Die Mutprobe
Verfasst: Di 30. Okt 2012, 10:47
Die Mutprobe
Oder: Neue Gummistiefel müssen her!
Prolog
„Los jetzt, Sabine! Trödel nicht so rum, Du musst noch packen!“ schallte es durch den Flur.
„Komme gleich!“ rief Sabine, während sie unter ihrem Bett herumkramte. „Wo ist denn mein anderer Flip-Flop! Ah, hier ist er ja!“
„Können wir jetzt los? Ab mit dir ins Auto!“ drängelte ihre Mutter.
Sabine huschte an ihr vorbei und rannte zum Auto. Heute sollte sie endlich neue Gummistiefel bekommen und voller Vorfreude malte sie sich bereits aus, was für Klamotten sie dazu tragen wollte und rutschte ganz hibbelig auf ihrem Sitz herum.
„Jetzt zappel nicht so rum, Du machst mich ja ganz nervös!“ brummelte ihre Mutter und fuhr endlich los, während Sabine plapperte wie ein Wasserfall, was wohl zu ihren neuen Gummistiefeln passen könnte.
Aber schon nach fünf Minuten bog Sabines Mutter zu ihrer Verwunderung schon wieder auf einen Parkplatz ein und stellte das Auto vor der örtlichen Lidl-Filiale ab.
„Können wir das mit dem Einkaufen nicht nachher machen? Ich hätte gedacht, wir kaufen erst meine Gummistiefel.“ nöhlte Sabine.
„Machen wir doch auch!“ sagte ihre Mutter. „Komm, Lidl hat zufälligerweise heute Gummistiefel im Angebot, da können wir nebenher auch gleich noch einkaufen.“
„Echt jetzt?“ stöhnte Sabine. „Sind die wenigstens noch hübsch? Oder nur billig?“
„Jetzt komm schon!“ sagte ihre Mutter verärgert und schob sie in Richtung der Eingangstür. „Sieh sie dir doch wenigstens mal an.“
Sabine sah sich noch schnell eine Jeans aus der letzten Angebotsaktion an, während ihre Mutter schon auf der Suche nach den Gummistiefeln war.
„Sabine, komm her!“ rief ihr ihre Mutter zu. „Ich hab sie gefunden! Größe 39, oder?“
„Jaaa, 39!“ antwortete Sabine und rollte mit den Augen. Langsam näherte Sie sich der Schütte mit den Gummistiefeln und ihre Vorfreude fiel augenblicklich wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Vor ihr lagen ein ganzer Haufen olivgrüner Arbeitsgummistiefel mit beigen Sohlen, Damen- und Herrenmodelle wild durcheinander. Triumphierend stand ihre Mutter mit einem Paar Stiefel daneben.
„OCH NÖ! MAMA! DIE DA?“ schimpfte Sabine. „Ich hätte gedacht, wir fahren dafür in die Stadt!“
Stattdessen stand sie jetzt eine Minute später neben ihrer Mutter im örtlichen Lidl, das eine Bein barfuß auf dem kalten Fliesenboden, das andere steckte in einem olivgrünen Gummistiefel mit kurzem, weitem Schaft und stark profilierter, beiger Sohle. Daneben lagen verstreut ihre lustlos von den Füssen abgeschüttelten, ausgelatschten und dreckigen gelben Flip-Flops, bei denen man schön deutlich ihre Zehenabdrücke erkennen konnte. Und natürlich der dazugehörige andere Stiefel.
„Was hast Du denn?“ fragte ihre Mutter. „Die passen dir doch wie angegossen! Die nehmen wir jetzt mit!“
„Du begreift es einfach nicht, oder?“ sagte Sabine gereizt. „Hast Du keine Augen im Kopf?!“
„Was soll denn sein, das sind eben Gummistiefel!“ sagte Sabines Mutter bestimmt. „Die Du ins Schullandheim mitnehmen wirst!“
„Aber die sind potthässlich!“ zeterte Sabine. „Mit denen kann ich doch nicht rumlaufen. In die Schäfte pass ich doch dreimal rein. Das sieht doch beschissen aus!“
„Junge Dame! Nicht in dem Ton!“ wies ihre Mutter sie zurecht. „Entweder nimmst Du jetzt diese Stiefel hier oder Du gehst barfuß, wenn ihr die Gummistiefel auf der Klassenfahrt doch mal braucht.“
„Oder dann eben in Flip-Flops! In diese Stiefel kriegst Du mich jedenfalls nicht freiwillig rein!“ schmollte Sabine, wobei sie das Wort ‚Stiefel‘ mit ihren Fingern durch in der Luft angedeuteten Gänsefüßchen unterstrich.
„Die Stiefel stehen nun mal auf der Liste, da kann ich auch nichts dafür“, seufzte ihre Mutter. „Schau mal, Schatz, ich weiß sehr wohl, dass es da viel schönere Gummistiefel gibt, aber die sind im Moment einfach nicht drin. Selbst die 6,99€ muss ich mir schon gut überlegen.“
„Alles ist besser als diese Dinger hier, dann geh ich eben barfuß!“ meckerte Sabine und trat sich den Stiefel vom Fuß. Schnell fädelte sie ihre Füße wieder in die gammeligen Flip-Flops und kickte frustriert den auf der Seite liegenden Gummistiefel in Richtung der Stiefelschütte zurück.
„WAS?!“ fauchte sie ihre Mutter an, nachdem sie bemerkt hatte, dass sie sie missbilligend ansah.
„Hast Du nicht was vergessen?“ fragte ihre Mutter und blickte in die Richtung der herumliegenden Gummistiefel.
„Okay, okay!“ Sabine rollte mit den Augen, hob die Stiefel auf und legte sie wieder ins Regal zurück. „Besser so? Können wir jetzt gehen?“
Auf dem ganzen Rückweg schmollte Sabine noch im Auto vor sich hin, bis ihrer Mutter eine Idee kam.
„Hör mal, ich glaube, ich habe im Keller noch meine alten Gummistiefel“, sagte sie. „Da war ich ungefähr so alt wie Du, als ich die bekommen habe. Die müssten Dir eigentlich passen.“
„Wenn Du meinst“, brummelte Sabine vor sich hin. „Die sind hoffentlich vorzeigbarer als das von vorhin!“
„Das denke ich doch!“ sagte ihre Mutter. „Die gefallen Dir bestimmt! Das sind nämlich richtige Markenstiefel! So was ist doch heute wieder angesagt. Voll Retro, sagt ihr doch immer, oder?“
„Warten wir’s ab!“ sagte Sabine wenig enthusiastisch und zog sich wieder in ihren Schmollwinkel zurück.
Daheim angekommen, ging ihre Mutter gleich in den Keller, während Sabine sich lustlos auf die Couch fläzte. Es dauerte eine halbe Ewigkeit und Sabine hörte, wie im Keller einige große Gegenstände verrückt wurden. Dann kam ihre Mutter freudestrahlend ins Wohnzimmer. In jeder Hand hatte sie einen hohen, glänzenden blauen Gummistiefel mit beigefarbener Sohle und einer blauen Kunststoffstulpe, in die ringsum kleine Löcher eingestanzt waren.
„Ta-Taaaaa! Wusste ich’s doch, dass die Stiefelchen noch da sind!“ jubilierte Sabines Mutter und hob sie in die Höhe. „Na, was sagst Du? Sind noch fast neu! Schlüpf doch mal rein!“
„Auf jeden Fall besser als diese olivgrünen Dinger!“ sagte Sabine und griff nach den Stiefeln. Sofort verzog sie das Gesicht. „BÄH! Die stinken!“
„Die standen halt im Keller rum, da kann ich auch nichts dran ändern!“ sagte Sabines Mutter. „Jetzt mach schon! Ich schmeiß die Stiefel auch noch mal in die Waschmaschine, wenn es dich stört!“
„Na gut, wenn’s sein muss!“ seufzte Sabine und schlüpfte in die beiden Stiefel. Als sie die Stiefel angezogen hatte, lief sie ein paar Schritte und verzog das Gesicht: „Die sind mir aber zu klein, Mama!“
„Zeig mal!“ sagte ihre Mutter und drückte an der Zehenspitze auf dem Stiefel herum. „Ach was! Die fallen doch groß aus und passen dir wie angegossen!“
„Eben nicht, die drücken!“ beharrte Sabine. „Steck ich jetzt in den Stiefeln oder Du? Die sind zu klein! Hier, schau! 38! Ich hab doch 39!“
„Tja, nochmal fahr ich nicht mit dir zum Stiefelkaufen, junge Dame!“ sagte ihre Mutter jetzt ärgerlich. „Jetzt stell dich nicht so an! Die braucht ihr doch höchst wahrscheinlich nur ein-, zwei Mal und das wirst Du doch mal aushalten können, oder? Andere gibt’s nicht und ich werde mir nicht nachsagen lassen, dass ich dich ohne vernünftige Klamotten auf die Klassenfahrt geschickt habe!“
„Na schön!“ seufzte Sabine und beeilte sich, aus den engen Stiefeln wieder herauszukommen, was gar nicht so einfach war. Schließlich musste sogar ihre Mutter helfen.
