’e von mir aus bis nächsten Samstag noch anziehen aber dann ist Schluss! Die Verlängerung kannst’e Papa verdanken, der sollte die eigentlich heute Morgen noch schnell in die Tonne werfen! Aber die kommt auf jeden Fall weg, die zeig‘ ich auch Saskia gar nicht erst, wo Du reingewichst hast kann man ja niemandem mehr zumuten! Und wenn Du nicht willst und weiter nach Klamotten fragst, die schon längst weg sind …“

8 Tage und der Rest von heute also, seit dem Gespräch am Mittagstisch hatte seine kurze Lederhose plötzlich ein hartes Verfallsdatum. Aber warum sprach seine Mami plötzlich von Lederhosen? Warum Mehrzahl? Gespannt lief er nach oben und arbeitete sich durch den Packen aussortierter Altkleider. Das erste Mal in seinem Leben wo er nochmal drüber schauen durfte, wo er eine – wenn auch sehr geringe Chance hatte – etwas zu retten. Er war gespannt, was er noch alles zwischen den aussortierten Sachen finden würde, was er selber noch nicht mal kannte.
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Die Neugierde, was alles auf dem Packen zu finden sein wird, wuchs in Kevins Kopf. Nach dem Mittagessen, das so anders als sonst verlaufen war, flitzte er nach oben, direkt in den Schlafbereich und riss den Kleiderschrank auf. Lederhose und Lieblings-T-Shirt lagen natürlich als unterstes auf dem gesamten Kleidungspäckchen. Vorsichtig und ohne den wackeligen Stapel umzuwerfen zog er beides heraus, zog Jeans und Pulli, die er zur Schule an hatte aus und schlüpfte in seine einzigen, echten Lieblingsklamotten, die ihm noch geblieben waren. Das Adidas T-Shirt hatte er von Jahren auch mal von Oma bekommen, das erste Stück Markenklamotten seines Lebens. Es gab‘ halt auch Zeiten, da ging es ihm und seinen Eltern finanziell nicht sonderlich gut. Die Phase, wo Papa zunächst seinen Job als Mechaniker verloren und lange Zeit arbeitslos war bis er die extrem gut bezahlte Tätigkeit am Flughafen annehmen konnte, war echt hart.

Umzingelt von erotischen Gefühlen schmiss er sich den Tränen nahe auf’s Bett. Er dachte an seinen Nicki und an Saskia, und hatte die Hoffnung dennoch nicht aufgegeben, ihn eines Tages doch noch an ihr wiederzusehen. Eine Hoffnung, die er bei seiner Lederhose definitiv nicht haben würde. Die würde – falls nicht noch ein Wunder namens „Papa“ geschieht – demonstrativ sichtbar im Müllsack an den Straßenrand gestellt. Vermutlich ohne große Beachtung würde sie beim Sortieren übrig bleiben, erst mit anderen Ledersachen zu einem großen Ballen verpresst um dann später im Reißwolf geschreddert zu werden. Er war selten mit Mama einer Meinung, aber dass sich niemand mehr für seine geliebte Lederhose interessieren würde, war ihm klar. Die Gedanken wurden intensiver, sein Penis steifer und härter bis sich schließlich alles schlagartig entlud. Der geile Zauber war vorbei und auf einmal war die Lederhose wieder eine ganz normale Hose für ihn und der Kapuzennicki? „Haken dran“ dachte er sich – aber so einfach war das nicht, denn er war sich sicher, spätestens am nächsten Tag waren die Gedanken und Gefühle darüber wieder bei ihm.

Er döste wie jedes Mal kurz ein, stand dann wieder auf, schaute sich enttäuscht und gelangweilt den Altkleiderpacken im Schrank an, fand aber nichts, was ihm noch wirklich wichtig wäre. Nächsten Sommer gibt’s ja wieder Sommer-Markensachen im Überfluss, da konnte er sich eh nicht gegen wehren, also war’s ihm – obwohl es ihm in der Seele weh tat – egal, ob etwas davon verwahrt werden sollte, oder nicht. Der neue Adidas Kapuzenpulli, den er letztens von Oma geschenkt bekommen hatte, lag verständlicherweise nicht auf dem Päckchen und die Sprintershorts, die er vor kurzem beim Fußball zerrissen hatte, waren eh direkt in der Tonne gelandet. Und bei manchen Sachen, die er auf dem Päckchen entdeckte, war er froh, dass er sie nie tragen brauchte: Die Latzshorts zum Beispiel, auch ein Geschenk (von wem waren die noch gleich?), viel zu groß gekauft (aus Unwissenheit) waren vielleicht in dem Jahr in, wo er sie geschenkt bekommen hatte – aber halt doch eher was für Mädchen. Saskia wird sich drüber freuen, oder auch nicht – und ob sie Anna passen würden? Sicherlich nicht …

Und jetzt wusste er auch, was Mami mit „Lederhosen“ meinte. Die damals am Ende des Kindergartens Anfang der Grundschule gehasste (weil aus grauem, harten Rauleder) war auch noch wieder aufgetaucht. Wenn die wenigstens aus dem weichen Glattleder gewesen wäre, wie seine kurze, dann hätte er sie vielleicht auch öfters angezogen. So hatte er sie halt ein oder zweimal zum Kindergarten angezogen, aber diese beiden Male hatten völlig ausgereicht die neue Lederhose in Matsch und Regen völlig einzusauen und aussehen zu lassen, als wäre sie schon Jahre alt. Was aber nichts daran änderte, dass sie immer noch knochenhart und unbequem war, dafür aber so was von dreckig, dass Kevin sie damals wenigstens nicht mehr allzu oft anziehen musste. Ein paar Mal danach noch im Urlaub, aber in der Regel bevorzugte er die kurze, die ihm bis heute sogar noch passte. Nein, zu dieser Hose konnte und wollte er keine Gefühle aufbauen, ganz im Gegenteil, er spürte wenn überhaupt Hass und Ablehnung bei dem Teil. Da sie definitiv kleiner war als die kurze, versuchte er auch gar nicht mehr sie anzuprobieren – die hätte eh nicht gepasst. Vielleicht würde sie Peter passen, aber nein, was Kevin nicht mochte, wird auch Peter nicht mögen und schon lag das Teil wieder zwischen den anderen Altkleidern.

Zwei alte Lederjacken tauchten noch mit auf, die er letztes oder vorletztes Frühjahr noch getragen hatte – lustlos zusammengefaltet und platt gedrückt. Eine hellbraune aus Glattleder und eine blaue aus ekelhaftem Schweinleder, die er anziehen musste obwohl ihm die braune eigentlich lieber war. Beide waren schon gebraucht als er sie bekam und zum „Glück“ hatte er die blaue mal auf der Kirmes beim Currywürstchen essen sowas mit Soße beschmiert, dass die Jacke reif für die Reinigung gewesen wäre. Oder gleich für den Müllsack, jedenfalls durfte er danach die braune noch wieder anziehen. Nun lagen beide auf dem Päckchen, die braune altmodisch und abgegriffen (aber noch ganz und einigermaßen sauber) und die blaue, noch deutlich sichtbar verschmiert.

Doch nach und nach fand er immer mehr Dinge, die er noch gar nicht kannte. Die coole, braune Lederjeans, die er sich vor zwei Jahren so sehnsüchtig von seiner Patentante gewünscht – aber angeblich nie bekommen hatte. Vor zwei Jahren hätte sie ihm perfekt gepasst, heute brauchte er gar nicht probieren sie anzuziehen, denn sie wäre ihm mindestens zwei, drei Größen zu klein. Echtes Leder war es zwar nicht, aber dennoch eine sehr gute Qualität. Er erinnerte sich an Mamis Worte „Nach Deinen Lederhosen brauchst Du gar nicht erst zu fragen …“ und so schossen ihm wieder Gedanken durch den Kopf. Wird Saskia wenigstens die Chance bekommen, die braune Kunstlederjeans – von der er immer geträumt hatte als Anna mit ihrer schwarzen zur Schule kam – anziehen zu dürfen, oder wird Mami sie auch ihr verweigern und bevor sie den Packen durchstöbern darf schon in den Sack befördert haben? Nein, diesmal nahm er Mamis Mahnung ernst und nahm sich vor, diese Frage nicht zu stellen.

Nach einer halben Stunde war der Packen durch und Kevin machte sich – nachdem er kurz die Hausaufgaben gemacht hatte auf zum Fußball spielen mit Anna und den anderen Kindern. Anna strahlte vor lauter Freude Kevin nochmal wieder in kurzer Lederhose sehen zu dürfen, während Kevin lustlos und traurig wirke. „Manchmal wünschte ich mir, ich hätte Deine Mama!“ rief Kevin Anna zu. „Wieso?“ – „Ach, lange Geschichte – nicht jetzt …“ „Na gut, dann nicht. Lass uns anfangen zu spielen …“ Anna und Kevin spielten wie immer gegeneinander durften wählen und stellten sich ihre Mannschaften zusammen. Doch Kevins Laune wollte einfach nicht besser werden.

Katrin kam dann doch etwas früher mit Cheffe vom Einkaufen zurück. „Übrigens, ich hab‘ noch was für Dich – muss ich Dir die Tage mal mitbringen!“ rief sie und tröstete mich somit darüber hinweg, dass sie heute zur Lederjacke doch nur ihre GoreTex-Motorradhose angezogen hatte. Vorm Chef wollte ich jetzt nicht mit ihr weiter ins Detail gehen und sagte nur „Alles klar!“ Ich machte Feierabend und war gespannter Dinge die da kommen würden.

Das Wochenende verbrachten Anna und ich zusammen mit Frankie und Peter. Kevin war mitgekommen, hatte – was mich für einen Sonntag erstaunte – seine kurze Lederhose und das alte Adidas T-Shirt an und machte einen nervösen Eindruck. Am Freitag war Saskia gekommen und hatte sich am Altkleiderberg bedienen dürfen doch was sie mitgenommen hatte, blieb Mamis Geheimnis. Jedenfalls waren alle Sachen aus dem Schrank verschwunden – Kevin traute sich allerdings auch mal wieder nicht nachzufragen. Er war sich sicher, dass Saskia nicht alles mitgenommen haben wird, fand aber die Überreste nicht. Manchmal packt Mama noch altes Zeug von ihm zu sich in den Kleiderschrank, dorthin, wo sie Altkleider von sich und Papa vorsortiert hatte, bis diese endgültig im Sack landen. Aber da traute er sich erst recht nicht dran. Er war einmal an Mamas Kleiderschrank erwischt worden und beim Gedanken daran taten ihm die Hände immer noch weh, so feste hatte Mama drauf gehauen.

„Cool, Du heute in kurzer Lederhose und das auf ‘nem Sonntag? Was ist denn los, Kevin? Was biste denn so nervös?“ fragte ich ihn. Anna durfte jederzeit wann sie wollte ihre kurze Lederhose tragen, aber von Kevin war ich eigentlich gewohnt, dass er sich Sonntags fein machen musste, was ihm in der Regel überhaupt nicht behagte, weil er eben ein sehr aktives Kind ist, was gerne noch rumtobt und – für sein Alter eher untypisch – keinen Spielplatz auslässt. „Hattest Du Donnerstag keinen Zettel im Briefkasten?“ fragte er neugierig. „Was für’n Zettel?“ wollte ich wissen. „Samstag ist „Altkleidersammlung – ihre Sachen werden sortiert und kommen nicht in den Reißwolf“ sagte er traurig. „Mami hat wieder aussortiert und meine Lederhose soll auch mit weg. Die hab‘ ich heute einfach ohne zu fragen angezogen und bin heimlich raus – das gibt bestimmt Ärger, wenn ich nach Hause komme. Hoffentlich ist Mama dann nicht da …“

„Oh mein Gott“ dachte ich, „wie tief hat Kevin da eigentlich ins Klo gegriffen?“ Seine Mami war das ganz „alte Schule“ von wegen Sonntagskleidung und so. Außerdem konnte ich ihre verschwenderische Art eh noch nicht ab – sein Kind so im Überfluss aufwachsen zu lassen ist auch nicht gut. Etwas mehr Zurückhaltung, Bescheidenheit und Nachhaltigkeit können doch eigentlich nicht so verkehrt sein. Aber da tickte seine Mama anders und das was ich mitbekam war auch sicher nur die Spitze des Eisbergs, denn er erzählte normalerweise recht wenig von zu Hause. Nur manchmal, wenn sich der Frust mal wieder wochenlang aufgestaut hatte, sprudelte es wie aus einem Wasserfall aus ihm heraus. So wie heute, wo er mir die Erlebnisse der letzten Tage bis in alle Einzelheiten erzählte und er anscheinend froh war, mit jemandem Erwachsenen über seine Erlebnisse berichten zu dürfen.

Die Ansage „Samstag kommt die Lederhose mit weg“ fand ich echt hart – so direkt hatte ich es bei Anna eigentlich nie gemacht. Selbst damals bei der ersten Latzhose nicht, wo der Sack versehentlich im Müll statt in der Altkleidersammlung gelandet war. Gut, die war dann doch noch kaputt gegangen, aber wenn Anna gewollt hätte, ach ich weiß auch nicht mehr. Klar, Kevins Mama hatte in der Sache Recht, die Lederhose war zu klein, enger als Annas im direkten Vergleich und noch deutlich mehr abgetragen. Angeknabberte Hosenträgerenden, lose Nähte, die ein oder andere Stelle wo das stabile Leder doch schon durch zu sein schien und die Tatsache, dass sie bei näherem Betrachten unangenehm nach totem Fisch roch ließen nur ein Ergebnis übrig: Kevin durfte froh und glücklich sein, dass er sie so überhaupt noch für draußen anziehen durfte. Er sollte seinem Papa dankbar sein, dass der sie nicht wie von Mama angesagt schon am Donnerstag in die Tonne geworfen hatte. Ich nahm Kevin in den Arm, versuchte ihn zu trösten und sagte: „Freu Dich auf eine schöne Woche, genieße die letzten Tage in Deiner Lederhose und wenn Du die so sehr magst, dann wünsch‘ Dir doch nochmal ‘ne neue“ „Die bekomme ich doch bestimmt nicht und wenn mir jemand eine schenken würde, dürfte ich die bestimmt nicht anziehen. Ich kenn‘ doch Mami, die ist froh und macht drei Kreuze, wenn die am Samstag weg ist. Das brauch‘ ich gar nicht erst versuchen. Da hat es Peter schon besser – der darf seine neue wenigstens anziehen, auch wenn er nicht will. Verkehrte Welt!“
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Kevin war den ganzen lieben langen Sonntag mit uns unterwegs. Nachmittags gingen wir mit den Kids in den Zoo, Anna und Kevin in ihren kurzen Lederhosen und Peter in seiner neuen Kniebundhose. Peter fand die neue Lederhose immer noch doof, was Kevin wurmte, denn er hätte liebend gerne mit ihm getauscht. „Was machst Du eigentlich mit Annas alten Sachen, die ihr nicht mehr passen?“ fragte Kevin mich plötzlich. Anna stand neugierig neben mir und wartete gespannt darauf, was ich nun antworten würde. „Unterschiedlich, je nach Zustand. Kaputtes landet bei uns direkt in die Mülltonne, der Rest der geht in die Altkleidersammlung. Zum Weiterverschenken im Freundeskreis taugen Annas Sachen alle nicht mehr! Du weißt ja, Anna trägt sehr viel gebrauchtes, was oftmals schon durch mehrere Kinderhände gegangen ist. Sie hat es nicht so gut wie Du, die ständig nur Neues kriegt.…“

Ich weiß, der Spruch war jetzt hart, aber irgendwie ärgerte ich mich darüber, dass Kevin selbst zu den unpassendsten Gelegenheiten mit neuesten und teuersten Klamotten auflief, was zur Folge hatte, dass die anderen Kinder die deutlich weniger hatten (und die waren eindeutig in der Mehrheit) neidisch und eifersüchtig waren. Aber ich merkte halt, es war die Mama und eben nicht Kevin, und das machte mich wahnsinnig. Kevin war derjenige, der sich in alter Lederhose und abgetragenem Kapuzennicki weitaus wohler fühlte als in neuen Markenklamotten.

