Anna

Geile Erlebnisse und Kurzgeschichten.
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Die neue Azubine kam heute zum ersten Mal mit ihrem Moped zur Arbeit, einer alten Enduro-Maschine japanischer Herkunft. Mir waren dabei ihre antikbraune Lederjeans und die dicken schwarzen Nubuk-Lederboots direkt aufgefallen, hatte aber noch nicht die Gelegenheit, sie darauf anzusprechen. Immerhin sah die Hose nach echtem Leder aus und nicht nach Kunstleder, so wie ich sie für Anna im Second-Hand-Shop, ähm bei Usedtex gekauft hatte. Auch sie trug einen schwarzen Hoodie, genauso wie ich heute, nur dass ihrer ein klassischer Fruit of the Loom war, etwas schlabberig noch, vielleicht ein, zwei Nummern zu groß, allerdings reichlich verwaschen. Das hatte ich auf den ersten Blick gesehen. Nichts mehr für gut, aber für zur Arbeit durchaus noch tragbar. Und auch die Lederjeans sah deutlich getragen, neu war die jedenfalls nicht. Aber es passte zu ihr, vor allem wo sie als Azubine bei uns in den Bereichen tätig ist, wo sie sich durchaus mal etwas schmuddelig machen wird.

Wir trafen uns in der Kaffeeküche, sie stand mit dem Rücken an die Wand gelehnt und hatte beide Hände in der Bauchtasche versteckt. Sie räkelte sich ein wenig, gähnte und murmelte etwas von „Guten Morgen“, während sie darauf wartete, dass der Kaffee, den sie frisch aufgesetzt hatte, endlich komplett durchgelaufen war. „Ist wohl was länger geworden gestern, was?“ „Ja, Geburtstage feiern wir in der Familie auf den Tag und es ist in der Tat spät geworden! Hast Du den Nicki neu?“ fragte sie mich. „Wie man’s nimmt“, sagte ich „hab‘ ich geschenkt bekommen – wäre sonst im Lumpensack gelandet!“ „Ach so, ich hatte auch mal einen so wie Du, den musste ich immer anziehen, sonst gab’s Ärger von Mami. Hab‘ den nie leiden mögen und war froh, als der mit weg ging. Nickis mag ich nicht – und Latzhosen eigentlich auch nicht …“ Dabei räkelte sie sich wieder und schob mit den Händen in der Bauchtasche ihren schwarzen Kapuzenpulli soweit hoch, dass an ihrer Lederjeans seitlich die Knöpfe erkennbar waren.

„Hast aber heute ‘ne coole Lederjeans an! Die find‘ ich echt klasse!“ „Naja, geht so – hat Mama mir geschenkt, zum Moped fahren, war mal ihre, hat sie lange Zeit getragen! Mag kein Leder und keine …“ „Latzhosen?“ fragte ich neugierig. „Sag bloß, das ist eine – Mensch, das ist doch mal richtig cool!“ „Ja, ist ‘ne Latzhose!“ sagte sie grummelig, „Und nee, Latzhosen sind was für Kinder und nix zum Moped fahren! Da gibt’s bessere Sachen, da trag‘ ich doch kein Leder. Aber am meisten nervt mich, dass Mama mich dazu zwingt: entweder Du ziehst die an, oder Du kannst laufen oder mit dem Bus fahren. Und Geld für was anderes hab‘ ich leider nicht. Meinst Du, sonst würde ich die und den olllen Hoodie hier drüber ziehen? Nee, die wären bei mir schon längst in der Tonne!“ Undankbares Blag, dachte ich bei mir und dachte an meine Jugend zurück: Kein Moped, keine Lederjeans und auch keine Hoodies. Ich sah schon, ich hatte da echt Nachholbedarf.

Wir tranken unseren Kaffee in Ruhe aus und gingen zurück an unsere Plätze. Ich war neidisch und eifersüchtig auf die kleine Maus, die etwas größer als meine Anna, aber dennoch ein wenig kürzer war, als ich. Sie sah unheimlich süß aus in ihrem Outfit, noch etwas rattiger als Anna. Natürlich hätte ich für Anna auch gerne echtes Leder genommen, aber ich war froh, dass ich überhaupt eine Latzhose für sie bekommen hatte, wenn auch in Kunstleder. Auf dem Weg sagte sie noch „Nee, ich bin froh, wenn ich demnächst wieder etwas mehr Kohle habe, dann hol‘ ich mir was Aktuelles zum Moped fahren, dann kommt die olle Lederbuchse hier als erstes weg!“ Ich schluckte, dachte an Anna und stellte mir vor, wie ich ihr die Lederlatzhose für Anna abschwatzen könnte.

„Zieh‘ doch mal den Hoodie aus und zeigt mal die Latzhose!“ sagte ich neugierig. „Nöö, kommt nicht in Frage, mach‘ ich nicht.“ sagte sie grinsend und spielte mit ihren Händen in der Hoodie-Tasche, so dass die seitlichen Knöpfe wieder zu sehen waren.
Zuletzt geändert von AnnasMama am Di 14. Jun 2016, 01:05, insgesamt 1-mal geändert.
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Die kleine, süße Azubine hatte mich regelrecht infiziert mit ihrer antik-brauen Lederlatzhose. Sie machte mich geradezu wuschig, weil ich mir die Hose auch gut an Anna vorstellen konnte. Ewig wird Annas neue gebrauchte Kunstleder-Latzhose auch nicht halten, dafür war sie einfach auch schon zu sehr getragen. Außerdem spürte ich das Verlangen, mal selber wieder Leder am Körper tragen zu wollen. Wenn die doch bloß nicht immer so teuer wären und wenn es überhaupt zur Zeit irgendwo welche zu kaufen gäbe, dann hätte ich mir vielleicht auch längst schon mal wieder eine gegönnt. Hätte, hätte, hätte. Somit bleibt mir eigentlich nur der Weg durch die Second-Hand-Shops. Ich denke, bei Kids&Teens brauche ich es gar nicht erst nochmal probieren – selbst wenn die was reinbekommen würden, wäre das innerhalb von ein paar Tagen Richtung UsedTex zur Verwertung im Reißwolf gelandet.

Ich genoss noch den ganzen Tag den Anblick unserer Azubine in ihrem geilen Leder-Outfit. Ich ging sogar heute öfters als sonst mit ihr einen Kaffee trinken. Gegen Nachmittag meinte sie „Oh, ich glaub – ich muss mal“ und bevor ich ein Wort sagen konnte, hatte sie ihren ollen Schlabber-Hoodie auch schon ausgezogen und mir mit einem „Kannze ma‘ kurz halten?“ in die Hände gedrückt. Und so zeigte sie mir dann doch noch – und ohne dass ich groß nachbohren musste – den Latz ihrer Lederjeans, den sie den lieben langen Tag so schüchtern und ängstlich versteckt hatte. Die Trägerchen schon stramm eingestellt – so wie Anna und ich es auch am liebsten machen – darunter ein schlichtes, uni-schwarzes T-Shirts und ein wunderschöner Rückenlatz, so begab sie sich dann Richtung Klo.

In der Zwischenzeit inspizierte ich – neugierig wie ich nun mal bin – den Hoodie: Er hatte noch das ganz alte Früchte-Logo, die Bänder zum Regulieren der Kapuze hatte bereits jemand entfernt (bei meinem Kapuzennicki waren sie zum Glück noch drin, sehr zu meiner Freude) und das Größenschildchen war sowas von verwaschen, dass man kaum was erkennen konnte. Die Bündchen waren auch schon ziemlich ausgeleiert, eigentlich hatte sie Recht: Das Teil ist nur noch was für die Tonne, wobei er mir dafür fast noch zu schade war.

Ich meine, Annas Sachen sind auch meist völlig fertig, wenn sie von ihrer Freundin Marie welche geschenkt bekommt – Anna ist halt die letzte, in einer Reihe von Kindern, die die Sachen vererbt bekommt. Die richtig guten Sachen verkauft Maries Mama noch auf dem Flohmarkt und bekommt dafür teilweise noch so viel Geld, das es mir für Gebrauchtes zu teuer ist. Somit bleibt für Anna meist nur der Rest, den eh keiner mehr will oder der unverkäuflich von Flohmarkt wieder mitgebracht wird und sonst in der Tonne oder im Altkleidersack landen würde. Anna sucht sich dann das, was ihr gefällt raus und der Rest geht dann auch gleich weiter in den Container. Aber Anna freut sich und ist dankbar für jedes einzelne Teil, was sie geschenkt bekommt, besonders wenn sie etwas exotischer sind oder es sich um Adidas-Sachen handelt. Anna liebt Adidas Oberteile und die am liebsten in Rot. Da trägt sie alles, Alter und Zustand egal – von gut gebraucht bis völlig ausgeleiert und verwaschen – Anna liebt diese Klamotten und trägt sie, bis sie zu klein oder ganz kaputt sind.

Als die Azubine vom Klo zurück kam sagte ich „Steht Dir aber auch ohne Hoddie total super, die Lederlatzhose!“ „Meinst Du, naja Du ziehst ja Deine auch so an – ich hab‘ Dich schon des Öfteren für Deinen Mut bewundert. Nee, das könnte ich nicht …“ und nahm mir den Hoodie wieder aus der Hand und zog ihn schnell wieder über. „Nee, ich möchte nicht, dass die anderen sehen, dass das ‘ne Latzhose ist. Reicht schon dass alle hier sehen, dass ich ‘ne Lederhose an hab …“ „Und?“ fragte ich zurück, hat etwa einer der Kollegen schon was gesagt?“ „Nein, aber diese Blicke – die reichen schon!“ „Naja, die sind doch völlig normal – die Kerle sind total verunsichert: Auf der einen Seite gefällt es ihnen, wie Du rumläufst und sie hoffen, dass Du die Sachen morgen auch wieder anziehst, weil sie ihnen halt gefallen, auf der anderen Seite trauen sich viele nicht, Dich anzusprechen. Kenn ich, hab‘ ich auch schon tausend Mal erlebt. Du und ich wir sind da anders: Dir fällt mein Nicki auf – und Du sagst was dazu, mir ist Deine Lederjeans aufgefallen und ich sag auch, dass ich die prima finde. Nur die Herren der Schöpfung wissen nicht, was sie sagen sollen, sie wollen uns ja auch nicht gleich anbaggern oder uns dieses Gefühl geben. Ist halt bisschen schwierig, geb‘ ich zu! Aber Du wirst sehen, ohne Hoodie drüber wird auch keiner groß was Schlechtes sagen …“

„Meinst Du echt?“ fragte sie. „Mir ist nämlich den ganzen Tag lang schon so warm. Vielleicht sollte ich doch einfach den Hoodie wieder ausziehen. Aber ich trau mich irgendwie nicht …“
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

„Übrigens“ sagte sie noch, „ich bin die Katrin, wir können uns duzen!“ „Geht in Ordnung!“ sagte ich, und wir gingen zusammen ins Büro zurück. „Ach was, scheiß egal, hast Recht!“ sagte Katrin, zog ihren Hoodie wieder aus, warf ihn auf das Sideboard und nahm auf dem Stuhl gegenüber von mir Platz, weil sie dort noch ein paar Sachen zu erledigen hatte. Katrin sah mit ihrem schlichten schwarzen T-Shirt unter der Latzhose echt total cool aus und ich musste die ganze Zeit an Anna denken, wie sie wohl in den Sachen aussehen würde.

Der weitere Tag verlief extrem ruhig, es kamen zwar hin- und wieder mal Leute ins Büro, aber ich noch Katrin wurden auf unsere Latzhosen angesprochen. Ich machte gegen 13:00 Uhr Feierabend, wünschte Katrin – die ja als Azubine Vollzeit beschäftigt ist – noch einen schönen ruhigen Nachmittag, schlüpfte in meinen alten Anorak und verschwand in Richtung Bushaltestelle. Ich wollte den Nachmittag nochmal zum Second-Hand-Shoppen nutzen, nochmal bei Kids&Teens rein und vermutlich auch noch nach UsedTex, obwohl ich diesmal noch keine klare Vorstellung hatte, was ich mir holen würde.

Ich schwankte zwischen ‘ner kurzen Glattlederhose mit Doppelzipp-Reißverschluss, so wie Anna sie von Marie mitgebracht hatte, oder einer klassischen Lederjeans, entweder in Nubuk-Leder und schwarz oder in Antik-Braun, so wie Katrin sie hatte. Eine Latzhose wäre natürlich toll, aber die sind ja so was von selten, dass ich sie bislang noch nirgendwo gesehen hatte. Ich schwankte zwischen kurz und frech oder lang und dezent, mal sehen, was es in den Shops so gibt. Die Suche nach ‘ner Lederhose bei Kids&Teens verlief erwartungsgemäß negativ. „Nee, Lederhosen haben wir keine in großen Größen. Die kauft doch keiner mehr, und wenn wir mal welche bekommen würden, gehen die sofort ins Recycling. Ich könnte mich aber auch nicht erinnern, wann wir zuletzt welche gehabt haben!“

Also Fehlanzeige, dachte ich, stöberte aber trotzdem noch ein wenig durch den Laden. Ich suchte ja noch für Anna einen passenden Winteranorak, der rote vom Vorjahr mit der Reißverschluss Kapuze passt zwar im Moment so gerade noch, ist aber auch schon ein paar Winter alt und war auch gebraucht, als Anna ihn bekam. Aber komischerweise liebt sie das Teil immer noch heiß und innig. Und da der Reißverschluss auch schon langsam raus reißt, ist das Ding definitiv eines der Teile, die als nächstes in die Verwertung wandern. So Leid mir das auch tut, aber irgendwann ist der Reißverschluss völlig hinüber und sie kann dann den Anorak nicht mal mehr zu machen. Also besser jetzt mit weg, als wenn es zu spät ist.

Für Anna hatte ich schon auch eine gewisse Vorstellung, wie der Anorak aussehen sollte: Entweder braunes Kunstleder mit Teddyfutter und fester Kapuze, oder einen roten Hawks mit schwarzer Weste. Beides hatte ich zwar so lange nicht mehr gesehen, die Hawks waren von ein paar Jahren mal in, aber eigentlich in den meisten Familien wohl auch Verbrauchsmaterial, was nach ein oder allerspätestens zwei getragenen Wintern im Müll oder in der Altkleidersammlung verschwanden. Die wenigsten davon sind wohl von zwei oder mehr Kindern getragen worden. Und den Kunstlederanoraks dürfte es wohl in den meisten Fällen ähnlich ergangen sein, wobei hier noch hinzukommt, dass diese meist auch von der Qualität her nichts Besonderes waren. Das Angebot bei Kids&Teens war jedenfalls erstaunlich groß, was Anoraks in Annas Größe angingen, aber leider war nichts dabei, was in Frage kam. Sie hatten sehr viel Markenware, wo von ich auch gerne das ein oder andere Teil gekauft hätte, aber die kosteten alle gebraucht immer noch mindestens die Hälfte des Neupreises – also viel zu teuer. Nen Zehner, mehr durfte ein Anorak für Anna nicht kosten, alles darüber würde das Budget sprengen. Und viel mehr wollte ich für mich und meine Lederhose auch nicht ausgeben, also weiter nach UsedTex.

Da standen gerade zwei große Sattelschlepper-LKWs voll beladen mit Altkleidern vor der Tür, die von den Mitarbeiterinnen entladen wurden. Das werden gute 25 Tonnen sein, das gibt wieder viel zu sortieren, dachte ich mir. „Ach quatsch, das geht schnell – das haben wir in einer Woche durchsortiert. Die Hälfte davon ist eh nur wieder für’n Schredder …“ Klare Ansage, dachte ich mir und ging im Laden wieder von vorne nach hinten durch. Im Laden was das Angebot an Anoraks schier überwältigend. Und mit ein wenig Glück würde ich hier finden, was ich suche – wenn’s nicht ausgerechnet gerade zuvor im Reißwolf verschwunden war.

Mittlerweile ist das Personal bei UsedTex extrem kundenfreundlich geworden. Musste man sich bislang durch alle Bereiche durchwuseln, bis man das gesuchte gefunden hatte, konnte man nun die dort beschäftigten Frauen durchaus danach fragen. Schon kam eine der Frauen auf mich zu und fragte ob sie mir helfen könne. „Na klar“ sagte ich „Ich such‘ ne Lederhose für mich und ‘nen Winteranorak für meine Tochter, die ist etwas kleiner als ich!“ „Was spezielles?“ wollte die Frau von mir wissen. „Als Lederhose entweder ‘ne kurze Glattleder oder ‘ne Lederjeans und als Anorak entweder ‘nen Hawks oder einen aus braunem Kunstleder …“

„Bei den Lederhosen müssen sie sich beeilen, mahnte die Verkäuferin. Meine Kollegin hat heute alles was noch in den verschiedenen Abteilungen und Qualitäten vorhanden war in einen von den großen Korbwagen geworfen, die werden heute Nachmittag noch geschreddert. Da müssen sie mal schauen, da ist bestimmt was dabei – aber schauen sie genau hin, da ist auch viel Müll zwischen, was nicht mehr tragbar ist. Und selbst bei den guten Sachen war kaum Nachfrage, so dass Chef heute Morgen meinte „Alles schreddern – egal wie gut, ich will hier keine Ledersachen mehr sehen." Naja, draußen stehen ja schon wieder zwei LKWs mit frischer Ware, da ist bestimmt auch wieder viel Leder dabei. Die Leute schmeißen im Moment sehr viel Ledersachen weg, trägt ja auch kaum noch jemand …“

„Und was die Anoraks angeht, das ist im D-Bereich auch ‘nen riesengroßer Haufen heute Morgen hinzugekommen, da sind die aber schon am Schreddern. Ist aber noch mehr als genug da. Da müssten sogar ein paar Hawks Anoraks zwischen sein – die meisten davon haben aber den Reißverschluss schon kaputt – also aufpassen. Auch andere Beschädigungen sind dabei, besser genau hinschauen. Im vorderen Bereich sind glaub ich keine Hawks mehr dabei, da müsste ich selber schauen. Kunstleder geht direkt mit nach hinten zum Schreddern, auf dem Haufen mit den Anoraks sind aber bestimmt auch welche dabei. Sagen sie der Kollegin am Schredder Bescheid, was sie suchen, dann legt sie es zur Seite!“

„Oh, wie freundlich“ dachte ich, machte meinen Anorak auf und stiefelte in den Schredderbereich. „Ich suche …“ – „Lederhosen und Anoraks!“ sagte die junge Frau, die am Schredder stand und Päckchen für Päckchen von Boden aufhob und in den Reißwolf warf. „Bei den Lederhosen haben Sie Glück, da kommt später der ganze Rollwagen da drüben noch weg – nehmen sie einfach den leeren daneben und werfen das, was sie nicht brauchen können da hinein. Bei den Anoraks habe ich schon angefangen – was suchen sie denn da genau?“

„Nen Hawks in größer Kinder- oder kleiner Damengröße, am liebsten in Rot mit schwarzer Weste oder ‘nen braunen Kunstlederanorak mit Teddyfutter und Kapuze!“ – „Wären sie mal fünf Minuten eher gekommen, hab‘ grad noch einen zum Schreddern dabei gehabt, war aber in Beige und ziemlich fertig. Aber von den Hawks sind hier sicher noch einige mit auf dem Haufen, so einen hatte meine Tochter auch mal – die sind aber nicht sonderlich gut. Sahen chic aus aber die Reißverschlüsse sind halt ziemlich schnell unten rausgerissen. Also passen Sie auf, dass sie keinen kaputten erwischen. Sollte in nächster Zeit einer dabei sein, leg ich ihn zurück.

„Oh, vielen Dank“ sagte ich und begab mich zu dem riesengroßen Korb mit den Ledersachen. Der war prallgefüllt. „Die guten Sachen sind unten“ rief die Frau am Schredder mir zu. Na klar, dachte ich – ist aber nicht schlimm, Leder darf ja durchaus auch mal etwas abgenutzt und getragen aussehen. Also machte ich mich an die Arbeit und wuselte mich durch den Lederhaufen. Erstaunlich viele Kindersachen dabei, allerdings hauptsächlich für die kleineren im Kindergarten- oder Grundschulalter. Und meist Jacken oder Anoraks, sehr wenige Hosen bis jetzt. Ich kramste mich weiter und weiter durch den großen Rollwagen, warf die Klamotten die für den Reißwolf bestimmt waren, von dem einen in den anderen Korb, aber bislang war nichts dabei, was ich entweder gesucht hätte, oder was sonst noch irgendwie brauchbar gewesen wäre. Ein paar kurze Trachtenlederhosen waren inzwischen durch meine Hände gegangen, aber ehrlich gesagt waren die auch nur noch Müll. Dreckige, verschlissene Rauhlederhosen mit Knöpfen und Hosenträgerchen, echt nichts besonders mehr was man noch hätte jemandem anziehen können.

Und die Anoraks und Lederjacken waren auch alle entweder viel zu klein oder für Erwachsene, aber dann auch gleich so groß, dass sie selbst mir nicht mehr gepasst hätten. Auf einmal hörte ich aus Richtung Schredder eine Stimme: „Hier, komm‘ mal schnell – ich hab‘ ‘nen Hawks für Dich und der sieht gar nicht mal so übel aus!“ Ich lief rüber zur Sortiererin und sie warf mir den Anorak zu: „Größe müsste stimmen, und die Reißverschlüsse sind auch noch in Ordnung – keine Ahnung, warum der hier mit zwischen war – da sieht der eigentlich noch viel zu gut für aus!“ Ich schnappte den Anorak und in der Tat: Die Jacke in Wunschfarbe „Dunkelrot“ die Weste in „Schwarz“ mit zu klein aber für Anna genau richtig. „Warte, ich schreibt Dir kurz den Preis auf’n Zettel – bzw. weißte was, ich schreib nur Kategorie „D“ drauf, dann bekommst Du ihn heute mal für umme. Bei Schredderware kann ich das ausnahmsweise mal machen“ grinste sie und gab mir den Zettel. „Der kommt ja eh eines Tages wieder zu uns zurück!“ lachte sie.