„Damit Du endlich Ruhe gibst, nehm ich eben die hier mit.“ Sie hob die Stiefel auf und trollte sie sich in ihr Zimmer. „Ob ich die auch Anziehe, hab ich nicht gesagt!“ sagte sie leise zu sich selbst, während sie die Stiefel achtlos in die Tasche hineinquetschte.
„Und wenn, dann platzen die hoffentlich an meinen Zehen auf, das würde dir jedenfalls Recht geschehen!"
Das gleiche Problem hatte auch Claudia, die mit ihrer Mutter vor dem Schaufenster eines Schuhgeschäfts stand und sich die Nase plattdrückte.
„Da! Siehst Du sie?!“ sagte Claudia aufgeregt und deutete mit dem Finger auf ein paar hohe weiße Gummistiefel mit aufgedrucktem großen bunten Blumenmuster.
„Jetzt mach mal halblang!“ sagte ihre Mutter und sah hin. „Stimmt, die sind wirklich schön! Das sind ja die Prilblumen aus den 70’er Jahren! Die kenne ich noch von Oma her.“
„Genau die will ich! Bitte bitte!“ bettelte Claudia und zappelte vor Aufregung herum.
„Hast Du auch gesehen, was die kosten?“ fragte ihre Mutter. „60€ für ein Paar Gummistiefel! Die spinnen doch! Das ist mir zuviel. Mehr wie 20€ wollte ich nicht dafür ausgeben. Da, die einfachen blauen mit der grauen Sohle da kosten 19,95€, die kannst Du haben.“
„Och Mama!“ quengelte Claudia. „So viel Geld hab ich aber nicht! Bitte, ich muss diese Stiefel haben!“
„Tja, dann wird das wohl nix!“ sagte Claudias Mutter knapp. „20€, mehr nicht! Basta! Die stehen doch dann eh nur rum, ich kenn dich doch!“
„Bestimmt nicht!“ flehte Claudia. „Ach Mama, bitte! Ich hab die Stiefel doch gestern schon anprobiert und die passen haargenau.“
„Nein, das ist mir eindeutig zu viel Geld!“ seufzte ihre Mutter. „Vor drei Jahren haben wir dir welche gekauft und die stehen bis jetzt noch im Keller rum, ohne dass Du sie je getragen hast. Auf einmal waren die uncool und das war es dann. Entweder nimmst Du die blauen hier oder die von Jens. Ihm sind sie inzwischen etwas zu klein, aber dir müssten sie noch passen.“
„Also gut!“ sagte Claudia genervt. „Dann nehme ich eben die von Jens. Dann sparst Du dir die 20€ und nach der Klassenfahrt habe ich Geburtstag. Da wünsche ich mir dann Geld von Oma und Opa und kauf ich mir die Stiefel eben selbst!“
„Das sehen wir dann noch!“, sagte Claudias Mutter. „Jetzt trag erst mal die von Jens! 60€ sind eine Menge Geld, um es einfach nur daheim im Keller verstauben zu lassen!“
„Das sehen wir dann noch! Klasse!“ äffte Claudia ihre Mutter nach. „Kennen wir schon, das sehen wir dann noch! Also nie!
Na schön! Bringen wir es hinter uns und verpass mir daheim ein Paar megahässliche Gummistiefel!“ seufzte Claudia und setzte sich in Bewegung.
Daheim gingen die beiden gleich in die Garage, wo die olivgrünen Stiefel von Claudias Bruder Jens achtlos hingeworfen in einer Ecke lagen. Sie waren über und über mit Grasschnipseln bedeckt, offenbar hatte sich Jens ausnahmsweise mal nützlich gemacht und den Rasen gemäht. Das Gelb der grobstolligen Sohle war kaum noch zu erkennen und die grünen Stulpen mit der „55“ drauf sahen auch nicht besser aus.
„Igitt!“ rümpfte Claudia die Nase. „Die hätte er wenigstens noch saubermachen können. Hoffentlich sind die überhaupt noch dicht, die hat er doch schon fast zwei Jahre.“
„Das werden wir gleich sehen!“ sagte Claudias Mutter und hob die Stiefel auf. „Da, zieh sie mal an, und dann kannst Du gleich im Gartenteich testen, ob sie Löcher haben. Und sauber werden sie auch gleich dabei! Aber pass auf, die eine Stulpe ist schon ein wenig eingerissen, nicht dass Du sie ganz abreißt!“
„Na dann mal los!“ dachte sich Claudia, während sie ihre Chucks von den Füßen streifte. „Und das auch noch barfuß!“
Langsam schob sie ihren nackten Fuß in den Stiefelschaft und erschauderte.
Der Stiefel war innen warm, glitschig und feucht, Jens musste gerade eben mit dem Rasenmähen fertig geworden sein. Aber seltsamerweise verspürte sie keinen Ekel, als sie auch in den zweiten Stiefel schlüpfte. Dafür machte sich ein seltsames Gefühl in ihrem Körper breit, das sie noch nicht einordnen konnte. Während sie darüber nachdachte, was es wohl sein könnte, riss sie ihre Mutter aus ihren Träumen.
„He, wie sieht’s aus?“ fragte sie fröhlich.
„Wie es aussieht?“ antwortete Claudia und rollte mit den Augen. „Ich sehe ja aus wie eine Bäuerin mit diesen Stiefeln! Und ja, die passen!“
„Das ist doch jetzt egal, wie es aussieht“, sagte ihre Mutter und öffnete die Tür zum Garten. „Hauptsache, sie passen und die Füße bleiben trocken! Los, ab in den Teich, die Stiefel wollen geputzt werden.“
„Oh Mann!“ dachte Claudia, während sie vorsichtig den ersten Fuß in den Teich setzte, „jetzt bleiben diese blöden Bauerntreter doch tatsächlich an mir hängen! Warum können die nicht ein Loch haben? Bitte, bitte, habt ein Loch!“
Vorsichtig ging sie tiefer ins Wasser und die Stiefelschäfte begannen, sich gegen ihre nackten Beine zu pressen. Durch den Schweiß konnte sie die angenehme Kühle des Wassers durch das PVC deutlich spüren und wieder machte sich dieses seltsame Gefühl in ihr breit.
„So ein Mist! Mist!“ dachte Claudia während sie die Grasschnipsel von den Stiefeln abwusch. „Keine Löcher!“
Lustlos stiefelte sie noch ein wenig im tieferen Wasser, das ihr jetzt schon bis fast an die Stulpen heranreichte, herum.
„Und, alles in Ordnung?“ fragte ihre Mutter, als Claudia schon ein gutes Stück vom Ufer weg war.
„Ja, alles gut!“ sagte Claudia mit Augenrollen. „Alles supi!“
Frustriert bewegte sie ihre Schenkel ein wenig vor und zurück, als es auf einmal kalt in einem Stiefel wurde.
„Ihhh!“ quietschte Claudia laut auf und hob schnell ihr Bein. „Wo kommt den das Wasser auf einmal her?“
„Ich hab dir doch gesagt, die Stulpen sind eingerissen!“ rief ihr ihre Mutter ärgerlich zu. „Pass doch bitte ein wenig auf, Du bist schon viel zu tief drin, dann läuft es halt rein! Komm endlich raus, Du musst noch packen.“
Aber Claudia dachte nicht daran, ins flachere Wasser zu kommen. Sie hatte da eine Idee und ging sogar noch einen Schritt weiter auf die Teichmitte zu. Wieder lief es durch den Riss in der Stulpe in den Stiefel hinein und gleich darauf folgte auch der zweite, der sich schnell und gurgelnd füllte.
„Was machst Du denn jetzt? Spinnst Du?“ fragte Claudias Mutter zornig. „Was soll denn das?“
„Na, ich mach die Stiefel auch noch innen sauber!“ grinste Claudia frech ihre Mutter an. „Du glaubst doch nicht, dass ich den Mief von Jens auf die Klassenfahrt mitnehme, oder?“
Sie versenkte die Stiefel noch drei, vier Mal im Teich und ließ das Wasser dann wieder aus dem Stiefel ablaufen, indem sie das Bein anhob. Und da war auch wieder das seltsame Gefühl, das sich bei jedem Mal, dass sie ihre Stiefel flutete, noch verstärkte.
„So, Du Wasserratte, jetzt reicht’s aber! Komm raus da!“ unterbrach ihre Mutter Claudias Stiefelfluten.
„Sauber sind sie ja jetzt. Aber wie kriege ich die denn wieder bis morgen trocken?“ fragte Claudia, während sie sich die schmatzenden Stiefel von den Füssen schüttelte und sie sie plätschernd auf den Rasen entleerte.