„Stellst Du denn Samstag auch einen Altkleidersack mit Annas Sachen vor die Tür?“ bohrte Kevin dann nach. „Bis jetzt noch nicht, aber eigentlich müssten wir auch mal wieder aussortieren, Anna, oder? Hat sich bestimmt wieder ‘ne Menge Sachen angesammelt, die vom letzten Winter nicht mehr passen oder an Sommersachen, die wir nicht mehr für nächstes Jahr verwahren brauchen.“ Anna nahm’s gelassen „Von mir aus …“ nickte sie zustimmend, wohl wissend dass ich ihr versprochen hatte, die kurze Lederhose bis zum nächsten Jahr liegen zu lassen. Und die Latzhosen waren auch noch nicht reif für die finale Entsorgung, was auch daran lag, dass Anna sie immer seltener anzog. Ihre neue 501er Levis war ihr ein und alles, die trug sie in letzter Zeit fast täglich zur Schule, zog sich aber für drinnen meist irgendwas Altes an.

Peter hatte die Aussortieraktion ja zusammen mit mir gerade erst hinter sich gebracht, von daher war er absolut entspannt nächsten Samstag an ging. Frankie trug seine Lederjeans, ich hatte mich für meine Latzhose entschieden, unter der ich meinen schwarzen Kapuzennicki trug. In dem Outfit gefiel ich nicht nur Frankie, sondern auch bei Kevin hatte ich den Eindruck, dass er meinen Pulli mochte. „Du hattest doch auch mal einen Kapuzennicki, Kevin?“ fragte ich neugierig. „Trägst Du Deinen noch?“ wollte ich wissen. Kevin sah mich völlig entgeistert an, als ich ihn fragte. Ich hatte wohl unbeabsichtigt meine Hand in seine offene Wunde gelegt. „Der ist weg, mehr weiß ich nicht …“ druckste Kevin herum. „Mama meinte, der wäre zu klein gewesen und außerdem hätte ich ja von Oma einen neuen Kapuzenpulli zum Geburtstag bekommen.“

„Oh, das wusste ich nicht!“ entschuldigte ich mich für meine neugierige Frage. „Der saß doch noch gut, als Du ihn letztens bei uns mal an hattest. Anna war so begeistert davon, sie hatte früher auch mal einen …“ „Weiß ich“ erwiderte Kevin. „Den hatte Anna immer zur Lederjeans an – die fand ich damals so geil, dass ich mir eine gewünscht hatte. Und jetzt seh‘ ich auf dem Altkleiderpacken im Schrank eine neue, braune Kunstlederjeans, die ich nie vorher gesehen geschweige denn angezogen hatte. Typisch Mami …“ „Na, hoffentlich kommt die nochmal in gute Hände!“ versuchte ich Kevin zu trösten, wohlwissend, dass alles an Leder und Kunstleder inzwischen bei UsedTex (und da gehen die Sachen aus der lokalen Altkleidersammlung meines Wissen nach immer noch hin) unsortiert in den Reißwolf geht, egal ob neu und ungetragen oder gebraucht und völlig fertig.

„Ich fürchte nicht. Saskia, die Tochter von Mamas bester Freundin darf vorher sich immer was aussuchen, der Rest geht dann halt in die Altkleider. Mama ist es wurscht, was mit den Sachen passiert – ich bekomm‘ nächstes Jahr eh wieder neue Sommerklamotten und dann geht das Spielchen von vorne los. Nur Mama meinte, von den Ledersachen wäre für Saskia nichts dabei. Ich fürchte, die Lederjeans ist Samstag auch im Sack, genau wie meine kurze …“ Kevin war den Tränen nahe, ich nahm ihn in die Arme und er fing fürchterlich an zu weinen, so heftig, wie ich schon lange kein Kind mehr hab weinen sehen. Nicht trotzig oder bockig, nein einfach nur traurig. „Warum tut Mami mir das an, warum darf ich nicht einfach nur so sein, wie ich möchte …“ und ich spürte sein Unbehagen was neue Klamotten anging.

Es fiel mir schwer den sonst so frechen und aufgeweckten Bengel zu trösten. Weder gute Worte noch die Aussicht auf ein leckeres Eis ließen ihn aufmuntern. „Soll ich mag mit Deinen Eltern sprechen?“ bot ich ihm an. „Bloß nicht, dann machst Du alles nur noch viel schlimmer“ sagte er schluckend, während ihm dicke Tränen die Wange runterkullerten. Anna bekam das natürlich alles hautnah mit und übernahm ohne etwas zu sagen meine Rolle. Sie tröstete Kevin auf eine besonders charmante Art und ich hatte durchaus den Eindruck sie machte das richtig und gut. Jedenfalls verbrachten die beiden von dort an einen wunderschönen und ausgeglichenen Tag im Zoo. Anna schaffte es, dass die Tiere im Zoo plötzlich wieder interessanter würden, zumindest für einen Moment interessanter als alte Kapuzennickis, abgewichste Lederhosen, Saskia und Altkleidersammlungen.

Bei Anna spürte Kevin das Kribbeln im Genitalbereich, das er bislang nur beim Gedanken an seinen Nicki und seine Lederhose verspürt hatte. Gleichzeitig merkte er aber auch, dass Annas Lederhose bislang keinen sonderlichen Reiz auf ihn ausübte. Wahrscheinlich war es die Sicherheit, dass er Annas Lederhose noch zigmal wiedersehen würde, weil ich ihm und Anna das Gefühl gab, dass sie die noch ewig tragen durfte. Annas Lederhose stand für ihn noch mitten im Leben, sie hatte lange noch nicht auch nur die Nähe der Regenbogenbrücke erreicht, bei der Entsorgung drohte. Auch Anna fühlte sich zu Kevin hingezogen, und ja zu Kevin – nicht zu seiner Lederhose. Obwohl sie ihn natürlich darin extrem geil fand, war dieses Gefühl auch da, wenn sie ihm nur in die süßen blauen Augen schaute. Anna liebte blaue Augen, sie waren für sie das Optimum an Männlichkeit – wenn man das in ihrem Alter überhaupt so sagen konnte. Kevin griff nach Annas Hand und sie hielt ihn fest – erst nicht verstehend, was da gerade gefühlsmäßig passierte, ihm aber unbewusst Sicherheit und Halt gebend in einer Zeit wo er gerade sich und andere zu entdecken schien.

Als Frankie und ich zusammen mit den Kinder am Spielplatz angekommen waren, gab’s für Peter kein Halten mehr: Der große Sandkasten und die riesige Kletteranlage aus Holz mit Schaukelbrücke und Rutschbahn hatten ihn von klein auf immer wieder fasziniert. Und plötzlich war ihm auch die neue Lederhose völlig egal – hinein ins Vergnügen ohne irgendwelche Rücksicht auf Verluste. Die brauchte er auch nicht zu nehmen, denn für so’n Rabauken ist ‘ne Lederhose immer noch am besten. Auch wenn die heute Abend gut eingetragen aussehen wird und die ersten Kratzen am Knie und am Po abbekommen wird, die heutigen Billigjeans sind doch nach einem richtigen Spielplatznachmittag reif für die Tonne. Der Stoff ist so billig und dünn, dass der schon beim Anschauen kaputt geht. Von den mit heißer Nadel gestrickten Nähten mal ganz zu schweigen. „Alles richtig gemacht“ dachte ich mir und auch von Frankie gab’s Zustimmung zur Lederhose und zum Kapuzenpulli. „Langsam wird er mit der neuen Lederhose warm!“ meinte er. „Find ich auch gut, hab‘ ich Dir überhaupt schon DANKE gesagt?“ Klar, hatte er. Letzte Woche beim Italiener, an den Abenden zwischendurch in der Woche, wo wir uns trafen und wo Anna und ich ausnahmsweise mal bei ihm übernachtet hatten.

Während Peter sich auf dem Spielplatz austobte, Frankie und ich eine Runde auf der Parkbank ausruhten, drehten Kevin und Anna eine kleine Runde allein durch den Zoo. „Ich will zu den Elefanten!“ schlug Kevin vor. „Und ich zu den Löwen!“ rief Anna. „Ok, Ladies first …“ und schon zwitscherten die beide verliebten Turteltäubchen ab. Anna hatte Schmetterlinge im Bauch und fühlte, wow, der Typ ist es – den wirst Du auch ohne kurze Lederhose noch genau so mögen. Kevin war sich seiner Gefühle nicht sicher, vielleicht war er ja Anna auch schon etwas voraus und hatte seine ersten Erfahrungen gesammelt. Auf jeden Fall spürte er dieses Kribbeln auch bei Anna – aber ihr das einzugestehen, traute er sich für den Moment noch nicht.

Der Montag drauf verlief ruhig und ohne weitere Zwischenfälle. Es war recht warm und trocken, so dass Kevin die Zeit des Abschiednehmens von seiner kurzen Lederhose noch richtig ausgiebig genießen konnte. Nach der Schule zog er sich sofort um, sein altes Lieblings-T-Shirt muffelte schon recht ordentlich, aber Mami weigerte sich hartnäckig, es nochmal mit in Waschmaschine und Trockner zu stecken. „Lohnt doch nicht mehr“ und „Dann zieh‘ doch was anderes an“ waren Mamis nicht gerade aufbauende Worte. Von Papa gab’s besonders Abends immer mal wieder Kommentare, die ihn etwas verwirrten, so von wegen „Eigentlich schade …“ und „Genau richtig für den Herbsturlaub“. Aber die harte Deadline stellte auch Papa nie wirklich in Frage.

Katrin war inzwischen wieder in ihren normalen GoreTex Klamotten zur Arbeit erschienen. „Ich hab‘ Dir übrigens was mitgebracht!“ meinte sie grinsend zu mir und zeigte auf ihren prall gefüllten Rucksack. Geb‘ ich Dir nach der Mittagspause!“ Ich freute mich sichtlich, denn für mich war es klar, was sie da mitgebracht hatte. Ich war aufgeregt wie lange nicht mehr, so wie als Kind an Heiligabend, wenn’s die Geschenke gab. Quengeln wollte ich jetzt auch nicht, also ließ ich meiner Vorfreude freien Lauf und wartete ab und harrte der Dinge die da kommen mögen. Zum Glück hatte ich genug zu tun, dass ich mich ablenken konnte.

Nach dem Mittag trafen wir uns in der Kaffeeküche: „Hier hast’e erstmal den Norwegen-Reiseführer zurück, den Du mir vor ein paar Wochen mal ausgeliehen hattest ...“ Mir fiel förmlich die Kinnlade runter und das Wort „Enttäuschung“ schien in großen Lettern auf meiner Stirn zu blinken. An den Reiseführer hatte ich schon gar nicht mehr gedacht. Jedenfalls hatte ich Katrin völlig verunsichert und während ich wortlos und schockiert in der Küche stand, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: „Mensch, scheiße, an die Lederhosen für Deine Kleine hab‘ ich ja gar nicht mehr gedacht. Ich muss unbedingt Mama fragen …“
Zuletzt geändert von AnnasMama am Fr 16. Okt 2015, 14:50, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Anna

Beitrag von boehsetante »

Ich roll gerade die Geschichte von Anfang an, wieder auf, bin jetzt bei Seite 4 und immer noch und schon wieder schwer begeistert.
Hat mir die letzten Abende versüßt.
Bitte mach ruhig weiter, mir gefällt es
Schönen Gruss von der boehsentante
(Ich bin nicht böhse, auch nicht bächtig möse :-)
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Ich wünsche allen einen schönen Sonntag, Kommentare zu "Anna" dürfen gerne hier abgegeben werden :!:

Am nächsten Morgen kam Katrin sichtlich angenervt in Büro. Sie war spät dran, später als ich und kam wie gewohnt in ihren GoreTex Sachen. „Du, ich hab‘ gestern mit Mama gesprochen – sei mir nicht böse, aber …“ Ich ahnte böses, ließ mir aber nichts anmerken. „… Mama meint, die wären nichts mehr zum Anziehen. Die Latzhose müsste erstmal in die Reinigung und das würde sich nicht mehr lohnen. Und die rote Lederjeans wäre auch nicht mehr so dolle. Wenn Donnerstag noch Platz in den Tonnen wäre, gingen die mit auf den Müll – ansonsten wäre ja Samstag noch Altkleidersammlung. Und bei der Gelegenheit käme die alte Lederjacke auf endlich mit weg …“ Die hätte sie ja letzte Woche nur noch mal ausnahmsweise zur Arbeit getragen.