Ich begutachtete den Anorak noch einen Moment, fragte mich, wo der wohl her war und warum der hier gelandet war. Und in der Tat, ich konnte nichts Negatives feststellen. Wie dem auch sei, ich freute mich ein Loch in den Bauch, für Anna das Gesuchte gefunden zu haben und es dann noch geschenkt zu bekommen. Ich machte mich weiter auf die Suche nach ‘ner Lederhose für mich und schaute dabei gleichzeitig noch nach ‘nem Lederanorak für Anna. Noch hatte ich den halben Korb mit Ledersachen zum Durchforsten. Vielleicht ist ja doch noch was dabei. Ein paar Damen-Lederjeans hatte ich inzwischen gesichtet, aber auch die waren nur Müll: Nähte zerrissen, Futter kaputt, durchgeschlissene Stellen oder Hosen, die nur zum Motorrad fahren taugten, weil sie entsprechende Protektoren hatten. Sehr viel Müll, der verdienterweise hier lag und bei dem ich überhaupt kein schlechtes Gewissen hatte, dass die Sachen im Schredder enden würden. Nix wirklich brauchbares. Aber ich suchte weiter und fand kurze Zeit später eine kurze, dunkelgrüne Glattlederhose mit Doppelzipp-Reißverschluss und Hosenträgern in recht großer Kindergröße. Die war bestimmt ein, zwei Nummern größer als die von Anna, sah aber mindestens genauso verbraucht und verschlissen aus. Ich hielt sie mit vor den Bauch und ich hatte durchaus den Eindruck, dass sie mir passen könnte.

Ich legte die Hose erst mal zu dem Hawks-Anorak in mein Einkaufskörbchen, was ich am Eingang mitgenommen hatte und wo all die Sachen, die man sich aussucht hineinkommen. Ich kramste mich dann noch weiter durch die Ledersachen und fand tatsächlich noch einen brauchbaren, schokoladenbraunen Anorak aus Kunstleder mit Kapuze und Teddyfell, der dieselbe Größe wie der Hawks-Anorak hatte. Auch dieser kam zu den anderen Sachen ins Körbchen.
AnnasMama
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Re: Anna

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Ich kramste mich weiter durch die Ledersachen – ich hatte Zeit und vielleicht finde ich ja neben der kurzen Lederhose, die ich für mich ergattern könnte und dem braunen Kunstleder-Anorak für Anna noch was Brauchbares. Und in der Tat, nach einigem Wühlen fiel mir eine schwarze Nubuk-Lederjeans in die Hände, die genau meine Größe hatte. Ich sah sie mir genau an, da ich damit rechnete, dass irgendwo etwas kaputt sein könnte. Jedoch konnte ich auch bei genauem Hinschauen nichts feststellen. Ich hatte Glück, denn hätte ich sie da jetzt nicht rausgefischt, wäre sie im Laufe des Nachmittags noch im Reißwolf gelandet. Manchmal muss man eben auch Glück haben, dachte ich mir.

„So, was bekommst Du denn jetzt für alles?“ fragte ich das Mädel am Reißwolf, die immer noch damit beschäftigt war, den Haufen Anoraks mit der Hand in den Schredder zu verfrachten. „Was hast Du denn jetzt alles?“ wollte sie wissen. „Zwei Anoraks und zwei Lederhosen!“ „Alles jetzt von hier?“ „Ja, alles welche, die Du sonst geschreddert hättest!“ „Nimm mit brauchst’e nichts für bezahlen!“ „Oh, danke! Dann schmeiß ich aber ‘nen Zehner in Eure Kaffeekasse!“ „Gerne – das wäre toll!“ Ich ging durch bis zur Kasse, die Kassiererin schaute mich ungläubig an und grummelte vor sich hin „die Leute nehmen auch den letzten Müll mit …“ bedankte sich dann aber auch für die Kaffeekassenspende.

„Sag bloß, Du ziehst so was an?“ wollte die Kassiererin wissen. „Ja, klar – die beiden Anoraks sind für meine Tochter, die sind doch noch gut – und die Lederhosen sind für mich! Wäre doch schade, wenn die geschreddert worden wären …“ „Nun“, meinte die Kassiererin, „normalerweise gehen die Sachen zurzeit gar nicht. An Anoraks läuft nur noch Markenware und Lederhosen sind im Moment zwar viel in den Säcken dazwischen, aber werden halt nicht gekauft. Irgendwann platzt der Laden hier aus allen Nähten und kommen halt auch mal gute Sachen in den Reißwolf. Winteranoraks und Lederkleidung ist halt in Afrika auch nicht gefragt …“ Sie gab mir noch eine Tüte für die Klamotten, ich packte die Sachen hinein und machte mich auf Richtung Bushaltestelle, um nach Hause zu fahren.

Anna wollte nach der Schule direkt zu Marie, bin gespannt, ob sie wieder was Neues anschleppt und was sie heute Morgen überhaupt zur Schule angezogen hatte. Ich hatte sie ja nicht mehr gesehen, bevor ich aus dem Haus ging. Und in der Tat, als ich zu Hause an kam, war Anna noch nicht wieder da und ich konnte erst mal meine Errungenschaften anprobieren. Annas kurze Lederhose lag noch in ihrem Zimmer auf dem Fußboden, die hatte sie dann also zum Glück nicht gleich zur Schule angezogen. So hatte ich Gelegenheit, ihre mit meiner zu vergleichen: Von der Art her waren beide völlig identisch: herrlich weiches, dunkelgrünes, glattes Nappaleder, am Po war meine genauso verschrammt und verkratzt wie ihre. Der einzige Unterschied war halt, meine war größer, ein paar Zentimeter mehr in der Bundweite und etwas mehr Trägerlänge. Mein Puls raste, ich zog meine Latzjeans aus und schlüpfe nach Jahren endlich mal wieder in eine kurze Lederhose.

Völlig bekloppt, dachte ich mir – Du als Mami schlüpfst in eine olle, zerschlissene, kurze Lederbuchse, die irgendeine andere Mami aus dem Schrank ihres Sohnemanns zur Verwertung in die Altkleidersammlung gegeben hat. Du ziehst jetzt gerade das an, was Du selbst bei Kinder seit Jahren nicht mehr gesehen hast, von Ausnahmen mal abgesehen. Du bist gerade dabei wieder, das anzuziehen, wo Du vor Jahren Riesenzoff für bekommen hast und den Ärger darüber lange nicht vergessen konntest. Aber genau dieser Ärger war mit einem Mal verflogen – ich machte die Trägerchen bei Seite, beide Reißverschlüsse und den Knopf in der Mitte auf und stieg erst mit dem linken, dann mit dem rechten Fuß in die Hose. Langsam und vorsichtig zog ich sie hoch und merkte dabei, wie stramm und eng das Leder an den Oberschenkeln saß. Sie war so eng, dass sie nicht mehr von alleine herunter rutschte. Ich zog meinen Bauch ein wenig ein – machte den mittleren Knopf zu und dann die beiden Reißverschlüsse, und atmete ganz vorsichtig aus.

Das butterweiche Leder saß echt hauteng. Ich streifte die Trägerchen, die schon im letzten Lock waren, über meine Schulter. Auch sie waren altersgemäß abgenutzt und an den Enden leicht angeknabbert. Komisch, dass Jungs immer alles in den Mund nehmen müssen, dachte ich und war mir dabei durchaus bewusst, dass das auch Mädels können – denn mehr als einmal hatte ich mich – aber auch Anna – dabei erwischt, wenn die Kordeln vom Kapuzenpulli mal wieder zum dran herumknabbern im Mund gelandet waren.

Wie sehr hatte ich doch dieses geile Gefühl einer kurzen Lederhose vermisst und auf einmal konnte ich auch Anna verstehen, die selber vor kurzem in so einem Teil vor mir stand: Die machen einfach nur wuschig und sind so was von geil – vielleicht noch etwas zu geil für Anna, aber egal, was soll’s. Ich bewegte mich im ersten Moment etwas vorsichtig in der Lederhose, sie war eigentlich auch für mich schon fast eine Nummer zu eng, aber auf der anderen Seite sieht das auch nicht aus, wenn die schlabberig herumbaumeln und zentimetertief Platz zwischen Hose und Oberschenkel ist. Ich meine, so sahen sie bei den meisten Kindern früher aus, wenn die neu waren – da war bei falls allen immer noch reichlich viel Platz. Schließlich sollten die ja auch so lange wie möglich passen. Drei, vier Sommer waren da Minimum – und ab und zu sah man auch Jungs, ganz selten auch mal Mädels, denen die Hose so eng saß, wir mir jetzt.

Das war früher nun im Frühjahr der Fall – wenn die kurzen Lederhosen rausgekramt wurden und dann nochmal ein paar Tage oder Wochen angezogen werden durften, bis sie endgültig nicht mehr passten. Die waren dann auf einmal verschwunden und die Jungs waren sogar meistens froh, wenn sie die nicht mehr anziehen brauchten. Ein typisches Relikt der Kindheit, was man auf dem Weg zum Erwachsen werden schnell loswerden wollte, genauso wie das typische Kinderspielzeug, was auch von ein auf den anderen Tag out wurde. Die meisten Jungs tauschten ihre Lederhosen gerne gegen die glänzenden Adidas Sprinter Shorts ein, die zum einen viel cooler, aber auch zum anderen die Marke verkörperten. Den Jungs war’s egal, von welcher Firma ihre Lederhose war, aber mit den Sprintershorts konnten sie sich zum ersten Mal bewusst entscheiden: Adidas war in, Puma auch, Nike kam erst etwas später, wurde auch ganz schnell hip und alles, was no-Name war, war genauso out wie plötzlich die einst so geliebten kurzen Glattlederhosen.

Dabei war der Tod der kurzen Lederhosen erst schleichend, dann abrupt: zuerst verschwanden sie aus den Läden, es gab irgendwann in den Geschäften einfach keine mehr zu kaufen. Die großen Kaufhausketten machten den Anfang und verbannten die Lederhosen aus ihren Regalen. In den Klamottengeschäften und Modeketten blieben sie noch ein, zwei Jahre länger in den Regalen, waren aber auch dann ohne großes Aufheben verschwunden. Im Alltag überlebten die teuren Glattlederhosen etwas länger, die Trachtenexemplare in Rauleder und Knöpfen hatten zuvor schon das zeitliche gesegnet. Auf der weiterführenden Schule hatte glaub ich nur noch einer der Jungs ‘ne kurze Lederhose, und die hat er auch nur ein- oder zweimal angehabt. Die war ihm auch viel zu eng und ich habe mich nie getraut ihn darauf anzusprechen. Musste er sie anziehen oder durfte er? Hat es sich gegen seine Mama durchsetzen müssen oder sie sich gegenüber ihm? Und was ist wohl daraus geworden, schließlich war sie genauso abgewetzt und verschlissen wie die von Anna oder mir. Jedoch hatte seine kurze Lederhose schon keine Trägerchen und keinen Gürtel mehr, beides war wohl bei ihm im Laufe der Zeit auf der Strecke geblieben.

Ich hatte mich inzwischen aufs Sofa gesetzt und schwelgte weiter in den Erinnerungen alter Zeiten. Ich war glücklich und zufrieden wie schon lange nicht mehr, hatte meine Lieblingsmucke angemacht und wartete auf Anna – wobei sollte sie mich wirklich in dem Outfit sehen? Ich war mir unschlüssig …
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Re: Anna

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Noch gar nicht groß zu Ende gedacht, da klingelte es an der Tür. Ich öffnete und in der Tat, es war Anna. Als sie mich sah, fing sie laut an zu lachen: „Wie geil ist das denn, Mama? Passt Dir super – wo hast Du die denn her?“ wollte sie neugierig wissen. „Och, ich hatte nach der Arbeit mal wieder Lust durch die Second Hand Shops zu bummeln! Hab‘ Dir auch was mitgebracht …“ „Was denn?“ wollte sie wissen, knuddelte mich dabei und gab‘ mir einen liebevollen Klaps auf den Po. „Die beiden Anoraks hier, die sollten Dir beide etwas besser passen, als Dein roter Palomino mit Kapuze vom Vorjahr! Der sitzt doch schon viel zu knapp, wie ich das sehe!“ Anna zog den Palomino Anorak, den sie inzwischen Wochen wieder täglich zur Schule an hatte aus und warf ihn auf’s Bett. Es war inzwischen der dritte oder gar vierte Winter, wo sie ihn zur Schule an hatte und er war eigentlich schon viel zu eng geworden. Der Reißverschluss war auch schon leicht eingerissen, es war abzusehen, dass er nicht mehr lange halten würde.

„Mama, ich hab‘ doch letztens noch gesagt, ich brauch‘ keinen neuen Anorak. Mein roter passt doch noch – für diesen Winter ist der doch noch ok!“ – „Nee, Anna – ist er nicht. Der ist zu eng – da hilft nichts. Und an den Armen ist er auch schon reichlich kurz!“ „Ja, und?“ meinte Anna trotzig, „ich will aber keinen neuen – ich will nicht, dass …“ „Was, Anna? Den hast Du eh schon länger als eigentlich geplant – und außerdem: So schön ist der ja nun wirklich nicht mehr!“

Den roten Palomino Anorak hatte ich vor ein paar Jahren von ‘ner Freundin bekommen. Ein schöner, gesteppter, wattierter Winteranorak mit Reißverschluss und Knopfleiste drüber. Viele, viele Taschen zum Reinschlupfen oder auch mit Druckknöpfen zu verschließen. Die feste Kapuze war mit einem Reißverschluss am Anorak festgemacht, so dass man sie hätte bei Bedarf auch abmachen können.

Ihr Sohnemann hatte ihn lange Zeit fast täglich zur Schule getragen und auch nachmittags für zum Spielen und in der Freizeit. Mir gefiel der Anorak damals und als meine Freundin ihn aussortiert hätte, weil er ihrem Sohn nun endgültig zu klein war, war ich an dem Tag zufällig bei ihr zu Besuch. Ihr Sohn war wohl noch in der Schule, oder draußen zum Spielen, bei den Pfadfindern, ich weiß es nicht mehr genau, auf jeden Fall muss es wohl schon Frühling gewesen sein, jedenfalls hatte er den Anorak an dem Tag nicht mehr angezogen.

Wir waren zum Kaffee trinken verabredet, damals – ach wie lange mag das wohl her gewesen sein, ein paar Jahre mit Sicherheit – Anna ging noch in den Kindergarten, oder war sie gerade in die Schule gekommen, ich weiß es nicht mehr. Anna war auf jeden Fall nicht mit gekommen, ich glaube, sie hatte den Nachmittag bei Marie verbracht. Jedenfalls war ich etwas früher als vorgesehen und meine Freundin war noch im Kinderzimmer dabei, die Winterklamotten von ihrem Sohn aus dem Schrank in einen großen Müllsack für die nächste Altkleidersammlung zu werfen, jedenfalls war sie Mitten dabei und der Sack schon gut gefüllt.

Auch wenn sie wusste, dass die Sachen die sie aussortierte, Anna noch zu groß sein würden, hatte sie einige „besondere“ Stücke noch nicht in den Sack geworfen, sondern gewartet, bis dass ich kam. Dabei waren auch die beiden Kapuzennickis, die Anna zu ihrer schwarzen Kunstlederjeans getragen hatte, die aber inzwischen schon lange weg waren. Ein paar Jeans hatte sie auch schon für mich zurückgelegt. Als ich rein kam, war sie fast fertig, griff noch einmal in den Schrank und holte den roten Palomino Anorak raus, packte ihn lustlos an der Kapuze und ließ ihn über dem offenen Müllsack baumeln. „Der ist doch nix mehr für Anna, oder?“ rief sie und wollte ihn gerade im Sack verschwinden lassen als ich ihr zu rief „Warum nicht? Werf mal rüber!“

Der Anorak war zwar in der Tat schon was älter, sah gut getragen aus – war aber durchaus noch was für die zweite Runde. Mir gefiel er jedenfalls, die Freundin meinte „Dann nimm ihn mit für Anna, auch wenn er ihr noch viel zu groß sein wird, aber das kommt ja dann mit der Zeit!“ Und so ergab es sich, dass ich an dem Tag mit ‘ner großen Tüte mit noch viel zu großen Anziehsachen für Anna nach dem Kaffee trinken wieder nach Hause ging. Ihr Sohn hatte sich jedenfalls gefreut, dass sein Lieblingsanorak und seine beiden Nickis nicht gleich im Müllsack geendet waren, sondern dass ich sie bekommen hatte. Er freute sich immer, wenn er Anna in seinem alten Anorak rumlaufen sah.

Anna sah mich traurig an, als wenn sie bereits ahnte, was passieren würde. „Probier‘ den Hawks doch wenigstens mal an!“ sagte ich und Anna tat, wie ich es ihr sagte. „Der gefällt mir nicht, da ist der alte tausendmal schöner!“ „Aber auch viel zu eng, Anna, die Zeit ist vorbei – mach die Taschen leer am alten Anorak, und dann hat der es hinter sich!“ „Was meinst Du, Mama?“ sagte Anna weinerlich. „Das weißt Du ganz genau …“ Anna ahnte böses, ließ sich aber nichts anmerken. „Vielleicht gefällt Dir der andere ja besser? Hier – passend zu Deiner Lederlatzhose!“ „Der ist ja cool“ und in der Tat, Annas Laune schien sich zu verbessern. Den Hawks hat sie nie wirklich leiden können, wobei der mir immer total gut gefallen hatte.

Sie probierte die Lederjacke direkt an, und siehe da: auch sie passte so, wie es sein sollte. „Na siehste!“ sagte ich beruhigend, „und an den Hawks wirst Du Dich auch noch gewöhnen!“ „Gib‘ mal her, vielleicht ist der ja doch gar nicht so schlecht – Marie hatte früher auch mal einen, den hätte ich auch bekommen können, aber den wollte ich nicht. Wenigstens passt der und die Farbe geht eigentlich auch! Ok, hast mich überredet – aber den alten möchte ich dann zumindest noch ‘ne Zeitlang draußen anziehen dürfen …“ „Anna – nö, das wird nix – Der ist zu klein, der ist fertig! Außerdem hast Du doch jetzt die beiden hier, kannst den Hawks ruhig auch für draußen und zum rumtoben anziehen. Und die Lederjacke nimmst Du dann zu den Latzhosen!“

„Na gut“, willigte Anna ein „darf ich den Palomino denn heute Abend dann nochmal zur Gruppenstunde anziehen?“ „Wenn Du morgen früh ohne zu murren den Hawks zur Schule anziehst, von mir aus!“ „Danke Mama, hab‘ Dich lieb, Du bist doch die beste!“ Wenn Anna wüsste, aber ich ließ sie noch im ungewissen. Anna zog ihre Jeans aus, die sie zur Schule an hatte, schlüpfte in die blaue Latzjeans, die ich ihr letztens mitgebracht hatte, zog den ollen Palomino Anorak nochmal an und flitzte ab zur Gruppenstunde. „Die Latzi zieh‘ ich übrigens morgen auch zur Schule an!“ rief sie noch und zog fröhlich von dannen. Ich machte es mir in meiner neuen, alten kurzen Lederhose auf der Couch bequem, trank noch einen Kaffee und schaute Fernsehen. Eigentlich schade, dass der Palomino nicht mehr passt – aber so ist nun mal der Lauf der Dinge. Und an den Hawks wird sie sich auch noch gewöhnen, der passte zum Glück deutlich besser, den wird sie auch mehr als nur einen Winter tragen können.
AnnasMama
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Re: Anna

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Anna kam gegen Abend von der Gruppenstunde zurück und hing – was eigentlich völlig unüblich war – den alten, roten Palomino Anorak ordentlich an der Garderobe auf. Normalerweise fliegt der in ihrem Zimmer irgendwo in eine Ecke und bleibt dort liegen, bis ich ihn wegräume oder sie ihn wieder anzieht. In Sachen Klamotten war Anna noch nie wirklich sorgsam. Und da es schon spät geworden war, aß Anna noch schnell ein paar Happen zu Abend und machte sich dann für’s Bett fertig. Am nächsten Morgen hatte sie – wie bereits angekündigt – die blaue Latzjeans und eines der älteren Sweatshirts zur Schule an. Und wie abgesprochen schlüpfte sie – wenn auch kommentarlos, aber der Gesichtsausdruck sagte alles – in den Hawks Anorak, den ich ihr von UsedTex mitgebracht hatte. Sie schaute noch einmal kurz auf den Palomino, sagte aber nichts. Ich hatte den Eindruck, dass sie etwas traurig war, aber sie ließ sich nichts anmerken.

Ich machte mich dann auch langsam fertig für zur Arbeit, hatte die große Tüte mit Müll aus der Küche schon in den Flur gestellt, griff kurz nach dem Palomino Anorak und legte ihn zu der Mülltüte dazu. Hoffentlich sind die Tonnen heute nicht wieder so voll, dachte ich – denn es war der Tag der Leerung, und da quellen die gerne schon mal über. Außerdem kam die Müllabfuhr in letzter Zeit sehr unregelmäßig – zwar immer am selben Tag, meist aber zu unterschiedlichen Uhrzeiten, manchmal sogar erst gegen Mittag. Ich hoffte nur, dass sie kommen, bevor Anna wieder aus der Schule zurück ist.

Aber da sah ich auch schon aus der Küche den Müllwagen um die Ecke in unsere Straße einbiegen. Schnell zog ich mich fertig an, griff nach der Mülltüte und packte Annas alten Anorak an der Kapuze. Die Tonnen standen noch bei uns auf dem Hof und waren natürlich wie befürchtet, proppenvoll. Alle drei Tonnen waren so voll, dass der Deckel schon nicht mehr zuging. Ich stopfte meine große Plastiktüte in eine der Tonnen, warf Annas Anorak oben drauf und drückte den Anorak mit samt dem anderen Müll in die Tonne. Annas Anorak saugte sich so richtig voll mit dem nassen, feuchten Müll, der unter ihm lag – so dass selbst meine Hände nicht mehr trocken blieben. Ich putzte sie an meiner Jeans ab, denn irgendwie traute ich mich dann doch nicht gleich mit meiner Lederjeans zur Arbeit, sondern hatte eine normale angezogen.