„Jetzt stopfen wir die erst mal mit alten Zeitungen aus und nach dem Mittagessen stellst Du sie bei Dir auf den Balkon zum Trocknen, dann kannst Du sie morgen früh einpacken!“
Als sie nach dem Essen mit den feuchten Gummistiefeln in der Hand nach oben auf ihr Zimmer trottete, überlegte sich Claudia fieberhaft, was sie tun könnte, um endlich an ihre absoluten Traumgummis ranzukommen. Das seltsame Gefühl in ihrem Körper, als sie die Gummistiefel angezogen und sie ihr dann im Teich vollgelaufen waren, hatte sie da aber schon wieder vergessen.
Teil 1:
Sabine und Claudia saßen auf einer Bank vor dem Schullandheim und unterhielten sich über das morgige Programm. Ihre Klasse 10a sollte eine Wanderung machen, die sie in ein Moor führen würde. Dort sollten sie für das Fach Biologie Wasserproben nehmen und Pflanzen und Tiere bestimmen. Es waren also Gummistiefel den ganzen Tag lang angesagt.
„Und ich hab‘ schon gedacht, ich hab‘ die blöden Gummistiefel völlig umsonst mitgenommen. Ich hab‘ mich schon gefragt, für was die auf der Liste standen“, sagte Sabine. “Jetzt, wo ich weiß, dass der Schneider mit uns ins Moor will, bin ich doch froh, dass ich sie dabei habe. Obwohl ich dafür ein paar coole Klamotten zuhause lassen musste, damit meine Tasche noch zuging.“
„Stimmt! In dem Matsch hab‘ ich auch lieber was an den Füssen, bevor ich mir noch irgendwas in die Fußsohlen eintrete“, pflichtete ihr Claudia bei. „Wenn meine doch bloß nicht so hässlich wären.“
„Wieso denn hässlich?“ fragte Sabine neugierig. „Hast Du dir selber etwa hässliche Gummistiefel gekauft!? Es gibt doch inzwischen mehr als genug Gummistiefel, die richtig geil aussehen.“
„Nein, das sind die alten Gummis von meinem bescheuerten Bruder. Der ist zwar jünger als ich, hat aber jetzt schon größere Füße. Nun rat mal, wer seine alten Dinger jetzt auftragen darf“, schimpfte Claudia.
„So wie Du dich aufführst, hast Du da wohl bestimmt den Hauptgewinn gezogen“, spöttelte Sabine. „Die müssen ja dann wirklich abgrundtief hässlich sein. Warum bist Du denn nicht losgezogen und hast Dir welche gekauft?“
„Mit dem bisschen Taschengeld? Ich hatte mir ja schon welche ausgesucht, voll Retro mit Schnürung vorne am Schaft und Pril-Blumen drauf, aber die kosten halt nun mal 60€. Meine Mutter ist fast durch die Decke gegangen, als ich sie ihr in der Stadt im Schuhladen gezeigt habe und sie gefragt habe, ob sie sich daran beteiligt. 60€ für ein paar Gummistiefel, die liegen nach der Klassenfahrt doch dann eh bloß daheim rum, die ziehst Du doch danach nie mehr an, Bla, Bla, Bla…..“, jammerte Claudia. “Dann kam sie auf die supertolle Idee, mich die Gummistiefel von meinem Bruder mal anprobieren zu lassen. Leider haben sie gepasst wie angegossen und jetzt darf ich mit seinen alten dunkelgrünen Bauerntretern rumlaufen! Echt peinlich!“
„Ich weiß! Mir ging es genauso. Ich wollte auch neue Gummistiefel für die Fahrt. Meine Mutter hat mir daraufhin ihre ur-ur-uralten aus dem Keller rausgesucht. Die waren mir aber schon fast zu klein. Keine Ahnung was die damals für Füße hatten. Ich bin gerade so reingekommen und dann musste ich feststellen, dass die schon vorne an den Zehen drücken“, sagte Sabine.
„Hast Du ihr denn nicht gesagt, dass Du dann Neue willst?“ fragte Sabine.
„Na klar hab‘ ich das gesagt! Meine Mutter ist mit mir dann zum Baumarkt gefahren und wollte mir dort die billigsten grünen Gummis für 6,99€ andrehen. Nur halbhoch und eine schwarze Sohle. Weißt Du, solche von der Art: Wenn Du 150kg schwer bist, passen Deine Waden da immer noch rein. Ich hab‘ ihr gesagt, die zieh‘ ich auf keinen Fall an, da geh ich lieber barfuß.
Andere gibt’s nicht, hat sie nur gesagt, dann geh‘ halt barfuß. Nur für eine Klassenfahrt will sie mir keine teuren neuen Gummistiefel kaufen, außerdem gibt ihre Haushaltskasse gerade nicht mehr her und ich bin auch pleite. Ich hab dann doch noch ihre alten Gummis mitgenommen, damit sie Ruhe gibt. Ist halt ein wenig blöd, dass die mir zu klein sind, aber für meine armen Zehen interessiert sich keiner!“ klagte Sabine. „Wenigstens kann man sich mit denen auf der Straße sehen lassen. Na ja, wer schön sein will, muss eben leiden! Und vor allem erst mal putzen!“
„Waren die denn so dreckig?“ fragte Claudia belustigt. „Da hat wohl Deine Mutter einen Freiwilligen gefunden, die Dinger mal richtig zu putzen, nachdem sie damit den halben Garten umgegraben hat, oder?“
„Nein, die sind eigentlich noch nagelneu, aber trotzdem durfte ich die dann erst ein paar Mal auswaschen und schrubben, weil die innen und außen total verstaubt waren. Die hat sie bestimmt die letzten 25 Jahre kein einziges Mal mehr angehabt, die riechen total muffig nach feuchtem Keller, richtig eklig!“ Sabine schüttelte sich. „Du sag‘ mal, Claudia. Du willst wohl unbedingt neue Gummistiefel, oder?“
„Na klar! Die hat doch heute fast jeder!“ sagte Claudia. „Nur wie soll ich an welche rankommen?“
„Wenn Deine Stiefel hier auf der Klassenfahrt auf einmal so ganz „zufällig“ ein oder mehrere Löcher bekommen würden, dann wäre es doch gut möglich, dass Du doch noch Deine Traumstiefel bekommst, oder?“ sagte Sabine in einem verschwörerischen Ton.
„Die Idee ist gar nicht mal so schlecht, das könnte vielleicht klappen“, meinte Claudia. „Meine Mutter hat ganz zum Schluss noch gesagt, jetzt trag erst mal die hier, dann sehen wir mal weiter. Aber die Gummistiefel einfach so kaputtschneiden, ich weiß nicht. Die sind zwar hässlich, aber sie sind immer noch dicht. Das ist doch die pure Verschwendung, oder etwa nicht?“
„Du findest sie potthässlich und Dein Bruder kann eh nix mehr damit anfangen, weil sie ihm zu klein sind. Bleibt ja dann nur noch die Altkleidersammlung oder der Flohmarkt! Wo also ist das Problem?“ fragte Sabine.
„Da hast Du auch wieder recht, denen wird niemand eine Träne nachweinen“, sagte Claudia überzeugt. „Und die zwei Euro, die ich dafür auf dem Flohmarkt bekommen würde, reißen es auch nicht mehr wirklich raus! Also gut! Ich mach meine Gummistiefel kaputt!“
„Na siehst Du, geht doch! Und jetzt müssen wir nur noch ein paar Löcher in Deine Gummis reinkriegen. Wir brauchen ein scharfes Messer oder eine Schere. Komm, wir fragen mal Markus, der kennt sich damit aus. Bei dem haben seine Gummistiefel noch nie das Ende ihrer Lebensdauer erreicht“, sagte Sabine und deutete auf ihren Klassenkameraden, der ein paar Tische weiter mit Herrn Schneider, ihrem Klassenlehrer gerade die Biologieausrüstung für den nächsten Tag sortierte.
„Wie meinst Du das?“ fragte Sabine.
„Der ist doch früher immer in löchrigen Gummistiefeln rumgelaufen. Ist Dir das noch nie aufgefallen? In der Pause hab‘ ich ihn damals öfters an seinen Stiefeln rumschneiden sehen“, sagte Sabine.
„Jetzt, wo Du es sagst, muss ich Dir recht geben“, antwortete Claudia. „Ich hab‘ mich schon damals gefragt, warum seine Stiefel immer so schnell kaputt waren. Bei mir haben die jedenfalls immer ewig gehalten.“
„Das ist genau unser Mann“ sagte Sabine und setzte sich in Richtung der Tische in Bewegung.
„Hallo Markus, hast Du gerade mal Zeit für uns? Wir müssten Dich was fragen“, flüsterte Sabine ihm ins Ohr. Sie zog ihn am Ärmel und lief ein paar Meter vom Tisch weg.