„Echt nichts zu machen? Nicht für Geld und gute Worte?“ hakte ich nach. „Nee, wenn sich Mama was in den Kopf setzt, setzt sie das auch durch. Und ich bin ehrlich gesagt auch froh, wenn die endlich weg sind, sonst kommt Mama noch auf die Idee, dass ich die nochmal anziehen könnte!“ Ich machte enttäuscht Feierabend und überlegte, ob es nicht doch noch Mittel und Wege gäbe, die Sachen abzugreifen oder zumindest noch einmal wiederzusehen. Frankie tröstete mich ein wenig über die Situation hinweg, auch wenn ich bei ihm nicht ins Detail gehen wollte. Auch Anna merkte abends meine Enttäuschung, aber zum Glück ahnte sie nicht, dass es im Grunde genommen um sie ging.

Es war Mittwoch geworden. Katrin war mal wieder die erste im Büro, an der Garderobe hing alte, abgetragene Lederjacke. Als ich sie sah, standen mir fast die Tränen in den Augen: „Mama meinte, meine GoreTex-Hose wäre mal reif für die Wäsche, so hat sie die gestern Abend einfach ohne zu fragen in die Waschmaschine gesteckt. Und da ich heute unbedingt mit dem Moped kommen wollte. Aber mach Dir keine Hoffnungen …“ Ich schluckte, mir stockte der Atem, ich war fassungslos. „Und hier, damit Du’s mir glaubst, die rote ist völlig fertig, die ist echt nur noch Müll. Anziehen kann die keiner mehr, hab‘ sie Dir extra mitgebracht!“ Und schon flog wütend eine Plastiktüte zu mir rüber. Ich nahm eine völlig verschmutze, einst knallrote Lederhose heraus – dahingegen war die antikbraune Lederlatzhose, die Katrin heute noch einmal zum Büro an hatte wie neu. Jedenfalls was ich davon erkennen konnte, denn sie versteckte den Latz unter einem ihrer ebenso alten und verwaschenen Fruit of the Loom Kapuzenpullis.

Die rote Lederhose war in der Tat so wie Katrin sie mir gestern beschrieben hatte. Der Werkstattschmutz hatte sie am meisten mitgenommen, das Innenfutter war komplett zerrissen, am rechten Knie ein unübersehbares, großes Loch und am Hintern ein etwa 10 cm langer Riss. Katrin hatte also was die rote Lederhose angeht zumindest mal nicht gelogen. „Hab‘ ich doch gleich gesagt, die kann niemand mehr anziehen. Aber dass Du mir nicht so glaubst!“ Katrin war verärgert, so richtig sauer. Die Azubine, die sonst keiner Fliege was zu Leide tun kann, war auf 180 und kochte vor Wut. „Und wegen Dir musste ich heute die Scheiß-Lederlatzhose nochmal anziehen! Hätte ich doch bloß am Montag die Klappe gehalten, dann hätte Mama die endlich mit entsorgt, aber so?“

„Na, so schlimm ist die doch auch wieder nicht, oder?“ versuchte ich Katrin zu beruhigen. „Die ist genauso fertig, vielleicht nicht ganz so wie die rote, aber die hat’s ebenfalls bald hinter sich. Komm, schmeiß die rote wieder rüber, die nimm ich wieder mit und dann gehen die heute Abend beide mit weg …“ Da war echt nichts zu machen, Katrin entpuppte sich als extrem harter Fall und ich hielt den Rest des Tages einfach mal meine Klappe. Die rote Lederhose lag noch demonstrativ zusammengeknubbelt auf ihrem Schreibtisch, mir juckte es in den Fingern, sie dennoch einzusacken, aber das unterließ ich dann doch besser. Das wäre mir nachher noch als Diebstahl ausgelegt worden und dann wäre ich meinen Job los, und das alles nur wegen einer völlig zerfetzten Lederhose. Zumindest hatte Katrin nach der Frühstückpause ihren Hoodie ausgezogen und ich konnte sie ein paar Stunden lang in ihre Lederlatzhose genießen. Es gibt eigentlich nur ein paar ganz wenige Tage, wo ich freiwillig länger im Büro bleibe – aber heute war so ein Tag.

Ich wusste, wenn wir nun zusammen rausgehen hatte ich nur noch eine einzige, allerletzte Chance. „Bedeuten Dir denn die Lederhosen wirklich so viel?“ wollte Katrin von mir wissen, nachdem die rote bei ihr im Rucksack verschwunden war. „Ach weißt Du, mir selber bedeuten sie nicht viel, aber Annas braune Kunstleder-Latzhose wird auch nicht mehr ewig passen. Vielleicht noch diesen Herbst-/Winter, dann fürchte ich wird sie zu klein sein und ihr nicht mehr passen. Und Anna liebt diese Hose über alles! Ich würde so gerne nochmal eine größere für sie haben wollen, aber finde erstmal eine. Lederhosen sind out, da gibt es selbst gebraucht kaum noch was.“

„Verstehe“ erwiderte Katrin und setzte sich den Helm auf den Kopf – aber ich fürchte, ich kann da wirklich nichts für Dich tun. Mama will die beide wegschmeißen und ich hab‘ echt keine Idee, wie ich das anstellen soll. Und Du hast es ja gesehen, die rote ist völlig fertig, und meine die ich an habe, naja – eigentlich auch.“ Katrin brauste davon und ich nahm in Stille Abschied von meinem Traum, Anna mit einer echten Lederlatzhose samt passender Jacke glücklich machen zu können.

Am nächsten Tag hatte Katrin ordentlich verpennt. „Schmeiß die Ledersachen gleich einfach mit in die Tonne, dann können heute noch mit weg“ mahnte sie ihre Mutter beim Wecken. Die GoreTex Sachen waren wieder trocken und so beeilte sie sich, um noch einigermäßen pünktlich zur Arbeit zu kommen. Das Päckchen mit den beiden Lederhosen und der dazu passenden Lederjacke unterm Arm rannte sie das Treppenhaus runter zu den Mülltonnen, denn das Geräusch des Müllwagens war schon um die Ecke zu hören. Die Tonnen waren von den Müllmännern schon vorgeholt und standen abfuhrbereit am Straßenrand. Alle wie immer komplett überfüllt. Katrin zögerte einen Moment, schaute zum Küchenfenster hoch, ob Mutter sie beobachtete. Aber die hatte es sich nach dem Frühstück auf der Couch bequem gemacht.

Mit viel Stopfen und Drucken fand die rote Lederhose noch Platz in einer der Mülltonnen, aber dann war auch die letzte Tonne mehr als voll. Die Deckel gingen schon lang nicht mehr zu und alles, was man noch drauf gestopft hätte, wäre unweigerlich wieder runtergefallen. Katrin hatte es eilig, also stopfte sie beide Ledersachen in den Rucksack in der Hoffnung, dass in den Mülltonnen auf der Arbeit noch Platz wäre. Irrtum, auch dort alles überfüllt. Auf der Arbeit angekommen, war ich diesmal zuerst da. „Scheiße, was sind die Mülltonnen heute Morgen wieder voll gewesen, selbst hier quellen die fast über! Wann kommen die Müllmänner eigentlich hier, ich hab‘ noch was, was weg kann!“ begrüßte sie mich und warf wütend die beiden verbleibenden Ledersachen in die Ecke.

Katrin war also fest entschlossen, den Auftrag ihrer Mutter bis zum bitteren Ende auszuführen. „Beruhige Dich doch erst mal – bei uns zu Hause in den Tonnen ist noch genügend Platz!“ „Ich hab‘ jetzt echt keinen Nerv mehr, aber tust Du mir bitte einen Gefallen: Schmeißt Du die bitte dann bei Dir in die Tonne? Ja? Danke!“ Katrin hatte also den Auftrag ihrer Mutter kurzerhand an mich weiterdelegiert. Und natürlich nahm ich liebend gerne diesen Auftrag für sie an! Kurzerhand verschwanden Lederlatzhose und Jacke bei mir im Rucksack. Nicht, dass sich Katrin es nachher doch noch anders überlegt.

Für Kevin war es ein Tag und der Rest von heute. Spätestens morgen Abend würde seine Mami ihn bitten, die Lederhose auszuziehen und ihr auszuhändigen, damit sie die noch schnell im Altkleidersack verschwinden lassen könnte. Das sich nach der Schule umziehen und auf dem Bett liegend in der Lederhose onanieren war mittlerweile zum regelmäßigen Zeremoniell geworden. Er dachte dabei an primär an das Ende seiner Lederhose, wie der morgige Tag verlaufen würde, wie Samstag die Altkleidersammler den von Mami rechtzeitig nach draußen gestellten Müllsack mit Schmackes auf dem LKW werfen würden, wie die Säcke dann umgeladen und schließlich beim Verwertungsunternehmen landen würden.

Er stellte sich die Sortiererin als ältere Frau vor, so Mitte, Ende 50 vielleicht, in einem hellblauen Kittel gekleidet, halt so wie die Frauen damals rumliefen im Film über Altkleidersammlungen bei „Der Sendung mit der Maus“. Und er sah vor seinem geistigen Auge, wie diese Frau mit einem Teppichmesser den Müllsack aufschlitzte und all die alten Sachen von ihm auf ein Förderband geworden und ausgebreitet wurden. Jeder einzelne Gedanke, jeder kleinste Schritt geilte ihn ein wenig mehr an. Er war sich sicher, die lange Erfahrung der Frau und der tägliche Umgang mit Altkleidern würden dazu führen, den Inhalt des Sackes innerhalb kürzester Zeit in „Gut“ und „Schlecht“ trennen zu können. Er malte sich aus, was passieren würde, wenn die Sortiererin seine Lederhose entdeckte. Sicher war er nur, sie würde sie nur anfassen, an den alten, abgenagten Trägerchen greifen, hochhalten und einmal kurz von vorn und hinten begutachten. Dann wäre ihre Entscheidung klar: Ab in den Reißwolf. Etwas anderes konnte, etwas anderes wollte Kevin sich nicht vorstellen.

Und dann würde sie auf das Fließband geworfen, zusammen mit den anderen Ledersachen, seinen Lederjacken und der nagelneuen Kunstlederjeans, die von der Sortiererin ebenfalls als nicht mehr verwertbar eingestuft würde. Langsam aber stetig bewegt sich das Band Richtung Schredder, langsam aber stetig erregte sich sein Glied. Die laut mahlenden Geräusche des Reißwolfs übertönten den erlösenden Samenerguss bei weitem. Zum vorletzten Mal so vermutete er, hatte er dieses Gefühl in seiner Lederhose. Sicherlich würde er auch nächste Woche wieder nach der Schule sich umziehen, auf’s Bett legen, onanieren und an seine Altkleider denken. Nur was er dabei anziehen würde, wusste er noch nicht.
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

„Kevin, aufstehn!“ rief seine Mami von unten aus der Küche hoch. „Übrigens: Soll heute warm werden, zieh‘ Dir zur Schule ‘ne kurze Hose an …“ – „Ha, ha“ dachte er, welche denn? Denn alles, was er bis dato an kurzen Hosen besaß war entweder bei Saskia oder auf dem Altkleiderstapel gelandet. „Hast die freie Auswahl, oder muss ich erst raufkommen und Dir was hinlegen?“ Kevin verstand nicht so recht, was Mami meinte – er stand regelrecht auf dem Schlauch. Sprintershorts zur Schule waren bislang genauso wenig erlaubt, wie seine kurze Lederhose, für die heute der letzte Tag angebrochen war. Sollte Mami ihn etwa in doch in der Lederhose zur Schule lassen? Sollte er den letzten Tag mir ihr noch einmal in der ganzen Fülle genießen dürfen? Oder suchte Mami nur einen Anlass, ihm vor dem Frühstück schon den Riesenärger verpassen zu dürfen, weil er in Lederhose erschien? Selbiger Ärger würde ihm drohen, wenn er sich die Adidas Shorts greifen würde. Er war mal wieder richtig verunsichert und wäre fast mir langer Jeans zum Frühstück gekommen, als Mami nochmal zu ihm rauf rief „Bist Du so schwer von KP?“ was so viel bedeute wie „Du schnallst heute Morgen auch überhaupt nichts …“

„No Risk – no Fun“ dachte sich Kevin und eh Mami die Lederhose im Müllsack verschwinden lässt während er in der Schule war, entschied er sich eines der nagelneuen Adidas T-Shirts, die Mami ihm eigentlich für den Sportunterricht gekauft hatte zur alten, abgetragenen Lederhose anzuziehen Die Hosenträgerchen verdeckten das Adidas Logo zwar ein wenig, aber die drei Streifen auf der Schulter waren deutlich erkennbar. Irgendwie ein gewisser Anachronismus, die älteste Hose, die er noch hatte und das allerneuste T-Shirt – aber komischerweise passten beide vom Stil her gut zusammen. Nur dass das Shirt halt noch nagelneu und für den Sportunterricht gedacht war. Trotz allem kam er an diesem Morgen sehr schüchtern und leise die Treppen hinunter. Als er Mami sah, fing er leise an zu weinen, was ab und zu noch, aber halt doch immer seltener nochmal vorkam. Sie nahm ihren Sohn in die Arme, fragte, was denn sei und versuchte ihn zu trösten. Langsam Abschied nehmen zu müssen tat halt immer besonders weh, egal ob es Oma war, von der er sich vor den Sommerferien verabschiedet hatte und sie dann ganze fünf Woche lang nicht mehr sah, oder halt auch von Mami, als er das erste Mal mit der Schule zur Klassenfahrt fuhr. Er hatte Angst, wie der weitere Tag verlaufen würde und konnte sich gar nicht so recht darüber freuen, in Lederhosen zur Schule zu dürfen.

Anna griff an diesem besagten Morgen wie selbstverständlich zur kurzen Lederhose. Sie hatte überhaupt kein Problem damit, sie zur Schule anzuziehen, ganz im Gegenteil. Sie und Kevin verbrachten die meiste Zeit in den Pausen gemeinsam auf dem Schulhof und Kevin war immer besonders fasziniert von ihr, wenn sie in Lederhose zur Schule kam. Aber er mochte sie auch so, das zeigte er ihr immer wieder daran, dass er sie an Tagen, wo sie in „normaler“ Jeans kam auch nicht anders gegenüber trat. Manchmal war er jedoch etwas eifersüchtig auf sie, weil sie einfach alles anziehen durfte, was sie mochte, während seine Mami doch stärker und kontrollierender auf ihn ein wirkte. Umso stolzer war er, dass er heute – am letzten Tag vor der Altkleidersammlung – tatsächlich doch noch die Lederhose zur Schule anziehen durfte. Und er war froh und glücklich darüber, dass sowohl das Wetter, als auch Mami mitspielte.