Schnell noch den Deckel der Tonne zugemacht und ein wenig Druck ausgeübt, aber es half nichts – der Anorak war deutlich sichtbar auf dem Müllberg zu erkennen, als die Nachbarin ebenfalls noch mit einer großen Mülltüte um die Ecke kam, den Deckel öffnete und ihre Tüte auf Annas Anorak drückte bis diese aufplatzte und sich der ganze Müll aus der Tüte auf Annas Anorak ausbreitete. „Du schmeißt aber auch alles in die Tonne“ sagte sie zu mir und deutete dabei auf Annas Anorak. „Aber ehrlich gesagt, so mache ich das bei meinen Kindern ab und zu auch! Das meiste geht zwar in die Altkleidersammlung, aber ab und zu wenn’s schnell gehen muss … Aber so schlecht fand war der doch noch gar nicht, hab‘ Anna die Tage damit doch noch ein paar Mal gesehen!“ „Naja, wie man’s nimmt – Anna war er jedenfalls doch zu eng, der Reißverschluss war unten eingerissen und es wäre nur noch eine Frage der Zeit gewesen, wann der kaputt gegangen wäre. Und ‘nen neuen reinmachen hätte sich bei dem ollen Teil auch nicht mehr gelohnt!“

Wir waren inzwischen vom Hof zurück auf den Bürgersteig, die Männer von der Müllabfuhr hatten die Tonnen schon zur Straße gebracht und jeden Augenblick würde der große Rotopresswagen anhalten und seine Arbeit verrichten. Annas inzwischen vollgesiffter Anorak war jedenfalls noch deutlich zu erkennen, er hing durch die Tonnenschieberei weit aus der übervollen Tonne hinaus und drohte auf die Straße zu fallen – als einer der Müllmänner neugierig nach dem Anorak griff und ihn aus der Tonne rauszog. Er rief seiner Kollegin! zu: „Du sag mal, hatte Dein Sohn nicht auch mal so einen? Irgendwie kommt der mir bekannt vor!“ „Jau!“ sagte sie, „den hat ‘ne Freundin von mir vor Jahren mal mitgenommen – die wohnt hier im Haus. Anna hat ihn noch ziemlich lange und oft getragen, da hätte ich gar nicht mit gerechnet. Mein Sohn hat sich jedenfalls immer gefreut, wenn sie ihn darin gesehen hat. Ich hätte ihn damals schon fast mit in den Altkleidersack gestopft – aber Annas Mama wollte den unbedingt haben. Komm, schmeiß ihn mit rein, der ist ja total versifft.“ Und schwups, war der Anorak in der Schüttung verschwunden und die nächsten Tonnen wurden eingehakt und geleert. Business as usual halt.

Zum Glück hatte meine Freundin mich nicht erkannt, wir hatten uns auch Jahre nicht mehr gesehen. Ich wusste auch gar nicht, dass sie bei der Müllabfuhr arbeitet. Damals war sie jedenfalls nicht berufstätig. Meine Nachbarin und ich grinsten uns an, sie ging wieder ins Haus zurück und ich zur Haltestelle um mit dem Bus zur Arbeit zu fahren. Vielleicht sollte ich mich die Tage einfach mal wieder bei ihr melden …
AnnasMama
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Re: Anna

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„Oh, heute mal nicht in Latzjeans?“ grinste Katrin mich an, als ich im Büro meinen Ski-Anorak ausgezogen hatte. Sie hatte natürlich wieder ihre antik-braune Lederlatzhose an, die sie eigentlich seit dem sie mit dem Moped zur Arbeit kommt fast täglich an hatte. Nur diesmal trug sie von vornherein ihren schwarzmelierten Fruit-Of-The-Loom Pulli unter der Latzhose, was irre gut aussah. „Dafür siehst Du heute so richtig cool aus! Brauchst doch den Latz wirklich nicht zu verstecken?“ sagte ich zu ihr und wir gingen zusammen in die Kaffeeküche für einen ersten Morgenkaffee.

„Was sagen eigentlich die Jungs zu Deinem Outfit?“ wollte ich neugierig wissen. Insgeheim machte ich mir nämlich doch ein wenig Sorgen um Anna, wenn ich sie in ihrer alten, braunen Kunstleder-Latzhose zur Schule lassen würde. Man weiß ja nie, wer die Kinder dann in dem Alter aufgrund der Klamotten anspricht. „Ach weißt Du, im Grunde sind die Reaktionen durchweg positiv – sowohl hier in der Firma als auch in der Berufsschule. Klar sprechen mich viele auf die Lederhose an – wollen wissen, wo ich die her habe, warum ich ausgerechnet diese trage und ob ich sie auch anziehe, wenn ich nicht gerade Moped fahre! Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich auf gewisse Typen extrem erotisch wirke – liegt aber vielleicht auch an meinen roten Haaren, die übrigens nicht gefärbt sind. Und ja, mein Freund wird jedes Mal total wuschig, wenn ich die Lederjeans an habe und möchte am liebsten sofort mit mir … - Du weißt schon, was ich meine!“

„Dachte ich mir! Aber solange die anderen Typen Dich in Ruhe lassen, ist doch ok!“ „Ja, ab und zu fühle ich mich zwar etwas angebaggert, aber da muss ich mit leben – aufdringlich geworden ist jedenfalls von den Typen noch keiner. Und wenn sie ihren Spaß haben wenn sie mich in der Lederlatzhose sehen und ihr Kopfkino angeschmissen wird ist doch ok! Soll sich doch jeden das Denken, was er möchte! Ich find’s nicht schlimm.“

Kopfkino ist gut und in der Tat, selbst auf mich wirkte Katrin in der Lederlatzjeans durchaus erotisch. Aber ich brauchte mir keine Hoffnungen zu machen, mir würde die Hose jedenfalls nicht mehr passen. Für Anna wäre sie im Moment wohl noch eine Nummer zu groß, aber ich hatte immer noch große Hoffnung, die Hose eines Tages für Anna zu bekommen. Allerdings ging Katrin nicht gerade pfleglich mit dem Teil um – und sie trug sie ja auch mehr oder weniger zwangsläufig – obwohl ich durchaus den Eindruck hatte, es macht ihr zunehmend mehr Spaß darin herumzulaufen. Die anfängliche Angst und Scheu war jedenfalls gewichen.

„Weißt Du was“ sagte Katrin, „ich freu mich schon so auf meinen Geburtstag im Frühjahr! Dann bekomme ich endlich ‘ne neue Motorradhose und ‘ne passende Jacke dazu! Dann brauch ich nicht mehr jeden Tag die Lederlatzjeans hier anzuziehen!“ „Magst Du die denn nicht, Katrin?“ wollte ich wissen. „Ach weißt Du, die ist schon so alt, noch von Mama übrig geblieben, hat so viele Macken und ich hab‘ einfach keinen Bock mehr auf alte Klamotten, die schon andere vor mir getragen haben! Mama meint es zwar immer gut mit mir, wenn sie mir ihre alten Klamotten oder die von meiner großen Schwester zu Weitertragen hinlegt – aber irgendwann möchtest Du auch mal was Neues anziehen, was vor Dir noch niemand anderes getragen hat. Ich bin jedenfalls froh, wenn ich sie nicht mehr jeden Tag anziehen muss!“

Jetzt wurde ich natürlich neugierig und wollte wissen „Und, was machst Du dann damit? Willst Du sie denn dann gar nicht mehr anziehen?“ „Weiß nicht, mein Freund liebt dieses Teil an mir – der fährt da voll drauf ab, aber auf der anderen Seite könnte ich mir auch vorstellen, dass ich die irgendwann mal mit aussortiere. Hängt von Laune und Tagesform ab – manchmal habe ich so Tage, dann plündere ich regelrecht meinen Kleiderschrank und alles, was ich länger als ein Jahr nicht mehr an hatte, wandert in den großen blauen Müllsack und kommt mit weg! Da bin ich dann auch konsequent – und was zu klein geworden ist oder kaputt, kommt auch zwischendurch mal weg! Und mit der Lederhose hier, keine Ahnung, ich muss sie ja erstmal noch ‘ne Zeit lang tragen, weil in Jeans lässt Mama mich nicht auf’s Moped. Und wie die dann im Frühjahr aussieht, weiß ich nicht – vermutlich aber nicht besser!“ grinste sie und wir gingen ins Büro zurück.

Ich verriet noch nichts von meinen Plänen und war gespannt, ob ich ihre Lederhose eines Tages für Anna abgreifen könnte. Jedenfalls freute ich mich immer, wenn ich Katrin morgens in ihrer Lederhose sah. „Ich hab‘ übrigens heute Nachmittag einen Fototermin zusammen mit meinem Freund beim Fotografen! Er will unbedingt, dass ich die Lederlatzhose und den ollen schwarzen Pulli anziehen soll! Ich weiß nicht, Fotosession in den Klamotten? Was meinst Du?“ „Warum nicht, die sieht doch toll an Dir aus! Ich würde das machen! Und bring‘ die Bilder mal mit!“ „Echt? Meinst Du wirklich? Ich find die für ‘ne Fotosession zu gammelig – aber wenn Du meinst …“

Nach der Mittagspause machte ich mich auf den Heimweg und freute mich für Katrin und ihre Gelegenheit zur Fotosession. Würde ich auch gerne mal wieder machen, aber das ist zurzeit finanziell einfach nicht drin. Und selbst wenn ich etwas mehr Kohle hätte, würde ich die eher in Anna investieren – ihr auch mal was Neues zum Anziehen kaufen anstatt immer nur drauf zu hoffen, dass ich was Gebrauchtes für sie finde. Ich hätte ihr vielleicht auch mal lieber einen neuen Anorak gekauft statt einen Hawks vor dem Reißwolf zu retten. Aber selbst das ist nicht drin. Aber besser ein oller Hawks, der passt und noch einigermaßen aussieht als ein Palomino der nach vielen getragenen Wintern auseinanderfällt und zu platzen droht, weil Anna rausgewachsen war.

Immerhin konnte ich in den letzten Monaten ein wenig Geld zur Seite legen um mit Anna in den Herbstferien ein paar Tage zur See fahren zu können. Am Wochenende wird es losgehen – Anna weiß noch nichts davon, dass ich eine kleine Ferienwohnung für uns gebucht habe und wir mit dem Zug fahren werden. Bin mal gespannt, wie das Wetter wird – vielleicht wird’s ja nochmal warm und wir können beide unsere kurzen Lederhosen mitnehmen und anziehen. Lust hätte ich schon, die mal in der Öffentlichkeit zu tragen – die Reaktionen der Kerle darauf würden mich durchaus interessieren. Vielleicht sollte ich – wenn das Wetter gut ist – die kurze Lederhose mal vorab zur Arbeit anziehen, aber irgendwie traute ich mich nicht so recht. Aber im Urlaub kennt mich ja niemand und Anna und ich im Partnerlook sehen bestimmt auch klasse aus.

Wie üblich war ich zu Hause bevor Anna aus der Schule zurückkam. Ich hatte für uns gekocht, als Anna klingelte, ich die Tür auf machte und Anna in der Diele auf den Garderobenhaken starrte. Ich Lächeln und ihre Freude war schlagartig verschwunden. Diesmal fragte sie erst gar nicht, zog traurig ihren Hawks Anorak aus und hing ihn an die Garderobe. „Na, wie war’s in der Schule?“ versuchte ich die Stimmung aufzubessern. „Och, ging so – Marie wollte wissen, wo ich den Hawks her hatte. Ich sagte nur, dass Du ihn mir mitgebracht hättest. Meine Latzjeans hat ihr sehr gut gefallen, hatte den Eindruck, dass sie auch mal wieder gerne eine hätte. War aber die einzige heute in Latzhose – aber die ist richtig cool, hab‘ mich total wohlgefühlt darin. Ein anderes Mädchen in meiner Klasse meinte, sie hätte auch noch eine – sie wolle mal schauen, wenn sie noch passt, würde sie die die Tage auch mal wieder zur Schule anziehen! Bin mal gespannt. Darf ich die Tage mal die Kunstleder-Latzhose zur Schule anziehen?“
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Re: Anna

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„Ist die Lederhose nicht noch zu schade für zur Schule? Lass die besser diesen Winter mal noch für gut, nicht dass Du die ruckzuck kaputt hast. Zumal sie ja an einigen Stellen durchaus schon ihre Macken und Kratzer hat – Du willst ja noch ein wenig was davon haben, oder?“ „Durchaus, Mama – ich wollte sie ja auch nicht jeden Tag anziehen und wenn ich sie zur Schule anziehe, dann bin ich auch entsprechend vorsichtig und geh‘ da ordentlich mit um. Schließlich habe ich meine alte Lederjeans ja auch oft zur Schule angezogen, ohne dass groß was passiert ist. Mama, bitte darf ich die Tage mal?“

„Wenn Du meinst – nur wenn Du sie kaputt machst, ist sie genauso schnell wieder im Müll wie Deine alte schwarze Lederjeans! Nur damit Du schon mal Bescheid weißt und entsprechend Acht gibst. Und wenn Du mich fragst, nimm‘ lieber die blaue Latzjeans zur Schule und zum Rumtoben, lass die Cordlatz für gut und die Lederlatzhose ziehst‘e an, wenn wir gemeinsam was unternehmen. Aber ganz wie Du möchtest, Anna!“

„Passt schon, Mama“ meinte Anna beruhigt und da es schon spät am Abend war machte sie sich langsam fertig für ins Bett. Ich ging in die Küche, kochte mir einen Kräutertee, setzte mich und hörte ein wenig Musik. Ich hatte durchaus wahrgenommen, dass Anna liebend gerne die Lederlatzhose zur Schule anziehen würde. Vielleicht bin ich auch etwas zu streng, ich sollte sie einfach machen lassen. Und so oft sie auch die schwarze an hatte, sie hat immer drauf geachtet, dass sie sich die Knie nicht durchhaut und war beim Rennen, Spielen und Rumtoben entweder besonders vorsichtig oder sie hatte sich für solche Zwecke eine alte Rustchjeans angezogen.

Selbst mit der schon reichlich verwaschenen und verschlissenen blauen Latzjeans ging Anna sorgsam um. Somit machte ich mir eigentlich auch keine großen Sorgen um die Lederlatzhose. Also warum nicht. Als Anna am nächsten Morgen aufwachte, überraschte ich sie damit: „Wenn Du magst, darfst Du heute gerne die Lederlatzjeans und den Lederanorak heute zur Schule anziehen!“ Anna lächelte und freute sich sichtlich. „Kannst den schwarzen Kapuzenpulli drunter anziehen, der sieht bestimmt gut dazu aus!“

Anna machte sich für zur Schule fertig, ich zog mich auch langsam für zur Arbeit an, als Anna laut rief: „Mama! Hast Du noch ‘nen anderen Pulli für mich? In den schwarzen hier pass ich nicht mehr rein!“ „Probier‘ mal – der müsste doch eigentlich noch passen!“ „Hab ich schon – da pass‘ ich mit dem Kopf nicht mehr durch!“ „Lass mal sehen …“ Und in der Tat, der schwarze Kapuzenpulli war viel zu klein geworden, den hatten wir dann wohl beim letzten aussortieren glatt übersehen. „Dann nimm‘ den hier, und leg den zu kleinen im Flur auf den Hocker, dann nimm ich den gleich mit runter für in den Müll!“

„In den Müll?“ fragte Anna „ist der da nicht zu schade für?“ wollte sie neugierig wissen. „Der ist doch auch völlig verwaschen und die Bündchen sind auch nicht mehr schön – wer soll den denn noch anziehen …“ „Haste auch wieder Recht, Mama …“ und Anna legte ihn wie besprochen in den Flur. Diesmal hielt sich Annas Protest also mal wieder in Grenzen, hat auch schon Tage gegeben, wo sie sich schwerer Tat, sich von Sachen zu trennen. Der andere Pulli, den ich ihr zum Anziehen gab, war aus dem Klamottenpäckchen meiner Freundin, wo auch mein schwarzer Kapuzennicki her war, den ich heute wieder zur Arbeit angezogen hatte. Anna trug nun einen schwarz-melierten Pulli ohne Kapuze, nichts Besonderes und bestimmt auch schon durch mehrere Kinderhände gegangen. Man sah ihm durchaus an, dass er nicht mehr neu war, aber das machte weder Anna noch mir was aus. Wie sagt man so schön „Einem geschenkten Gaul …“.

Anna war unsicher. „Du Mami, Pulli drunter oder Pulli lieber drüber?“ „Zur Lederlatzhose? Pulli drunter – Du brauchst doch den Latz nicht zu verstecken, oder?“ „Weiß nicht, aber wenn Du meinst …“ „Sieht doch klasse aus – und umkrempeln brauchen wir die Hose auch nicht mehr. Von der Länge her passt die prima und am Bauch hast Du auch noch was Platz. Sieht schön aus …“ Ich beneidete meine Tochter so richtig. Anna sah süß aus in der alten, braunen Lederlatzhose, die ja noch nicht mal echtes Leder, sondern nur billiges Kunstleder war. Anna machte einen richtig glücklichen und zufriedenen Eindruck. So freudestrahlend war sie morgens lange nicht mehr zur Schule gegangen. Und ich war auf Katrin gespannt, ob sie heute auch wieder in ihrer Lederlatzjeans zur Arbeit erscheinen würde.

Anna und ich verließen beide mehr oder weniger zeitgleich das Haus. Der Lederanorak passte super zu Annas Hose, es war der gleiche braune Farbton und dasselbe Kunstleder wie bei der Hose. Das Teddyfutter an der Kapuze war etwas angeschmuddelt, bei Gelegenheit muss der Anorak dann wohl doch nochmal mit in die Waschmaschine. Ich hatte meine Latzjeans und den Kapuzennicki an, und darüber meinen alten Ski-Anorak, eigentlich wie immer, wenn es draußen kalt und usselig war. Aber ich fühlte mich total wohl in den Klamotten, auch mir machte es keinesfalls was aus, dass die Sachen schon Jahre alt waren und bei den meisten anderen Frauen mit Sicherheit schon längst in der Altkleidersammlung oder im Müll gelandet wären. Aber ich liebte sie, insbesondere meinen Anorak, wobei ich froh war, dass er immer noch passte und noch nicht auseinander fiel. Sicherlich sah man ihm sein Alter durchaus an, aber er war immer noch meiner und es machte mir halt nichts aus.

Der schwarze Kapuzenpulli, aus dem Anna nun endgültig herausgewachsen war, hatte es schnell hinter sich. Tonne auf, Pulli rein, Tonne zu – schnell und emotionslos, wie immer, obwohl ich diesen Pulli immer sehr an Anna gemocht hatte. Den hatte sie damals schon viel zu ihrer ersten Latzjeans an, die sie von Marie mitgenommen hatte. Also auch so ein Teil, das bestimmt schon durch mehrere Hände gegangen war. Naja, jedenfalls war er nicht mehr so, dass ihn noch jemand anderes hätte anziehen können. Eigentlich wie alles, was bei Anna aussortiert wird, nur noch fertig ist. Was ja auch ehrlich gesagt kein Wunder ist, wenn sie die gebrauchten Sachen noch ein, zwei Jahre lang regelmäßig die Woche über anzieht und aufträgt.

Im Büro angekommen sah ich Katrin in Jeans und Kapuzenpulli. „Moped kaputt!“ sagte sie, „und wenn ich dann mit dem Bus komme, ziehe ich doch lieber ‘ne normale Jeans an!“ „Ist doch ok …“ sagte ich zur ihr, wohl wissend dass sie ihre Lederlatzhose eigentlich überhaupt nicht mag und sie nur zwangsläufig anzieht, wenn sie mit dem Moped kommt. Ich wollte auch nicht weiter nachfragen, hatte aber durchaus im Hinterkopf, sie irgendwann mal darauf anzusprechen, ob ich die Hose nicht für Anna haben könnte. Ich musste halt nur den richtigen Zeitpunkt abpassen.

Zu früh fragen bringt auch nichts, da gucken die meisten nur sehr irritiert – allerdings kann zu spät fragen auch manchmal zu spät sein und die Sachen haben schon den Weg in die Entsorgung angetreten. Wäre ja nicht das erste Mal, dass ich ‘ne Freundin gefragt hätte, ob ich das ein- oder andere von ihren Kids für Anna haben könnte. Meistens hat‘s jedoch geklappt, aber ab und zu ist mir manch schönes Teil durch die Lappen gegangen. Bei einer Freundin müsste ich Glück haben, dass ich gerade den Punkt erwischte, wo sie kurz vor den Osterferien die Shirts und Hosen vom letzten Winter aussortiert hatte. Da konnten schon mal Tage entscheidend sein. Fragte ich zu früh und sie hatte noch nicht aussortiert, konnte es sein, dass sagte „bin ich noch nicht zu gekommen, mach‘ ich die Tage – falls was dabei sein sollte, sag‘ ich Bescheid“. Sprach ich sie dann ein, zwei Wochen später drauf an war es meistens zu spät und ein, zwei große Müllsäcke mit tollen Markensachen waren bereits in der Altkleidersammlung verschwunden. Allerdings hatte ich auch manchmal Glück und durfte die Müllsäcke, die sonst in der Verwertung gelandet wären, mitnehmen. Aber Kontinuität war halt nie dabei, und das wurmte mich. Der Freundin war es offensichtlich egal, was aus den Sachen wird – alles, was ihre Maus nicht mehr anzog war in ihren Augen eh nur Müll …

So sprach ich also Katrin noch nicht auf ihre Lederlatzjeans an. Wir sprachen lieber über ihr Moped und was damit los war, dass sie nicht damit gekommen war. „Irgendwas am Motor“, meinte sie – könnte was dauern, die Reparatur wäre nicht billig. Damit wurden die Chancen, Katrin demnächst wieder in der Hose zu sehen, geringer – zumal sich ihr Geburtstag – für den sie sich eine neue, zeitgemäße Motorrad-Kombi wünschte – immer weiter näherte. Ich wagte mir gar nicht vorzustellen, was dann wohl aus der Lederhose würde …
AnnasMama
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Re: Anna

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Der weitere Tag im Büro verlief so lala – keine besonderen Vorkommnisse, keine weiteren, großartigen Gespräche mit Katrin. Sie war zwar auf der einen Seite knatschig, dass ihr Moped kaputt war, auf der anderen Seite schien sie mir aber auch froh zu sein, endlich die ungeliebte Lederlatzhose nicht schon wieder zur Arbeit anziehen zu müssen. „Mal sehen, vielleicht kaufe ich mir auch schon vom Weihnachtsgeld neue Mopedklamotten, je nachdem, wie teuer die Reparatur jetzt wird. Hab‘ eigentlich schon lange keinen Bock mehr auf die alten Ledersachen“ sagte Katrin noch im Vorbeigehen. Ich schluckte, sagte aber bewusst nichts, um nicht noch unnötig Benzin auf’s Feuer zu schütten. „Außerdem geht mir mein Freund in der Beziehung total auf den Sack – der will, dass ich die Hose auch anziehe, wenn wir zusammen was unternehmen. Der ist total bekloppt! Der schnallt nicht, dass ich das Ding nur anziehe, weil Mama mich sonst nicht auf’s Moped lässt! Ne Lederjacke ist ja noch ok, aber ‘ne Lederhose? Und dann auch noch als Latzi? Nee, muss nicht sein …“

Nun mochte ich erst Recht nichts mehr dazu sagen, denn wahrscheinlich hätte Katrin mich dann ebenso für bekloppt gehalten. Insgeheim hoffte ich, dass die Reparatur für’s Moped so teuer wird, dass es für neue Klamotten dann doch noch nicht reicht und sie bald mit der Reparatur fertig wird Was mich hingegen wieder etwas beruhigte, war, dass Katrin eigentlich bislang immer knapp bei Kasse war und sich gelegentlich zum Monatsende etwas Knete von den Kollegen auslieh. Von daher sah ich durchaus Chancen, ihre ungeliebte Latzhose bald wieder zu sehen. Vielleicht würde sie sich ja auch für kleines Geld davon trennen, dachte ich so bei mir und überlegte, wann und wie ich es am besten anstellen würde, für Anna nach der ungeliebten Hose zu fragen. Jedenfalls nahm ich mir fest vor, am nächsten Tag selber mal meine Lederjeans zum Büro anzuziehen, auch um mal zu schauen, wie Katrin und die anderen Kollegen darauf reagieren würden.