„Für Euch hab‘ ich doch immer Zeit, das wisst ihr doch, oder?“ rief Markus ihr hinterher, stand auf und lief ihr nach. „Was gibt’s denn, Mädels?“ fragte er, als er die beiden erreicht hatte.
Sabine antwortete ihm gerade so laut, dass ihr Klassenlehrer es nicht hören konnte: „Wir bräuchten von Dir mal Dein Taschenmesser. Du hast es doch dabei, oder nicht?“
„Klar hab‘ ich mein Taschenmesser dabei, aber für was braucht ihr das denn?“ fragte er neugierig.
„Kannst Du ein Geheimnis für Dich behalten?“ flüsterte Sabine. „Du hast doch früher auch schon an Deinen Gummistiefeln ab und zu mal rumgeschnippelt. Wir wollen, dass unsere Claudia hier endlich ein paar modische und sexy Gummistiefel bekommt. Dazu ist es nötig, dass ihre alten hier auf der Klassenfahrt einen kleinen „Unfall“ haben. Dafür brauchen wir Dein Messer und Deinen Rat.
„Hm, das ist vielleicht nicht das richtige dafür, weil es etwas stumpf ist“, überlegte er, „aber ich hab‘ da vielleicht etwas viel Besseres. Wartet, bis ich bei Herrn Schneider fertig bin, dann hab‘ ich das richtige für Euch.“
„Also gut, dann lassen wir uns überraschen, bis nachher also“. Die beiden verabschiedeten sich und setzten sich wieder auf die Bank.
„Cool, auf Markus kann man sich halt immer verlassen“, freute sich Claudia. „Ich bin gespannt, was er da wieder organisiert.“
Nach einer Stunde war Markus mit dem Sortieren der Ausrüstung für morgen fertig und kam zu den beiden herüber. Er setzte sich neben Sabine: „Hier, die sind besser als mein Messer.“ Auf seiner Hand lagen zwei Skalpelle aus dem Bio-Koffer.“ Passt bloß auf damit, die sind schweinescharf und brechen leicht ab, aber genau das Richtige für Euer „Projekt!““ Er zwinkerte Claudia und Sabine zu. „Jetzt habt ihr mich aber neugierig gemacht, was habt ihr genau vor?“ fragte er. „Als Gegenleistung für die Skalpelle möchte ich jetzt aber auch mit dabei sein.“
„Claudia möchte die hässlichen Gummistiefel, die sie von ihrem Bruder zum Auftragen geerbt hat, schnellstmöglich loswerden“, sagte Sabine, „damit sie von ihren Eltern endlich neue und modische bekommt. Das soll morgen auf der Wanderung ins Moor passieren, dieses eine Mal werden wir die Stiefel wohl nur brauchen.“
„Ich möchte die Stiefel halt an einer Stelle kaputtschneiden, wo es nicht so auffällt, dass daran rumgeschnippelt wurde, aber ich die Stiefel hinterher nur noch wegschmeißen kann. Außerdem muss ich ja auch noch in den Dingern laufen können“, ergänzte Claudia ihre Freundin.
„Also Claudia, pass auf! Am meisten gehen die vorne am Spann kaputt, hier ungefähr auf Knöchelhöhe“, sagte er und zeigte mit dem Finger auf die Stelle. „Kann aber sein, dass dann nur der Rat von Deiner Mutter kommt, dass Du halt nicht mehr so tief ins Wasser gehen sollst. Hab‘ ich von meinen Eltern dauernd zu hören gekriegt.
Hinten an den Fersen gehen sie auch oft kaputt, dort läuft‘s dann schon bei flachen Pfützen rein. An der Stelle unter der Sohle, wo die Zehen abknicken, würde ich nicht reinschneiden. Es läuft dann zwar bei jedem Schritt rein, aber wandern in den Stiefeln kannst Du dann vergessen. Es sei denn, Du stehst auf Blasen an der Fußsohle. Ich finde, der ultimative Kick ist, die Stiefel nur tief anzuritzen und dann darauf zu warten, das sie irgendwann unterwegs mit einem großen Knall aufplatzen.“
„Dann schneid‘ ich wohl am besten hinten an der Ferse rein, oder? Wie weit soll ich denn schneiden?“ fragte Claudia vorsichtig nach.
„Kommt ganz drauf an, wie luftig Du’s gerne hättest“, neckte sie Sabine. „Je größer das Loch, desto besser! Umso weniger lohnt sich da noch das reparieren.“
„Moment mal, Sabine! Wenn ich mir da ein Riesenloch reinschneide, versau‘ ich mir doch meine Socken, wenn wir ins Moor gehen. Da müsste ich ja barfuß in die Stiefel steigen. Das Loch sieht doch dann jeder bei den dunkelgrünen Gummistiefeln. Also ich weiß nicht, ob ich darauf große Lust habe, vor der ganzen Klasse mit löchrigen Stiefeln da zustehen“, sagte Claudia kläglich.
„Du wirst doch jetzt nicht noch einen Rückzieher machen wollen? Ich denke, Du willst diese Gummistiefel unbedingt“, seufzte Sabine. „Markus hat doch jetzt auch schon einiges für Dich riskiert, als er die Skalpelle organisiert hat.“
Man merkte Claudia an, dass sie hin- und hergerissen war. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Da kam Sabine eine Idee.
„Schau mal, Claudi-Schatz! Würde es Dir vielleicht leichter fallen, wenn ich mit meinen Gummistiefeln das gleiche machen würde? Meine Stiefel sind dunkelblau, das würde man bei denen auch sofort sehen, wenn da ein Loch drin ist. Dann stehst Du jedenfalls nicht mehr nur alleine blöd da. Wir könnten das als eine Mutprobe ansehen, oder als einen Wettbewerb zwischen uns beiden“, versuchte Sabine Claudia zu überzeugen. “Natürlich müssten wir uns noch über eine Art Wetteinsatz einigen.“
„Dann hättest du mich jetzt überzeugt. Aber die Gummis gehören doch Deiner Mutter. Bei mir ist das was ganz anderes, weil mein Bruder bestimmt nicht mehr danach fragt. Ich glaube nicht, dass es Deiner Mutter gefallen wird, wenn Du mit ihren kaputten Gummistiefeln wieder nach Hause kommst“, erwiderte Claudia.
„Ach was, die merkt das doch gar nicht! Die hat die Gummistiefel in den letzten 25 Jahren doch nicht gebraucht. Und wenn sie mich doch danach fragt, dann hab‘ ich die Stiefel schon wieder in den Keller gestellt, wo sie bestimmt für die nächsten 25 Jahre weiterverstauben würden. Nein, die Gummis sollen dafür richtig leiden, weil sie mir zu klein sind und meine Zehen quälen!“ Sie tat das Problem mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. „Was wirst Du denn Deiner Mutter oder Deinem Bruder erzählen?“
„Wahrscheinlich werde ich ihr sagen, dass ich meine Gummistiefel auf dem Flur hab‘ stehen lassen und sie dann so ein Idiot kaputtgemacht hat“, sagte Claudia. „Die Stiefel hab‘ ich dann natürlich schon entsorgt. Wegen der großen Löcher!“ zwinkerte sie Sabine zu. „Aber was soll denn der Verlierer machen?“
„Die Ausrede ist auch nicht schlecht! Also, hör zu. Ich schlage als Wetteinsatz folgendes vor: Wir ritzen uns beide heute Abend gegenseitig den rechten und den linken Gummistiefel an der Ferse hinten dicht über der Sohle an. Wir schneiden nicht das Gummi durch, die Stiefel sollen ja noch dicht bleiben. Morgen auf der Wanderung werden wir barfuß in die Stiefel steigen, damit auch jeder schön sehen kann, wenn uns die Stiefel aufplatzen und die rosa Haut durch die Löcher scheint. Bei wem die Stiefel zuerst kaputt sind, der hat verloren. Der Verlierer muss dann beide Paare zu Gummipantoffeln runterschneiden und die dann jeweils eine Woche lang in der Schule tragen.“
„Aber wieso sollten wir uns denn gegenseitig die Gummistiefel kaputtschneiden?“ fragte Claudia.
„Na, ganz einfach weil doch jeder von uns möchte, dass der andere verliert, oder etwa nicht? Würdest Du selber an Deinen Gummistiefeln rumschnippeln, dann achtest Du doch von selber drauf, dass Du nicht zu tief schneidest, oder? So stellen wir sicher, dass keiner von uns schummelt, Du Blitzmerker!“ neckte sie Sabine. „Und unser Markus hier“, sagte sie und legte die Hand auf seine Schulter, „wird unser Schiedsrichter. Also abgemacht? Los, schlag ein!“ Sie streckte Claudia die Hand entgegen.
„Auf was hab‘ ich mich da nur eingelassen“, seufzte Claudia. „Aber wie Du gesagt hast: Wer schön sein will, muss eben leiden. Abgemacht!“
Beide schüttelten sich die Hände.