Gestern Abend im Bett hatte er sich noch vorgestellt, wie Mami – nachdem er wie üblich in Jeans und Sweatshirt zur Schule gegangen wäre – in sein Zimmer eingedrungen und sie die Lederhose geschnappt hätte. Wie sie ohne großes Bohei als letztes mit im Altkleidersack gelandet wäre, die Trägerchen nach unten weg und einmal auf die Mitte gefaltet, so wie sie jahrelang im Fach mit den Sommerklamotten im Schrank gelegen hätte. Er war sich nicht sicher, ob Mami sie bewusst so im Sack platziert hätte, dass er sie noch hätte durchschimmern sehen, oder ob sie eh einen der etwas dickeren, blickdichten Säcke genommen hätte. Aber vermutlich wäre es Mami eh scheiß egal, ob er sie nochmal wahrnehmen dürfte oder nicht. Vielleicht hätte er den Sack auch bis zum nächsten Morgen nicht mehr zu Gesicht bekommen, denn obwohl er durchaus an verschiedenen Stellen die Woche über nachgeguckt hatte, weder den Altkleiderpacken noch den Müllsack hatte er irgendwo im Haus entdeckt. Mami müsste den also eh irgendwo versteck haben, aber das Versteck muss so gut gewesen sein, dass Kevin nicht drauf kam.

Zum Glück hatte ich mir heute einen Tag frei genommen. Als Anna zur Schule war inspizierte ich als erstes Katrins Lederlatzhose und die dazu passende Jacke – ob beides wirklich so schlecht im Zustand war, wie sie immer behauptet hatte. In der Tat, das Leder war reichlich abgegriffen aber im Gegensatz zur roten Lederjeans, die ja inzwischen im Müll gelandet war, nirgendwo kaputt. Gut ein paar Nähte waren nicht mehr in Ordnung, aber mehr als ein, zwei Zentimeter waren es dennoch nicht. Und das ließ sich sicherlich wieder machen. Das Innenfutter war insgesamt noch in Ordnung, aber auch hier und da ein paar lose Stellen. Die griechische Änderungsschneiderei im Ort würde das sicherlich für kleines Geld wieder hinbekommen, da war ich mir sicher. Die Lederjacke sah jedenfalls deutlich besser aus. Hier waren zumindest keine Schäden erkennbar.

Anzuprobieren brauchte ich beides nicht, das war mir klar – denn die Azubine war deutlich kleiner und schlanker als ich (wobei ich mich auch nicht gerade als dick empfinden würde, aber ein paar Kilo und Zentimeter Unterschied liegen schon zwischen uns beiden :mrgreen: ). Ich war mir sicher, dass Anna spätestens nächsten Herbst/Winter hineinpassen würde, also deponierte ich beides erstmal ohne es Anna zu zeigen bei mir im Kleiderschrank. Apropos Kleiderschrank: Eigentlich müsste ich mich auch mal wieder über meinen und Annas Kleiderschrank hermachen, wobei ich bei Anna nicht viel erwarten würde, da zumindest die Latzhosen und Anoraks die ich ihr von UsedTex mitgebracht hatte noch perfekt passen. Der Hawks Anorak wird bestimmt auch mehr als eine Saison passen, bei den Latzhosen war es halt abzuwarten, wann die ersten so sehr verschlissen wären, dass ich sie Anna nicht mehr zumuten kann. Die Lederlatzhose und die blaue Latzjeans sind zwar beide schon ordentlich getragen worden und haben entsprechende Tragespuren (oder Patina wie man so schön auf Neudeutsch sagt), aber die doch wohl gute Qualität hat entscheidend dazu beigetragen, dass sie lange noch nicht durch sind.

Katrin würde doch jetzt ernsthaft von mir erwartet haben, beides so mir nichts dir nichts in die Tonne zu kloppen? Nein, ich interpretierte ihr Verhalten als Wink mit dem Zaunpfahl, als ein „Hier hast Du die Scheiße und halt bloß jetzt endlich die Klappe!“. Ich hoffte, dass sie sich spätestens am Montag wieder so einigermaßen beruhigt haben würde. Alles andere wäre auch schlecht, denn wir haben eigentlich in letzter Zeit immer richtig gut zusammengearbeitet. Wobei, irgendwie war ich auch traurig und in einer Art Warteschleife gelandet denn eines war ab heute hundertprozentig klar: Ich werde Katrin jedenfalls nicht mehr in Lederjeans sehen. Es sei denn, ihre Mama hat noch eine weitere Lederjeans im Petto, wo aber jetzt erstmal nicht von auszugehen war.

Anna und Kevin hatten in der Schule echt Glück – seit langem mal wieder ein Tag, wo sie keine Hausaufgaben aufbekommen hatten. Sie verbrachten daher den ganzen Nachmittag zusammen, ohne dass Kevin sich mal zu Hause blicken ließ. Ärger drohte hierfür zumindest keiner, da er morgens beim Frühstück entsprechendes abgesprochen hatte. Anna spürte sichtlich Kevins angeschlagene Stimmung, da sie wusste, was los war verkniff sie sich jeglichen Kommentar. Kevin war irgendwie zu nichts zu gebrauchen, es hatte sichtlich schlechte Laune und war zickig wie lange nicht mehr. Der Tag heute war für ihn wie Weihnachten, nur dass er von vornherein wusste, er würde keine Geschenke bekommen. Er spürte, zu Hause wartet nichts Gutes auf ihn. Dennoch saßen bei eng umschlungen auf der Parkbank am Spielplatz und überlegten, was sie anstellen könnten! „Noch ein paar Wochen, dann sind schon wieder Herbstferien!“ sinnierte Kevin lustlos vor sich hin. „Stimmt“ nickte Anna, „die Zeit seit den Sommerferien ging mal wieder sehr schnell vorbei! Jetzt steht der usellige Herbst wieder vor der Tür, mit Regen und Nebel und abends wird es wieder so früh dunkel!“

„Fahrt ihr eigentlich weg in den Herbstferien?“ fragte Anna neugierig. Kevin antwortete kurz ab „ 1 Woche Bayern, Bergwandern, 5-Sterne Hotel, da hätte ich eh meine Lederhose nicht anziehen dürfen in dem feinen Laden …“ Obwohl Anna es vermieden hatte den Finger in Kevins Wunde zu legen und ihn auf seine Lederhose anzusprechen. „… die durfte ich ja schon letzten Sommer nicht mehr mitnehmen.“ Kevin hatte resigniert, hatte auf dem Spielplatz seine Lederhose noch ein letztes Mal richtig hart rangenommen und mit Anna im Sandkasten getobt als gäbe es kein Morgen. Anna hatte ihn zwar so richtig herausfordern müssen aber das Herumwälzen in Spielplatzsand war für beide großer Gaudi. Gegen Nachmittag – viel zu früh aus Annas Sicht, machte Kevin sich auf: „Nützt ja nichts, ich bring‘s jetzt hinter mich! Hab‘ auch keinen Bock auf Gruppenstunde …“ murmelte er vor sich hin. „Du hast es gut, Anna – Du hast echt ‘ ne tolle Mama. Ich wünschte, meine würde sich von Deiner mal ‘ne Scheibe abschneiden!“

Anna fasste es als Kompliment auf und so gingen beide zunächst gemeinsam, später getrennt ihre Wege nach Hause. Erst ganz langsam wurde auch Anna klar, was der Abschied zu bedeuten hatte: Auch sie würde Kevin nicht mehr in kurzer Lederhose sehen, obwohl er darin doch so richtig knuffig wirkte. Als er zu Hause ankam, waren Mama und Papa noch unterwegs – wahrscheinlich einkaufen oder sonst wo hin. Er wusste es nicht und einen Zettel wo sie sind hatten sie auch nicht da gelassen. Also nutzte er noch einmal die Gunst der Stunde, legte sich mit dem Bauch auf die Couch, dachte noch einmal an Saskia und daran, dass er sie immer noch nicht in seinem Kapuzennicki gesehen hatte, dachte an Anna und daran, dass sie diesmal von der Altkleidersammlung verschont bleiben würde und dachte an all die vielen Müllsäcke mit Klamotten von irgendwelchen Kindern die morgen einsammelt und vernichtet würden. In Gedanken ging er einmal durch die ganze Klasse, fand aber keine Klamotten die in sein Beuteschema passen würden. Wie denn auch, Anna war die einzige, die noch etwas Ausgewöhnliches anzog, aber Anna war diesmal save, das wusste er. Bei Saskia war er sich ziemlich sicher, dass da auch mindestens ein Müllsack vor der Tür stehen würde. Seine Gedanken kreisten um seinen Kapuzennicki, der nach wie vor verschollen war. Wobei er sich bei Saskia auch nicht wirklich vorstellen wollte, dass sie es zulassen würde, den Nicki einfach so zu entsorgen, wo er ihr eigentlich perfekt passen müsste.

Kevin hörte den Schlüssel in der Haustür, Mama und Papa waren vom Einkaufen zurück. „Hab‘ Dir neue Wintersachen mitgebracht, kannst Du gleich mal anprobieren! Und leg‘ die Lederhose einfach auf die Treppe, wenn Papa nachher nochmal in die Garage geht, kann er sie direkt mitnehmen und in den Müllsack packen!“ Klare Ansage, mal schauen, was Mama da wieder an neuen Sachen mitgebracht hat. Auch wenn es ihn wurmte, dass er meist nicht zum Klamottenkauf mit durfte, waren die Sachen die Mama mitgebracht hatte, dennoch meist nach seinem Geschmack. „Ich hab‘ Dir neue Levis Jeans mitgebracht, dann hast Du wieder genug Hosen für den Winter. Und Sweatshirts von Levis und Adidas, sollten Dir eigentlich gefallen. Und ich hoffe, Dir gefallen die beiden Anoraks von Esprit, den blauen Daunen-Stepp-Anorak mit den roten Schultern und der roten Kapuze kannst Du zur Schule anziehen, die braune Camel-Lederjacke lassen wir dann mal für gut.

Mama brachte ihm vier große Tüten mit neuen Anziehsachen ins Zimmer. Seine Lederhose hatte er inzwischen ausgezogen und wie befohlen auf die Treppe gelegt. Es blieb ihm auch nichts anderes übrig, denn auch hier hatte er schon schlechte Erfahrungen gemacht. Einmal war er bei neuen Klamotten zickig gewesen und dann dampfte Mama mit der Tüte neuer Klamotten wieder ab. „Dann eben nicht“ war ihre Antwort „wenn Du undankbares Blag jetzt rumzickst bekommt Saskia eben die Sachen sofort und nicht erst, wenn Du die ein- oder zweimal getragen hast.“ Manchmal konnte Mami halt ganz schön fies sein.

Am nächsten Morgen machte seine Mama sich auf, den Müllsack mit den Altkleidern aus der Garage an den Straßenrand zu stellen. „Alles muss man hier selber machen“ grummelte sie vor sich hin als sie die Lederhose immer noch auf der Treppe liegen sah. Plötzlich stand Kevin im Schalfanzug neben hr. „Nicht so neugierig, mein Freund, ab ins Bett“ raunzte sie ihn an. Kevin aber ließ sich nicht abwimmeln, als er sah, wie lieblos Mama sich die Lederhose gegriffen hatte …
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Re: Anna

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Kevin ließ sich nicht abwimmeln und folgte seiner Mama durch den Keller in die Garage. „Was willst Du denn, muss ich noch deutlicher werden?“ „Mama, bitte?“ „Du musst doch jetzt nicht echt im Schlafanzug hinter mir rennen …“ Seine Mama hatte die Lederhose fest im Griff als sie durch die Kellertüre in die Garage ging, das Licht an machte und den Schalter zum Öffnen das elektrischen Garagentores drückte. Sie lief schnell die Treppenstufen zur Garage rauf. Kevin folgte ihr auf Schritt und Tritt. Langsam öffnete sich das Garagentor und Mamas zuvor laute und böse Stimme wurde gepflegt leiser. Ihren Sohn draußen zusammenbrüllen oder gar Schlagen – nein, das geschah nur im Verborgenen, ohne dass irgendeiner der Nachbarn was mit bekommen würde. Rasch hatte Kevin den noch Altkleidersack entdeckt und nutzte die Chance auf einen letzten Blick in den offenen Müllsack: „Finger weg, sonst Finger weg!“ drohte Mama mit leiser, aber durchaus erhabener Stimme. „Gibt eh nix zu gucken …“

Doch das gab es sehr wohl, denn der kurze Blick in den Müllsackte reichte Kevin dafür die braune Kunstlederhose, die er für Saskia erhofft hatte, zu entdecken. „Brauchst gar nicht so doof zu gucken, ich hab‘ Dir doch die Tage schon gesagt, dass Saskia nichts mehr von den Ledersachen bekommt. Und jetzt geh endlich aus dem Weg, sonst gibt’s gleich doch noch eine gescheuert!“ Sie stieß ihn beherzt zur Seite, stopfte die zusammengelegte Lederhose seitlich an den restlichen Sachen vorbei soweit es ging nach unten. Dann griff sie zwei Ecken des Müllsacks, zwiebelte diese zusammen, machte eine Schleife, die sie so fest wie möglich zu zog (wobei die wenige im Sack noch befindliche Luft langsam entwich) und dann einen festen Knoten und sicherheitshalber noch einen zweiten. „Hoffentlich hält der dünne Sack das Gewicht aus“ dachte sie sich und Kevin versuchte durch den Sack hindurch noch das ein- oder andere Teil von ihm zu identifizieren. Wobei, so richtig schimmerte nur seine Lederhose durch, die zerschlissene, rechte Arschseite war deutlich als solche zu erkennen. Und irgendwas Rotes sah er, was allerdings auch kein Wunder war, denn die meisten seiner Pullis und T-Shirts waren halt rot. Ob der Kapuzennicki vielleicht doch auch im Sack gelandet war? Er konnte es nicht mehr erkennen.