„Wie war eigentlich Eure Fotosession?“ wollte ich dann doch noch vor Katrin wissen. „Och, erinnere mich nicht daran! Frank, mein Freund war total sauer, weil ich meine blaue Jeans angezogen hatte! Ich geh‘ doch nicht in Lederlatzhose ins Fotostudio, nee, das hätte er wohl gerne gehabt!“ sagte sie Kopf schüttelnd. „Die Stimmung war total im Eimer, dementsprechend schlecht sind die Bilder auch geworden. Entweder hat er blöd geschaut, oder ich – da war echt nichts dabei!“ Ich wagte nicht, zu widersprechen – ich hätte natürlich schon meinem Freund zu Liebe die Klamotten angezogen, die er an mir besonders mag. Und wenn’s ‘ne Lederhose ist, warum nicht? Ich bin da nicht so pingeig wie Katrin, aber das wollte ich ihn nicht so direkt unter die Nase reiben. Ich würde auch gerne mal wieder Bilder von mir und Anna machen lassen, aber da war zurzeit überhaupt nicht dran zu denken. Das wäre reiner Luxus, dafür reicht das Geld vorne und hinten nicht bei uns. Bin ja schon froh, dass ich hin und wieder mal was an Klamotten für Anna geschenkt bekomme und das sie Gebrauchtes anzieht, sonst kämen wir gar nicht über die Runden. Das meiste geht halt für Miete und Nebenkosten drauf, die Monatskarte für den Bus und die sonstigen laufenden Kosten für Strom und Telefon summieren sich halt.

Vielleicht sollte ich in der Tat mich mal wieder bei Beate melden. Dass sie bei der Müllabfuhr arbeitet, wusste ich noch nicht. Da kann man mal sehen, wie die Zeit so vergeht. Ein schlechtes Gewissen wegen dem Palomino Anorak hatte ich jedenfalls nicht. Der wäre ja damals bei Beate schon fast mit weg gewesen, wenn ich nicht an dem Tag, wo sie Klamotten ihres Sohnes aussortiert hatte, bei ihr zum Kaffee gewesen wäre. Und peinlich, dass sie ihn nun mit entsorgen dürfte, war es mir auch nicht. Außerdem müsste ich ja wenn auch nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und sie fragen, seit wann sie für die Müllabfuhr arbeiten würde. Aber ich behielt die ganze Aktion mal im Hinterkopf.

Als ich gegen Spätmittags nach Hause kam, war Anna schon von der Schule zurück. Sie machte irgendwie einen traurigen Eindruck und lag gelangweilt in ihrer braunen Kunstleder-Latzhose in ihrem Zimmer auf dem Bett. „Was’n los?“ wollte ich wissen „Irgendwas stimmt doch nicht mir Dir?“ „Ach, alles ok – nur die Mama von Lena …“ „Was ist denn damit?“ „Die ist doof …“ „Wieso?“ „Ach, nur so …“ „Wie, komm erzähl!“

„Lena hatte sich doch total gefreut, als ich letzten meine blaue Latzjeans zur Schule an hatte – da wollte sie doch auch mal wieder ihre anziehen. Aber war nix, ihre Mami hatte die schon entsorgt. Stell Dir das mal vor, ‘ne fast neue, richtig teure Latzhose, die Lena vor ‘nem knappen Jahr mal drei Tage lang zur Schule an hatte, einfach ungefragt in den Müll geworfen nur weil Lena sie danach ein paar Mal nicht anziehen wollte, weil sie zu lang und zu schlabberig saß. Und deshalb kloppt die Mama die einfach in die Tonne, weil sie nicht mehr damit gerechnet hätte, dass Lena die nochmal anziehen will. Die hätte ihr bestimmt noch gepasst, und mir erst Recht – blöde Kuh, die Mama! Und ist dann auch noch sauer auf Lena, weil die jetzt nachgefragt hat und anfing zu heulen deswegen! Da gab’s direkt auch noch ‘nen Klatsch auf die Backe für Lena, ist das nicht echt fies, Mami???“

Ich versuchte Anna zu beruhigen, aber sie sprudelte weiter wie ein Wasserfall: „Ich meine, Du hast auch schon Sachen von mir in den Müll geworfen, die noch gepasst haben – was man halt so passen nennt, Du weißt schon. Aber die Sachen waren alle gebraucht, alt und abgetragen und nicht so gut wie neu. Ich bin echt sauer auf die, am liebsten würde ich der auch mal die Meinung sagen, aber dann kriege ich von der bestimmt auch noch eine gescheuert. Nee, nee, nee, Lena tat mir echt Leid heute. Und dabei war das ‘ne echt coole Latzjeans, die wäre auch abgetragen echt zu schade zum Wegschmeißen gewesen. Lena war natürlich total neidisch auf meine Lederlatzjeans und hätte sie am liebsten mal anprobiert. Hätte ihr aber sowieso nicht gepasst …“

„Das ist ja mal echt schade mit Lenas Latzjeans“ versuchte ich Anna zu trösten. „Aber wenn das schon ein Jahr her ist, dass sie die zuletzt an hatte, wer weiß, ob sie ihr jetzt immer noch gepasst hätte?“ „Ach bestimmt, sie musste die doch damals noch umkrempeln und um die Hüfte saß die total locker und schlabberig. Und selbst wenn, sowas ist doch zu schade für den Müll! Drei Tage angezogen und dann das – kann ich echt nicht verstehen. Übrigens: Marie findet meine Latzi richtig geil – in Leder hätte sie die auch gerne gehabt. Hat sie auch noch nie in Leder gesehen, die war echt begeistert!“

„Na, wenigstens etwas –Hauptsache Dir macht es Spaß darin, alles andere kannst Du sowieso nicht mehr ändern!“ „Stimmt, aber ich hatte durchaus ein Auge auf Lenas Latzi geworfen, mich nur nie getraut, sie oder ihre Mami drauf anzusprechen. War vielleicht aber auch besser so!“ „Bestimmt“ versuchte ich sie nochmal zu trösten. „Das Blöde ist nur“ meinte Anna, „dass Lena wohl nie wieder ‘ne Latzi bekommen wird. Ihre Mami kauft ihr bestimmt nicht nochmal was, was sie dann monatelang nicht anzieht und dann wieder in den Müll wandert. Eigentlich schade und dumm gelaufen, aber warum sagt ihre Mami denn auch nichts? Und warum wirft die fast neue Klamotten in die Tonne? Versteh‘ ich echt nicht … Aber Lena meinte, das macht sie öfters, ihr wäre es egal wie alt die Sachen sind. Was sie nicht mehr anzieht, geht grundsätzlich in den Müll. Und natürlich ungefragt, versteht sich. Echt Kacke …“
AnnasMama
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Re: Anna

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„Ach Anna“ versuchte ich meine Kleine zu trösten. „Ist wirklich schade für Lena – und bestimmt hätte ihr die Latzi noch prima gepasst, aber ändern lässt sich das doch auch nicht mehr!“ „Stimmt auch wieder“ meinte Anna. „Guck mal, Du hast doch Deine Latzhosen – und da brauchst Du keine Angst zu haben, die schmeiße ich diesmal bestimmt nicht ohne Deine Zustimmung weg. Zieh sie an, wann immer Du möchtest, von mir aus auch zur Schule – und ob die anderen Mädels aus Deiner Klasse auch noch welche tragen, ist doch egal. Oder nicht?“ „Hast ja Recht Mama. Nur hätte ich mich gefreut, wenn Lena ihre noch ein Weilchen hätte anziehen können und wenn ich sie vielleicht danach hätte haben können. Ich bin halt traurig, dass die im Müll verschwunden ist, wo die doch noch fast neu war!“ „Kann ich nachvollziehen, aber Du hast doch jetzt auch erst mal Deine, wozu dann jetzt schon über ‘ne neue nachdenken?“ „Naja, ewig wird meine blaue Latzjeans auch nicht mehr halten, da wäre trotz aller Liebe ‘ne fast neue auch nicht schlecht gewesen …“ „Ach komm, so schnell wird Deine auch noch nicht hinüber sein!“ „Na, hoffentlich …“

Anna jedenfalls zog die nächsten Tage meist eine ihrer drei Latzhosen zur Schule an, ab und zu trug sie auch eine ihrer normalen Jeans, oder ihre – wenn auch schon etwas ältere – knallrote Cordhose, die in einem der letzten Geschenkpäckchen dazwischen war. Katrins Moped war immer noch defekt, so dass sie ihre Lederlatzhose auch nicht mehr ins Büro anzog. Da nützte es auch nichts, dass ich ein paar Tage lang meine gebrauchte, schwarze Nubuk-Lederjeans zu meinem alten Ski-Anorak ins Büro anzog. Katrin war das ehrlich gesagt auch egal, was ich anzog. Jedenfalls gab es von ihr nicht mal einen Kommentar zu meiner Lederjeans. Ich jedenfalls vermied es auch, Katrin auf ihre Lederhose anzusprechen. Noch hatte ich die Hoffnung, dass wenn ihr Moped wieder fertig wäre, sie auch wieder in Lederhose zur Arbeit kommen würde.

Eines Vormittags rief sie bei mir im Büro an: „Du sag mal, da kommt heute per Paketdienst ein Ersatzteil für mein Moped ins Büro, kannst Du das für mich annehmen?“ „Sicher“ sagte ich. „Soll ich es Dir nach Feierabend vorbeibringen?“ „Musst Du nicht, aber wenn Du Zeit und Lust hast, kommst‘e auf’n Kaffee vorbei, ich bin in der Garage am Moped basteln …“

Gesagt, getan, das Päckchen kam rechtzeitig gegen Mittag und da Katrin heute Berufsschule hatte, hatte sie genauso Feierabend wie ich auch. Trotzdem fuhr ich nach der Arbeit erst nach Hause, schaute kurz nach Anna und machte mich dann auf den Weg zu Katrin. Gegen Nachmittag traf ich bei ihr ein. Laut fluchend öffnete sie das Garagentor, als ich dagegen geklopft hatte. „So’n Mist“ schimpfte sie und mich traf fast der Schlag: Hatte Katrin doch wahrhaftig ihre antik-braune Lederlatzhose zum Arbeiten am Moped an – darüber ihren alten, schwarzen Fruit of the Loom Hoodie. „Was’n los?“ fragte ich neugierig. „Ach, diese scheiß Lederhose – was bin ich froh, wenn die endlich im Müll ist …“ „Wieso das denn? Ich find die total klasse!“ und tappte mit der Bemerkung von bei Katrin ins Fettnäpfchen.

„Hier – guck mal, jetzt geht auch noch vom Latz der Knopf ab. Nicht mal der hält noch was aus …“ „Ach, lass mal sehen. Komm, der ist ja nur losgegangen, den bekommst Du bestimmt wieder fest. Gib mal ‘nen Hammer! Wo ist der Schraubstock? Und zieh am besten mal aus …“ Katrin entledigte sich schlecht gelaunt ihrer Latzhose, ich setzte den in zwei Teilen befindlichen Knopf wieder ins Loch rein und steckte die andere Hälfte wieder auf die Knopfspitze und mit einem gezielten Hammerschlag war beides wieder fest miteinander verbunden. „Danke“ sagte Katrin, dann kann sie sie ja wenigstens noch wieder in der Garage zum Schrauben anziehen!“ „Von mir aus könntest Du sie auch wieder für ins Büro anziehen, ich weiß gar nicht, was Du hast – die ist doch noch gut!“ „Was man so gut nennt“ meinte Katrin und zeigte auf den einen oder anderen Flecken, den sie beim Schrauben abbekommen hatte. „Und hier und da gehen die Nähte auch schon los, nö ich bin froh, wenn das Ding endlich weg ist. Aber bald bekomme ich ja meine neue Kombi …“

„Was machst Du dann mit Deiner Lederlatzi?“ „Keine Ahnung – entweder nehm ich die noch zum Schrauben, oder die geht direkt in die Tonne. Was willst Du denn auch noch mit so’m ollen Ding? Die musst Du doch erst mal kernsanieren – Nähte nähen, da sind noch ein, zwei weitere Knöpfe wackelig, und das Leder müsste zumindest mal gereinigt werden – ist doch inzwischen total dreckig vom Schrauben. Und das Innenfutter ist auch schon an einigen Stellen eingerissen. Ehrlich gesagt, die hat’s hinter sich. Ist mir aber auch egal …“ Ich konnte Katrin nur schwer widersprechen. Alles, was sie sagte, war völlig richtig. Und dennoch mochte ich ihre Lederlatzjeans, ich wollte sie unbedingt für Anna haben, auch wenn sie völlig fertig war. Nur konnte ich Katrin, emotionsgeladen wie sie im Moment war, nicht drauf ansprechen.

Katrin freute sich über das Ersatzteil, was ich ihr mitgebrachte hatte. Nach dem Kaffee baute sie es ein und siehe da, ihr Moped lief wieder wie gewohnt. „Was bin ich Dir schuldig?“ fragte sie und ich witterte meine Chance. „Wenn Du Dich mal von Deiner Lederlatzhose trennen solltest, sag mal Bescheid …“ fragte ich vorsichtig. „Von dem Drecksteil hier? Nee, ganz bestimmt nicht. Was willst Du denn damit? Die doch jetzt schon komplett für die Tonne. Hast Du keinen anderen Wunsch?“ „Nee, echt nicht – aber wenn nicht, dann auch nicht schlimm …“ „Du bist doch echt völlig bekloppt. Die passt Dir doch gar nicht! Also was willst Du mit dem Müllding?“ „Ach, ist schon gut“ sagte ich traurig und enttäuscht. „Dann eben nicht …“
AnnasMama
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Re: Anna

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Nach dem Kaffee machte ich mich dann traurig auf den Nachhauseweg. Katrins Lederlatzhose war zwar in der Tat inzwischen reichlich schmuddelig geworden, aber immer noch nicht so schlimm, dass man sie hätte nicht mehr anziehen können. Was mich viel mehr störte, war die Art und Weise wie sie damit umging. Sie hatte einfach keinen Respekt vor dem Teil – im Gegensatz zu Anna, die selbst mit alten und gut verbrauchten Klamotten immer noch „pfleglich“ umging – obwohl sie wusste, dass nach ihr niemand anderes mehr die Sachen anziehen würden. Dieses pflegliche vermisste ich an Katrin, aber je mehr ich auf meinem Weg darüber nachdachte, desto verständlicher wurde es mir.

Für Katrin war die Lederlatzhose auch nur eine Verlegenheitslösung, die sie am liebsten von heute auf morgen wieder loswerden würde. Quasi so ‘ne Art Zwangsehe: Ohne Lederhose kein Moped fahren, und ohne Moped fahren bräuchte sie auch keine Lederhose. Sie war sich ebenfalls wie Anna sehr sicher, dass nach ihr niemand mehr das Teil tragen würde, wobei es ihr egal zu sein schien, wie sie letztlich aussehen würde. Der ein oder andere Fleck machte ihr nichts aus – auch für auf die Arbeit war ihr das nicht tragisch – da kamen eh Tag für Tag neue Flecken hinzu.

Ich hatte die Gelegenheit sausen lassen, Katrin zu bitten mir die Lederlatzhose für Anna zu verwahren. Wobei, so ganz aufgegeben habe ich immer noch nicht. Katrins Blick zum Abschied machte mir doch wieder etwas mehr Hoffnung. Sie hatte wohl gespürt, dass ich es ernst gemeint hatte, dass ich ihre Latzhose so wie sie war und aussah dennoch mochte und dass es mir in der Seele wehtun würde, wenn die im Müll enden würde. Obwohl verstanden haben wird sie mich nicht – wie auch, sie kannte weder Anna noch hatte ich ihr gegenüber großartig erwähnt, dass Annas Lieblingshose ausgerechnet auch eine Latzhose aus Lederimitat war. Sie konnte also gar nicht ahnen, warum ich so scharf auf das Teil war.

Anna hatte tagsüber zur Schule mal wieder ihre Kunstleder-Latzhose angezogen. Manchmal zog sie den Pulli lieber über die Hose, vor allem bei Leuten, die Anna nicht kannten. Mir war es gleich, wobei ich Anna natürlich viel süßer fand, wenn sie den Pulli drunter trug. Nur wenn sie zu einer ihrer Freundinnen ging oder dort mal von der Schule aus zum Mittagessen mit ging (was ich ihr durchaus erlaubt hatte), zog sie generell einen Pulli über ihre Latzhosen. Bei der Mama wusste Anna genau, dass die keine Latzhosen mag. Sie hat schon mehrfach versucht, Anna die Latzhosen auszureden und ihr auch schon mal eine alte Hose von ihrer Tochter anziehen wollte, als Anna dort mal in Latzhose erschien. Aber zum Glück hatte Anna sich dagegen gewehrt – und draus gelernt: Seit dem trägt sie dort ‘nen Pulli oder Hoodie über der Hose, was ihr anscheinend auch nichts ausmacht-.

Aber Annas Reaktionen waren durchweg positiv: Jeder in der Klasse war beeindruckt von ihrer tollen Hose. Fast alle wollten wissen, wo sie die her hatte. Anna meinte nur trocken „Hab‘ ich geschenkt bekommen“ und freute sich, dass niemand sagte, wo hast du dies olle Ding denn abgestaubt. Gebrauchte Anziehsachen waren in Annas Klasse durchaus üblich, aber Leder – selbst Kunstleder – war zu einer wahren Seltenheit geworden. Und Latzhosen hatten auch kaum noch welche von Annas Mitschülerinnen und Mitschülern. Die Zeit war eigentlich lange vorbei, aber das störte Anna zum Glück recht wenig.

Am nächsten Morgen zog ich mal wieder meine alte, schwarze Nubuk-Lederjeans für ins Büro an. Da drüber immer noch meinen alten, rot-beige-blauen Thermo-Anorak von C&A, der auch mal wieder dringend eine Wäsche nötig hätte. Katrin kam mit ihrem Moped zur Arbeit und ich staunte echt nicht schlecht, als ich sie ins Büro kommen sah.
AnnasMama
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Re: Anna

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Sie hatte wieder eine Lederjeans an, doch diesmal eine hautenge in knallrot, die allerdings schon ähnlich gebraucht und getragen aussah, wie ihre antik-braune Lederlatzhose. Ich hatte wohl einen traurigen Eindruck auf Katrin gemacht, jedenfalls meinte sie „Hey, was’n los? Was schaust Du so traurig?“ „Coole Lederhose, geile Farbe …“ sagte ich mit einem weinenden und einem lächelnden Auge zu ihr. „Jau, ist auch von Mama. Meine braune Lederlatzhose ist gestern noch so richtig schön dreckig geworden, da meinte Mama, ich solle erst mal die hier anziehen! Ist zwar keine Latzhose, und rot ist auch nicht meine Farbe, aber Mama meinte, bis ich mir was Neues zum Moped fahren leisten könnte, wäre ‘ne zweite Lederhose gar nicht so schlecht. Und da sie noch eine hatte, die ihr auch schon seit Jahren nicht mehr passt, hab‘ ich die jetzt zum Anziehen.“

Mir stockte der Atem und ich machte wohl wirklich einen traurigen Eindruck auf sie. „Komm schon, was ist? Warum guckst Du so?“ Ich sagte nichts, traute mich nicht nach ihrer Lederlatzhose zu fragen. Vermutlich würde sie ja eh nicht verstehen, warum ich so scharf auf das Teil bin und dass ich die gerne für Anna hätte, für den Fall, dass ihre braune Kunstleder-Latzhose eines Tages mal den Geist aufgeben würde. Mein Kopfkino war volles Programm angelaufen: So dreckig und kaputt wie Katrins Lederlatzhose gestern aussah, wird die wohl direkt heute Morgen in der Tonne gelandet sein. Katrin wohnt nur ein paar Straßen weiter wie ich, also selber Müllbezirk. Die leeren normalerweise immer gegen Mittag und das machte mich irgendwie wuschig.