Fortsetzung folgt...
Oder: Neue Gummistiefel müssen her!
Prolog
„Los jetzt, Sabine! Trödel nicht so rum, Du musst noch packen!“ schallte es durch den Flur.
„Komme gleich!“ rief Sabine, während sie unter ihrem Bett herumkramte. „Wo ist denn mein anderer Flip-Flop! Ah, hier ist er ja!“
„Können wir jetzt los? Ab mit dir ins Auto!“ drängelte ihre Mutter.
Sabine huschte an ihr vorbei und rannte zum Auto. Heute sollte sie endlich neue Gummistiefel bekommen und voller Vorfreude malte sie sich bereits aus, was für Klamotten sie dazu tragen wollte und rutschte ganz hibbelig auf ihrem Sitz herum.
„Jetzt zappel nicht so rum, Du machst mich ja ganz nervös!“ brummelte ihre Mutter und fuhr endlich los, während Sabine plapperte wie ein Wasserfall, was wohl zu ihren neuen Gummistiefeln passen könnte.
Aber schon nach fünf Minuten bog Sabines Mutter zu ihrer Verwunderung schon wieder auf einen Parkplatz ein und stellte das Auto vor der örtlichen Lidl-Filiale ab.
„Können wir das mit dem Einkaufen nicht nachher machen? Ich hätte gedacht, wir kaufen erst meine Gummistiefel.“ nöhlte Sabine.
„Machen wir doch auch!“ sagte ihre Mutter. „Komm, Lidl hat zufälligerweise heute Gummistiefel im Angebot, da können wir nebenher auch gleich noch einkaufen.“
„Echt jetzt?“ stöhnte Sabine. „Sind die wenigstens noch hübsch? Oder nur billig?“
„Jetzt komm schon!“ sagte ihre Mutter verärgert und schob sie in Richtung der Eingangstür. „Sieh sie dir doch wenigstens mal an.“
Sabine sah sich noch schnell eine Jeans aus der letzten Angebotsaktion an, während ihre Mutter schon auf der Suche nach den Gummistiefeln war.
„Sabine, komm her!“ rief ihr ihre Mutter zu. „Ich hab sie gefunden! Größe 39, oder?“
„Jaaa, 39!“ antwortete Sabine und rollte mit den Augen. Langsam näherte Sie sich der Schütte mit den Gummistiefeln und ihre Vorfreude fiel augenblicklich wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Vor ihr lagen ein ganzer Haufen olivgrüner Arbeitsgummistiefel mit beigen Sohlen, Damen- und Herrenmodelle wild durcheinander. Triumphierend stand ihre Mutter mit einem Paar Stiefel daneben.
„OCH NÖ! MAMA! DIE DA?“ schimpfte Sabine. „Ich hätte gedacht, wir fahren dafür in die Stadt!“
Stattdessen stand sie jetzt eine Minute später neben ihrer Mutter im örtlichen Lidl, das eine Bein barfuß auf dem kalten Fliesenboden, das andere steckte in einem olivgrünen Gummistiefel mit kurzem, weitem Schaft und stark profilierter, beiger Sohle. Daneben lagen verstreut ihre lustlos von den Füssen abgeschüttelten, ausgelatschten und dreckigen gelben Flip-Flops, bei denen man schön deutlich ihre Zehenabdrücke erkennen konnte. Und natürlich der dazugehörige andere Stiefel.
„Was hast Du denn?“ fragte ihre Mutter. „Die passen dir doch wie angegossen! Die nehmen wir jetzt mit!“
„Du begreift es einfach nicht, oder?“ sagte Sabine gereizt. „Hast Du keine Augen im Kopf?!“
„Was soll denn sein, das sind eben Gummistiefel!“ sagte Sabines Mutter bestimmt. „Die Du ins Schullandheim mitnehmen wirst!“
„Aber die sind potthässlich!“ zeterte Sabine. „Mit denen kann ich doch nicht rumlaufen. In die Schäfte pass ich doch dreimal rein. Das sieht doch beschissen aus!“
„Junge Dame! Nicht in dem Ton!“ wies ihre Mutter sie zurecht. „Entweder nimmst Du jetzt diese Stiefel hier oder Du gehst barfuß, wenn ihr die Gummistiefel auf der Klassenfahrt doch mal braucht.“
„Oder dann eben in Flip-Flops! In diese Stiefel kriegst Du mich jedenfalls nicht freiwillig rein!“ schmollte Sabine, wobei sie das Wort ‚Stiefel‘ mit ihren Fingern durch in der Luft angedeuteten Gänsefüßchen unterstrich.
„Die Stiefel stehen nun mal auf der Liste, da kann ich auch nichts dafür“, seufzte ihre Mutter. „Schau mal, Schatz, ich weiß sehr wohl, dass es da viel schönere Gummistiefel gibt, aber die sind im Moment einfach nicht drin. Selbst die 6,99€ muss ich mir schon gut überlegen.“
„Alles ist besser als diese Dinger hier, dann geh ich eben barfuß!“ meckerte Sabine und trat sich den Stiefel vom Fuß. Schnell fädelte sie ihre Füße wieder in die gammeligen Flip-Flops und kickte frustriert den auf der Seite liegenden Gummistiefel in Richtung der Stiefelschütte zurück.
„WAS?!“ fauchte sie ihre Mutter an, nachdem sie bemerkt hatte, dass sie sie missbilligend ansah.
„Hast Du nicht was vergessen?“ fragte ihre Mutter und blickte in die Richtung der herumliegenden Gummistiefel.
„Okay, okay!“ Sabine rollte mit den Augen, hob die Stiefel auf und legte sie wieder ins Regal zurück. „Besser so? Können wir jetzt gehen?“
Auf dem ganzen Rückweg schmollte Sabine noch im Auto vor sich hin, bis ihrer Mutter eine Idee kam.
„Hör mal, ich glaube, ich habe im Keller noch meine alten Gummistiefel“, sagte sie. „Da war ich ungefähr so alt wie Du, als ich die bekommen habe. Die müssten Dir eigentlich passen.“
„Wenn Du meinst“, brummelte Sabine vor sich hin. „Die sind hoffentlich vorzeigbarer als das von vorhin!“
„Das denke ich doch!“ sagte ihre Mutter. „Die gefallen Dir bestimmt! Das sind nämlich richtige Markenstiefel! So was ist doch heute wieder angesagt. Voll Retro, sagt ihr doch immer, oder?“
„Warten wir’s ab!“ sagte Sabine wenig enthusiastisch und zog sich wieder in ihren Schmollwinkel zurück.
Daheim angekommen, ging ihre Mutter gleich in den Keller, während Sabine sich lustlos auf die Couch fläzte. Es dauerte eine halbe Ewigkeit und Sabine hörte, wie im Keller einige große Gegenstände verrückt wurden. Dann kam ihre Mutter freudestrahlend ins Wohnzimmer. In jeder Hand hatte sie einen hohen, glänzenden blauen Gummistiefel mit beigefarbener Sohle und einer blauen Kunststoffstulpe, in die ringsum kleine Löcher eingestanzt waren.
„Ta-Taaaaa! Wusste ich’s doch, dass die Stiefelchen noch da sind!“ jubilierte Sabines Mutter und hob sie in die Höhe. „Na, was sagst Du? Sind noch fast neu! Schlüpf doch mal rein!“
„Auf jeden Fall besser als diese olivgrünen Dinger!“ sagte Sabine und griff nach den Stiefeln. Sofort verzog sie das Gesicht. „BÄH! Die stinken!“
„Die standen halt im Keller rum, da kann ich auch nichts dran ändern!“ sagte Sabines Mutter. „Jetzt mach schon! Ich schmeiß die Stiefel auch noch mal in die Waschmaschine, wenn es dich stört!“
„Na gut, wenn’s sein muss!“ seufzte Sabine und schlüpfte in die beiden Stiefel. Als sie die Stiefel angezogen hatte, lief sie ein paar Schritte und verzog das Gesicht: „Die sind mir aber zu klein, Mama!“
„Zeig mal!“ sagte ihre Mutter und drückte an der Zehenspitze auf dem Stiefel herum. „Ach was! Die fallen doch groß aus und passen dir wie angegossen!“
„Eben nicht, die drücken!“ beharrte Sabine. „Steck ich jetzt in den Stiefeln oder Du? Die sind zu klein! Hier, schau! 38! Ich hab doch 39!“
„Tja, nochmal fahr ich nicht mit dir zum Stiefelkaufen, junge Dame!“ sagte ihre Mutter jetzt ärgerlich. „Jetzt stell dich nicht so an! Die braucht ihr doch höchst wahrscheinlich nur ein-, zwei Mal und das wirst Du doch mal aushalten können, oder? Andere gibt’s nicht und ich werde mir nicht nachsagen lassen, dass ich dich ohne vernünftige Klamotten auf die Klassenfahrt geschickt habe!“
„Na schön!“ seufzte Sabine und beeilte sich, aus den engen Stiefeln wieder herauszukommen, was gar nicht so einfach war. Schließlich musste sogar ihre Mutter helfen.