„So, jetzt ist endgültig Feierabend, ab in durch den Keller in Dein Zimmer, anziehen und dann kannst’e zum Frühstück runterkommen.“ Mami schleppte den den Müllsack durch das Garagentor hindurch und zog das Tor hinter sich zu. „Und mach das Licht in der Garage aus!“ rief sie ihm noch hinterher, während sie den nicht gerade leichten Müllsack in Höhe der Haustür auf dem Bürgersteig platzierte. Es war kurz nach 8 Uhr morgens, ab halb Neun wird gesammelt so stand es auf dem Zettel. Kevin war inzwischen wieder in seinem Zimmer angekommen, machte das Dachflächenfenster auf und hatte von dort einen guten Blick auf den Bürgersteig, wo nun der Müllsack auf den Abtransport wartete. „Kevin, Frühstück“ rief Mama. „Mag nicht …“ grummelte Kevin leider. „Keeeeevvviiiinn, Frühhhhhhstück“ rief Papa noch lauter. Keine Reaktion. „Kevin hat schlechte Laune …“ sagte Mami. „Wieso das denn?“ fragte Papa neugierig. „Hab‘ gerade seine Lederhose noch mit in den Altkleidersack gestopft, wolltest Du das nicht gestern Abend noch machen? Nun wartet er bestimmt oben am Fenster und guckt, wie sie ihn abholen …“

„Ach, ich dachte die wäre noch was für die Herbstferien gewesen, zum Wandern in Bayern?“ „Das zerwichste Drecksdingen in dem feinen Hotel? Nee, das geht doch gar nicht. Die hat er doch schon die letzten beiden Male nicht mehr mitnehmen dürfen, so abgenutzt und verschlissen wie die war!“ „Ach, und ich dachte immer, ER wollte sie nicht mehr dort anziehen?“ „Nee, ich wollte das nicht – wenn’s nach ihm gegangen wäre bräuchten wir doch für ihn nichts anderes außer der Lederhose mitnehmen. Ist schon besser so, dass die jetzt weg ist …“

Langsam füllte sich der Bürgersteig mit weiteren Altkleidersäcken und Tüten. Die Nachbarn warfen lustlos die Säcke an den Straßenrand, so als ob sie Sperrmüll rausstellen würden. Niemand von denen ging besonders sorgsam mit den Sachen um. Dann kam der LKW, den sich die Kirchengemeinde immer zum Altkleidersammeln auslieh, um die Ecke gebogen. Die älteren Pfadfinder waren diesmal mit dem Sammeln dran. Aber auch sie gingen nicht gerade zimperlich mit den Säcken und Tüten um. Im hohen Bogen flog ein Sack nach dem anderen auf den LKW. In die Plastiktüten wurde gerne mal ein Blick riskiert, ob was lustiges drin war und mancher Sack platzte beim Aufprall auf dem LKW auf, so dass sich die Sachen auf der Ladefläche verteilten und die Pfadis neugierig schauten, was da alles wegschmissen wurde.

Der Sack mit Kevin Sachen überlebte den Wurf auf den LKW unbeschadet. „Ey geil, was ist das denn? Sieht aus wie ‘ne Lederhose!“ rief einer der Jungs vom LKW herab, so laut, dass selbst Kevin es hören konnte. „Lass zu, brauchst’e nicht zu gucken!“ rief einer der Leiter, griff den Müllsack und warf ihn weiter nach vorne, wo die Säcke ordentlich aufgestapelt wurden, so dass sie nicht herunterfallen konnten. „Wie? Ne Lederhose? Zeigt mal …“ rief eine von den Mädels. „So ‘ne kurze grüne mit Hosenträgerchen? So eine hatte mein Bruder auch mal, die hätte ich auch gerne getragen, aber keine Chance Mama hat die vor Jahren schon entsorgt …“ erinnerte sie sich. „Wo ist die?“ „Irgendwo da vorne, ist doch egal – trägt doch heute niemand mehr!“ „Doch, Anna und Kevin“ juxte einer von den Leitern. „Kann sein, Kevin wohnt doch hier, hihi …“ gibbelten sie auf dem LKW, der inzwischen so weit weggefahren war, dass Kevin die Flachsereien nicht mehr höhen konnte.

„Sortieren wir diesmal eigentlich wieder selber aus?“ wollte eine der Pfadis wissen. „Nö, diesmal nicht – das machen wir doch nur vor den Sommerferien, wenn danach Pfarrfest ist. Diesmal geht alles direkt zum Textilverwerter, gibt aber echt gute Kohle. Lohnt sich!“ Schnell waren die anderen Tüten und Säcke die in der Straße standen eingesammelt, schnell waren die anderen Straßen durch und die Sachen direkt zum Verwerter gebracht. Erst der volle LKW gewogen, dann abgeladen und noch einmal leer, dann ging‘s weiter zur zweiten und für heute letzten Runde durch den Stadtteil.

Kevin hatte dem Altkleider-LKW noch eine Weile nachgeschaut, dann das Fenster zugeknallt und seinen Adidas Jogginganzug angezogen. Und zwar aus Protest den ältesten, den er hatte, auch einen den er mal von Oma geschenkt bekommen hatte. Komischerweise lag der nicht auf dem Altkleiderpäckchen, warum ausgerechnet der unberücksichtigt geblieben ist, was ihm schleierhaft. Er mochte das Teil, hatte ihm bislang aber keine größere Bedeutung zukommen lassen. Jedenfalls zog er den zum Frühstück an. Mama guckte extrem ungläubig und fragte: „Wo lag der denn noch?“ – „Bei den Jogginganzügen, als unterstes“ grinste Kevin und Mami schmunzelte „Naja, in drei Monaten ist ja schon wieder Altkleidersammlung, manchmal vergesse ich bei Deinen vielen Sachen auch mal was …“

„Du Mama …“ wenn Kevin so zu fragen anfing, führte er meist irgendwas im Schilde. „Nerv nicht schon wieder …“ – „Du, warum …“ – „Was? Warum?“ – „Warum hat Saskia die Lederjeans nicht bekommen?“ – „Du sollst doch nicht wieder nerven!“ – „Warum nicht?“ –„Kevin“ – „Mama?“ – KLATSCH – „Aua“ – „So was ist nichts für Kinder …“ keifte sie, während ihre rechte Hand auf Kevins linker Wange einschlug. Vor Wut schmiss Kevin sein Orangensaftglas um, brüllte „Dann leckt mich doch am Arsch!“ und fing sich noch eine. Während er wütend auf sein Zimmer rannte hörte er von Papa nur „Stubenarrest, eine Woche, verstanden?“

Ein eigentlich friedlicher Samstagmorgen endete also mal wieder in einer Katastrophe, ohne das irgendwem wirklich geholfen wäre. Kevin war sauer, weil die nagelneue Lederjeans (nun gut, war zwar kein echtes Leder, aber immerhin) die ER geschenkt bekommen hatte und nie selber tragen durfte nicht mal mehr zu Saskia weitergegeben worden ist. Mama war ärgerlich, weil Kevin wieder nervend nach Klamotten fragte und sein Papa, der war ausgerechnet heute wieder auf Mamas Seite. Und dann auch noch eine Woche Stubenarrest – das hieß natürlich auch keine Nachmittagsaktivitäten, kein Radio, kein Fernsehen und natürlich auch keinen Besuch empfangen zu dürfen. Er würde also bis nächsten Samstag Anna nur noch in der Schule sehen dürfen. So eine Woche war echt hart, denn Papa und Mama hielten das stets durch und Ausbrechversuche wurden mit Prügel bestraft. Oder mit anderen, meist sinnloses Nickeligkeiten, die die beiden sich einfallen ließen.

Gegen Mittag klingelte Anna bei Kevin an der Tür. Aus Rücksicht zu ihm hatte sie extra ihre 501er Jeans und einen neutralen Pulli angezogen und nicht ihre kurze Lederhose. Sie wollte ihm halt heute nicht unbewusst die lange Nase zeigen. „Ich möchte zu Kevin, ist er da?“ fragte Anna vorsichtig. „Das wird nichts, der hat Stubenarrest – bis nächsten Samstag!“ – „Oh, was hat er denn ausgefressen?“ – „Was geht Dich das an?“ fauchte Kevins Mama Anna an. „Schon gut …“ – „Das will ich auch gemeint haben! Und nun zisch ab!“ Anna kannte Kevins Mama zwar, aber so mies drauf wie heute hatte sie sie lange nicht mehr erlebt. Klar, der ein oder andere harte Spruch fiel schon mal, wenn sie dort zu Besuch war, aber Kevin war ja auch ein töfter Kerl, der einiges wegstecken konnte. Doch was heute geschehen war, hätte Anna ihr niemals zugetraut.
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Anna dackelte enttäusch ab, dachte an Kevin und daran, ihn wahrscheinlich nie wieder in einer Lederhose sehen zu dürfen (obwohl ihr das an ihm sehr gefiel). Kevin hatte sich wie befohlen auf sein Zimmer zurückgezogen, sich im Jogginganzug auf’s Bett geworfen und überlegte, warum Mama so böse reagiert hatte, als er sich auf die braune Kunstlederjeans angesprochen hatte. „So was ist nichts für Kinder“, von wegen und warum durfte dann Anna zwei Winter lang ihre tragen? Warum durfte sie supercoole Latzhose aus braunem Kunstleder sogar zur Schule anziehen? Warum durften auch einige andere Jungs und Mädels, die er in den letzten Jahren zugegebener Weise nur selten darin gesehen hatte? Warum dürften die alle und ausgerechnet nur er und Saskia jetzt nicht? Er hatte keine Ahnung, aber jetzt eine Woche lang Zeit darüber nachzudenken.

Seine neuen Anziehsachen stapelten sich auf seiner Couch, Hosen, Pullover, Sweatshirts, aber auch neue Unterwäsche und Socken, also quasi einmal komplett neu von oben bis unten. Die Hosen hatte er sich noch gar nicht näher angeschaut, denn sonst hätte er sicherlich schon gemerkt, dass auch eine schwarze Latzjeans dabei war. Was sich Mama da wohl bei gedacht haben wird? Vielleicht ist die ja auch wieder direkt für Saskia, oder Mama gefielen auf einmal wieder Latzhosen, weil sie die bei Anna öfters gesehen hatte. Auch dies blieb für ihn ein unerklärbares Rätsel. Nickis suchte er vergeblich, was ihn nicht weiter verwunderte, denn die waren für Mama letztens schon in die Kleinkinderrubrik einsortiert worden und nichts mehr für „große Jungs“. Um weiteren Ärger zu vermeiden, entfernte er sorgsam die Preisschildchen an den Klamotten und sortierte die Sachen in die freigewordenen Fächer seines Kleiderschranks ein, damit wenn Mama mal zwischendurch raufkommen sollte nichts im Weg herumliegt.

Und er ärgerte sich mal wieder maßlos darüber, dass er nicht mit durfte zum Shoppen, wobei ihm das noch mit am klarsten war. Sie hatten es in der Vergangenheit ein paar Mal ausprobiert, aber da gab’s bei fast jedem Teil Diskussionen und Ärger. Entweder gefiel Mama die Farbe des Pullis oder der Hose nicht, die Kevin sich ausgesucht hatte, oder die Sachen, die er sich ausgesucht hatte, waren nicht nach Mamas Geschmack. Er hätte gerne etwas mehr experimentiert, mal was ausprobiert, auch wenn es sich im Nachhinein als Fehlkauf entpuppt hätte. Aber da war seine Mama nicht für zu haben – straight, ohne dabei altmodisch zu sein, eher klassisch war ihre Devise. Und Geld spielt keine Rolle, wo Kevin auch nicht immer ganz mit klar kam, denn ging mal was kaputt, so wie letztens die Sprintershorts war das Gemecker groß und die Strafe folgte auf dem Fuße. Nein, manchmal wünschte Kevin sich es wäre einfacher mit seiner Mama.

Inzwischen war auch der zweite LKW mit Altkleidern beim Textilverwerter angekommen. Knappe dreieinhalb Tonnen Altkleider waren diesmal zusammengekommen. Es war einer der kleineren Textilverwerter etwas außerhalb der Stadt, wo die Klamotten diesmal hingingen. Sonst waren die auch schon mal bei UsedTex gelandet, jedoch hatten die aufgrund von Überkapazitäten diesmal ein sehr schlechtes Preisangebot gemacht. Neben dem Chef, der sich gleichzeitig auch um die Verwaltung kümmerte, gab es dort zwei fest angestellte Sortiererinnen und zwei Aushilfskräfte, die hauptsächlich damit beschäftigt waren, aussortierte Klamotten, die nicht mehr für den Weiterverkauf taugten, zu Putzlappen zu zerschneiden oder im Reißwolf zu schreddern, bevor diese zu Würfeln zusammengepresst wurde. Die Kapazität des Betriebs war dementsprechend, die dreieinhalb Tonnen reichten für die nächste Woche, dann kämen die nächsten Altkleidersammler mit den jeweiligen Waren.

Neben dem Sortierbetrieb gab es dort auch einen kleinen Verkaufsbereich, wo die Cremeware zum Kilopreis angeboten wurde. Alles, was nach einem Monat dort nicht verkauft worden war, ging als Ballen gepresst für einen sehr guten Preis in andere Second Hand Shops, meist jedoch im Ausland. Knapp die Hälfte der Sachen ging als Ballen gepresst zum Weiterverkauf nach Osteuropa oder Afrika, je nachdem ob es Sommer- oder Winterkleidung war. Großartig nach Sorten oder Arten unterschieden wurde beim Sortieren nicht, alles brauchbare, was nicht für den eigenen Laden gedacht war, kam bunt gemischt, aber ordentlich zusammengefaltet in zwei große Behälter für Sommer- und Winterware. Das machte das Sortieren leicht und praktikabel. Würden sie Sachen noch weiter aufgeteilt, wäre der Erlös zwar deutlich höher, jedoch auch der Aufwand und der dafür erforderliche Lagerplatz.

Dafür war das Sortierprinzip denkbar einfach: Jede Sortiererin schnappte sich einen Müllsack oder Tüte, riss diese mit einem Teppichmesser auf und breitete den Inhalt auf ihrem Sortiertisch aus. Mehr als 10 Kilo war selten in den Säcken, das entsprach so in etwa 40 bis 50 Teile, die sie in eine der sechs Behälter warf: Shop, Sommer, Winter, Putzlappen, Reißwolf, Müll. Sonderlocken gab’s keine, auch wenn der ein oder andere schon mal gefragt hatte. Die Sachen, wo jedoch schon mal Leute konkret angefragt hatten, gingen dann doch schon mal eher mit in den Shop, auch wenn sie eigentlich eher für den Export oder den Schredder gedacht wären. „Gibt ja immer mal wieder Leute, die nach den ungewöhnlichsten Sachen fragen“ stellte eine der Damen fest.