Ich überlegte schon ernsthaft, heute etwas früher Feierabend zu machen und einen prüfenden Blick in Katrins Mülltonne zu werfen, als sie mich fragte: „Du, sag mal, was das gestern Dein Ernst?“ – „Was?“ – „Das mit meiner Lederlatzhose? Dass ich die für Dich verwahren soll? Sag mal, was willst Du denn noch mit dem ollen Ding? Die passt Dir doch gar nicht … Komm, nun sag‘ schon?“ Das war mir jetzt schon fast peinlich, aber ihre Frage machte mir doch wieder Hoffnung, dass es noch nicht zu spät sei. „Du kennst doch meine Tochter Anna, Ihr habt Euch doch letztens noch gesehen, als wir uns in uns in der Stadt getroffen haben …“ – „Klar, süßes Mädel, Deine Anna! Und ja, ich erinnere mich – sie hatte ‘ne braune Lederhose an, die auch schon etwas älter aussah, stimmt’s? Sah klasse aus, erzähl mal …“

„Genau“, sagte ich. „Anna liebt Lederhosen, noch mehr wie ich. Angefangen hatte es bei ihr mit ‘ner schwarzen Kunstlederjeans, die sie von ihrer Freundin Marie geschenkt bekommen hatte. Irgendwann war ihr die zu klein und da die auch schon ziemlich am Ende war, hab‘ ich die eines Tages mit auf den Müll geworfen. Und weil Anna so daran gehangen hat und total auf Latzhosen abfährt – obwohl es die kaum noch wo zu kaufen gibt – hab ich ihr letztens ‘ne gebrauchte Lederlatzhose besorgt, die aber sicherlich leider auch nicht mehr ewig halten wird. Von daher wäre es halt schon …“ – „wenn ich Dir meine für Anna verwahren würde?“ lachte Katrin mich an. Ich nickte zustimmend.

„Hmmm, ich mag Deine Tochter und die sah auch echt knuffig in der Lederhose aus – ist ja auch ‘nen schönes Alter für Lederhosen, als ich so groß war wie Anna, hatte ich auch mal eine Latzhose aus braunem Kunstleder. Die hatte ich damals echt geliebt. Mama hat die dann irgendwann mal abgegeben, weiß gar nicht an wen oder wohin. Aber die ist garantiert schon mit weg, sonst hättest Du die jedenfalls schon mal für Anna haben können. Meine jetzige braune Lederlatzhose mag ich nicht wirklich, Latzhosen waren von ein paar Jahren ja noch cool – aber heute? Die hab‘ ich doch nur Mami zu Liebe angezogen, weil ich sonst nicht hätte Moped fahren dürfen! Und so doll mag ich Leder auch nicht mehr – früher ja, heute eher weniger. Da gibt’s auch zum Moped fahren bessere Klamotten aus Goretex und Co. Aber mach Dir mal keine Sorgen, so schnell wird auch die Lederlatzi schon nicht mit weggeworfen. Das bringt Mami nicht übers Herz und ich bekäme Riesenärger dafür! Sie meinte gestern Abend noch, sie will erst mal schauen, ob sie den groben Dreck wieder runter bekommt und will sich auch um die offenen Nähte und das kaputte Futter kümmern! Mami findet mich nämlich auch total süß in der ollen Lederlatzhose und will unbedingt, dass ich die noch weiter anziehe! Die war total geschockt und richtig sauer, dass ich die gestern zum Schrauben an hatte. Und ich fürchte, bis ich mir neue Klamotten leisten kann, wird es noch eine Zeit lang dauern. Die Reparatur gestern war schließlich teuer genug und hat ein dickes Loch in mein Budget gerissen!“
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Re: Anna

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Ich genoss den Tag auf der Arbeit und war von Katrins roter Lederjeans genauso fasziniert, wie von der antik-braunen Lederlatzhose. Die Lederjeans war eine klassische 5-Pocket-Lederhose, die eigentlich schon fast eine Nummer zu klein war – aber Katrin sah dahin klasse aus. Auch musste die Hose wohl schon ein älteres Exemplar gewesen sein, denn an den Oberschenkeln und am Po sah sie ziemlich verdreckt und abgenutzt aus. Ich vertraute Katrin erst mal und es klang ja auch durchaus plausibel, was sie über ihre Latzhose sagte. Wenn sich ihre Mami der Latzhose nochmal annimmt und die offen gegangenen Nähte wieder heil bekommt, dann wird Katrin sie auch bestimmt wieder demnächst zur Arbeit anziehen – so hoffte ich. Jedenfalls war ich erst mal wieder beruhigt und sicher, dass ihre andere Lederhose nicht heute im Müll verschwinden würde. Und ich konnte mir wieder Hoffnungen machen, sie doch irgendwann für Anna zu bekommen. Anna wusste natürlich noch nichts von meinen Plänen, jedoch war ich mir auch hier sicher, ihr damit eine Freude machen zu können.

Die letzten Tage waren regnerisch und Anna hatte oft ihre Kunstleder-Latzhose und den dazu passenden Anorak zur Schule und auch für Nachmittags zur Freizeit an. Sie liebte diese Kombination, zog aber meistens ein schwarzes T-Shirt drunter und einen ihrer dicken Winterpullis über den Latz, so dass dieser nicht zu sehen war. Sie fühlte sich so wohler damit und zu Hause, wo es für ‘nen dicken Pulli viel zu warm ist, brauchte sie den nur ausziehen und lief in kurzen Ärmeln in der Wohnung rum. Für draußen war dann der Pulli schnell wieder drübergezogen und so war es für sie weder draußen zu warm noch drinnen zu kalt. Ich genoss es, Anna zu Hause so zu sehen, freute mich, dass sie Latz zeigte und hatte auch nichts dagegen, dass sie für draußen den Pulli drüber zog. Wenn es Wochenende war oder Anna nicht zur Schule musste, weil Ferien oder Feiertag war, zog sie auch schon mal einen ihrer schwarzen Sweatshirts unter der Latzhose an – dann genügte es, wenn sie für draußen einfach nur den passenden Kunstlederanorak drüber zog. Und wenn nichts Außergewöhnliches passieren würde – so war ich mir sicher – wird Jacke und Hose auch noch nächsten Herbst/Winter passen. Aber danach wird sie wohl doch entweder komplett aufgebraucht oder zumindest am Bauch etwas zu eng sein, so dass sie dann wahrscheinlich durchaus nochmal eine neue gebrauchen könnte. Und da kommt mir die Lederhose von Katrin natürlich sehr gelegen …

Für Anna hatte ich letztens noch einen schönen Stapel Winterpullis und Sweatshirts geschenkt bekommen, wobei die meisten zwar von mehr als einem Kind getragen worden sind, aber dafür waren recht viele von Adidas dabei. Adidas ist immer noch meine Lieblingsmarke und das hat sich auch so langsam auf Anna übertragen. Wenn Markenkleidung, dann Adidas, dann ist es aber auch fast egal, wie alt die Sachen sind und durch wie viele Kinderhände sie dann schon zuvor gegangen waren. Selbst Teile, die schon Jahre alt sind und deutliche Waschspuren haben, trägt Anna immer noch tausend Mal lieber als irgendwelche No-Name-Klamotten, die nach zwei, dreimal Waschen schon reif für die Tonne sind.

Allerdings tut Anna sich in letzter Zeit mit Nickis wieder etwas schwerer. Nachdem ihre beiden alten Kapuzennickis, die sie damals zusammen mit der schwarzen Kunstlederhose angezogen hatte, mit im Müll gelandet waren, hatte sie keine mehr gehabt und auch nicht mal anprobiert. Meinen schwarzen Kapuzennicki findet sie zwar ganz niedlich, aber als ich ihr mal angeboten hatte ihn anzuprobieren, hat sie dankend abgelehnt. Schade, denn bei dem besagten Pulli Päckchen waren auch zwei Nicki Rollis mit dazwischen, einer in Rot, der andere in Blau. Aber beide auch nicht mehr wirklich schön, die waren so richtig abgetragen und verwaschen, vielleicht noch was für zu Hause – mal sehen, ob ich Anna dazu überredet bekomme, sie mal anzuziehen. Ansonsten müsste ich auch mal wieder durch ihre alten Wintersachen vom letzten Jahr schauen, da dürfte sich inzwischen auch ganz schön was angesammelt haben, was ihr entweder inzwischen nicht mehr passt oder was ihr nicht mehr gefällt und sie es – obwohl es durchaus noch passen würde – nicht mehr anziehen mag. Und neue Sachen sind immer ein guter Grund mal wieder die alten Sachen durchzugehen.

Was immer besonders blöde ist, gebrauchte Anziehsachen für Anna geschenkt zu bekommen, die ihr von vornherein zu klein sind. Ein bisschen knapp für zu Hause lasse ich ja noch durch gehen, aber manchmal sind auch welche dabei, die sind einfach deutlich zu klein und passen auch beim besten Willen nicht mehr. Aber da auch solche Stücke meist schon von mehreren Kindern zuvor getragen worden sind, landen die entweder auf dem Aussortierpäckchen in Annas Kleiderschrank oder sie gehen ohne das Anna sie je zu Gesicht bekommen hätte direkt in den Altkleidersack oder ab und zu auch mal direkt in die Mülltonne. Von den meisten Freundinnen kommt eh immer der Spruch: „Ist eigentlich nichts wirklich gutes mehr dabei – guck durch, was Du brauchen kannst – den Rest kannst Du ruhig mit wegschmeißen!“

Oftmals ist dem wirklich so, aber meist sind wenigstens ein oder zwei Teile dabei, die noch nicht ganz so fertig sind und die man durchaus noch anziehen kann. Für geschenkt absolut in Ordnung, ob ich noch Geld dafür ausgeben würde, ich weiß nicht so recht. Ich denke aber eher nicht, oder ich würde dann auch nur die Sachen nehmen und bezahlen, die wirklich was für Anna sind.

Es regnete schon den ganzen lieben langen Tag wie aus Eimern. Gegen Abend kam Anna nach Hause, später als eigentlich erwartet und darüber hinaus auch noch von oben bis unten komplett mit Matsche und Lehm eingesaut. Anna war patschnass und so dreckig wie lange nicht mehr. Ich guckte sie etwas böse an, worauf hin sie nur trocken meinte: „Ist doch Kunstleder – gib‘ mal ‘nen Schwamm dann mach ich den Dreck selber wieder an!“ Und schon verschwand sie im Badezimmer, schmiss den dreckigen Kunstleder-Anorak in die Badewanne, zog den dicken Winterpulli und die Kunstleder-Latzhose aus und machte sich an die Arbeit. „Die hält echt was aus, Mami!“ meinte Anna stolz und dann erzählte sie mir, dass sie nach der Schule noch bei Marie war und sie den ganzen Nachmittag draußen im Regen gespielt hätten. Erst Fußball auf der völlig vermatschten Wiese und dann waren sie noch im nahegelegen Wald unterwegs. „Marie ist übrigens komplett nass geworden und wollte unbedingt nach Hause, aber das Kunstleder hat dicht gehalten! Total prima! Und Maries Mami findet meine Lederlatzhose total cool – war noch kurz bei Marie drinnen und weil mir da so warm war, hatte ich ganz in Gedanken meinen Pullover ausgezogen. Marie war auch begeistert und will am liebsten auch ein haben. Hab‘ dann nur gesagt: Viel Spaß beim Suchen!“

„Soll ich nicht beides eben schnell in die Waschmaschine packen, Anna?“ – „Och nö, nicht nötig – geht auch so!“ erwiderte sie und hatte in der Tat ruckzuck den Dreck von Jacke und Hose runter. „Jetzt brauch‘ ich aber ‘nen Pulli für drunter, sonst ist mir das zu kalt!“ „Kein Problem“, meinte ich. „Ich hab‘ die Adidas Pullis jetzt endlich frisch gewaschen, kannst Dir einen aussuchen, sind alle die gleiche Größe, such Dir die Farbe aus, die Dir am besten gefällt! Dann hast Du auch mal wieder was Neues an Pullis!“ „Dann nehm‘ ich den gelben hier, der passt so schön zu dunkelbraun!“ „Ok, den kannst Du dann auch gerne morgen anziehen, wenn wir zu Ikea fahren oder nächste Woche zur Schule!“ „Echt – wir fahren mal wieder nach Ikea? Krieg‘ ich ‘nen neues Regal für mein Zimmer? Bitte Mami, bitte – brauch ich für meine Bücher!“ „Schau’n wir mal, ob sie was im Angebot haben! Und nu‘ zieh Dich rasch wieder an und komm‘ in die Küche – ich hab‘ Abendbrot fertig!“
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Wenn Anna und ich nach Ikea fahren, ist das immer eine kleine Reise. Wir müssen dann sehr früh aufstehen und mit Bus, Zug und Straßenbahn fahren und sind meist recht lange unterwegs. Trotzdem haben wir für Ikea immer das gleiche Ritual: Erst gemeinsam dort frühstücken, dann durch die Ausstellung, anschließend durch die Krimskrams-Abteilung, danach noch Mittag essen und anschließend wieder zurück. Alles drei bis vier Monate leisteten wir uns einen solchen Ausflug, meist zu Anfang des Monats, wenn – was in der Regel selten genug vorkommt – etwas Geld aus dem Vormonat übrig geblieben ist. Was natürlich auch zum Ritual gehört, sind die Klamotten, die ich an so einem Tag zu Ikea anziehe: Auch wenn es manchmal vorkam, dass ich meine Latzhose über Wochen, wenn nicht sogar über Monate hinweg eine Zeit lang nicht mehr angezogen hatte, zu Ikea war das traditionell ein Muss. Samstags Ikea ohne Latzjeans zu Ikea geht gar nicht – und Anorak oder Pulli drüber ziehen erst recht nicht.

Im Winter bliebt mir zwar nichts anderes übrig, als meinen C&A Anorak drüber zu ziehen – geht ja bei den Temperaturen auch nicht wirklich ohne. Aber spätestens bei Ikea ist es immer so warm, dass ich den Anorak während des Shoppings ausziehen und in einem der Schließfächer deponieren konnte. Als Anna noch klein war, hab‘ ich sie während des Shoppings immer im Smaland abgegeben, aber die letzten Male hat Anna dort immer traurig geschaut und die anderen, kleineren Kinder beobachtet. Fürs Smaland fühlte sie sich in letzter Zeit viel zu alt – nun, ehrlich gesagt, das war sie inzwischen auch. Obwohl, einmal dran vorbeilaufen, gucken und in Erinnerungen schwelgen war immer noch muss – Anna dachte immer gerne an die Zeiten zurück und wusste eigentlich jedes Mal eine kleine Geschichte zu erzählen.

Zu späten Kindergarten- und frühen Grundschulzeiten waren Anna und ich fast jeden Samstag bei Ikea. Anna wollte zu der Zeit regelmäßig im Smaland abgegeben werden und ich hatte ein, zwei Stunden Ruhe und mal etwas Zeit für mich. Meist bummelte ich durch die Ausstellung und träumte davon, das Wohnzimmer neu einzurichten oder mir mal eine der tollen Küchen leisten zu können. Schon in der Zeit entdeckte Anna wohl ihre Vorliebe für Lederhosen, jedenfalls traf Anna zu der Zeit regelmäßig ein Mädchen, was etwas jünger, aber zu der Zeit deutlich kleiner als Anna war. Und die hatte zu der Zeit eigentlich fast immer eine rote Kunstlederhose an. Ich schenke dem Teil damals keine große Beachtung, weil sie in den Geschäften nicht mehr zu kaufen gab und bei den zahlreichen geschenkten Klamotten auch nie eine solche für Anna dabei war. Anna mochte die Hose, die beiden müssen – so klein wie die damals waren – wohl auch mal darüber gesprochen haben. Die beiden freundeten sich etwas an und freuten sich auf den nächsten Samstag, aber dass wir uns zwischendurch mal getroffen hätten, kann ich mich nicht dran erinnern.

Jedenfalls meinte Anna eines Tages, als ich sie aus dem Smaland wieder abgeholt, so eine Hose hätte sie auch gerne mal – und dass das andere Mädchen sie wohl immer zu Ikea anziehen müsste. Die Kleine mochte die Hose wohl nicht, aber Anna komischerweise umso mehr – und Anna war ganz traurig, als ihre Freundin eines Tages wie die anderen Kinder auch in normaler Jeans dort auftauchte. Keine Ahnung, was damals aus der Lederhose geworden ist, die Mami hatte ich auch nur wenige Male bei Abholen von Anna gesehen. Ein Gespräch ist jedenfalls nie zu Stande gekommen. Anna schaute seit dem immer mal wieder, ob andere Kinder im Smaland eine Lederhose an hatten, aber meist meinte Anna anschließend traurig: „Wieder niemand mit ‘ner Lederhose …“

Ich war schon fertig angezogen, hatte meine uralte Rocky-Latzjeans und darunter meinen schwarzen Kapuzen-Nicki an, als ich Anna früh morgens weckte. „Komm, steh‘ auf – wir wollen doch heute mal wieder nach Ikea!“ – „Oh, klasse, bin mal gespannt!“ – „Worauf?“ – „Weißt Du doch, Mami, wie immer wenn wir nach Ikea fahren – bin immer noch gespannt, ob noch von den andern Kindern welche ‘ne Lederhose an haben!“ Ich grinste, Anna hatte sich in all den Jahren nicht geändert. In den Zeiten, wo sie die alte, schwarze Lederjeans von Marie hatte, zog sie die immer zu Ikea an und war jedes Mal genauso wieder enttäuscht, weil sie die einzige war. Aber sie hielt tapfer durch und ließ sich nicht irritieren. Ikea ohne Lederhose war zu der Zeit einfach nicht möglich, in normaler Jeans wäre sie nicht mit gekommen und stattdessen angesäuert zu Hause geblieben.

„Was magst Du denn anziehen, Anna?“ fragte ich neugierig und hatte gehofft, dass sie sich spontan für ihre neue, braune Kunstleder-Latzhose und den dazu passenden, gelben Adidas-Pulli entscheiden würde. Doch weit gefehlt. „Mami, darf ich heute mal was anderes anziehen? Am liebsten ‘ne ganz einfache, normale Jeans und meinen hellen Woll-Pulli!“ „Wie bist Du denn drauf? Hatte eigentlich gedacht, Du ziehst den neuen Adidas und Deine Lederlatzi an?“ „Hmmm …“ Anna wurde nachdenklich, fing an zu grinsen und meinte „Ok, hast gewonnen! Wollte Dich doch nur foppen – weiß doch, dass Du mich am liebsten in den Ledersachen siehst. Komm, gib‘ her, ich zieh mich schnell an!“

Dachte ich mir doch, dass Anna mich nur ein wenig ärgern wollte. So schnell, wie sie die Latzhose angezogen hatte, war Anna morgens lange nicht fertig. Sind präsentierte sich voller Stolz in ihrem coolen Outfit. „Mami, darf ich heute mal wieder ins Smaland?“ – „Ist nicht Dein Ernst, oder?“ – „Nee, war Spaß – da dürfen doch nur die Kleinen rein. Weiß ich doch, Mami. Aber gucken möchte ich trotzdem …“ – „Gucken können wir auch, kein Problem.“

„Kannst Deine Winterstiefel vom letzten Jahr nochmal anziehen, die mit dem Fell drin!“ – „Die ollen Dinger, naja, wenn’s sein muss! Richtig gefallen tun die mir nicht mehr! Aber na gut …“ Anna zeigte deutlich auf die Macken an den Stiefeln, die Sohle war auch schon fast durch, aber immerhin zog sie die Dinger noch ohne weiteres Murren an. Obwohl wir beide uns beeilten, hinkten wir etwas der Zeit hinterher und mussten uns beeilen, den Bus zum Bahnhof noch zu erwischen. Anna zog rasch ihren zur Lederhose passenden Anorak an, ich entschied mich für meinen alten C&A Anorak und zog meine Adidas Indoor Spezial Turnschuhe dazu an. Wir waren beide fertig, verließen die Wohnung und machten uns auf zum Bus, den wir doch noch auf letzter Minute erreichten.

Anna döste im Bus kurz weg, der Fahrkartenkontrolleur checkte unsere Tickets, guckte Anna etwas komisch an, sagte aber nichts. Der Zug am Bahnhof hatte Verspätung, zu allem Überfluss regnete es noch, während wir warten müssten. Anna grinste mich an „Gut, dass ich doch die Lederklamotten angezogen habe – so werde ich wenigstens nicht nass. Ich hatte seit langem mal wieder an meinem Anorak die Kapuze rausgefummelt. Aber richtig geholfen hatte das nicht, dafür war die eigentlich auch viel zu dünn. Aber ich wollte meinen Anorak nicht missen, auch wenn ich jetzt gerade gefühlt patschnass wurde. Endlich kam der Zug, wir stiegen ein, fanden aber in den überfüllten Waggons keinen Sitzplatz mehr. Also stand uns fast eine Stunde stehen bevor, wenn der Zug einmal voll ist, bleibt er auch so. Dann besteht kaum eine Chance, noch einen Platz für uns beide zu ergattern.

Doch an der nächsten Haltestelle hatte wir Glück, es stiegen ungewöhnlich viele Leute aus und Anna konnte zwei Plätze für uns ergattern. „Mami, Du bist klatschnass …“ meinte Anna mitleidsvoll zu mir, während sie den Reißverschluss von ihrem Anorak los machte. „Gut warm hier im Zug!“ – „Kannst Deinen Anorak auch ganz ausziehen, Anna, wir fahren ja noch ein gutes Stück!“ sagte ich zu ihr und zog auch erst mal meinen Anorak aus und legte ihn in das Gepäckfach über den Sitzen. Anna legte ihren Kunstleder-Anorak darüber und passte auf, dass meiner dabei nicht noch mehr nass wurde. So gerne ich meinen Anorak auch anzog und ich ihn liebte, desto schlechter war er bei Regenwetter: Das Nylonzeugs wurde einfach viel zu schnell nass. Aber so was neumodisches aus GoreTex, wo auch Katrin von träumte, war nichts für mich. Zum einen gefiel mir das langweilige Unidesign der neuen Winteranoraks nicht, zum anderen waren die preislich einfach nicht drin. Und als gebrauchte waren die auch in der Second-Hand-Shops immer noch extrem selten und teuer.