„Damit Du endlich Ruhe gibst, nehm ich eben die hier mit.“ Sie hob die Stiefel auf und trollte sie sich in ihr Zimmer. „Ob ich die auch Anziehe, hab ich nicht gesagt!“ sagte sie leise zu sich selbst, während sie die Stiefel achtlos in die Tasche hineinquetschte.
„Und wenn, dann platzen die hoffentlich an meinen Zehen auf, das würde dir jedenfalls Recht geschehen!"
Das gleiche Problem hatte auch Claudia, die mit ihrer Mutter vor dem Schaufenster eines Schuhgeschäfts stand und sich die Nase plattdrückte.
„Da! Siehst Du sie?!“ sagte Claudia aufgeregt und deutete mit dem Finger auf ein paar hohe weiße Gummistiefel mit aufgedrucktem großen bunten Blumenmuster.
„Jetzt mach mal halblang!“ sagte ihre Mutter und sah hin. „Stimmt, die sind wirklich schön! Das sind ja die Prilblumen aus den 70’er Jahren! Die kenne ich noch von Oma her.“
„Genau die will ich! Bitte bitte!“ bettelte Claudia und zappelte vor Aufregung herum.
„Hast Du auch gesehen, was die kosten?“ fragte ihre Mutter. „60€ für ein Paar Gummistiefel! Die spinnen doch! Das ist mir zuviel. Mehr wie 20€ wollte ich nicht dafür ausgeben. Da, die einfachen blauen mit der grauen Sohle da kosten 19,95€, die kannst Du haben.“
„Och Mama!“ quengelte Claudia. „So viel Geld hab ich aber nicht! Bitte, ich muss diese Stiefel haben!“
„Tja, dann wird das wohl nix!“ sagte Claudias Mutter knapp. „20€, mehr nicht! Basta! Die stehen doch dann eh nur rum, ich kenn dich doch!“
„Bestimmt nicht!“ flehte Claudia. „Ach Mama, bitte! Ich hab die Stiefel doch gestern schon anprobiert und die passen haargenau.“
„Nein, das ist mir eindeutig zu viel Geld!“ seufzte ihre Mutter. „Vor drei Jahren haben wir dir welche gekauft und die stehen bis jetzt noch im Keller rum, ohne dass Du sie je getragen hast. Auf einmal waren die uncool und das war es dann. Entweder nimmst Du die blauen hier oder die von Jens. Ihm sind sie inzwischen etwas zu klein, aber dir müssten sie noch passen.“
„Also gut!“ sagte Claudia genervt. „Dann nehme ich eben die von Jens. Dann sparst Du dir die 20€ und nach der Klassenfahrt habe ich Geburtstag. Da wünsche ich mir dann Geld von Oma und Opa und kauf ich mir die Stiefel eben selbst!“
„Das sehen wir dann noch!“, sagte Claudias Mutter. „Jetzt trag erst mal die von Jens! 60€ sind eine Menge Geld, um es einfach nur daheim im Keller verstauben zu lassen!“
„Das sehen wir dann noch! Klasse!“ äffte Claudia ihre Mutter nach. „Kennen wir schon, das sehen wir dann noch! Also nie!
Na schön! Bringen wir es hinter uns und verpass mir daheim ein Paar megahässliche Gummistiefel!“ seufzte Claudia und setzte sich in Bewegung.
Daheim gingen die beiden gleich in die Garage, wo die olivgrünen Stiefel von Claudias Bruder Jens achtlos hingeworfen in einer Ecke lagen. Sie waren über und über mit Grasschnipseln bedeckt, offenbar hatte sich Jens ausnahmsweise mal nützlich gemacht und den Rasen gemäht. Das Gelb der grobstolligen Sohle war kaum noch zu erkennen und die grünen Stulpen mit der „55“ drauf sahen auch nicht besser aus.
„Igitt!“ rümpfte Claudia die Nase. „Die hätte er wenigstens noch saubermachen können. Hoffentlich sind die überhaupt noch dicht, die hat er doch schon fast zwei Jahre.“
„Das werden wir gleich sehen!“ sagte Claudias Mutter und hob die Stiefel auf. „Da, zieh sie mal an, und dann kannst Du gleich im Gartenteich testen, ob sie Löcher haben. Und sauber werden sie auch gleich dabei! Aber pass auf, die eine Stulpe ist schon ein wenig eingerissen, nicht dass Du sie ganz abreißt!“
„Na dann mal los!“ dachte sich Claudia, während sie ihre Chucks von den Füßen streifte. „Und das auch noch barfuß!“
Langsam schob sie ihren nackten Fuß in den Stiefelschaft und erschauderte.
Der Stiefel war innen warm, glitschig und feucht, Jens musste gerade eben mit dem Rasenmähen fertig geworden sein. Aber seltsamerweise verspürte sie keinen Ekel, als sie auch in den zweiten Stiefel schlüpfte. Dafür machte sich ein seltsames Gefühl in ihrem Körper breit, das sie noch nicht einordnen konnte. Während sie darüber nachdachte, was es wohl sein könnte, riss sie ihre Mutter aus ihren Träumen.
„He, wie sieht’s aus?“ fragte sie fröhlich.
„Wie es aussieht?“ antwortete Claudia und rollte mit den Augen. „Ich sehe ja aus wie eine Bäuerin mit diesen Stiefeln! Und ja, die passen!“
„Das ist doch jetzt egal, wie es aussieht“, sagte ihre Mutter und öffnete die Tür zum Garten. „Hauptsache, sie passen und die Füße bleiben trocken! Los, ab in den Teich, die Stiefel wollen geputzt werden.“
„Oh Mann!“ dachte Claudia, während sie vorsichtig den ersten Fuß in den Teich setzte, „jetzt bleiben diese blöden Bauerntreter doch tatsächlich an mir hängen! Warum können die nicht ein Loch haben? Bitte, bitte, habt ein Loch!“
Vorsichtig ging sie tiefer ins Wasser und die Stiefelschäfte begannen, sich gegen ihre nackten Beine zu pressen. Durch den Schweiß konnte sie die angenehme Kühle des Wassers durch das PVC deutlich spüren und wieder machte sich dieses seltsame Gefühl in ihr breit.
„So ein Mist! Mist!“ dachte Claudia während sie die Grasschnipsel von den Stiefeln abwusch. „Keine Löcher!“
Lustlos stiefelte sie noch ein wenig im tieferen Wasser, das ihr jetzt schon bis fast an die Stulpen heranreichte, herum.
„Und, alles in Ordnung?“ fragte ihre Mutter, als Claudia schon ein gutes Stück vom Ufer weg war.
„Ja, alles gut!“ sagte Claudia mit Augenrollen. „Alles supi!“
Frustriert bewegte sie ihre Schenkel ein wenig vor und zurück, als es auf einmal kalt in einem Stiefel wurde.
„Ihhh!“ quietschte Claudia laut auf und hob schnell ihr Bein. „Wo kommt den das Wasser auf einmal her?“
„Ich hab dir doch gesagt, die Stulpen sind eingerissen!“ rief ihr ihre Mutter ärgerlich zu. „Pass doch bitte ein wenig auf, Du bist schon viel zu tief drin, dann läuft es halt rein! Komm endlich raus, Du musst noch packen.“
Aber Claudia dachte nicht daran, ins flachere Wasser zu kommen. Sie hatte da eine Idee und ging sogar noch einen Schritt weiter auf die Teichmitte zu. Wieder lief es durch den Riss in der Stulpe in den Stiefel hinein und gleich darauf folgte auch der zweite, der sich schnell und gurgelnd füllte.
„Was machst Du denn jetzt? Spinnst Du?“ fragte Claudias Mutter zornig. „Was soll denn das?“
„Na, ich mach die Stiefel auch noch innen sauber!“ grinste Claudia frech ihre Mutter an. „Du glaubst doch nicht, dass ich den Mief von Jens auf die Klassenfahrt mitnehme, oder?“
Sie versenkte die Stiefel noch drei, vier Mal im Teich und ließ das Wasser dann wieder aus dem Stiefel ablaufen, indem sie das Bein anhob. Und da war auch wieder das seltsame Gefühl, das sich bei jedem Mal, dass sie ihre Stiefel flutete, noch verstärkte.
„So, Du Wasserratte, jetzt reicht’s aber! Komm raus da!“ unterbrach ihre Mutter Claudias Stiefelfluten.
„Sauber sind sie ja jetzt. Aber wie kriege ich die denn wieder bis morgen trocken?“ fragte Claudia, während sie sich die schmatzenden Stiefel von den Füssen schüttelte und sie sie plätschernd auf den Rasen entleerte.