Das Aushilfspersonal und der Chef selber hatten zusammen mit den Pfadis die ganzen Säcke im Lagerbereich aufgetürmt. Die Sortiererinnen kamen dann am Montagmorgen und machten sich an die Arbeit. Im Schnitt kamen sie auf drei bis fünf Teile pro Minute, die sie zielsicher in die Behälter vor sich warfen. Lange Zeit für Entscheidungen gab’s da nicht – auch keine zweite Kontrolle, obwohl der Chef durchaus mal zwischendurch einen prüfenden Blick in die entsprechenden Behälter wagte. Seine Frau kümmerte sich um den Shopverkauf, wobei es äußerst selten vorkam, dass sie etwas zu reklamieren hatte. Kinderkleidung lief im Shop am besten, war aber auch nur zu einem sehr geringen Teil in den Säcken zu finden. Komischerweise gingen auch im Shop die Kindersachen noch erstaunlich gut weg, die eigentlich normalerweise nach Osteuropa oder Afrika gingen. Und solange es hierfür einen besseren Preis gab, als wenn die Sachen in den Export oder den Schredder gingen, war alles in bester Ordnung.

Die Chefin war immer wieder erstaunt darüber, was so alles an Kinderkleidung in den Säcken zu finden war. Von ganz neuer, moderner ungetragener Markenkleidung bis hin zu Sachen im finalen Endstadium, wo sie sich fragte wer das wohl zuvor so noch getragen hat war alles zu finden, obwohl gerade bei der Kinderkleidung die verbrauchten durch mehrere Kinderhände gegangenen Sachen, die nur noch für den Schredder taugten in der deutlichen Mehrheit waren. Die Verkaufsfläche im Shopbereich war recht klein und übersichtlich, schlicht und praktisch eingerichtet. Damen-, Herren- und Kinderkleidung war voneinander getrennt, Hosen und Jacken auf Kleiderständern und Pullis und T-Shirts auf den jeweiligen Krabbeltischen. Gerade dieses Konzept kam bei den doch durchaus jüngeren Leuten mit kleinem Einkommen gut an. Insbesondere die Wühltische erfreuten sich großer Beliebtheit.

Sack für Sack zerlegten und sortierten die beiden an diesem Morgen, es war die jahrelange Routine, die sie sicher entscheiden ließen, was in welchen Behälter musste. Mit großer Sorge stellten sie diesmal fest, dass bislang kaum was Brauchbares für den Shopbereich dabei war. Selbst die Exportware, die sonst den größten Anteil darstellte, war geringer als sonst. Die Qualität hatte in letzter Zeit echt stark nachgelassen, man hatte den Eindruck, dass besonders die noch guten, tragbaren Klamotten lieber im Freundes- und Bekanntenkreis weitergegeben würden, als sie im Altkleidersack verschwinden zu lassen. Bei den Erwachsensachen fanden sich auch immer öfters Klamotten wo man den Eindruck hatte, Oma oder Opa hätten das Zeitliche gesegnet und der gesamte Inhalt des Kleiderschranks war auf einmal reif für die Altkleidersammlung. Meist war jedoch nichts Exotisches oder Brauchbares mehr dabei.

Immer wieder die gleiche Prozedur, ratsch – Sack auf, Sack in den Müll, Klamotten ausbreiten und dann gezielt die Sachen in die jeweiligen Behälter. Die flinken Hände wussten dabei stets genau, was sie taten. „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ Aschenputtel und Grimms Märchen waren allzu präsent. Und so flogen Hosen, Röcke, Kleider, Pullover, T-Shrits, Sport- und Badesachen genauso in die jeweiligen Behälter, wie Unterwäsche, Socken, Handtücher und Bettwäsche. Das volle Programm halt, alles, was man sich im Haushalt und Kleiderschrank an Textilien vorstellen kann sortierten die beiden Damen mit äußerster Präzision und Zuverlässigkeit. Die Chefin war mit den beiden mehr als zufrieden.

Manchmal fanden sie ungewöhnliche Sachen in den Säcken, Klamotten, wo sie sich mal etwas mehr Zeit für nahmen, weil Chefin oder Cheffe das so wollten. Die Chefin hatte ein ungewöhnliches Faible für alles, was aus Leder war. Ledersachen waren immer sehr selten in den Müllsacken und Tüten, und wenn dann meist völlig abgenutzt und unbrauchbar. Was definitiv kaputt war, konnte auch ohne Zustimmung mit geschreddert werden. Hierzu gehörten kaputte Reißverschlüsse oder Risse im Leder oder übermäßige Verschmutzung. Bei den grenzwertigeren Sachen wollte Chefin – wenn sie denn da war – immer gerne hinzugezogen werden, oder zumindest solche Sachen bei den Shopteilen sehen. So wurden sie diesbezüglich auch heute nur wenig fündig. Eine kurze, dunkelgrüne Glattlederhose und eine braune Kunstlederjeans für größere Kinder sowie zwei Kinderlederjacken war die ganze Ausbeute an Ledersachen für den Vormittag, denen nicht sofort der Weg in den Reißwolf bevorstand. Alles andere war direkt reif für die Entsorgung. So legte die eine Sortiererin die Sachen zur Begutachtung durch die Chefin beiseite, die heute erst nach der Mittagspause kommen würde.
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Es war ein regnerischer und kühler Morgen. Anna entschied sich ihre dunkelbraune Kunstleder-Latzhose und den passenden Lederanorak zur Schule anzuziehen. Man konnte der Hose inzwischen ansehen, dass sie nicht nur bei derjenigen, die sie zuvor getragen hatte sehr beliebt war, sondern auch bei Anna, die sie durchaus oft und gerne trug (wenn vielleicht bislang nicht ganz so oft wie ihre alte, schwarze Kunstlederjeans). Ich hatte durchaus Hoffnungen, dass sie diesen Herbst-/Winter wieder regelmäßiger getragen würde, denn obwohl sie durchaus gut aber straff passte, würde sie vermutlich einen weiteren Herbst-/Winter nicht mehr erleben. Entweder würde sie Anna dann nicht mehr passen, oder die Tragespuren wären so deutlich, dass sie unansehnlich und für draußen nicht mehr tragbar sein würde. Sie hatte zwar auch schon jetzt zahlreiche Kratzer im Leder, aber die fielen erst beim näheren Hinsehen auf – und machten weder mir, noch Anna etwas aus.

Anna entschied sich diesmal für die Variante „Zwiebel-Look“: Unter dem Latz ein altes, enges T-Shirts und über dem Latz ihren beigen Norweger-Rolli, den sie auch schon letzten Winter getragen hatte. Nur da passte er noch unter den Latz, was dieses Jahr schon nicht mehr klappte. Ein T-Shirt oder ein normales Sweatshirt passte noch bequem drunter, der dicke Wollpulli jedoch schon nicht mehr. Dann wären die seitlichen Knöpfe nicht mehr zugegangen. Wobei es Anna in letzter Zeit auch für draußen lieber war, den Latz zu verstecken. Die meisten in der Klasse kannten sie zwar in Latzhosen und es gab auch kaum blöde Kommentare, nur hin- und wieder frotzelte mal jemand aus der Klasse. Bei Pulli drüber rätselten alle, ob sie nun eine neue Lederhose hätte oder ob es immer noch die alte Latzjeans sei. In der Pause hörte sie ab und zu die Jungs tuscheln „Ich glaub, Anna hat ‘ne Lederjeans – die sieht echt geil aus!“ – „Ach was, das ist die olle Latzhose, die sie letzten Winter schon hatte!“ – „Meinste?“ – „Bestimmt ..:“

Kevin war heute spät dran, dafür aber in nagelneuen Klamotten zur Schule gekommen. Schon vor Unterrichtsbeginn war er der Schwarm aller Mädchen: „Hey, neue Klamotten? Siehst geil drin aus …“ Kevin fühlte sich geschmeichelt, aber zugleich auch unwohl. Obwohl alle Mädchenaugen auf ihn gerichtet waren, so war ihm doch klar: Anna oder keine. Und er fand es nach wie vor faszinierend, dass Anna in Lederzeug zur Schule durfte. Er möchte Anna am liebsten so, allerdings auch genauso gerne in normalen Klamotten. Seine Gedanken wechselten hin und her. Er dachte den ganzen Morgen natürlich an Anna und was sie zur Schule anziehen würde, aber genauso gut auch an Saskia und was sie heute trägt. Noch hatte Kevin die Hoffnung nicht aufgegeben. Ein paar Augenblicke später entdeckte er auch sie in einiger Entfernung. Sie trug eine schwarze Cordhose, die Kevin noch nicht kannte, eine dünne, rote Adidas-Regenjacke – so eine wie er auch mal hatte – und einen Kapuzenpulli, jedenfalls sah er von weiten eine rote Kapuze über der Adidas Jacke. Und bevor Kevin weiteres erkennen konnte, klingelte die Schulglocke zum Unterrichtsbeginn und Saskia war ins andere Gebäude zum Kunstraum abgedackelt.

In der ersten Stunde flüsterte Kevin Anna, die schon seit Anfang des Schuljahres neben ihm saß, leise ins Ohr: „Ich glaub, Saskia hat heute ‘nen roten Kapuzenpulli an …“ – „Ja, und?“ erwiderte Anna. „Meist Du, sie trägt doch noch Deinen Nicki?“ Beim Wort Nicki wurde Kevin ganz wuschig und ihm gingen wieder all die Anziehsachen durch den Kopf, die am Samstag bei der Altkleidersammlung weg gegangen sind. „Konnte ich aus der Entfernung nicht erkennen – vielleicht sehe ich sie ja nochmal in der großen Pause!“ Und schon bat die Lehrerin energisch zur Ruhe. Die ersten beiden Stunden wollten einfach nicht enden, aber bald kam das erlösende Klingeln zur ersten großen Pause. Die Sonne war rausgekommen, es war spürbar wärmer geworden und es hatte aufgehört zu regnen, so dass Anna und Kevin zur Pause ihre Jacken im Klassenraum ließen. Sie suchten neugierig nach Saskia, die sie auch gegen Ende der Pause fanden. „Ich seh‘ keinen Kapuzenpulli bei Saskia!“ sagte Anna zu Kevin, als beide sie endlich entdeckt haben „Du hast Dich bestimmt getäuscht!“ Saskia trug nun ihre Jacke über der Kapuze, so vermuteten die beiden jedenfalls. Vielleicht ergibt sich ja in der zweiten großen Pause noch was.

Im Sortierbetrieb, wo die gesammelten Altkleider von Samstag von zwei fleißigen Sortiererinnen nach Sommer- und Winterware in die verschiedenen Behälter geworfen wurden, war die Chefin inzwischen aus der Mittagspause zurückgekommen. „Und, was brauchbares in Leder dabei?“ wollte sie direkt wissen. „Nicht viel – nur zwei Lederhosen und zwei abgetragene Lederjacken für Kids, sonst bislang Fehlanzeige!“ Irgendwie war das jetzt nicht wirklich verwunderlich, Lederkleidung ist wenn überhaupt im Frühjahr dabei, wenn die Leute die Wintersachen aussortieren. Ganz selten, dass Leder im Sommer oder Herbst dabei ist. Zuerst wurden die Jacken begutachtet: Die Soßenflecken auf der blauen Wildlederjacke fielen sofort auf, ebenso die abgetragene beige Lederjacke. Die braune Kunstlederjeans wurde etwas näher inspiziert und die kurze Lederhose einmal an den Trägerchen hochgehoben, von vorne und hinten angeschaut, wobei die Entscheidung wohl bereits fest stand: Kommentarlos warf die Chefin alle vier Ledersachen in den Behälter für den Reißwolf, der schon gut gefüllt war. Die Aushilfskräfte würden also heute Nachmittag einiges zu tun bekommen.

Mein Tag auf der Arbeit verlief ohne größere Zwischenfälle. Katrin hatte wieder ihre GoreTex-Sachen angezogen und war deutlich friedlicher und entspannter als in den Tagen zuvor. Da sie auch nicht mehr nach ihrer Latzlederhose und der dazu passenden Jacke gefragt hatte, sah ich auch keinen Anlass dafür, ihr zu beichten, dass ich die Klamotten doch nicht wie versprochen bei uns in die Mülltonne geworfen, sondern für Anna verwahrt hatte. Ich hatte meine Nubuk-Jeans an und dazu meinen alten C&A Anorak, was aber beides nicht sonderlich auffiel. Katrin und ich gingen auch wieder öfter einen Kaffee miteinander trinken und ich gewöhnte mich daran, Katrin nicht mehr in Ledersachen zu sehen. Ein wenig traurig war ich schon, aber ich ließ mir nichts anmerken. Ich wollte sie ja auch nicht wieder auf die Palme bringen.

Kevin war in der vierten Stunde total aufgeregt und konnte die Pause kaum erwarten. Endlich klingelte es und da es inzwischen richtig warm geworden war, waren fast alle ohne Jacken oder Anoraks in die Pause gezogen. Schnell hatte Kevin Saskia ausgemacht und traute seinen Augen nicht: „Cool – das ist ja geil! Du hast also doch noch meinen alten Kapuzennicki?“ sprach er Saskia an, während Anna neben ihm stand. „Ach, war der auch von Dir? Mama meinte, für’n Kunstunterricht wär der noch brauchbar – ich mag den nicht und bin froh, wenn der endlich weg kann …“ Und schon war Saskia auch wieder verschwunden. Kevin war glücklich, seinen Kapuzennicki noch mal wieder zu sehen, war aber auch enttäuscht, über Saskias Einstellung. „Für den Kunstunterricht also …“ da wo mit Klebstoff und Farbe hantiert wurde und Saskia mit Sicherheit nicht so sorgsam mit dem Nicki umgehen würde, wie er. Am liebsten hätte er ihr noch was mit auf den Weg gegeben, aber da war sie auch schon zu den anderen Mädchen in ihrer Klasse weitergezogen. Für Kevin war von nun an klar, dass Saskia wenn überhaupt noch einmal den Nicki montags anziehen würde, zum Kunstunterricht halt. Und so freute er sich jetzt schon auf den nächsten Montag, wobei heute Nachmittag ist Gruppenstunde im Jugendheim. Saskia war in einer anderen Gruppe und hatte Schluss, wenn seine Gruppenstunde anfing. Wenn er ein wenig früher käme, würde er Saskia sicherlich nochmal sehen.