Wie dem auch sei, an einen neuen Anorak war für mich einfach nicht zu denken, als Anna plötzlich meinte: „Du Mami, ich hab‘ nasse Füße, mir ist kalt an den Zehen …“ – „Wie das denn? Zeig mal Deine Füße!“ Schlagartig wurde mir klar, dass Annas Stiefel wohl nicht mehr zu retten seien, die waren an der Sohle durch und man sah – als Anna die Füße bewegte – klar und deutlich ihre roten Söckchen. „Na, dann werden wir wohl auch noch nach neuen Stiefeln für Dich schauen müssen. War zwar nicht geplant, aber mal schauen – so lasse ich Dich jedenfalls nicht mehr durch die Gegend laufen. Nasse Füße muss ja nun wirklich nicht sein!“ Anna versuchte ihre Füße über der Zugheizung zu wären. „Ach Mami, geht schon …“

Wir waren beide ziemlich müde und waren gerade etwas eingedöst, als die Schaffnerin unsere Fahrkarten sehen wollte. „Alles gut“ nickte sie, dann musterte sie zunächst Anna und dann mich. Die Schaffnerin war etwas jünger als ich, schlank und größer. „Ist ja cool – ‘ne Latzjeans hatte ich auch mal. Ist aber schon ‘nen paar Jahre her. Steht Ihnen gut, wo ist die her?“ – „Och, die hab‘ ich schon eine Ewigkeit, weiß gar nicht mehr, wo ich die gekauft hatte. Ich glaube, H&M, bin mir aber nicht sicher.“ – „Cool, da war meine damals auch her, mein Gott wie die Zeit vergangen ist.“ Anna döste weiter vor sich hin, von der Schaffnerin nahezu unbemerkt. „Ne Lederhose ist auch richtig cool bei dem Wetter …“ meinte sie noch und ging zum nächsten Fahrgast die Tickets weiter kontrollieren.

Der Bahnhof, wo wir noch in die Straßenbahn umsteigen mussten, näherte sich unaufhaltsam. Ich weckte Anna, wir zogen müde unsere Anoraks wieder an und warteten darauf, dass der Zug im Bahnhof einfuhr. Wir stiegen aus, gingen zur Bahn und nach zwei, drei Stationen kamen wir bei Ikea an. Anna lächelte und freute sich, ich war auch gut gelaunt und freute mich auf’s Frühstück. Auch die Bahn hatte ein paar Minuten Verspätung und als wir endlich am Ziel waren, hatte es immer noch nicht aufgehört zu regnen. Also schnellen Schrittes die letzten paar Meter bis rein nach Ikea, einmal kurz ausgeschüttelt, was auch nicht wirklich was nutze und unsere Anoraks in die Schließfächer verfrachtet, so nass sie auch waren. Erst mal rauf ins Restaurant, erst mal frühstücken, doch zuvor eine kleine Pause am Smaland, wo Anna traurig in die Gruppe der Kids schaute und meinte „Wieder keiner dabei, der ‘ne Lederhose an hat. Noch nicht mal jemand, mit ‘ner Latzhose. Echt traurig, Mami …“
AnnasMama
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Re: Anna

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Anna und ich gingen hoch ins Restaurant und holten uns unser Frühstück. Kaffee, Milch, frische Brötchen, Lachs, Eier, Wurst, Käse, Marmelade – halt alles, was zu einem leckeren Frühstück dazu gehört und suchten uns im gut besuchten Restaurant ein gemütliches Plätzchen. Wir hatten Zeit, waren völlig entspannt und ausgeglichen, als Anna plötzlich eine Jungen am Tisch gegenüber entdeckte: „Der ist ja cool – Mami – guck mal, der Junge da drüben hat genau so eine Lederhose wie die, die ich von Marie in kurz habe, nur als Kniebund-Lederhose … Der ist ja interessant …“

Anna sah den Jungen mit großen, verliebten Augen an. Er hatte eine alte Kniebund-Lederhose aus dunkelgrünem Glattleder an, mit Hosenträgern, die auf das letzte Loch eingestellt waren, dazu rote Kniestümpfe und einen roten Rollkragenpullover. Die Hose saß sehr eng, war offenbar mindestens zwei Nummern zu klein und war sowohl an den Knien als auch am Po völlig abgewetzt. Zur Lederhose trug er weiße, völlig verbrauchte No-Name-Turnschuhe. Er saß alleine am Tisch, zusammen mit einem Mann, der wohl sein Vater zu sein schien. Anna war kribbelig, schaute die ganze Zeit immer wieder zu dem Jungen rüber, während ich den Papa von dem Kind irgendwie wohl auch unter Beobachtung hatte. Der Kerl gefiel mir, er war etwas älter und größer als ich, trug eine Lederjeans und gehörte somit genau in mein Beuteschema. Trotzdem war es wie so oft, ich sah einen attraktiven Mann, der irgendwie schon passen könnte, war aber innerlich total davon überzeugt, dass es auch diesmal wieder nichts würde.

Irgendwie war Anna heute im Flirten besser als ich – jedenfalls schaffte sie es, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und einen gegenseitigen Blickkontakt aufzubauen. „Mami, er hat mir zugezwinkert!“ sagte sie völlig aufgeregt. Anna zwinkerte zurück und kurze Zeit später stand der Junge auf und ging mit seiner Tasse zum Automaten. „Au weia, die Lederhose sieht ja gut aus – die ist ja noch zerkratzter als meine kurze!“ flüsterte Anna mir ins Ohr bevor sie die Chance ergriff und mit ihrer Tasse ebenfalls in Richtung Getränkeautomat lief.

„Hi, ich bin die Anna! Und wer bist Du?“ sprach sie ihn unvermittelt an. „Ich bin Peter …“ sagte der Junge mit leiser Stimme und war völlig überrascht, dass ein Mädchen, was wohl etwas älter und größer war als er, ihn ansprach. Und ich war mir bei Anna auch nicht sicher, ob es Geschwisterinstinkt war, der Anna dazu bewegte ihn anzusprechen, oder ob sie jetzt in das Alter kommt, wo sich Mädchen wieder für Jungs interessieren und umgekehrt. Peter war jedenfalls völlig schüchtern und zog sich seinen Kakao aus dem Automaten, wartete aber auf Anna, bis auch sie sich ihren Kakao gezogen hatte und dann gingen sie beiden den Weg zu den Tischen zusammen zurück. „Du hast ‘ne echt coole Lederhose an, Peter!“ sagte Anna zu ihm kurz bevor sie wieder am Tisch angekommen waren. Peter wurde rot im Gesicht, er hatte wohl nicht damit gerechnet, von einem Mädchen in dunkelbrauner Kunstleder-Latzhose auf sein Outfit angesprochen zu werden.

„Du findest die echt cool? Ich mag die nicht, von mir aus könnte Papa die schon längst in den Müll geworfen haben. Lederhosen sind was für Babys, aber nichts für große Jungs!“ Anna grinste, freute sich aber offenbar ein Loch in den Bauch, dass dieser „große Junge“ noch Lederhosen tragen musste. Peter ging zu seinem Papa, und Anna setzte sich wieder zu mir an den Tisch. Während die Kids ihren Kakao geholt hatten, hatte ich Blickkontakt zu Peters Papa aufgenommen und er in der Tat meinen erwidert. „Kanntest Du das Mädchen?“ wollte Peters Papa wissen. „Nö, Anna kannte ich bislang noch nicht.“ – „Und was wollte sie von Dir?“ – „Nichts, sie fand meine Lederhose total cool!“ – „Ist sie ja auch“ grinste sein Papa. „Ja, Papa – Dir zu Liebe ziehe ich sie ja auch noch an. Wobei ich doch kein kleines Kind mehr bin. Und ehrlich gesagt, mir ist die Lederhose fast schon zu klein, von mir aus könnte die ruhig mit in den Müll …“

„Im Frühjahr vielleicht – dann bekommst Du für den nächsten Herbst nochmal ‘ne Neue. Aber solange musst Du die noch anziehen. Oder Du ziehst demnächst die alten, viel zu kleinen Sachen an, mit der Mama Dich freitags immer bei mir abgibt. Neues kaufe ich Dir nicht mehr, jedenfalls nichts, was dann mit nach Mama geht, das schmeißt sie ja doch sofort mit weg …“ Peter nickte zustimmend. In der Tat war seine Mami schon etwas merkwürdig drauf: seit der Trennung von seinem Papa kam er zum Wochenende nur noch mit zerlumpten Klamotten zu Papa, Zeug, was eigentlich sofort in die Tonne gehört hätte und wo Mama einen Mordsaufstand machte, wenn sonntags abends eines der völlig fertigen Teile nicht mit nach Hause kam. So hatte Peter inzwischen sein Papazeug, was im Herbst/Winter aus der besagten Kniebundlederhose bestand.

Wir waren mit dem Frühstück fertig, standen auf und brachten unsere Tabletts zurück in die Tablett Wagen. Als wenn die beiden auf uns gewartet hätten standen Peter und sein Papa plötzlich neben uns. „Sie haben aber eine liebe Tochter! Zieht sie eigentlich freiwillig diese Lederlatzhose an? Ich muss Peter immer formlich dazu zwingen, seine Lederhose anzuziehen!“ Ich freute mich, dass Peters Papa mich ansprach. So konnte sich wenigstens ein kurzer Smalltalk ergeben. „Ja“, sagte ich „Anna liebt ihre Lederhose, sie trägt die echt gerne! Aber wenn ich ehrlich bin, die von ihrem Sohn ist auch wirklich reichlich knapp – da kann ich ihn schon ein wenig verstehen …“ – „Naja, selbst wenn sie ihm noch besser passen würde, er fühlt sich zu alt dafür. Und ein wenig verstehen kann ich ihn auch, aber ich bin froh, dass ich überhaupt was für ihn zum Anziehen habe.“

Peter und sein Papa zogen ihre Anoraks wieder an und wir bummelten gemeinsam durch die Ausstellung. Anna und Peter quatschten fröhlich miteinander und ich wechselte ein paar kurze Worte mit seinen Papa. Er möchte meine Latzhose und meinen schwarzen Kapuzennicki. Und mir gefiel seine Lederjeans, obwohl ich es ihm nicht gleich sagte. Er erzählte mir ein wenig von sich, dass er sich vor ein paar Jahren von seiner Frau getrennt hatte, dass Peter alle 14 Tage zu ihm zu Besuch kommt und er froh ist, dass Peter immer noch seine alte, abgetragene Kniebund-Lederhose anzieht. Im Anfang hätte er immer wieder mal neue Anziehsachen für Peter gekauft, ihn damit dann auch sonntags zur Mama gelassen, jedoch hätte sie ihm zum nächsten Besuch immer wieder in uralte Klamotten gesteckt. Inzwischen habe er zwar ein paar Klamotten, die dann beim Papa bleiben, aber er zöge ihm am liebsten die Lederhose an. Ihm sei zwar auch klar, dass das vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäß sei, aber die hält wenigstens was aus. Er selber trage ja schließlich auch am liebsten seine Lederhose und meist lässt Peter sich dann doch überreden, auch die Lederhose anzuziehen.

Ich hatte das Gefühl, Anna und Peter verstanden sich richtig gut – die beiden waren fröhlich und gut gelaunt. Anna war zufrieden und Peter war, so sagte jedenfalls sein Papa, so ausgeglichen wie lange nicht mehr. Schnell hatten die beiden – ohne dass wir Eltern es ahnten – Adresse und Telefonnummer ausgetauscht, schon allein deswegen, weil Peter auf der neuen Schule Schwierigkeiten in Mathe und Englisch hatte. Anna hatte – freundlich wie sie nun mal ist – ihm ohne mich zu fragen angeboten, ihm bei der Schule zu helfen. „Hilfst Du mir denn auch, wenn ich keine Lederhose an habe?“ fragte Peter sie ängstlich. „Na klar, ich mag Dich in Lederhose, ich mag Dich aber auch so!“ – „Und Du siehst richtig süss aus in Deiner Lederhose, Anna! Ich muss Mama mal fragen, ‘ne Latzhose müsste ich eigentlich auch noch haben. Aber Mama schmeißt immer so schnell alles weg, das ist echt blöd. Was von Papa kommt oder ihr nicht gefällt, geht umgehend in den Müll – da ist Mama konsequent. Leider, leider …“ Anna nahm Peter in den Arm und tröstete ihn „Meine Mama hat auch schon Sachen von mir weggeschmissen, aber sie hat mich dennoch lieb. Hat Deine Mami Dich denn nicht lieb?“ fragte Anna ihn traurig.
AnnasMama
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Re: Anna

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„Ich weiß nicht, Anna“ erwiderte Peter traurig mit leiser Stimme. „Meine Mami ist noch sehr jung! Ich war halt nicht geplant – manchmal glaube ich, sie hasst mich deswegen. Und das lässt sie mich auch spüren. Fast alles, was ich von Papa mitbringe, was er mir gekauft oder geschenkt hat, schmeißt Mama umgehend weg. Sie sagt immer, was das für ein Müll wäre. Gut, für neue Anziehsachen hat Papa auch kein Geld, so dass wir vieles vom Flohmarkt oder aus dem Second-Hand-Shop nehmen, aber das gefällt Mama meist nicht und dann kann ich machen was ich will, sie wirft es weg!“

„Das ist aber echt gemein! Bekommst Du denn wenigstens von Deiner Mami genug neue Sachen?“ – „Ach was, das ist ja das Schlimme! Nee, Mami kommt auch immer nur mit alten Klamotten um die Ecke – Sachen die sie von anderen Mamis geschenkt bekommt, die die sonst weggeschmissen hätten. Meist sind die schäbiger und verbrauchter als die von Papa! Das meiste ist dann auch noch zu klein, unbequem, in scheußlichen Farben oder für Mädchen!“ lachte Peter, obwohl er die ganze Zeit schon mit den Tränen kämpfte.

„Ich würde gerne auch mal das Anziehen dürfen, was ich mag …“ schimpfte Peter und sah Anna dabei mit großen, traurigen Augen an. „So wie Du – ‘ne coole Latzhose oder auch gerne mal was von Adidas! Ich mag Adidas auch am meisten leiden, Anna – genauso wie Du. Meine Adidas Turnschuhe haben sie mir in der Schule geklaut – obwohl die auch schon alt waren. Hat Riesenärger mit Mama gegeben, ‘ne Woche Stubenarrest und zur „Belohnung“ durfte ich einen ganzen Monat mit kaputten No-Name-Schuhen zur Schule, egal ob es geregnet hat und meine Füße nass wurden.“

„Wobei …“ schluckte Peter, nahm Anna zur Seite und ging mit ihr in eine ruhige Ecke, wo sie ungestört von mir und seinem Papa waren. „… das schlimmste ist …“ Peter fing an zu weinen und sah dabei Anna tief in die Augen „… dass ich für jede kleinste Kleinigkeit von Mama eine gelatscht kriege, mit der rechten Hand einmal volle Kante auf die linke Backe. Das tut immer so weh, Papa weiß das zwar, macht aber nichts, weil er Angst hat, dass ich dann nicht mehr zu ihm darf. Aber sag bitte nichts, Du machst es sonst nur noch schlimmer!“ –„Schon ok“ sagte sie, nahm Peter in den Arm und knuddelte ihn von oben bis unten einmal komplett durch. Zum Schluss gab‘ sie ihm einen leichten, liebevollen Klaps auf den Lederhosenpopo und sagte „wird schon wieder!“

„Aua“ rief Peter laut grinsend, was mich aufschreckte und dafür sorgte nach den Kindern zu schauen. „Ich hab‘ Peter ‘nen lieb gemeinten Klaps auf seinen süßen Lederpopo bekommen!“ – „Das machen die in der Schule auch immer, wenn ich mal ‘ne Woche bei Papa bin und die Lederhose zur Schule anziehen muss. Das mag ich nicht – die hänseln mich immer, wenn ich die an habe. Jeder von den Jungs will dann mal drauf klatschen – die Mädels finden das immer blöd und machen nicht mit. Wobei die Mädels dürften durchaus …“ – „Dann darf ich also?“ – „Du sowieso, Anna – Du bist total anders als die anderen Jungs und Mädchen bei mir auf der Schule, Du bist so lieb zu mir, ich mag Dich!“ Und schupps hatte Peter noch einen liebevollen Klaps auf seinem Lederhosenpopo, woraufhin er Anna einen ebenso liebevollen Klaps zurückgab. Beide grinsten und die Tränen, die Peter zuvor noch vergossen hatte, waren erst mal wieder vergessen.

In der Regalabteilung notierten wir das Fach für Annas Billy Regal und machten uns nach einem ausführlichen Bummel durch die Ausstellung und durch die Kramsabteilung, wo wir die obligatorischen Teelichte und noch ein bisschen weiteres Kleinzeugs gekauft hatten, auf dem Weg zum Regal, wo das eingepackte Billy-Regal stand und von dort aus weiter in Richtung Kasse. Das kleine Billy Regal war gerade noch so kompakt und leicht, dass Anna und ich es tragen konnten und wir es uns zutrauten, es mit Straßenbahn, Zug und Bus heile nach Hause zu bekommen.

„Och, das geht schon!“ sagte ich zu Peters Papa, „das haben wir schon ein paar Mal so gemacht. Solange die Teile nicht allzu lang sind, kriegen wir die mit. Das geht schon!“ – „Du Mami?“ – „Ja, Anna, was ist denn?“ – „Es ist schon Mittag durch, ich hab‘ Hunger!“ – „Ich auch!“ rief Peter und sein Papa und ich waren uns einig, dass wir nochmal zum Mittagessen ins Restaurant gehen. „Wir wollen aber lieber zu Mc Donalds …“ quengelte Peter und sah dabei seinen Papa mit großen Dackelaugen an. „Hast Du mir heute Morgen versprochen als Belohnung, dass ich die Lederhose nochmal angezogen habe …“ Soso, dachte ich – damit wird also geködert. Und Anna rief „Au ja, bei Mc Donalds waren wir auch schon lange nicht mehr – da möchte ich auch lieber hin!“

Peters Papa und ich schauten uns kurz in die Augen und ich sagte trocken zu ihm „Versprochen ist versprochen, wenn Du ihn schon damit lockst, musst Du es auch halten! Sonst wird Peter Dir beim nächsten Mal zu Recht die Lederhose vor die Füße werfen!“ Er brauchte wohl den Schubs und mir war es eigentlich egal, ob es Fast Food von Ikea oder Mc Donalds werden würde. Preislich spielte das auch keine große Rolle und da ich die Woche über durchaus darauf achte, dass Anna und ich uns trotz knapper Kasse gesund und frisch ernähren, war es auch kein Problem, mal wieder zu Pommes, Burger und Cola zu greifen, an statt zu Salat, Obst und Saftschorle. Peters Papa sah das übrigens genauso, obwohl ich ihn eher für den Typen hielt, der sich gut und gerne von Pizza, Tiefkühlkost und Mikrowellenessen ernährte. Wobei Peter wiederum für sein Alter recht schlank und dürr war, was aber wohl daran lag, dass für Süßigkeiten auch bei denen kaum Geld übrig war.

Wir gingen also gemeinsam zur Kasse. Ich zahlte unser Regal und den Kleinkrams, Peter und sein Papa hatten nichts gekauft. Sie waren aber ausführlich durch die Kinderzimmerabteilung gegangen und hatten nach neuen Möbeln für Peters Zimmer bei Papa Ausschau gehalten. Die aktuellen Sachen waren allesamt bunt durcheinandergewürfelt aus verschiedenen Sperrmüllaktionen zusammengesammelt, was beide, Vater und Sohn gleichsam störte. Zumindest ein neuer Schreibtisch und ein eigener Kleiderschrank für Peter wären dringend erforderlich, aber auch dafür reichte scheinbar im Moment das Geld nicht aus. „Oh ja, neue Möbel und die alten auf den Sperrmüll, das wäre cool“ grinste Peter. „Dann kannst Du meine Lederhose hier direkt dabei packen – ich will unbedingt sehen, wie die im Müllwagen verpresst wird!“

„Blödsinn“ rief Anna, „die ist doch viel zu schade dafür! Ich find die richtig geil – die musst Du unbedingt beim nächsten Mal wieder anziehen, Peter! Und bloß nicht wegwerfen, und erst recht nicht auf dem Müll. Du spinnst wohl!“ Anna schaute ihn richtig böse an. „Echt jetzt? Nee, ich bin froh wenn die endlich weg ist …“ Anna versuchte noch, Peter zu belabern, aber er erwies sich als durchaus beratungsresistent. Sie hatte das Gefühl, dass er es ernst meint – hatte jedoch auch Angst, dass er die Lederhose nicht noch einmal anziehen würde. „Ich hab‘ doch ganz klar gesagt, dass Du die noch mindestens bis zum Frühjahr anziehen musst“ meinte sein Papa ärgerlich. „Und jetzt Schluss mit der Diskussion, sonst überlege ich es mir doch noch mal mir Mc Donalds.“ „Dann schmeiß ich die halt selbst in die Tonne …“ – „Peter, jetzt ist gut! Solltest Du das wagen, gibt es richtig Ärger – nicht nur von mir, sondern auch von Mami. Und Du weißt ja, was das bedeutet?“ „Schon gut … Brauchst Dich ja nicht gleich wieder aufzuregen, Papa. Ist ja zum Glück nicht mehr lange bis zum Frühjahr!“ – „Überleg Dir das doch nochmal, Peter!“ meinte Anna sehr eindringlich. „Dann ziehst Du die halt mir zu Liebe an! Ich find Dich doch total süß darin!“ Süß – das war das Wort, was Peter wohl am meisten hasste. Omi fand ihn auch immer total süß in Lederhosen, früher, als er noch nicht mal im Kindergarten war, geschweige denn zur Schule ging.

Peter hatte inzwischen wieder den Reißverschluss an seinen alten, dunkelroten Anorak zugemacht, so konnte man wenigstens seine abgegriffenen Hosenträgerchen nicht mehr sehen, die am Ende auch typischerweise abgenagt waren. Kinder müssen wohl echt alles in den Mund stecken, Anna knabbert auch immer gerne an den Bändern ihrer Kapuzenpullis rum. Inzwischen mopse ich ihr ab und zu schon mal die Bänder daraus, obwohl die eigentlich ganz praktisch sind, zumal Anna durchaus die Kapuze von den Pullis auch mal aufsetzt. Besonders genervt hatte es mich damals an ihrem roten Kapuzennicki, da hatte sie ‘ne Zeit lang ständig die Bänder zwischen den Zähnen – glücklicherweise hatte der lilane, den sie danach hatte, erst gar keine mehr. Da hatte sie dann nichts mehr zu knabbern, was dazu führte, dass sie den Pulli noch weniger leiden mochte.