„Jetzt stopfen wir die erst mal mit alten Zeitungen aus und nach dem Mittagessen stellst Du sie bei Dir auf den Balkon zum Trocknen, dann kannst Du sie morgen früh einpacken!“
Als sie nach dem Essen mit den feuchten Gummistiefeln in der Hand nach oben auf ihr Zimmer trottete, überlegte sich Claudia fieberhaft, was sie tun könnte, um endlich an ihre absoluten Traumgummis ranzukommen. Das seltsame Gefühl in ihrem Körper, als sie die Gummistiefel angezogen und sie ihr dann im Teich vollgelaufen waren, hatte sie da aber schon wieder vergessen.
Teil 1:
Sabine und Claudia saßen auf einer Bank vor dem Schullandheim und unterhielten sich über das morgige Programm. Ihre Klasse 10a sollte eine Wanderung machen, die sie in ein Moor führen würde. Dort sollten sie für das Fach Biologie Wasserproben nehmen und Pflanzen und Tiere bestimmen. Es waren also Gummistiefel den ganzen Tag lang angesagt.
„Und ich hab‘ schon gedacht, ich hab‘ die blöden Gummistiefel völlig umsonst mitgenommen. Ich hab‘ mich schon gefragt, für was die auf der Liste standen“, sagte Sabine. “Jetzt, wo ich weiß, dass der Schneider mit uns ins Moor will, bin ich doch froh, dass ich sie dabei habe. Obwohl ich dafür ein paar coole Klamotten zuhause lassen musste, damit meine Tasche noch zuging.“
„Stimmt! In dem Matsch hab‘ ich auch lieber was an den Füssen, bevor ich mir noch irgendwas in die Fußsohlen eintrete“, pflichtete ihr Claudia bei. „Wenn meine doch bloß nicht so hässlich wären.“
„Wieso denn hässlich?“ fragte Sabine neugierig. „Hast Du dir selber etwa hässliche Gummistiefel gekauft!? Es gibt doch inzwischen mehr als genug Gummistiefel, die richtig geil aussehen.“
„Nein, das sind die alten Gummis von meinem bescheuerten Bruder. Der ist zwar jünger als ich, hat aber jetzt schon größere Füße. Nun rat mal, wer seine alten Dinger jetzt auftragen darf“, schimpfte Claudia.
„So wie Du dich aufführst, hast Du da wohl bestimmt den Hauptgewinn gezogen“, spöttelte Sabine. „Die müssen ja dann wirklich abgrundtief hässlich sein. Warum bist Du denn nicht losgezogen und hast Dir welche gekauft?“
„Mit dem bisschen Taschengeld? Ich hatte mir ja schon welche ausgesucht, voll Retro mit Schnürung vorne am Schaft und Pril-Blumen drauf, aber die kosten halt nun mal 60€. Meine Mutter ist fast durch die Decke gegangen, als ich sie ihr in der Stadt im Schuhladen gezeigt habe und sie gefragt habe, ob sie sich daran beteiligt. 60€ für ein paar Gummistiefel, die liegen nach der Klassenfahrt doch dann eh bloß daheim rum, die ziehst Du doch danach nie mehr an, Bla, Bla, Bla…..“, jammerte Claudia. “Dann kam sie auf die supertolle Idee, mich die Gummistiefel von meinem Bruder mal anprobieren zu lassen. Leider haben sie gepasst wie angegossen und jetzt darf ich mit seinen alten dunkelgrünen Bauerntretern rumlaufen! Echt peinlich!“
„Ich weiß! Mir ging es genauso. Ich wollte auch neue Gummistiefel für die Fahrt. Meine Mutter hat mir daraufhin ihre ur-ur-uralten aus dem Keller rausgesucht. Die waren mir aber schon fast zu klein. Keine Ahnung was die damals für Füße hatten. Ich bin gerade so reingekommen und dann musste ich feststellen, dass die schon vorne an den Zehen drücken“, sagte Sabine.
„Hast Du ihr denn nicht gesagt, dass Du dann Neue willst?“ fragte Sabine.
„Na klar hab‘ ich das gesagt! Meine Mutter ist mit mir dann zum Baumarkt gefahren und wollte mir dort die billigsten grünen Gummis für 6,99€ andrehen. Nur halbhoch und eine schwarze Sohle. Weißt Du, solche von der Art: Wenn Du 150kg schwer bist, passen Deine Waden da immer noch rein. Ich hab‘ ihr gesagt, die zieh‘ ich auf keinen Fall an, da geh ich lieber barfuß.
Andere gibt’s nicht, hat sie nur gesagt, dann geh‘ halt barfuß. Nur für eine Klassenfahrt will sie mir keine teuren neuen Gummistiefel kaufen, außerdem gibt ihre Haushaltskasse gerade nicht mehr her und ich bin auch pleite. Ich hab dann doch noch ihre alten Gummis mitgenommen, damit sie Ruhe gibt. Ist halt ein wenig blöd, dass die mir zu klein sind, aber für meine armen Zehen interessiert sich keiner!“ klagte Sabine. „Wenigstens kann man sich mit denen auf der Straße sehen lassen. Na ja, wer schön sein will, muss eben leiden! Und vor allem erst mal putzen!“
„Waren die denn so dreckig?“ fragte Claudia belustigt. „Da hat wohl Deine Mutter einen Freiwilligen gefunden, die Dinger mal richtig zu putzen, nachdem sie damit den halben Garten umgegraben hat, oder?“
„Nein, die sind eigentlich noch nagelneu, aber trotzdem durfte ich die dann erst ein paar Mal auswaschen und schrubben, weil die innen und außen total verstaubt waren. Die hat sie bestimmt die letzten 25 Jahre kein einziges Mal mehr angehabt, die riechen total muffig nach feuchtem Keller, richtig eklig!“ Sabine schüttelte sich. „Du sag‘ mal, Claudia. Du willst wohl unbedingt neue Gummistiefel, oder?“
„Na klar! Die hat doch heute fast jeder!“ sagte Claudia. „Nur wie soll ich an welche rankommen?“
„Wenn Deine Stiefel hier auf der Klassenfahrt auf einmal so ganz „zufällig“ ein oder mehrere Löcher bekommen würden, dann wäre es doch gut möglich, dass Du doch noch Deine Traumstiefel bekommst, oder?“ sagte Sabine in einem verschwörerischen Ton.
„Die Idee ist gar nicht mal so schlecht, das könnte vielleicht klappen“, meinte Claudia. „Meine Mutter hat ganz zum Schluss noch gesagt, jetzt trag erst mal die hier, dann sehen wir mal weiter. Aber die Gummistiefel einfach so kaputtschneiden, ich weiß nicht. Die sind zwar hässlich, aber sie sind immer noch dicht. Das ist doch die pure Verschwendung, oder etwa nicht?“
„Du findest sie potthässlich und Dein Bruder kann eh nix mehr damit anfangen, weil sie ihm zu klein sind. Bleibt ja dann nur noch die Altkleidersammlung oder der Flohmarkt! Wo also ist das Problem?“ fragte Sabine.
„Da hast Du auch wieder recht, denen wird niemand eine Träne nachweinen“, sagte Claudia überzeugt. „Und die zwei Euro, die ich dafür auf dem Flohmarkt bekommen würde, reißen es auch nicht mehr wirklich raus! Also gut! Ich mach meine Gummistiefel kaputt!“
„Na siehst Du, geht doch! Und jetzt müssen wir nur noch ein paar Löcher in Deine Gummis reinkriegen. Wir brauchen ein scharfes Messer oder eine Schere. Komm, wir fragen mal Markus, der kennt sich damit aus. Bei dem haben seine Gummistiefel noch nie das Ende ihrer Lebensdauer erreicht“, sagte Sabine und deutete auf ihren Klassenkameraden, der ein paar Tische weiter mit Herrn Schneider, ihrem Klassenlehrer gerade die Biologieausrüstung für den nächsten Tag sortierte.
„Wie meinst Du das?“ fragte Sabine.
„Der ist doch früher immer in löchrigen Gummistiefeln rumgelaufen. Ist Dir das noch nie aufgefallen? In der Pause hab‘ ich ihn damals öfters an seinen Stiefeln rumschneiden sehen“, sagte Sabine.
„Jetzt, wo Du es sagst, muss ich Dir recht geben“, antwortete Claudia. „Ich hab‘ mich schon damals gefragt, warum seine Stiefel immer so schnell kaputt waren. Bei mir haben die jedenfalls immer ewig gehalten.“
„Das ist genau unser Mann“ sagte Sabine und setzte sich in Richtung der Tische in Bewegung.
„Hallo Markus, hast Du gerade mal Zeit für uns? Wir müssten Dich was fragen“, flüsterte Sabine ihm ins Ohr. Sie zog ihn am Ärmel und lief ein paar Meter vom Tisch weg.