Anna versuchte Kevin etwas zu trösten, als sie beide eng umschlungen wieder in die Klasse zurückgingen. „Du freust Dich wohl gar nicht, was, Kevin?“ Kevin war den Tränen nahe. „Worüber sollte ich mich denn freuen?“ erwiderte er. „Darüber dass Saskia meinen Nicki im Kunstunterricht kaputt machen darf? Ihn mit Farbe und Kleber einsauen darf? Bis er reif für die Tonne ist … ? Näää, dafür hab‘ ich nicht all die Jahre so pingelig drauf aufgepasst. Blöde Kuh!“ Kevins Kopfkino lief wieder auf Hochtouren, das merke Anna sofort. „Freu Dich doch, dass sie ihn überhaupt noch trägt! Oder wäre es Dir lieber gewesen, der wäre am Samstag irgendwo im Müllsack gelandet?“ Kevin wurde skeptisch. „Naja, mal abwarten – sah zumindest mal nicht so aus, als hätte sie ihn heute schon bewusst eingesaut!“ Kevin war wieder etwas beruhigter. In Gedanken war er schon wieder bei heute Nachmittag. Aber dass sein Lieblingspulli nun bei Saskia auf der direkten Abschussliste stand, hatte er sich natürlich nicht gewünscht. Umso mehr war er natürlich gespannt, zu welchen Anlässen er den Nicki nochmal sehen würde.

„Du hast es echt gut, Anna“ meinte Kevin „Du darfst wenigstens noch in Lederhosen rumlaufen!“ „Ja, noch …“ seufzte Anna. „Wer weiß, wie lange noch …“ und zeigte auf die zahlreichen Kratzer und Macken, die auch die Latzhose im Laufe der Zeit schon abbekommen hatte. Kevin fühlte in ihre Seite, zog ein wenig und meinte „naja, bis die mal zu eng ist, dauert es ja wohl noch ein Weilchen!“ – „Na hoffentlich, wäre schön, wenn sie noch bis zum Frühjahr überlebt – bin mal gespannt, ob Mama sie dann aussortiert oder noch für den nächsten Herbst-/Winter zurücklegt.“ – „Ach, die geht dann bestimmt noch! Die wär‘ doch viel zu schade für den Sack!“ – „Hast ja Recht, Kevin“ murmelte Anna und wollte auch gar nicht daran denken, wie es mit ihr und der Lederhose zu Ende gehen würde. Denn eins war ihr klar, weiterverschenken würde ich die bestimmt nicht mehr – jedenfalls nicht in dem abgegriffenen Zustand.

Gegen Nachmittag trafen die beiden Aushilfskräfte im Sortierbetrieb ein, deren Aufgabe es primär war, den Reißwolf mit den Sachen zu füttern, die die beiden Sortierinnen in den dafür vorgesehenen Behälter geworfen hatten. Es war ein recht kleiner Reißwolf, den der Chef angeschafft hatte um die Sachen, die zu Dämmmaterial verarbeitet werden sollen, vorher auf handliche Größe zu zerkleinern. Die geschredderten Sachen werden anschließend noch verpresst und schon die Dämmplatten für den Einsatz fertig. Und in der Tat, zum einen ließ sich damit gutes Geld verdienen, und zum anderen war es völlig egal, was da an Sachen durch den Reißwolf ging. Sommersachen, Wintersachen, Leder – alles fand Verwendung. Und so machten sie sich an die Arbeit, schmissen den Schredder an und warfen Stück für Stück der Reißwolf-Behälter befindlichen Klamotten dort hinein, wo die Sachen unmittelbar zerfetzt wurden. Selbst Metallteile wie Knöpfe, Nieten oder Reißverschlüsse machten dem Schredder nichts aus: Weiß oben reinkam kam unten in Sekundenschnelle in kleine Fetzen zerlegt wieder raus.

Und so gingen auch heute wieder zerschlissene Jeans, verschmutzte Sweatshirts, Anoraks mit kaputten Reißverschlüssen und viele andere Anziehsachen kommentarlos und ohne große Emotionen in den Schredder. Selbst die beiden Lederjacken verursachten keine größere Aufmerksamkeit, ganz im Gegensatz zu der kurzen Glattlederhose, die eine der beiden jungen Damen plötzlich in den Fingern hatte …
AnnasMama
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Re: Anna

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Eine kurzen Moment hielt die Aushilfskraft am Reißwolf inne: Sie fasste die Lederhose fest an der Trägerchen, ließ sie locker gehalten über dem rotierenden Reißwolf baumeln. „Krass, was die Leute heute alles so in die Altkleidersammlung werfen!“ Sie begutachtete die Lederhose etwas ausführlicher, als die anderen Sachen, die sie sonst nur mit den bloßen Händen in den Reißwolf warf und darauf wartete, dass die Sachen in kleine Einzelteile zerfetzt würden, damit sie schnell wieder nachlegen konnte. „Wolltest Du nicht schon immer so eine für Deinen Sohn haben?“ flachste sie mit der Kollegin, die damit beschäftigt war, die Reißwolffetzen zu Dämmplatten zusammenzupressen. „Ja, die hab‘ ich schon gesehen – aber nee, die ist ja völlig fertig und hast Du mal dran gerochen? Die stinkt ja richtig … bäh. Nee, muss nicht sein …“ Schon hatte sie die Lederhose fallen gelassen und innerhalb weniger Sekunden war sie komplett im Reißwolf verschwunden. Gegen die scharfen Beißkrallen der rotierenden Wellen hatte sie keine Chance, die Reißverschlüsse knackten kurz auf und schon war die Lederhose in tausend kleine Fetzen gerissen. „Dann nimmst‘e eben die nächste, die kommt! Wird‘ eh nicht die letzte gewesen sein, die hier in den Säcken auftaucht …“ Und schon warf sie die nächsten Klamotten in den Reißwolf, selbst die nagelneue braune Kunstlederhose die mit dem nächsten Schwung dabei war, wurde ohne groß beachtet zu werden zerschreddert.

„Scheiße, ich darf ja heute Nachmittag gar nicht zur Gruppenstunde – ich hab‘ ja noch Stubenarrest“ grummelte Kevin zu Anna auf dem Nachhauseweg. Saskia muss wohl schon eine Stunde eher Schluss gehabt haben - jedenfalls ging sie nicht zusammen mit Kevin und Anna nach Hause. „Man, das ist ja echt blöd, Kevin – zieht Deine Mama das echt so streng durch? Och menno, Du tust mir echt leid!“ und schon knuddelte sie ihren Kevin von oben bis unten einmal komplett durch und versuchte ihn zu trösten. „Dann schau ich eben heute Nachmittag etwas früher zur Gruppenstunde vorbei und guck, ob Saskia Deinen Nicki noch an hat?“ Kevins Augen leuchteten „Das würdest Du echt machen? Und Du würdest auch nicht schwindeln?“ – „Wieso sollte ich? Ich mag den Nicki doch auch – schade, dass Du den nicht mehr anziehen darfst. Ich fand den cool – und ehrlich gesagt, für zum Aufbrauchen find ich den echt zu schade …“

Auf der Arbeit hatte sich das Verhältnis zu Katrin Gott sei Dank wieder normalisiert. Sie war mir keineswegs nachtragend, weil ich sie so sehr mit ihren Lederhosen genervt hatte. Nein, ganz im Gegenteil: Ich bekam sogar in letzter Zeit wieder Komplimente von ihr, wie gut mir denn meine alte Latzjeans und meine Nubuk-Lederhose ständen. Und ich solle nicht traurig sein, Leder sei nun mal nichts für sie – obwohl sie es durchaus als praktisch empfinde passe es nicht zu ihrer veganen Lebensweise. So, so – das war es also, warum sie Leder nicht möchte. Und unter dem Aspekt konnte ich das sogar sehr gut verstehen. Wenn Lebenseinstellung und Kleidung nicht zusammenpasst und sie womöglich ständig drauf angesprochen wurde „Wie kannst Du denn als Veganerin Ledersachen tragen?“ nutze auch die vermeintliche Ausrede „Ich muss“ bzw. „Zum Motorrad fahren …“ nichts. Zum Glück hatte ich diese Probleme alle nicht – bei mir kommt durchaus auch mal ein gutes Stück Fleisch auf den Tisch.

Gegen Nachmittag, Anna war noch nicht aus der Schule zurück, klingelte es an der Tür: eine gute Bekannte stand mit einer großen, schweren Plastiktüte voll Anziehsachen da und meinte „Hab‘ ich letzte Woche aussortiert, war mir für Altkleider zu schade – sind alles Adidas T-Shirts und Sweatshirts von meiner Großen – die Kleine mochte die nicht, sie trägt lieber Puma und Nike. Wie die Kids halt so sind! Was Du für Dich oder Anna brauchen kannst nimm ruhig, den Rest kannst Du entsorgen!“ Ich ahnte schon wieder schlimmes – wenn Freundinnen oder Bekannte mir mit dem Spruch Anziehsachen überreichten, dann war oftmals nur noch Müll in den Tüten, wo sie nur weil es Markenkleidung war dachten, dass man diese auch noch anziehen könnte. Aber selbst ein paar Jahre alter und durch mehrere Kinderhände gegangener Adidas Pulli ist nach zigmal waschen auch nur noch für die Lumpensammlung oder die Tonne, aber eigentlich nichts mehr zum Anziehen und Weitertragen. Gut, für einmal Gruppenstunde oder Spielplatz taugen die in der Regel dann zumindest doch noch, aber dann kannst Du die nicht mehr weitergeben ohne schlechtes Gewissen zu haben.

Wir tranken Kaffee zusammen und kamen ein wenig ins Plauschen, insbesondere über das, was bei den Kids klamottenmäßig gerade In & Out ist. „Ich find ja Latzhosen immer noch total cool“ sagte meine Freundin. „Aber da brauch ich meiner Großen gar nicht erst mit kommen – die zieht die nicht mehr an! Hatte letztens nochmal welche im Geschäft gesehen, die ihr gepasst hätten – aber nö, noch nicht mal anprobiert hat sie die! Und auch die Kleine hat nur fassungslos mit dem Kopf geschüttelt – nein, Mami, bitte nicht! Auch nicht mit Pulli drüber!“ „Och, da bin ich ganz froh drum, dass Anna noch ihre Latzhosen trägt!“ – „Echt?“ – „Ja, in letzter Zeit zwar manchmal auch nicht mehr so ganz so gerne, aber ab und zu dann doch wieder. Echt komisch, total unterschiedlich – es gibt Tage, da würde sie die am liebsten wegschmeißen – und es gibt Tage, wo ich es gar nicht erwartet hätte, wo sie dann plötzlich wieder in Latzhosen am Frühstückstisch erscheint! Ich hab’s aufgegeben es zu hinterfragen, sie ist alt genug – muss selber wissen, was sie wann und wo anziehen möchte. Da rede ich ihr nicht mehr rein!“

„Die Große zieht auch nur noch das an, was sie möchte – manchmal würde ich sie so auch lieber nicht aus dem Haus gehen lassen. Ganz schlimm ist es bei ihr immer, wenn sie von Oma Geld für neue Klamotten bekommt und dann selber alleine einkaufen geht. Da kommen Sachen bei rum, die ich am liebsten direkt Himmeln würde. Naja, vielleicht auch nur eine Phase, die sich wieder gibt. Aber ihr einfach mal so vom Einkaufen was mitbringen funktioniert schon lange nicht mehr – das geht ab und zu noch bei der Kleinen gut, aber nicht bei der Großen. Wenn ich Glück habe, kann ich das ein oder andere noch umtauschen, oder es gefällt der Kleinen, aber vieles kann ich ungetragen weiterverschenken oder in die Altkleidersammlung werfen.“ Naja, dachte ich, neue Klamotten in die Altkleidersammlung müssen ja nun wirklich nicht sein und war froh, dass sie mir die Tüte vorbeigebracht hatte. Angucken und vorsortieren mache ich in der Regel immer später, wenn der Besuch wieder weg ist. Sonst kommt es immer zu blöden Diskussionen, wenn der Müllanteil doch wieder zu hoch ist.

Nach einer halben Stunde war die Freundin schon wieder los und ich nutzte kurz die Gelegenheit, in die Tüte zu schauen. Ein halbes Dutzend Adidas Sweatshirts in verschiedenen Farben, meist uni und mit dem großen Adidas Logo auf dem Bauch, einige davon mit Kapuze, aber erfreulicherweise sowohl von der Größe her passend als auch vom Zustand her noch brauchbar. Dazu noch einen Stapel T-Shirts, die man auch außerhalb des Sportunterrichts tragen konnte. Die hatten offenbar schon mehrfach die Waschmaschine gesehen, waren jedoch – wie die Freundin beteuerte – allesamt nur von ihrer großen Tochter getragen (auch wenn sie die meisten wie sie sagte selber geschenkt bekommen hatte). Da schienen sie wohl neu gewesen zu sein, oder wie es bei Kevin die Regel war „einmal getragen und dann schon weitergereicht“. Und ob von einem oder zwei Kindern getragen war bei den Sachen egal, die hier waren alle noch gut. Anna würde sich über neue Adidas Sachen sicherlich freuen, wenn sie nachher nach Hause kommt. Ich freute mich jedenfalls über diese tolle Überraschung.