Nach dem Bezahlen holten Anna und ich unsere Anoraks und zogen die wieder an. Draußen war es noch gut nass, es hatte aber zum Glück aufgehört zu regnen. Von Ikea bis nach Mc Donalds war es nur ein kurzer Fußweg, Peters Papa und ich trugen das Regal, Anna und Peter wechselten sich beim Tragen der Krimskramstüte ab. „Cooler Anorak, wo hast Du denn den noch her?“ fragte Peters Papa. „Ach, der ist schon uralt – war mal von C&A, der ist noch aus meiner Schulzeit. Hab’s nie übers Herz gebracht, ihn zu entsorgen. Der passt immer noch und fällt nicht auseinander, ist zwar etwas schmuddelig und müsste mal wieder mit in die Wäsche!“ „Der gefällt mir, genauso wie Deine Latzhose – siehst echt cool darin aus, das mag ich!“ – „Oh, danke!“ sagte ich.

Den meisten Typen, die ich bislang kennengelernt hatte, war es egal, wie ich angezogen war. Wenn sie mich jedoch in Latzhosen gesehen hatten, ließen sie ließen gerne mal durchblicken, dass sie meinen Style langweilig, fast schon kindisch fanden. Auf keinen Fall fanden sie es auch nur im Ansatz attraktiv. Latzhosen polarisieren halt, entweder man mag sie, oder eben nicht. Die meisten Männer mochten sie irgendwie nicht – sie assoziierten Latzhosen immer mit Hardcore-Öko-Mamis mit dunkelgrünem, politischem Anstrich. Oder sie hielten mich gleich für lesbisch. Aber ich war eigentlich genau das Gegenteil davon. Ich liebte meine Latzhose, weil sie so ungeheuer praktisch war und mir einen warmen Rücken sicherte, nicht aus irgendwelchen gesellschaftlichen oder politischen Interessen heraus.

Wir also rein bei Mc Donalds, mit dem Karton vom Billy Regal unterm Arm. Es war dort warm, zumindest deutlich wärmer als draußen und wir machten alle vier fast gleichzeitig unsere Anoraks auf. Das führte dazu, dass die junge Verkäuferin hinterm Tresen sich offenbar etwas erschreckt hatte, als sie plötzlich Anna und mich in Latzhosen vor sich sah. Sie grinste deutlich, ließ sich aber nichts weiter anmerken. Ich hatte den Eindruck, die Verkäuferin gehörte durchaus zu denjenigen, die Latzhosen nicht mochten – entweder, weil sie die Dinger als Kind oder Teenie tragen mussten, obwohl sie es nicht wollten, oder umgekehrt, sie wollten, aber nicht durften und deswegen jetzt alle hassten, die sie noch angezogen hatten. Die Kinder bestellten sich je eine Junior Tüte, ich ein Hamburger Royal Käse Menü (ohne Tomate und Salat) und Peters Papa bestellte sich einen Big Mac. Typisch Mann dachte ich, die nehmen immer einen Big Mac. Rasch bekamen wir unser Essen und suchten einen gemütlichen Platz im durchaus gut besuchten Restaurant.
AnnasMama
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Re: Anna

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Wir hatten alle zusammen viel Spaß bei Mc Donalds. Peter ging – wie nicht anders zu erwarten – recht grob mit seiner alten Kniebundlederhose um. Während Anna ihre fettigen Finger an der Servierte abputzte, rieb Peter seine dreckigen Hände ein paar Mal über seine Lederhose. Sein Papa schaute dabei etwas strenger, worauf Peter meinte „Ist doch nicht schlimm, kommt doch eh bald auf den Müll …“ – „Peter!“ ermahnte ihn sein Papa. „Schon gut … Ich sag ja schon nichts mehr!“

Aber in der Tat – so langsam müsste Peter sich auch bei mir von seiner ungeliebten Lederhose trennen. Die Trägerchen saßen so stramm, dass sie im Schulter- und Rückenbereich deutliche Spuren hinterließen und auch am Bauch saß die Hose äußerst knapp. Dass sich beim Setzen nicht platzte war allenfalls der guten Verarbeitung und der stabilen Nähte zu verdanken. Ne Jeans oder Kunstlederhose hätte da schon längst nachgegeben, von daher war es wahrscheinlich gar nicht mal so schlecht, dass er die immer noch anzog. Und ehrlich gesagt, bei mir würde das Teil auch über lang oder kurz in der Tonne landen, mit einer so engen Lederhose würde ich Anna jedenfalls nicht mehr vor die Türe lassen.

Nach dem Essen zogen Peter und sein Papa weiter. „Darf Peter heute Nachmittag zu uns kommen?“ fragte Anna. „Er und sein Papa wohnen ganz in der Nähe von uns. Wir wollen das Regal zusammenbauen!“ – „Klar, wenn er darf, warum nicht!“ Peter schaute kurz zu seinem Papa, der nickte zustimmend und sagte: „Aber spätestens um 19:00 bist Du wieder zu Hause!“ – „Na klar, passt!“ Ich schnappte mir zusammen mit Anna das Regal und wir zogen los. „Mami, meine Füße sind schon wieder nass …“ jammerte Anna und erinnerte mich daran, dass es mal an der Zeit wäre, für neue Winterstiefelchen.

Die, die sie jetzt an hatte, waren hellbraune, halbhohe Stiefel mit einem seitlichen Reißverschluss, der auch gerne mal klemmte mit flacher, geriffelter Gummisohle. Von der Farbe her waren sie deutlich heller wie ihre dunkelbraune Kunstleder-Latzhose, aber sie passten dennoch farblich ganz gut dazu. Über die Zeit hinweg waren die Stiefel natürlich auch vom Leder her völlig abgenutzt und unansehnlich geworden. Der tägliche Einsatz zur Schule und in der Freizeit haben deutlich ihre Spuren hinterlassen. Für Anna waren es normale Winterschuhe, nichts Besonderes – sie waren ja auch nicht mal teuer gewesen. Und nun, wo die Sohle komplett durch war, so dass Wasser und Feuchtigkeit durchziehen konnte, waren sie auch nicht mehr zu retten, zumal sie auch langsam zu klein wurden.

Im Schuhgeschäft angekommen fragte ich direkt an der Kasse, wo wir unseren Karton mit dem Billy-Regel kurz abstellen dürften. Das war gar kein Problem und wir hatten großes Glück – schnell fanden wir so ähnliche Stiefel noch einmal, allerdings sogar mit etwas gröberer Sohle. Und sie waren runtergesetzt, kosteten jetzt nur noch nicht Hälfte, was meinem knappen Budget durchaus gelegen kam. Anna probierte sie an, ihr gefielen die Stiefel auf Anhieb und wir gingen mit Annas alten Stiefeln und dem Schuhkarton in der Hand wieder zur Kasse, wo eine freundlicher Verkäufer auf uns wartete. „Oh, das junge Fräulein hat neue Stiefelchen bekommen und möchte die gleich anlassen?“ Anna nickte zustimmend und stellte demonstrativ ihre alten, ausgelatschten Treter auf den Tresen.

„Die alten können direkt hier bleiben, die können sie in den Müll werfen!“ sagte ich zum Verkäufer. Anna schaute mich etwas entsetzt an, meinte dann aber „Jau, stimmt – die Sohle ist durch, sonst hätte ich sie zu Hause direkt in die Tonne geworfen.“ Der Verkäufer griff die alten Stiefel, hob sie hoch und meinte „Die sehen ja gut aus, fast zu schade für die Tonne!“. Dann nahm er sie, zog den Abfalleimer unter dem Tresen hervor und man hörte sie dumpf auf dem Boden des Mülleimers aufschlagen. „Heute lassen fast alle ihre alten Schuhe zum Entsorgen hier, den ersten vollen Müllsack mit Schuhen hab‘ ich vor der Pause schon in die Mülltonne geworfen. Da waren diesmal echt schöne Schuhe dabei, was die Leute heute so alles wegschmeißen. Von fast neu bis total ausgelatscht war alles dabei, echt komisch …“

„Echt?“ fragte Anna neugierig den Verkäufer. „Waren da auch Adidas Sneakers bei?“ – „Haufenweise“ meinte der Verkäufer „aber die waren alle echt fertig. Die müffelten so richtig nach Schweiß, das war echt teilweise ekelhaft, diese versifften Dinger noch anzufassen. Ein Mädchen hat heute Morgen gegen den Willen ihrer Mami ihre total verdreckten, ausgelatschten, weißen Superstars hier lassen müssen – die tat mir echt leid, weil anstelle der Adidas gab’s nur die ganz billigen No-Name-Sneakers vom Restpostenständer. Ich geb‘ doch nicht noch einmal so viel Geld für Turnschuhe aus, so schnell wie Du die aufgebraucht hast, tun’s auch die billigen, meinte die Mami. Weinend zog das Mädchen von dannen und mir es war mir ein echtes Vergnügen die fertigen Dinger in den Müllsack zu werfen. Die hat echt traurig geguckt …“

Anna war echt erschrocken und ich schaute sie an und meinte „Weiße, dreckige Superstars hast Du doch auch noch, oder sind die schon mit weg?“ – „Nö, die sollten noch zu Hause stehen, Mami!“ – „Naja, dann weißt Du ja schon mal, was denen demnächst bevorsteht. Die sind dann nächsten Monat reif, wenn ich wieder etwas mehr Geld habe um Dir neue kaufen zu können. Und die Idee mit den billigen No-Names finde ich gar nicht so schlecht. Müssen ja nicht immer die teuren von Adidas sein, Peter hat ja auch keine …“

„Wenn dann wieder welche von Adidas, am liebsten weiße, nur bitte keine No-Names, ich geb‘ dann auch was von meinem gesparten dazu und helf‘ Dir auch wieder zu Hause!“ Auf einmal hatte ich wieder die liebste Tochter von der Welt vor mir stehen. War auch völlig klar, dass Anna keine No-Names mag, ich zieh ja schließlich auch am liebsten meine Adidas an. Aber das gab‘ in der Tat die Chance für interessante Koppelgeschäfte. Mal sehen, auf was sich Anna einlässt, wenn Adidas Schuhe wieder in greifbare Nähe kommen. Die Superstars jedenfalls sind fertig und eigentlich jetzt schon reif für die Tonne. Aber manchmal braucht es halt auch mal eine Verlängerung.

Wir bezahlten, schnappten uns wieder unser Regal und machten uns auf den Weg nach Hause. „Indoor Spezial hab‘ ich auch lange schon keine mehr gesehen“ murmelte der Verkäufer als wir raus gingen. Anna fühlte sich wohl in ihren neuen Stiefeln, endlich keine nassen Füße mehr. „Du Mami, war das gerade Dein Ernst?“ – „Was denn?“ – „Dass meine Superstars in die Tonne sollen?“ – „Ja, durchaus – spätestens nächsten Monat sind die weg, da gibt es keine Diskussionen! Und Deinen Kleiderschrank müssen wir auch mal wieder durchforsten, da hat sich auch wieder vieles angesammelt, was mit weg kann.“ – „Vielleicht ist ja für Peter was dabei?“ – „Glaub ich nicht, der trägt weder pinkfarbene Mädchenhosen noch Pullover mit Pferdemotiven drauf!“ Von denen hatte ich letztens eine ganze Tüte von ‘ner Freundin bekommen, die aber alle schon von der Größe her für Anna zu klein waren. Die warteten jetzt im Schrank auch auf die finale Entsorgung. Die Rückfahrt im Zug verlief ohne größere Vorkommnisse, ich hatte noch Kuchen gekauft, da Peter sich ja zum Nachmittag hin zu Besuch angekündigt hatte. Ich dachte die ganze Zeit an seinen Papa und ich hatte seit langem mal wieder das Gefühl von Schmetterlingen im Bauch, vom verliebt sein und träumte auf der Rückfahrt davon, Peters Papa wiederzusehen.
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Kaum waren Anna und ich nach der Zug- und Busfahrt wieder zu Hause angekommen, da klingelte es auch schon an der Türe. Anna flitzte in die Diele, erreichte den Türdrücker als erstes und machte auf. Und so stand er da vor uns, schüchtern und mit liebevollem Blick. Die alten Turnschuhe waren mindestens genauso fertig wie Annas Superstars, die Strümpfe schmuddelig und verfilzt, die dunkelgrüne Kniebundlederhose völlig verkratzt, dreckig, speckig und viel zu klein und der dunkelrote, glatte Anorak spannte auch schon sehr. Ein bemitleidenswerter Junge, etwa zwei Jahre jünger als Anna und einen guten halben Kopf kleiner als sie. Peters Klamotten sahen schlimm aus, aber ich durfte und wollte mich da nicht großartig einmischen, jedenfalls jetzt am Anfang noch nicht gleich. Zumal ich ihm im Moment auf nicht wirklich hätte weiterhelfen können: Annas roter Palomino-Anorak, der zwar auch völlig fertig, aber im Vergleich zu Peters geradezu neuwertig war, war vor kurzem in der Mülltonne gelandet und ist am gleichen Tag noch abgeholt worden und im Müllwagen verschwunden. Der wird schon zusammengematscht mit dem anderen Hausmüll in der örtlichen Müllverbrennungsanlage verheizt worden sein.

Ich hatte zwar wieder einiges an Anziehsachen von Anna und von meinen Freundinnen für Anna geschenkt bekommen, aber für Jungs war da echt nichts dabei – noch nicht mal was, was Jungen und Mädchen hätten gleichermaßen anziehen können. Von daher, selbst wenn ich aktuell gewollt hätte, hätte ich nichts machen können. „Hallo, da bin ich!“ sagte Peter freundlich und hing seinen alten Anorak an die Garderobe. „Na, dann komm erst mal mit in die Küche, bevor ihr mit dem Regal loslegt, ich hab‘ uns noch Kuchen gekauft und Kakao warm gemacht!“ An Kaffee traute sich Anna noch nicht heran, sie trank immer noch gerne Milch oder am liebsten Kakao. Genau wie Peter auch, er trank auch am liebsten Kakao. Ein komisches Gefühl beschlich mich: Hatte Anna sich jetzt eigentlich zum ersten Mal einen Jungen ins Haus eingeladen, den sie als Freund ansah? Oder führte sie was anderes im Schilde und sah Peter eher als den kleinen Bruder an?

Anna litt etwas darunter, dass sie Einzelkind war, dass sie – anderes als Marie und viele aus ihrer Klasse eben keinen großen Bruder oder kleine Schwester hatte. Und der Papa fehlte ihr sehr– den hatte ich damals in der Disco kennengelernt. Leichtsinnig wie ich damals war, hatte ich mit ihm – obwohl wir uns vorher noch nie gesehen hatten – auf dem Klo in der Disco gevögelt, ohne Gummi natürlich. War ein richtig geiler Fick, ein paar kurze, heftige Stöße im Beckenbereich. Er gab echt Gas und ging verdammt gut ab, während ich zu Led Zeppelins „Whole lotta love“ stöhnte, das gerade auf der Tanzfläche lief. Wir beide hatten unseren Spaß, ein kurzer, sehr teurer Spaß für mich, wie sich später rausstellte. Ich dachte, es würde vom Zyklus her noch passen, doch scheiße, da war‘s passiert – ich war schwanger! Zurückschicken mochte ich Anna auch nicht, trotz schwerer Zeiten damals im Studium. Ihren Papa habe ich danach nie wieder gesehen, außer seinem Vornamen weiß ich auch nichts mehr von ihm. Und vermutlich weiß er auch nicht, dass er eine Tochter hat.

Was ich von Peter und seinem Verhältnis zu seiner Mama mitbekommen hatte, machte mich traurig und wütend zu gleich. Ich kann Anna doch nicht dafür verantwortlich machen, dass ich damals so leichtsinnig war. Natürlich war ich jung, vielleicht auch etwas zu jung, aber wir haben es zusammen geschafft. Und ich liebe mein Kind, ich liebe Anna wie eine Mutter nur ihr Kind lieben kann. Auch wenn ich vielleicht manchmal etwas hart mit ihr umgehe, auch wenn sie ab und zu auch mal eine gescheuert bekommen hat – will ich ja gar nicht abstreiten. Aber ich war immer gerecht zu ihr, ungerecht behandelt habe ich sie nie. Da waren wir uns jedenfalls einige drin. Auch wenn es manchmal finanziell arg knapp war, und ich immer noch froh bin, wenn mir eine meiner Freundinnen ‘ne Tüte „Altkleider“ für Anna in die Hand drückt, kommen wir doch beide mehr schlecht als recht über die Runden.

Anna mochte Peter, die beiden waren so, als ob sie sich schon eine Ewigkeit kannte, dabei hatten sie sich doch erst heute Morgen kennengelernt. Peter war ruhig beim Kuchen essen, entscheid sich für das Stückchen Schokoladenkuchen, was ihm offenbar sehr lecker schmeckte. Ab und zu zupfte Peter an seinen viel zu engen Hosenträgerchen herum. Am liebsten hätte ich sie ihm etwas lockerer eingestellt, aber sie waren schon im letzten Loch – und ganz abmachen wollte ich sie auch nicht, wollte ja nicht gleich am ersten Tag Ärger mit seinem Papa bekommen. Ich hatte auch echt den Eindruck, er fühlt sich unwohl in seiner Lederhose. Die war aber auch einfach viel zu abgetragen, richtig schäbig und viel zu klein. Eigentlich hatte der Kleine Recht und das Ding gehörte so schnell wie möglich in den Container oder besser direkt auf den Müll. Aber da konnte und wollte ich erst mal auch nichts machen.

Wobei Anna ihn genauso mochte, wie er jetzt hier in der Küche saß. Anna hatte jedes Mal bei Ikea Ausschau gehalten nach Jungs in Lederhosen. Immer gingen wir enttäuscht nach Hause, immer war Anna traurig, dass sie ihren „Märchenprinzen“ wieder nicht gefunden hatte. Und diesmal hatten wir sogar Glück im Doppelpack, mit ein wenig Glück könnte sich auch zwischen mir und seinem Papa was entwickeln, ich war jedenfalls grundsätzlich nicht abgeneigt.

Nach dem Kakaotrinken und Kuchenessen verschwanden beide in Annas Zimmer, packten das Regal aus und bauten es gemäß Anleitung auf. Da Anna und ich schon mal ein Billy-Regal zusammengebaut hatten, klappte der Zusammenbau ganz gut. Ich war noch in der Küche und im Wohnzimmer beschäftigt, hörte aber keine verdächtigen Geräusche. Einmal schaute ich kurz ins Zimmer rein und sah beide auf den Knien durchs Zimmer rutschen. So ‘ne Lederhose ist ja doch ganz praktisch und bekam auf einmal Mutterinstinkte für Peter. Ich möchte Peter auch, so einen lieben Jungen hatte ich in Annas Freundeskreis lange nicht mehr erlebt. Am liebsten würde ich Montag losziehen um ihm neue Klamotten zu kaufen. Aber selbst bei Usedtex hatte ich keine Lederhosen gefunden, die in seiner Größe wären. Ich hoffte, es würde Anna zum Sommer hin leichter fallen, sich von ihrer kurzen Lederhose zu trennen wenn ich ihr vorschlage, dass die vielleicht noch was für Peter wäre. Aber so sehr, wie er Lederhosen hasst, wird er bestimmt dankend ablehnen.

Gegen halb sieben machte Peter sich auf dem Heimweg – ich ließ mit einem weinenden und einem lachenden Auge ein glückliches und ausgeglichenes Kind wieder zurück zu seinem Vater, weil ich wusste, er hatte Spaß und sich mit Anna so richtig gut verstanden. Nicht ohne Grund bat ich ihn, kurz anzurufen, wenn er zu Hause angekommen war. Ich hatte jetzt schon Sehnsucht nach seinem Papa und ich wollte auch ihn unbedingt wieder sehen. Und es war mir egal, ob mit oder ohne die Kinder, aber ich war so richtig schön wuschig, wenn ich nur an die beiden dachte. Keine halbe Stunde später klingelte auch schon das Telefon, Peter meldete sich wie besprochen zurück und meinte, dass sein Papa auf jeden Fall später noch mal anrufen wolle, wenn er im Bett sei. Aber nur, wenn er dürfe, er wolle ja schließlich nicht aufdringlich sein. Gewonnen, dachte ich innerlich – wenn er nochmal anrufen möchte, sind die Chancen, dass sich etwas ergeben könnte ja doch nicht wieder gleich Null.
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Ich machte noch ein paar Brote zum Abendessen für Anna und mich und dann kuschelten wir uns zusammen auf der Couch durchs Fernsehprogramm. Irgendeine Quizsendung im Zweiten, lustig, aber halt so, dass wir nicht ständig superkonzentriert zusehen mussten. Liebevoll streichelte ich Anna über ihren Rücken, über das weiche Kunstleder ihrer Latzhose und sie sagte nur „Schön, Mama, weitermachen bitte …“ was ich dann auch tat. Gleichzeitig rutschte sie mir ihrer rechten Hand zwischen Rückenlatz und meinem schwarzen Kapuzennicki, den ich immer noch an hatte. Irgendwie sind die ja doch schön weich, die Nickis. Aha, dachte ich, was ist denn nun los? Anna begeisterte sich plötzlich für Nickis, die sie sonst immer nur äußerst widerwillig angezogen hatte.