„Für Euch hab‘ ich doch immer Zeit, das wisst ihr doch, oder?“ rief Markus ihr hinterher, stand auf und lief ihr nach. „Was gibt’s denn, Mädels?“ fragte er, als er die beiden erreicht hatte.
Sabine antwortete ihm gerade so laut, dass ihr Klassenlehrer es nicht hören konnte: „Wir bräuchten von Dir mal Dein Taschenmesser. Du hast es doch dabei, oder nicht?“
„Klar hab‘ ich mein Taschenmesser dabei, aber für was braucht ihr das denn?“ fragte er neugierig.
„Kannst Du ein Geheimnis für Dich behalten?“ flüsterte Sabine. „Du hast doch früher auch schon an Deinen Gummistiefeln ab und zu mal rumgeschnippelt. Wir wollen, dass unsere Claudia hier endlich ein paar modische und sexy Gummistiefel bekommt. Dazu ist es nötig, dass ihre alten hier auf der Klassenfahrt einen kleinen „Unfall“ haben. Dafür brauchen wir Dein Messer und Deinen Rat.
„Hm, das ist vielleicht nicht das richtige dafür, weil es etwas stumpf ist“, überlegte er, „aber ich hab‘ da vielleicht etwas viel Besseres. Wartet, bis ich bei Herrn Schneider fertig bin, dann hab‘ ich das richtige für Euch.“
„Also gut, dann lassen wir uns überraschen, bis nachher also“. Die beiden verabschiedeten sich und setzten sich wieder auf die Bank.
„Cool, auf Markus kann man sich halt immer verlassen“, freute sich Claudia. „Ich bin gespannt, was er da wieder organisiert.“
Nach einer Stunde war Markus mit dem Sortieren der Ausrüstung für morgen fertig und kam zu den beiden herüber. Er setzte sich neben Sabine: „Hier, die sind besser als mein Messer.“ Auf seiner Hand lagen zwei Skalpelle aus dem Bio-Koffer.“ Passt bloß auf damit, die sind schweinescharf und brechen leicht ab, aber genau das Richtige für Euer „Projekt!““ Er zwinkerte Claudia und Sabine zu. „Jetzt habt ihr mich aber neugierig gemacht, was habt ihr genau vor?“ fragte er. „Als Gegenleistung für die Skalpelle möchte ich jetzt aber auch mit dabei sein.“
„Claudia möchte die hässlichen Gummistiefel, die sie von ihrem Bruder zum Auftragen geerbt hat, schnellstmöglich loswerden“, sagte Sabine, „damit sie von ihren Eltern endlich neue und modische bekommt. Das soll morgen auf der Wanderung ins Moor passieren, dieses eine Mal werden wir die Stiefel wohl nur brauchen.“
„Ich möchte die Stiefel halt an einer Stelle kaputtschneiden, wo es nicht so auffällt, dass daran rumgeschnippelt wurde, aber ich die Stiefel hinterher nur noch wegschmeißen kann. Außerdem muss ich ja auch noch in den Dingern laufen können“, ergänzte Claudia ihre Freundin.
„Also Claudia, pass auf! Am meisten gehen die vorne am Spann kaputt, hier ungefähr auf Knöchelhöhe“, sagte er und zeigte mit dem Finger auf die Stelle. „Kann aber sein, dass dann nur der Rat von Deiner Mutter kommt, dass Du halt nicht mehr so tief ins Wasser gehen sollst. Hab‘ ich von meinen Eltern dauernd zu hören gekriegt.
Hinten an den Fersen gehen sie auch oft kaputt, dort läuft‘s dann schon bei flachen Pfützen rein. An der Stelle unter der Sohle, wo die Zehen abknicken, würde ich nicht reinschneiden. Es läuft dann zwar bei jedem Schritt rein, aber wandern in den Stiefeln kannst Du dann vergessen. Es sei denn, Du stehst auf Blasen an der Fußsohle. Ich finde, der ultimative Kick ist, die Stiefel nur tief anzuritzen und dann darauf zu warten, das sie irgendwann unterwegs mit einem großen Knall aufplatzen.“
„Dann schneid‘ ich wohl am besten hinten an der Ferse rein, oder? Wie weit soll ich denn schneiden?“ fragte Claudia vorsichtig nach.
„Kommt ganz drauf an, wie luftig Du’s gerne hättest“, neckte sie Sabine. „Je größer das Loch, desto besser! Umso weniger lohnt sich da noch das reparieren.“
„Moment mal, Sabine! Wenn ich mir da ein Riesenloch reinschneide, versau‘ ich mir doch meine Socken, wenn wir ins Moor gehen. Da müsste ich ja barfuß in die Stiefel steigen. Das Loch sieht doch dann jeder bei den dunkelgrünen Gummistiefeln. Also ich weiß nicht, ob ich darauf große Lust habe, vor der ganzen Klasse mit löchrigen Stiefeln da zustehen“, sagte Claudia kläglich.
„Du wirst doch jetzt nicht noch einen Rückzieher machen wollen? Ich denke, Du willst diese Gummistiefel unbedingt“, seufzte Sabine. „Markus hat doch jetzt auch schon einiges für Dich riskiert, als er die Skalpelle organisiert hat.“
Man merkte Claudia an, dass sie hin- und hergerissen war. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Da kam Sabine eine Idee.
„Schau mal, Claudi-Schatz! Würde es Dir vielleicht leichter fallen, wenn ich mit meinen Gummistiefeln das gleiche machen würde? Meine Stiefel sind dunkelblau, das würde man bei denen auch sofort sehen, wenn da ein Loch drin ist. Dann stehst Du jedenfalls nicht mehr nur alleine blöd da. Wir könnten das als eine Mutprobe ansehen, oder als einen Wettbewerb zwischen uns beiden“, versuchte Sabine Claudia zu überzeugen. “Natürlich müssten wir uns noch über eine Art Wetteinsatz einigen.“
„Dann hättest du mich jetzt überzeugt. Aber die Gummis gehören doch Deiner Mutter. Bei mir ist das was ganz anderes, weil mein Bruder bestimmt nicht mehr danach fragt. Ich glaube nicht, dass es Deiner Mutter gefallen wird, wenn Du mit ihren kaputten Gummistiefeln wieder nach Hause kommst“, erwiderte Claudia.
„Ach was, die merkt das doch gar nicht! Die hat die Gummistiefel in den letzten 25 Jahren doch nicht gebraucht. Und wenn sie mich doch danach fragt, dann hab‘ ich die Stiefel schon wieder in den Keller gestellt, wo sie bestimmt für die nächsten 25 Jahre weiterverstauben würden. Nein, die Gummis sollen dafür richtig leiden, weil sie mir zu klein sind und meine Zehen quälen!“ Sie tat das Problem mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. „Was wirst Du denn Deiner Mutter oder Deinem Bruder erzählen?“
„Wahrscheinlich werde ich ihr sagen, dass ich meine Gummistiefel auf dem Flur hab‘ stehen lassen und sie dann so ein Idiot kaputtgemacht hat“, sagte Claudia. „Die Stiefel hab‘ ich dann natürlich schon entsorgt. Wegen der großen Löcher!“ zwinkerte sie Sabine zu. „Aber was soll denn der Verlierer machen?“
„Die Ausrede ist auch nicht schlecht! Also, hör zu. Ich schlage als Wetteinsatz folgendes vor: Wir ritzen uns beide heute Abend gegenseitig den rechten und den linken Gummistiefel an der Ferse hinten dicht über der Sohle an. Wir schneiden nicht das Gummi durch, die Stiefel sollen ja noch dicht bleiben. Morgen auf der Wanderung werden wir barfuß in die Stiefel steigen, damit auch jeder schön sehen kann, wenn uns die Stiefel aufplatzen und die rosa Haut durch die Löcher scheint. Bei wem die Stiefel zuerst kaputt sind, der hat verloren. Der Verlierer muss dann beide Paare zu Gummipantoffeln runterschneiden und die dann jeweils eine Woche lang in der Schule tragen.“
„Aber wieso sollten wir uns denn gegenseitig die Gummistiefel kaputtschneiden?“ fragte Claudia.
„Na, ganz einfach weil doch jeder von uns möchte, dass der andere verliert, oder etwa nicht? Würdest Du selber an Deinen Gummistiefeln rumschnippeln, dann achtest Du doch von selber drauf, dass Du nicht zu tief schneidest, oder? So stellen wir sicher, dass keiner von uns schummelt, Du Blitzmerker!“ neckte sie Sabine. „Und unser Markus hier“, sagte sie und legte die Hand auf seine Schulter, „wird unser Schiedsrichter. Also abgemacht? Los, schlag ein!“ Sie streckte Claudia die Hand entgegen.
„Auf was hab‘ ich mich da nur eingelassen“, seufzte Claudia. „Aber wie Du gesagt hast: Wer schön sein will, muss eben leiden. Abgemacht!“
Beide schüttelten sich die Hände.
Fortsetzung folgt...