„Mama, ich muss Dir was erzählen …“ kam Anna freudestrahlen aus der Schule zurück. Ich hoffte auf eine gute Note in der Klassenarbeit oder im Vokabeltest, aber das was sie zu erzählen hatte, überraschte mich doch etwas. „Kevins roter Kapuzennicki ist wieder aufgetaucht! Saskia hatte ihn heute zum Kunstunterricht an! Die blöde Kuh trägt den nur, weil sie den vollschmieren darf! Mama, das ist so gemein!“ Och je, manchmal konnte Anna aus belanglosen Kleinigkeiten echt einen riesen Elefanten machen. „Du meinst, den alten Nicki, den Kevin schon in der Grundschule getragen hat? Den hatte er doch letzten Winter fast ständig an – der muss doch schon völlig verwaschen sein? Dass Saskia den überhaupt trägt – ich dachte, der wäre längst im Müll oder im Reißwolf gelandet. Wenn die älter werden, sind die doch echt nicht mehr schön …“

Anna hatte mit vielem gerechnet, nur dass ich so verständnislos reagiere, wohl nicht. „Mama, Du bist so unsensibel – Du verstehst doch gar nichts!“ Ok, vielleicht hatte sie Recht und ich verstand wirklich nichts, aber für mich war Kevins roter Kapuzennicki in einem ähnlich abgetragenen Zustand als die beiden, die Anna damals zur schwarzen Kunstlederjeans getragen hatte. Die waren auch nur noch Müll, jedenfalls hätte ich die keinem anderen Kind mehr zumuten wollen. „Was erwartest Du, Anna? Dass Saskia den ollen, ausgeleierten Pulli zum Lieblingsteil kürt? Denk mal nach …“ „Mmmh“ dachte Anna nach. „Dann soll sie ihn lieber gleich in die Altkleidersammlung geben als ihn mutwillig im Kunstunterricht kaputt zu machen – da bleiben doch Klebstoff- und Farbflecken beim Basteln und Malen nicht aus. Mama, dafür ist der zu schade – das muss nicht sein!“

Oh, Gott, Anna war mal wieder in der Bewahrer Phase – etwas, was sie bei ihren eigenen Klamotten so gut wie nie erleben konnte, da ich fast alles von ihr nicht mehr weitergeben konnte. Offensichtlich hatte sie jedoch genauso wie Kevin Spaß daran, dass der Nicki doch noch bei Saskia gelandet war. Nur hatte sie halt Sorge, dass der Pulli schneller im Abfall landen würde, als es beide vermuteten. Somit war Anna schon sehr gespannt auf die Gruppenstunde heute Nachmittag, wo sie etwas eher als sonst losflitzte. Ihre Lederjacke ließ sie zu Hause, zog aber in Lederlatzhose und Norwegerpulli drüber los. „Kannst auch einen von den Adidas Kapuzenpullis anziehen!“ rief ich Anna hinterher. Doch da war sie auch schon zur Tür raus. Sie wollte Saskia abfangen und sie auf den Nicki ansprechen, das hatte sie sich fest vorgenommen. Saskias Gruppenstunde würde enden bevor ihre anfängt. Hoffentlich war nicht schon alles zu spät …
AnnasMama
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Re: Anna

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Anna war zeitig am Jugendheim und musste noch warten, die ihre Gruppenstunde anfing. Hoffentlich ist Saskia überhaupt zu ihrer Gruppenstunde gekommen, hoffte Anna. Und schon riss eine der Mädels aus Saskias Gruppe die Tür vom Gruppenraum auf und alle rannten nach draußen. Saskia war die letzte in der Runde, sie trug alte, gelbe Gummistiefel – ihre Jeans war lehmverschmiert und völlig eingesaut als sie ihre rote Adidas Regenjacke anzog und die Kapuze vom Pulli aufsetzte, um sie über der Jacke zu tragen. Anna zitterten die Knie, sie hatte Glück gehabt und sprach Saskia an: „Hey, cooler Pulli – wo hast’e den denn her?“ Watt soll denn da cool dran sein, Anna?“ wollte Saskia wissen. „Iss ‘nen oller, ausgeleierter Kapuzennicki, keine Ahnung wo Mama den her hat – interessiert mich auch ehrlich gesagt nicht! Mama meint, für Kunstunterricht und Gruppenstunde ist der noch gut – aber ich find den einfach nur bäh!“

Saskia und die anderen Mädels der Gruppe sahen aus, als hätten sie allesamt draußen im Dreck und Lehm gespielt, jedenfalls waren alle mehr als dreckig und eingesaut. Selbst Saskias Nicki blieb nicht verschont und war entsprechend dreckig geworden. Nur die Adidas Regenjacke war einigermaßen sauber geblieben. Anna musste heftig schlucken über das was Saskia von sich gab. Das passte so gar nicht in ihr Verständnis vom Tragen geschenkter Klamotten. „Meinetwegen kann der heute Abend in den Müll – aber wie ich Mama kenne, muss ich den jetzt immer montags zur Schule und zur Gruppenstunde anziehen. Mal sehen, vielleicht muss ich auch ein wenig nachhelfen ….“ Und schon hatte Saskia ihre Regenjacke mit dem großen Adidas Logo auf dem Rücken, die auch schon reichlich knapp saß, zugemacht. „Dann mal bis Morgen“ rief Anna ihr hinterher, wohlwissend, dass sie morgen definitiv weder Nicki noch Adidas Jacke zur Schule tragen würde.

Am nächsten Morgen berichtete sie Kevin von ihrem gestrigen Erlebnis mit Saskia vor der Gruppenstunde. „So ein undankbares Blag hab‘ ich schon lange nicht mehr gesehen …“ Anna schaute tief in Kevins Augen. „Sie findet den bäh – hat sie wörtlich gesagt! So was hat Dein Nicki echt nicht verdient – sie hatte ihn an zur Gruppenstunde, aber Du hättest sie mal reden hören. Blöde Kuh!“ – „Na, immerhin hatte sie ihn noch mal an“ erwiderte Kevin. „Ja, aber wer weiß, wie lange noch. So wie ich die einschätze, gibt sie keine große Acht auf das Teil und schmiert ihn sich bei nächster Gelegenheit voll …“ – „Naja, vielleicht sehe ich ihn ja nächsten Montag, wenn ich wieder raus darf!“ freute sich Kevin – „ … und wenn nicht, dann auch nicht schlimm. Dir hätte er ja auch nicht gepasst und mir auch nicht mehr. Ich bin froh, dass sie ihn überhaupt trägt – so sehe ich ihn wenigstens noch mal wieder …“

Saskia hatte natürlich weder die Adidas-Regenjacke noch Kevins alten Kapuzennicki zur Schule an. Sie trug Jeans und Sweatshirt, und hatte eine schwarze Regenjacke an, die deutlich größer war, als die von gestern. Auf Kevins Bemerkung reagierte sie erst gar nicht, fühlte sich etwas angezickt und verschwand zu den anderen Mädchen in ihrer Klasse. Kevin hatte auch nichts anderes erwartet, ihm war klar, er würde bis zum nächsten Montag warten müssen. Nach der Schule zog Kevin in letzter Zeit meisten seinen alten Adidas Jogginganzug an, den Mama am Samstag wohl offensichtlich vergessen hatte, mit in den Altkleidersack zu stecken. Jedenfalls hatte der – übrigens auch ein Geschenk von Oma – seine besten Zeiten auch schon lange hinter sich. Er wies deutliche Wasch- und Tragespuren auf, da er ihn im Winter regelmäßig zum Schulsport angezogen hatte – zu mindestens den Pulli, die Hose hatte er eigentlich immer nur zu Hause zum Rumrutschen in der Wohnung getragen.

Der Jogger war jedenfalls brauchbarer Ersatz für seine kurze Lederhose und den Kapuzennicki. Beides hatte er ja bislang für zu Hause getragen. Mama hatte zwar bislang noch nichts gesagt, er war sich aber durchaus sicher, dass der Jogger heißer Kandidat für Mamas nächste Aussortieraktion werden würde und dass er in dem Zustand wie er jetzt schon aussah definitiv nicht mehr zu Saskia weitergereicht würde. Er fing an, den Jogger zu lieben, so wie er bereits zuvor Lederhose und Kapuzennicki geliebt hatte. Also genoss Kevin es sichtlich, ihn anzuziehen, sich damit auf’s Bett zu Lümmeln und sein Kopfkino zu aktivieren. Er dachte natürlich immer noch an seine Lederhose, was ihn nach wie vor erregte. Ihm war klar, dass sie bei der Altkleidersammlung eigentlich nur im Reißwolf gelandet sein könnte. In seinem Kopf stellte er sich wieder nur wieder die letzten Sekunden vor, in den völlig verschiedensten Optionen – denn was wirklich geschehen war, konnte er ja nur vermuten.

Beim Gedanken an Saskias Kapuzennicki spürte er die Erregung noch stärker. Auf der einen Seite war die große Freude, das Teil an ihr noch einmal gesehen zu haben. Auf der anderen Seite war ihm aber auch klar, beste Freunde werden die beiden nie. Es hing also irgendwie alles an Saskias Mama, wie es nun mit dem Nicki weitergehen würde. Er war sich sicher, ihre Mama wird ihr den Nicki auch weiterhin für Montags zum Kunstunterricht anziehen – einen älteren und abgetrageneren Pulli hatte er jedenfalls bei Saskia nicht mehr ausmachen können. Erst wenn der mit Farbe oder Klebstoff völlig verschmiert sein würde, käme der nächst schlechtere Pulli an die Reihe. Vielleicht gewöhnt sich Saskia zumindest daran, dass sie ihn nicht mutwillig einsaut, hoffe er, bevor seine Erektion den Höhepunkt erreichte und seine Unterhose feucht wurde. Wie üblich döste er kurz darauf ein.

Stubenarrest war immer langweilig – kein Fernsehen, kein Besuch, keine Gruppenstunden, kein Nichts. Und immer das Grübeln darüber, was er falsch gemacht hatte, warum das Fragen nach der weggeworfenen Kunstlederjeans Mama so was von auf die Palme gebracht hatte. Nein, er wusste es nicht, er traute sich auch nicht zu fragen – er hatte viel zu viel Angst, dass Mama oder Papa noch eine weitere Woche drauf legen könnten. Wäre ja auch nicht das erste Mal gewesen, das aus einer Woche zwei wurden. Und das für ein Draußen Kind, was seine vermeintliche Hyperaktivität ausleben muss, weil er sonst völlig ungenießbar wäre. Immerhin hatte er jetzt viel Zeit zum Lesen und zum Lernen für die Schule. Obwohl, auf Lernen hatte er im Moment überhaupt keinen Bock. In Mathe, was ihm eigentlich sehr lag, hatte er viel zu viel aufzuholen, in Deutsch kam er mit dem Lehrkörper nicht klar, und Sprachen waren eh nicht seins. Die Arbeit für die er letztens mit Anna geübt hatte, war zwar besser ausgefallen als die vorherige, aber halt immer noch nicht gut oder sehr gut, was Mamas und Papas Erwartungshaltung wäre. Und so mahnten beide ihren Sohnemann beim Frühstück und Mittagessen stets, er solle die Zeit des Stubenarrests doch bitte schön zum Lernen nutzen, denn wenn die nächste Arbeit in die Hose ginge (wovon seine Eltern fest ausgingen) würde ihnen nichts weiter übrig bleiben als die erzieherischen Maßnahmen deutlich zu verschärfen. Und das konnte alles Mögliche bedeuten.

Anna zog im Moment wieder regelmäßig und gerne ihre Latzhosen an – zur Schule jedoch meist damit es nicht so auffiel mir Sweatshirt, Hoodie oder Pullover drüber. Bei der letzten Mitbring-Aktion meiner Freundin waren doch tatsächlich ein paar coole, wenig getragene Adidas Kapuzenpullis dabei, die Anna so richtig gut gefielen. Sie war glücklich darüber, zumal sie wusste, dass wir uns solche Pullis nie hätten neu leisten können. Selbst die gebrauchten bei UsedTex waren meist noch unverschämt teuer, die Hälfte von dem, was die gewöhnlich im Schlussverlauf kosteten wollten die immer noch für einwandfreie Ware haben. Von daher hatte ich immer wieder dort mal nach Adidas Sachen geschaut, die kleine Fehler, Flecken oder Löcher hatten, die nicht großartig auffielen. Oder solche, die schon was älter, verwaschen und schlabberig waren – die gab’s meist deutlich günstiger. Aber nun waren schöne Hoodies für umsonst dabei, die aber alle den Nachteil hatten, dass sie über Bauchtaschen verfügten und vom Schnitt her recht weit waren. Für unter ‘ner Latzhose waren die viel zu groß – die konnte Anna, ob sie wollte oder nicht nur über den Latz anziehen. Wobei ihr das durchaus gelegen kam. „Reicht doch, wenn ich die Latzhose spüre, braucht doch nicht jeder zu sehen“ flachste sie immer und genoss es, zu wissen, dass die anderen in der Klasse nun grübelten, ob sie Latzhose trägt oder nicht.

Bei der Kunstlederhose war das klar – die meisten in der Klasse erkannten die sofort als Latzi, egal ob sie den Pulli drüber trug oder nicht. Hingegen war bei der Jeans oder der Cordhose das Rätselraten immer groß – weil sie trug ja inzwischen auch normale Jeans und Cordhosen, die sogar in vergleichbarem Zustand waren. Doch ihre Lederkombination trug sie am liebsten, meist drei Tage hintereinander, dann war wieder eine normale Jeans oder Cordhose dran. Die Latzjeans trug sie genauso wie die Cordlatzhose ein- bis zweimal im Monat und das auch jeweils für zwei, drei Tage. Dann waren die reif für die Wäsche, entweder richtig dreckig vom draußen spielen oder zumindest so durchgeschwitzt, dass sie eine Wäsche nötig hatten. Meistens warf ich die beiden Latzhosen zusammen in die Wäsche, zusammen mit meiner und den andere Jeans und Cordhosen.

Anna war so entspannt und pflegeleicht wie lange nicht mehr. Offenbar hatte sich zwischen Kevin und ihr etwas mehr als Freundschaft entwickelt, ich hielt Augen und Ohren offen, und wenn sie zu mir kam, nahm ich mir die Zeit, die sie brauchte. Ansonsten hielt ich sie an der langen Leine, ließ sie schnuppern und zog nur dann kräftig, wenn es absolut erforderlich schien. Sie war mit der Vorgehensweise einverstanden, war aber natürlich todtraurig, dass sie mir Kevin derzeit außerhalb der Schule nichts unternehmen konnte. Auch sie verstand die Reaktion von Kevins Mama auf die Nachfragerei nicht, traute sich aber auch nicht zu fragen, warum sie ‘ne Lederjeans für Kinder nicht leiden mochte. Sie wusste nur, dass sie keine mag, denn immer wenn sie ihre schokoladenbraune Kunstleder-Latzhose bei Kevin zu Besuch an hatte, gab es einen unpassenden Spruch von wegen „Wie läufst Du denn herum?“ und „Warum ziehst Du eigentlich keine Jeans an?“. Mittlerweile hatten sich beide dran gewöhnt und die Kommentare kamen immer seltener, aber manchmal kamen sie dennoch.

„Mama meint das nicht so …“ versuchte Kevin dann immer Anna zu beruhigen – obwohl auch er nicht wusste, warum sie so reagierte. Vielleicht war was in ihrer Vergangenheit passiert? Oder sie wollte als Kind auch immer eine Lederjeans haben und durfte nicht? Oder sie hatte auch mal eine und schlechte Erfahrungen darin gesammelt – Kevin wusste es nicht und war entsprechend ratlos. Anna übrigens auch, denn Kevins Mama hatte sich das Nachfragen ausdrücklich verbeten. Keine Chance also zu erfahren, was los war. Keine Ursachenforschung, keine Vergangenheitsbewältigung, nur ständig Annas schlechtes Gewissen, wenn sie ihre Lederjeans an hatte, sie könne unbewusst damit seine Mama provozieren.
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