„Dir steht der schwarze Kapuzennicki echt gut, Mama! Schade, dass Du meine beiden damals mit weggeschmissen hast!“ – „Wie kommst Du denn jetzt da drauf?“ – „Na, die wären bestimmt was für Peter gewesen, der rote hätte prima zu der Lederhose gepasst. Die sah ja mal richtig geil aus – so eine würde ich ja auch noch anziehen wollen!“ – „Naja, Du hast ja noch Deine Kurze, vielleicht passt die ja noch zum Frühjahr hin, ansonsten …“ – „Ansonsten was? Nee, die werfe ich bestimmt nicht zusammen mit Peters Lederhose auf den Sperrmüll Schade, dass Peter seine nicht mehr so leiden mag – ich find die richtig gut und hoffe, beim nächsten Mal zieht er die wieder an! Das würde ich mir jedenfalls wünschen!“

„Ich weiß nicht“ sagte ich nachdenklich zu Anna. „Die ist doch eigentlich viel zu eng – lange wird ihm die bestimmt nicht mehr passen, die ging ja jetzt schon am Bauch kaum noch zu. Und hast Du gesehen, wie eng die Trägerchen waren. Der hatte bestimmt heute Abend dicke Striemen auf dem Rücken – wenn das mal keinen Ärger für ihn gibt. Aber für so ’nen Rabauken wie Peter genau das richtige von daher fand ich ihn in seiner abgetragenen Lederhose auch echt knuffig! Ich hätte sie ihm wahrscheinlich bei dem Wetter auch noch mal lieber angezogen, als ‘ne Jeans. Aber ein wenig verstehen kann ich ihn auch, dass er die nicht mehr leiden mag, so eng und speckig wie die ist. Schön ist anders!

„Stimmt auch wieder, Mami – aber ich mag’s so! Ich find‘ Peter sieht echt rattig darin aus! Passt zu ihm, der hat’s doch eh faustdick hinter den Ohren! Und er mag meine Lederlatzhose – und knuddelbedürftig ist er, so was hab‘ ich auch schon lange nicht mehr erlebt. Das kribbelte im Bauch – und nicht nur bei mir, auch bei Peter spürte ich was …“ – „So, was denn?“ – „Seine Hose wurde plötzlich noch enger, wenn Du weißt, was ich meine …“ – „Verstehe!“ grinste ich und mir war damit auch klar, dass ich es fortan nicht mehr mit zwei kleinen braven Kindern zu tun haben werde, sondern mit welchen, die gerade auf dem Erwachsen werden in ihre erste große Liebe schlendern. Ich beneidete Anna und Peter, hoffte aber gleichzeitig auch auf die große Liebe bei mir. Ich war aufgeregt und gespannt, wann sein Papa sich denn endlich melden würde. Ich vermutete nach der Gameshow im Fernsehen, die wird er wohl auch zusammen mit Peter schauen. Von daher hätten beide ja auch einfach den Abend bei uns verbringen können, wobei das vielleicht sogar etwas viel auf einmal gewesen wäre.

„Trotzdem müssen wir irgendwie verhindern, dass Peters Lederhose auf dem Müll landet! Da ist die doch echt zu schade für! So selten wie die geworden sind!“ – „Na, dann hast Du ja fürs nächste Mal ‘ne Aufgabe, Anna! Dann darfst Du gerne Überzeugungsarbeit leisten! Aber so wie ich Peter einschätzte, freut der sich jetzt schon auf die nächste Sperrmüllaktion und wird nicht eher Ruhe geben, bis dass das Teil mit dem anderen dreckigen Müll zusammen gepresst wird!“ Anna sah mich mit ernstem Blick an: „Ja, das hat er auch gesagt, ich hoffe nur, das war ein Scherz!“ – „Aber selbst bei der Altkleidersammlung wäre die ein hundertprozentiger Kandidat für den Reißwolf – die sortiert da auch niemand mehr aus, die wird ohne große Beachtung ruckzuck geschreddert und das war’s dann!“ – „Och nö, muss nicht sein – dafür sind die doch viel zu selten geworden!“ – „Naja, es zieht sie aber auch kaum noch jemand an!“ – „Stimmt auch wieder, Mami! Deshalb freu ich mich ja so sehr, dass Peter seine noch trägt! Hoffentlich passt die im Frühjahr noch, dann zieh ich meine kurze an und er seine dreiviertellange. Das wäre cool!“

Anna war müde und hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen. Sie lag in ihrer Kunstlederlatzhose auf dem Bauch auf dem Bett und träumte vor sich hin. „Kannst Dich dann auch so langsam mal fürs Bett fertig machen“ sagte ich zu ihr als ich das Telefon klingeln hörte. „Frankie hier, Peters Papa! Bist Du es?“ „Ja – schön von Dir zu hören. War ein toller Tag mit Euch beiden!“ „Ja, stimmt – Peter war auch total begeistert, Du und Anna waren so lieb zu ihm, sagte er. Er hat sich bei Euch richtig wohl gefühlt und machte einen richtig zufriedenen Eindruck wie lange nicht mehr! Und ich bin ich auch seit langem mal wieder richtig glücklich: Du siehst ja zum Anbeißen süß aus in Deiner Latzjeans! Die steht Dir echt gut! Ziehst Du die eigentlich noch öfters an?“

Ich hatte mit der Frage gerechnet und war mir durchaus bewusst, dass ich mit meinem rattigen Äußeren Eindruck bei Frankie hinterlassen hatte. Aber genau das wollte ich auch – wenn nochmal ‘nen Kerl, dann muss der mich auch so kennenlernen, wie ich bin, dann muss der mich und meine Klamotten mögen und nichts anderes von mir erwarten. Offenbar hatte ich diesmal endlich den richtigen erwischt. „Ach weißt Du, die hat jahrelang im Schrank gelegen und ich hab‘ sie wieder vorgekramt, als Anna mal ‘ne olle Latzi von ihrer Freundin mitgebracht hat. Seit dem trage ich die wieder öfters!“ – „Die ist echt klasse, die gefällt mir an Dir! Ich mag Frauen wie Dich, die sich auch mal was trauen, die auch mal was Außergewöhnliches anziehen, was nicht jede trägt! Und vor allem: Du kannst das auch gut anziehen!“

Oh ha, Frankie schwamm volles Rohr auf der Komplimentewelle und hatte mich genau auf dem richtigen Fuße erwischt. Ich hatte also endlich mal einen Kerl kennengelernt, der auch Latzhosen mochte – die meisten anderen hatten mich immer mitleidsvoll angeschaut und gefragt, warum ich denn in Arbeitskleidung zum Date kommen würde – ob ich keine Zeit mehr zum Umziehen gehabt hätte. Aber bei Frankie wusste ich, da kann ich mich auch beim nächsten Mal in Latzhose sehen lassen – und da er selber auch Leder trägt, würde er wahrscheinlich auch nichts dagegen habe, mich in Lederjeans zu sehen. Heute hatte also nicht nur Anna ihren ersten Traumprinzen gesehen, sondern mir war er auch begegnet. Ein Sechser im Lotto mit Zusatzzahl – vielleicht aber auch Super-6.

„Wie sieht’s denn bei Dir mir Morgen aus, wollen wir uns nachmittags auf ‘nen Kaffee treffen? Peter geht mit den Kumpels kicken und ich hab‘ noch nichts vor!“ Bingo, dachte ich – mehr wolltest Du doch gar nicht. „Klar, gerne. Anna ist eh morgen Nachmittag bei ihrer Freundin, 15:00 Uhr im Café am Park?“ – „Jau, passt. Dann bis morgen!“

Spätestens jetzt hatte ich echte Schmetterlinge im Bauch. Anna war inzwischen im Bett verschwunden und eingeschlafen, schließlich hatten wir auch fast noch ‘ne Stunde miteinander telefoniert. Ich zog mich aus, ging auch schlafen und freute mich wie Bolle auf Morgen. Seit langer Zeit mal wieder ein verheißungsvolles Date.
AnnasMama
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Re: Anna

Beitrag von AnnasMama »

Es sollte nochmal ein richtig warmer Sonntag werden, jedenfalls knallte schon früh morgens die Sonne so dermaßen durchs Fenster, dass Anna – die zuerst wach geworden und aufgestanden war – sich entschieden hatte, ihre alte, kurze Glattlederhose, die sie letztens von Marie mitgebracht hatte, anzuziehen. Darunter trug sie ein schlichtes, schwarzes Muskelshirt, was sie mir offenbar auch irgendwann mal aus dem Schrank gemopst haben musste. Jedenfalls war mir nicht bewusst, dass ich ihr es mal gegeben hätte. Wie dem auch sei, Anna hatte sich an diesem Sonntagmorgen schon liebevoll ums Frühstück gekümmert, wie sie es gerne sonntags macht: Kaffee und Frühstückseier gekocht, beim Bäcker frische Brötchen geholt, Butter, Milch und Orangensaft bereitgestellt, als sie mich gegen 10:00 Uhr liebevoll mit einem Küsschen geweckt hat.

„Frühstück ist fertig – es gibt frische Brötchen“, sagte sie freudestrahlend. „Sag bloß, Du warst so in kurzer Lederhose beim Bäcker? Anna …“ „Warum denn nicht, Mami – die waren alle ganz locker dort! Die Verkäuferin fand mich total süß und ich hab‘ sogar noch ein „Kinderbrötchen“ für umme bekommen!“ sagte sie und hielt sich dabei mit den Händen an den Hosenträgern fest. „Klar, so wie aussiehst auch kein Wunder!“ grinste ich und krabbelte aus dem Bett. „Du musst heute auch mal Deine kurze Lederhose anziehen, Mami! Komm, bitte – ich hab auch Frühstück gemacht!“

Ich zierte mich ein wenig – wenn Anna wollte, dass ich was Spezielles anziehe, dann führte sie immer was im Schilde. Zwar wusste ich noch nicht was, aber ich ließ mich auf den Deal ein, zog ebenfalls ein altes, verwaschenes T-Shirt an und dazu meine kurze Lederhose mit Hosenträgerchen, die ich bei UsedTex mitgenommen hatte. Annas kurze Lederhose saß ja schon eng bei ihr, aber ich hatte durchaus den Eindruck, dass – relativ gesehen – meine noch ein gutes Stückchen enger war. „Gefällst mir gut!“ gab mir Anna als Kompliment zurück – und wenn ich meiner Tochter schon gefalle, dann soll das was heißen. „Siehst richtig heiß aus!“ Wahrscheinlich wollte Anna mir auch nur Honig um den Bart schmieren, weil sie genau wusste wie eng meine kurze Lederhose saß. Wenn ich meine noch anziehe (obwohl sie kaum noch passt) dann werde ich wohl kaum etwas sagen können, dass Annas es auch bald hinter sich haben würde.

Wir genossen beide das Frühstück und dann rückte Anna so langsam aber sicher mit dem heraus, was sie vorhatte: „Du Mami, heute ab 11:00 Uhr ist Riesenflohmarkt im Schlosspark! Lass uns da hingehen! Wir beide in kurzer Lederhose, das wär‘ doch was bei dem geilen Wetter?“ Ich musste kurz schlucken, wusste aber sofort, dass wenn Anna sich was in den Kopf gesetzt ich keine Chance mehr hatte. „Mami, bitte …“

Ich fand die Idee auf der einen Seite total blödsinnig und kindisch, auf der anderen Seite hatte ich aber auch Lust mal genauso nach draußen zu gehen. Und in der Tat, der Flohmarkt schien mir da geradezu geeignet für. Da liefen immer Typen in schrägen Klamotten rum und auch das ein oder andere Mädel trug Sachen aus einer anderen Zeit. Hauptsache Anna war glücklich. Insgeheim hoffte ich nur, dort nicht auf Frankie zu treffen – doch da machte Anna mir schon einen Strich durch die Rechnung: „Dann brauchst Du Dich für heute Nachmittag ja auch nicht mehr umzuziehen!“ meinte Anna, als wir losliefen. Sie in ihren alten, weißen Sneakern – ich in meinen allzeit geliebten Adidas Indoor Spezial, die ich noch aus der Schulzeit ins jetzt und hier hinüber gerettet hatte.

Flohmarkt ist doch immer wieder was feines, wobei ich mir doch etwas komisch in meinem Outfit vorkam. Anna störte das aber nicht im Geringsten, dass wir beide die gleichen Klamotten an hatten und dass unsere beiden Lederhosen eigentlich viel zu eng waren. Wir strömten durch die Reihen, es war nochmal richtig schön warm geworden. Genau richtig für kurze Hose und T-Shirt. Und vielleicht sollte ich Frankie doch mit der kurzen hier überraschen – wenn er die genauso mag wie meine Latzhose, die ich gestern zu Ikea an hatte, ist doch alles im grünen Bereich. Und wenn nicht, dann halt Pech gehabt, ich spiele nun mal gerne mit offenen Karten. Entweder nimmt er mich so wie ich bin, oder halt gar nicht – und dann muss natürlich noch die Chemie zwischen Anna und ihm passen. Und uns gibt’s sowieso nur im Doppelpack: Zwei völlig durchgeknallte Mädels halt mit ziemlich eigenwilligem Klamottengeschmack.

Was Klamotten für Anna oder mich anging, war es mal wieder Fehlanzeige. Es gab zwar ohne Ende gebrauchte Anziehsachen, Jeans, Pullis, Anoraks, Schuhe, Stiefel – alles, was das Herz begehrt. Entweder total schrottig und völlig verbraucht, oder nicht unsere Größe, auf jeden Fall jedoch viel zu teuer. Hier kosteten die vergleichbaren Sachen mindestens das Drei- bis Fünffache wie bei Kids&Teens oder sogar UsedTex. Echt irre, was manche Mamis noch für Sachen haben wollen, die Anna nicht mehr anziehen würde (weil sie entweder dreckig oder kaputt sind) und ich sofort in die Tonne und nicht mehr auf den Flohmarkt befördern würde.

Da waren Stiefel dabei, die waren schlechter im Zustand als Anna sie gestern im Schuhladen weggeworfen hatte. Und die Mami hinterm Stand wollte im Ernst noch die Hälfte von dem haben, was Annas neue Stiefel gekostet hatten. Echt krass – und die ließ noch nicht mal mit sich handeln. Genauso bei Pullis – haufenweise alte Adidas Oberteile, die wohl von Jogginganzügen übrig geblieben waren, nachdem die Hosen an den Knien durchwaren. Eigentlich schöne Dinger, nur entweder so fleckig, dass die selbst bei hartnäckigem Waschen nicht mehr rausgehen oder irgendwo die Naht auf. Geschenkt wären die ja ok, aber dafür noch Geld ausgeben? Das waren sie selbst Anna nicht wert.

„Guck mal da, Mami! Wäre die nicht was für Peter?“ Anna hatte eine alte Kniebundlederhose entdeckt, die in der Tat von der Größe her Peter passen könnte. Auch die war an den Knien und am Po total zerkratzt, so wie das halt bei gerne getragenen Lederhosen üblich ist. Ein kleines, Stecknadelkopf großes Loch kam am rechten Knie noch dazu, und irgendwo war auch schon die Naht losgegangen. Ob der Reißverschluss noch tat, probierte ich vorsichtshalber gar nicht erst aus. Die Hosenträgerchen waren gammelig, die Enden auch hier leicht angeknabbert – eine Lederhose, die so wie sie aussah bei UsedTex (obwohl sie aus feinem, weichen Nappaleder war) garantiert unbeachtet ihre letzte Reise geradewegs in den Schredder angetreten hätte. Und das durchaus zu Recht, wie Anna und ich einstimmig fanden. Dass sie fast die Hälfte von dem kosten sollte, was Lederhosen zu der Zeit wo sie noch in den Geschäften zu finden waren, gekostet haben, fanden wir beide echt unverschämt. Bei UsedTex hätte ich die für eine Kleingeldspende in die Kaffeekasse retten können, und ehrlich gesagt, viel mehr war sie auch nicht wert. Wenn schon eine für Peter, dann entweder geschenkt (dann ist auch der Zustand egal), oder halt was neuwertiges, damit der Kurze auch Spaß dran hat. Aber so nicht …

Vom Flohmarkt bis zum Café, wo Frankie und ich uns treffen wollten, war es ein kurzer Spaziergang. Nebenan war ein großer Kinderspielplatz mit Rutschbahn, Sandkasten und allem was so dazu gehört. Anna hatte sich dort mit Peter verabredet – beide wollten sich dort (obwohl schon fast etwas zu alt für den Kinderspielplatz) einen schönen Nachmittag machen. Das Café und der Kinderspielplatz lagen auf dem Gelände eines alten, stillgelegten Stahlwerks, welches inzwischen als eine Art Freilichtmuseum genutzt wird. Eigentlich wenn man es streng sieht, ein großer Kinderspielplatz auch für große und nicht nur für kleine Kinder.

Obwohl die Sonne schien und es ein warmer Nachmittag war, war dort nicht viel Betrieb. Im Café konnte man locker draußen sitzen, auch in kurzer Hose und T-Shirt. Die Sonne knallte so richtig und es war ein wunderschöner, verheißungsvoller Nachmittag. Peter entdeckte Anna zuerst und stürmte direkt auf ihn los. Er trug ein altes, knallrotes, T-Shirt zur Lederhose, die er schon gestern nach Ikea an hatte. Dann sah Frankie mich, ging auf mich zu, knuddelte mich von oben nach unten einmal komplett durch und sagte „Du siehst ja mal richtig geil aus – die Kurze steht Dir echt gut! Man, wie lange ist das her, dass ich zuletzt ‘ne Frau in so einem geilen Outfit gesehen habe! So mag ich Dich, so gefällst Du mir!“

Mir fiel echt ein Stein vom Herzen – ich hatte schon fast befürchtet, dass Frankie sich wortlos umdreht, anfängt kreischend zu lachen und sich dann schnurstracks vom Acker macht. In der Zwischenzeit zogen die Kids ab zum Spielplatz und Frankie und ich saßen bei einem Milchkaffee draußen und ließen uns die Sonne auf den Pelz scheinen. Schon bei der Begrüßung hatte ich gemerkt, da geht heute noch was – Frankie war scharf auf mich, das spürte ich. Seine Blicke sagten alles, so verliebt wie er mich an sah, schaute ich zurück. Ich hatte Schmetterlinge im Bauch – so wie seit Jahren nicht mehr. Nachdem ich mich damals von Annas Papa getrennt hatte, hatte ich keine Beziehung mehr – vielleicht ein paar Mal Sonntags Morgens Resteficken in der Disco, während Anna zu Hause schlief, mehr aber auch nicht. Und selbst das war inzwischen schon was her. Nie hat sich aus sowas auch nur ansatzweise was ergeben. Heute jedoch war ich echt rollig, und hätte Frankie am liebsten an Ort und Stelle vernascht. Aber ich wollte ja auch nicht gleich mit der Tür in Haus fallen, wie man so schön sagt.

Also quatschten wir erstmal über Gott und die Welt, über unseren Vormittag auf dem Flohmarkt und darüber, dass wir fast ‘ne Lederhose für Peter gekauft hätten. „Rausgeschmissenes Geld“ meinte Frankie, entweder gibt es irgendwann nochmal eine geschenkt, oder ansonsten Pech gehabt. Geld ausgeben dafür, um Himmels willen, nein, bloß nicht. Peter kann die solange es geht noch anziehen und dann geht die mit in die Tonne. Nur in den anderen Klamotten, die meine Ex ihm sonst anzieht, sieht er noch schlimmer aus – kaputte und dreckige Jeans sind da an der Tagesordnung. Da haben wir beide uns halt auf die Lederhose geeinigt, er mag die zwar nicht wirklich, trägt sie aber lieber als eine dreckige Flickenjeans … Ist halt ein echter Junge!“

„Gehen wir zum Sonnenuntergang auf den High 5?“ wollte Frankie wissen. Ich kannte den Hochofen des Stahlwerks, von oben hat man einen wunderbaren Blick auf die Umgebung. „Lassen wir die Kinder auf dem Spielplatz“ sagte ich nicht ohne Hintergrund. Frankie willigte ein und wir machten uns auf den Weg nach oben. Es war nicht mehr viel Betrieb am ehemaligen Stahlwerk und auf der Aussichtsplattform standen noch ein paar andere Leute und warteten auf den Sonnenuntergang. Oben angekommen machte Frankie den ersten Schritt. Er umarmte mich und gab mir ein Küsschen. Mein Herz schlug kräftiger und ich fragte mich „Hier oben? Nö, das war selbst mir zu heiß!“ Aber irgendwie machte er mich total wuschig und ich ihn wohl auch. Nach Sonnenuntergang, der so wunderbar romantisch war, begaben wir uns wieder auf den Weg nach unten. In einer dunklen Ecke blieben wir beide plötzlich stehen.

Seine Umarmungen wurden intensiver, seine Küsse hemmungsloser und wir kamen beide so richtig in Fahrt. Ich spürte, wie er die beiden Reißverschlüsse an meine Lederhose nach unten zog und mich da berührte, wo ich seit Jahren nicht mehr von einem Mann angefasst worden bin. Daraufhin riss ich förmlich seine Lederjeans auf und griff nach seinem liebsten Stück, das inzwischen hart wie Kruppstahl geworden war. Zum Glück trug ich heute meine Lederhose auf nackter Haut. Ich hatte es geahnt – er wollte also auch und so suchte sich sein liebstes Stück quasi ohne zu zögern den direkten Weg in mich hinein. Boah, war das geil! So etwas hatte ich Jahre nicht mehr erlebt. Wenn ich es drauf angelegt hätte, wäre es sicherlich schon eher wieder mal passiert, aber das wäre dann bestimmt nur schlecht gewesen. Aber das hier war richtig gut! So gut wie lange nicht mehr! Nach ein paar kurzen, aber umso heftigeren Stößen seinerseits entlud sich seine volle Manneskraft direkt in mein Körperinneres. Zeitgleich spürte ich selbiges in mir.

Eng umschlungen blieben wir erstarrt in der dunklen Ecke stehen. Uns pochte das Herz – wir hörten Schritte. Er steckte immer noch in mir drin als etwas schnell an uns vorbeihuschte. Es muss wohl einer der Fotografen gewesen sein, der von uns unbemerkt noch irgendwo den Sonnenuntergang auf der Plattform fotografiert hatte. Zum Glück standen Frankie und ich so eng umschlungen da, dass er wohl beim besten Willen nicht unsere noch offenen Hosen gesehen haben kann. Immerhin war uns nur das Herz in die Knie gerutscht, nicht aber die Hosen. Man, das wäre peinlich gewesen. Vorsichtig zogen wir uns wieder an – bloß keine Spuren hinterlassen, die Kinder sollten ja schließlich nichts merken.
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